Heidelberg/Mannheim/Stuttgart, 06. Oktober 2017. (red/pro) Im November 2016 berichteten wir exklusiv über ein “Zentrales Ankunftszentrum”, das auf Coleman Barracks errichtet werden könnte. Nun verdichten sich die Hinweise, dass es so kommen wird. Unklar ist immer noch, wann. Nach unserer Einschätzung ist realistisch, dass 2019 oder 2020 der Umzug von Heidelberg nach Mannheim stattfinden kann. Das Land lässt bereits die Machbarkeit prüfen und die US Army soll eine Teilnutzung von Coleman in Aussicht gestellt haben. Wir berichten exklusiv über die verschiedenen Interessen und wie sich diese fügen könnten.
Von Hardy Prothmann
Anfang November 2016 sickerten erste Hinweise auf “Überlegungen” von Innenminister Thomas Strobl (CDU) durch, auf Coleman Barracks ein Ankunftszentrum zu errichten. Nach dem Modell, wie es auf Patrick Henry Village erfolgreich installiert worden ist.
“Registrierstraße” und “Verteilzentrum”
Eine Art “Registrierungsstraße” und “Verteilzentrum” mit einer Kapazität von bis zu 3.500 Menschen. Flüchtlinge und andere Ausländer kommen hier an, werden dann in dieser speziellen “Landeserstaufnahmestelle” registriert, medizinisch untersucht, stellen ihren Asylantrag und werden dann an Land- und Stadtkreise zur vorläufigen Unterbringung weiter verteilt. Aufeinhaltszeit: Rund ein bis zwei Wochen.
Was 2015 noch chaotisch ablief, ist in Heidelberg logistisch systematisiert worden. Mitarbeiter vom Land, vom Bundesamt für Flüchtlinge und Migration, Ärzte, Polizei arbeiten Hand in Hand.
Drei Standorte ins Spiel gebracht – einer ist Favorit
Minister Strobl hatte zunächst die Standorte Tompkins Barracks in Schwetzingen sowie Spinelli Barracks und Coleman Barracks ins Spiel gebracht. Tompkins ist allerdings am wenigsten geeignet – denn 3.500 Menschen gegenüber einer Wohnbevölkerung von 25.000 Einwohnern ist nur sehr schwer zu vermitteln. Außerdem hofft die Stadt dringend auf diese Entwicklungsfläche.
Blieben noch Spinelli und Coleman. Spinelli ist mittlerweile zu weit in der Entwicklung für eine Buga23 und einen Grünzug Nordost fortentwickelt, um hier noch ein begründetes Begehren äußern zu können. Auf Anfrage teilt das Innenministerium mit:
Die Spinelli Barracks sind nicht für Verkaufsverhandlungen freigegeben. Das Land hat nur keine Einwände gegen Gespräche der Stadt Mannheim mit der BImA über Spinelli erhoben. Dabei hat das Land jedoch klargestellt, dass durch Gespräche nicht eine Entscheidung über die künftige Nutzung als Ankunftszentrum vorweggenommen werden darf.
Machbarkeitsstudie für Coleman
Von Seiten der Stadt Mannheim gibt es andere Informationen, dass die Verkaufsverhandlungen eben doch freigegeben sind. Vermutlich geht es um die Interpretation und eine Rückzugsklausel für das Land, sollten alle Stricke reißen und Coleman nicht zur Verfügung stehen.
Tatsächlich bestätigt das Land:
Derzeit wird eine Machbarkeitsstudie für eine Nutzung der Coleman Barracks als Ankunftszentrum erstellt. Eine Entscheidung über eine Verlegung des Ankunftszentrums Heidelberg an einen Alternativstandort wurde deshalb noch nicht getroffen.
Heidelberg bleibt über 2018 hinaus Standort für das Ankunftszentrum
Konkret heißt das: Wer bis heute glaubt, dass der Standort Heidelberg Ende April 2018 aufgegeben wird, glaub auch noch ans Sandmännchen. Auch, wenn die Heidelberger Verwaltung das gerne so sehen möchte. Die Realitäten sind andere. Zwar hatte der Gemeinderat der Nutzung bis dahin zugestimmt – rechtlich ist der Beschluss aber nicht bindend. Die Liegenschaft gehört dem Bund und das Land kann sie so lange nutzen, wie das Land das für nötig hält. Der Gemeinderatsbeschluss ist also nur ein politisches Signal. Mehr nicht.
