Mannheim, 11. Oktober 2017. (red/pro) Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (SPD) hat am Dienstag seine Haushaltsrede vorgetragen. 64 Seiten lang – 105 Minuten Redezeit. Frei gehalten. Für die kommenden vier Jahre sind 505 Millionen Euro Investitionssumme geplant. Rekord. Doch das eigentlich Bemerkenswerte ist, wie hochpolitisch die Rede war – jedoch ohne Polemik und Kampfrhetorik, sondern betont nüchtern und ernst. Kein Wunder – fällt der Zeitraum für den Doppelhaushalt 2018/2019 doch mit der kommenden Kommunalwahl 2019 zusammen.
Kommentar: Hardy Prothmann
Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz ist ganz zweifellos ein intellektueller Vordenker von „Stadtgesellschaft“ in all ihrer Komplexität – nicht nur hier im Raum, sondern überregional und weit darüber hinaus.
Sie lesen hier keinen lobhudelnden Kniefall, sondern eine praktische Analyse. Ein Oberbürgermeister kann es nie allen recht machen. Er steht immer in der Kritik derer, die nicht bekommen, was sie wollen und derer, die ganz grundsätzlich davon ausgehen, dass sowieso alles falsch sein muss sowie derer, denen man es aus welchen politischen Interessen auch immer nie recht machen kann.
Dieser Oberbürgermeister ist aber entschlossen, die intellektuelle Führung nicht nur zu behalten, sondern weiter anzuführen.
Die ganz außerordentliche Leistung der aktuellen Etatrede ist das Bekenntnis zu und der Appell an Gemeinschaft – in all ihren Facetten. „Die Stadt weiter erneuern und als Heimat bewahren“ als Titel der Rede ist eine Kampfansage an Populismus – ob von rechts oder links:
Uns selbst, aber auch die Öffentlichkeit möchte ich daran erinnern, dass wir aus diesem Rückblick die Schlussfolgerung ziehen sollten, dass nicht alles einen dauerhaften Erregungszustand und pessimistischen Zukunftsblick verdient, wie wir ihn derzeit spüren.
„Dieser Rückblick“ gilt der Zeit seit September/Oktober 2015, wie Herr Dr. Kurz zuvor in die Rede einsteigt: „Flüchtlinge“, „Herausforderung“, „weit über das normale Maß hinausgehende Engagement von Haupt- und Ehrenamtlichen:
Der Rückblick auf die letzten Jahre wie die Betrachtung dieses Haushalts verdeutlicht vor allem, dass wir einen umfassenden Prozess der Erneuerung unserer Stadt begonnen haben und erleben, wie er seit der unmittelbaren Nachkriegszeit nicht mehr stattgefunden hat.
Dass Herr Dr. Kurz ausgerechnet den Begriff „Heimat“ in den Vordergrund stellt, ist nicht überraschend, sondern logisch. „Heimat“ ist ein zentraler Begriff, der die, die sich unsicher sind, was aus ihrer Heimat wird und die, die ihre Heimat verloren haben, verbindet. Aus diametral entgegen gesetzten Perspektiven. Wer Heimat definieren und mit Leben füllen kann, führt die Debatte an.

64 Seiten Denkstoff – die Etatrede von Dr. Peter Kurz.
Die Gliederung der Rede ist konsequent. Sieben „strategische Handlungsfelder“ werden definiert, fünf „langfristige Entwicklungslinien“. Handlungsfeld 1 ist der „öffentliche Raum“, der „grün, sauber, lebenswert und sicher“ sein soll, Handlungsfeld 2 ist „Demokratie stärken“ – vor attraktivem Wohnraum, Armutsbekämpfung, Umwelt und Wirtschaft oder Digitalisierung.
Bemerkenswert ist, wie deutlich sich Herr Dr. Kurz zu gewissen „Streitpunkten“ positioniert. Er spricht sich klar für ein „Zentrales Ankunftszentrum“ auf Coleman Barracks aus. Von allen, die das nicht wollen, erwartet er die Benennung von Örtlichkeiten, wo rund 2.000 Flüchtlinge in der Stadt durch Zuweisung untergebracht werden sollen – und zwar außerhalb der notorisch bereits belasteten Stadtteile:
Die Schaffung von diesen mindestens 2.000 Plätzen ist planerisch, aber auch finanziell über Mieten oder Direktinvestition eine große Herausforderung, die im vorliegenden Haushalt nicht abgebildet ist. Neben den fiskalischen Auswirkungen würde die eigentliche Herausforderung aber darin bestehen, Standorte für dezentrale Gemeinschaftsunterkünfte in jenen Stadtteilen bereitzustellen, deren soziale Belastung noch geringer ist, als in den von Zuwanderung und Arbeitslosigkeit besonders betroffenen Stadtteilen.