Auf unsere konkrete Nachfrage, teil das Innenministerium mit:
Eine Vereinbarung mit der Stadt Heidelberg, das jetzige Ankunftszentrum bis 30. April 2018 aufzugeben, gibt es nicht. Vielmehr ist mit der Stadt Heidelberg eine Weiternutzung bis 30.04.18 mit der Möglichkeit zur Verlängerung vereinbart.
Kosten-Nutzen-Rechnungen
Das Land wird die “Möglichkeit zur Verlängerung” nutzen. Allein schon wegen der dort getätigten Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe. Im Juli hatte der Landesrechnungshof angemahnt, Patrick Henry Village (PHV) weiter zu nutzen, um unnötige Kosten zu vermeiden.
Hinzu kommt, dass der Planungsstand in Heidelberg noch in einem frühen Stadium ist. Wer den Lauf der Instanzen kenntnisreich einordnet, kann sich ausrechnen, dass auf PHV vor Ende 2019 kein Spatenstich erfolgen würde, wenn der Standort Ende April 2018 aufgegeben würde. Das wird man auch in Heidelberg so richtig einschätzen.
Die Stadt Heidelberg wäre durch eine Weiternutzung in der Planung nicht gehemmt. Sie könnte, sofern das Land die Freigabe erteilt, von Süden und Norden her das Gelände in Angriff nehmen, selbst wenn in der Mitte noch das Ankunftszentrum genutzt würde.
Damit könnte die Stadt Heidelberg den Konversionsprozess vorantreiben – die Idee ist ein neuer Stadtteil für 10.-15.000 Menschen als “Wissensstadt” -, das Land würde die Investition das funktionierende Ankunftszentrum sinnvoll nutzen und gewinnt Zeit, um Coleman betriebsbereit zu machen.
Nach Auskunft der US Army (wir hatten exklusiv) berichtet, wird diese das Gelände mindestens bis 2021, vermutlich darüber hinaus beanspruchen. Aber offenbar gibt es Signale, dass das Land Teilflächen für ein Zentrales Ankunftszentrum erhalten könnte – dies soll die Machbarkeitsstudie klären. Vermutlich würde es sich um den südlichen Teil handeln, mit rund 50 Kasernengebäuden sowie den daneben liegenden Verwaltungsgebäuden. Oberhalb, im Nordosten, würde die US Army den Standort weiter als Lager nutzen. Aktuell sind dort Transport- und Kampffahrzeuge gelagert. Das Innenministerium teilt uns mit:
Ihren Bericht von Anfang September, dass die US Army die Konversionsfläche Coleman Barracks definitiv mindestens bis 2021 nutzen wird, können wir nicht bestätigen. Dem Land Baden-Württemberg gegenüber hat die US Army mitgeteilt, dass die Coleman Barracks noch länger benötigt werden würden, aber nicht genutzte Teilflächen für eine Nutzung durch das Land frei gegeben werden könnten.
Selbstverständlich ist diese Angabe nicht zu bestätigen, sie ist ja vage gehalten. Und man lese den Konjunktiv “könnten”. Immerhin scheint es aber Signale zu geben.
Die Grünen Mannheim haben dagegen ein Ankunftszentrum interveniert. Es können Flüchtlingen nicht zugemutet werden, in der Nachbarschaft von Militärgerät untergebracht zu werden. Das Aufregerargument ist keins, denn man kann das vermutlich mit Sichtschutz abtrennen und ansonsten muss sowieso ein ausreichender Sicherheitsabstand gewährt werden. Schließlich ist das Militärgelände.
Auch die CDU in Mannheim will bislang kein solches Ankunftszentrum – allerdings ohne echte Argumentation. Man will kein Ankunftszentrum und keine Zuweisung, was definitiv nicht möglich ist. Der neue Bundestagsabgeordnete, Stadtrat und Kreisvorsitzende Nikolas Löbel sollte hier definitiv nachbessern.
Alle können gewinnen
Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz gibt sich noch zurückhaltend und leuchtet die Verhandlungspositionen aus. Aus seiner Sicht könnte Coleman sicherlich dann interessant sein, wenn das Land auf die Zuweisung von Flüchtlingen an die Stadt verbindlich verzichtet. Nach dem aktuellen Schlüssel wären das sonst 1.350 Personen – pro Jahr. Die damit verbundenen Kosten dürften sich zwischen 1.-2.000 Euro pro Person pro Monat bewegen. Unterkünfte müsste gebaut und die soziale Betreuung gesichert werden. Und all das vor dem Hintergrund der sowieso schon massiven Zuwanderung von gut 15.000 Menschen aus Osteuropa, die zunächst im Jungbusch und der Neckarstadt-West landeten, sich aber über die Stadt zu verteilen beginnen. Genau das wollen aber die Grünen.
Der Deal ist aus Sicht der Stadtverwaltung im Kern ein einfacher: Wir bringen unseren Beitrag durch den Standort Ankunftszentrum, das Land entlastet uns dafür mit Verzicht auf Zuweisung. Damit können beide Seiten sicher leben.
Und hier kommt auch Heidelberg ins Spiel. Dort hat man die Kapazitäten für die vorläufige und die anschließende Unterbringung deutlich vorangetrieben und ist vorbereitet, weitere zu schaffen. Auch das ein Hebel, das Land zu bewegen, den Standort aufzugeben. Das Signal: Wir wollen PHV und helfen dem Land bei der Unterbringung. Im Kern ebenfalls ein Deal, mit dem beide Seiten leben können.
Ob es hier Absprachen zwischen Mannheim und Heidelberg gibt, ist uns nicht bekannt. Aber die Interessenlager fügen sich ineinander – falls das Land die Städte gegeneinander ausspielen wollte, um Druck aufzubauen, können die Städte gemeinsam Druck in Richtung Stuttgart machen.
Das Land will ein zentrales Ankunftszentrum und bekommt es in Mannheim. Dafür müssen die Heidelberger noch etwas warten, bis sie PHV insgesamt entwickeln können. Mannheim wird bei der Zuweisung ausgenommen und entlastet, Heidelberg hilft über Gebühr aus.
Ende gut – alles gut?
Bedeutet das Friede-Freude-Eierkuchen? Vermutlich nicht.
In Heidelberg wird es Debatten geben, dass das Land “zugesichert” habe, das Gelände Ende April 2018 herzugeben. Doch das ist nicht zutreffend. Es hat “in Aussicht” gestellt – die ist aber noch nicht eingetroffen. Heidelberg wird für die “Geduld” sicher eine Gegenleistung erwarten.
Im Mannheimer Norden hat der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Prof. Dr. Egon Jüttner Widerstand angekündigt. Dort herrscht in der Bevölkerung eine überwiegend ablehnende Haltung. Und nicht zu vergessen: Den Landtagswahlkreis Mannheim-Nord hat der Direktkandidat Rüdiger Klos (AfD) gewonnen. Hier wird es mit Sicherheit große Unruhe geben, die vor allem von “interessierten Kreisen” vorangetrieben werden wird. Ganz sicher auch mit frisierten Angst”argumenten”, die bei näherer Betrachtung aber wenig wert sind.
Entweder Ankunftszentrum oder Flüchtlinge in der Nachbarschaft
Was viele in der Bevölkerung im Mannheimer Norden noch nicht registriert haben: Kommt ein Ankunftszentrum, wird das eine Drehscheibe werden. Also eine ganz andere Situation als in den derzeitigen LEAs in der Industriestraße, Franklin und Spinelli. Die Menschen kommen und gehen wieder nach kurzer Zeit. Kommt das Ankunftszentrum nicht nach Coleman, erhält Mannheim die erheblichen Zuweisungen und Asylbewerber in der vorläufigen Unterkunft werden in hoher Zahl in Heimen in direkter Nachbarschaft der Bevölkerung leben – überall im Stadtgebiet, aber sicher auch im Mannheimer Norden.
Zudem besitzt Coleman aus Sicht des Innenministers eine ganz besondere Begehrlichkeit – das Militärgefängnis mit einer Kapazität für 350 Personen. Hier könnte man erstens auf einen Schlag viele neue Haftplätze schaffen und zweitens eine zentrale Abschiebehaft einrichten. Und das zu absolut überschaubaren Kosten, denn nach unserer Recherche kann das Gefängnis mit wenig Aufwand ertüchtigt werden.
Doch wird zurecht zu diskutieren sein, ob das “Zentrale Ankunftszentrum” tatsächlich ausschließlich so genutzt werden wird oder auch Unterbringungsort für Personen ohne jegliche Bleibeperspektive sein soll. Die würden dann eben nicht nur ein, zwei Wochen bleiben, sondern länger. Das könnte eine Ghettoisierung herbeiführen. Hier ist das Land in der Pflicht, den Menschen diese Sorge zu nehmen.
Interessant wird sein, ob das Thema zur Kommunalwahl 2019 politisiert werden wird. Egal, ob man bauliche Aktivitäten davor beginnt oder aus Sorge auf die Zeit danach verlegt. Die Bürger werden offene und ordentliche Informationen verlangen. Dagegen ist auch nichts einzuwenden. Darauf haben sie ein Recht.
Anm. d. Red.: Lesen Sie dazu auch unsere früheren Berichte, die unten verlinkt sind.