Diese Ansage ist nicht „intellektuell“, sondern eine klare, praktische Aufforderung an alle, die sich gegen ein Ankunftszentrum im Mannheimer Norden aussprechen und politisch mobil machen wollen. Adressiert an die extremen Positionen – also die, die keine Flüchtlinge wollen und die, die unbedingt Flüchtlinge wollen. Adressiert an Bürger und politische Kräfte in Feudenheim, in Wallstadt, im Lindenhof, auf der Schönau oder auf dem Waldhof und nicht an den Jungbusch oder die Neckarstadt-West.
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Intellektuell ist die Rede in der Verbindung zwischen öffentlicher Wohlfahrt und praktischer Wirtschaftsförderung. Die kostenintensive Wohlfahrt wie Kultur- und Freizeitangebote bestimmt die gefühlte Attraktivität einer Stadt. Die Förderung von Wirtschaft sorgt für die dafür nötigen Einnahmen. Eine konsequente Investition in Bildung und Angebote zum Zusammenleben und Integration schafft eine Basis für Gemeinschaft.
Die Beschlussfassung von Parteien wird nicht dafür sorgen, dass Migration zurückgeht,
kommentiert Dr. Kurz aktuelle Meldungen im Zuge der bundespolitischen Sondierungsgespräche für eine Regierungsbildung. Die nüchterne Einschätzung ist zutreffend. Die „internationale Politik“ deshalb zu einer kommunalen „langfristigen Entwicklungslinie“ zu machen, ist wiederum eine notwendige intellektuelle Leistung, der sich auch die lokalen politischen Vertreter verantwortlich stellen müssen. Dabei geht es nicht darum, nur eine Meinung zu haben, sondern diese auch gestalterisch und verbindlich umsetzbar einzubringen.
Zwei Brocken wiegen schwer: Die Generalsanierung des Nationaltheaters und Investitionen ins Klinikum. Mannheim wird diese Projekte ohne Hilfe von außen nicht stemmen können. Beides ist erst gar nicht in den Haushalt aufgenommen.
Andere Projekte wie Q6/Q7, Stadtbahn Nord, Glückstein, Franklin, Grünzug Nordost sind realisiert oder auf dem Weg dahin – bedeutende Projekte, die Mannheim verändern, aber auch festigen – als Heimat. Für neue Bewohner und andere, die sich in der Stadt umorientieren, Platz freimachen für andere.
Das Bekenntnis zur Multihalle erkennt voraus, dass man hier nicht nur praktische Nutzungen in den Blick ziehen muss, sondern auch den symbolischen, „fragilen“ Wert dieser einzigartigen Architektur als „provisorisches Dach“, dessen Erhalt sich lohnen kann. In der Debatte um die Buga und die Stadtparks könnte das ein Hinweis sein, dass der Herzogenriedpark im Schatten des Luisenparks eine notwendige Aufwertung erfährt – als Heimat, die gerade für Taylor und Franklin und damit viele tausend Menschen näher liegt als der Luisenpark.
Der frühere Kulturbürgermeister Dr. Peter Kurz weiß, das Kultur immer auch Heimat definiert. Ob Nationaltheater, Parks oder Angebote der freien Szene – Kultur ist heimatstiftend für alle, die daran teilnehmen. Der größte Kulturort ist der öffentliche Raum, weil man sich hier begegnet.
Im Grunde muss jeder Autofahrer froh sein, dass andere auf dem Rad sitzen,
ist so eine intellektuelle Betrachtung, die Perspektiven verschiebt. Das Bonmot zum Ende des Fahrradjubiläums hat auch mit Kultur zu tun – im Verkehr. Wer Autofahrer dämonisiert oder Fahrradfahrer lächerlich macht, trägt nicht zum Gemeinwohl bei. Wer Heimat absolut definiert, denkt nicht an Erweiterung oder Erneuerung oder unterschiedliche Bedürfnisse. Nicht daran, dass die Dinge immer im Fluss sind und manchmal stocken, was alle nervt, die nicht weiterkommen.
Die Etatrede des Mannheimer Oberbürgermeisters ist ein Appell an die Bereitschaft und die Notwendigkeit, sich gestalterisch einzubringen, statt nur zu polemisieren und „dagegen zu sein“.
Unterm Strich ist er niemanden direkt angegangen, hat aber alle – auch Stadträte seiner eigenen Partei – zur konsequenten und konstruktiven Mitwirkung aufgefordert. Bei aller „abgehobenen“ Intellektualität, die den Mann ausmacht, ist er bemerkenswert pragmatisch geblieben. Er hat mit der Etatrede eine Übersetzung vorgelegt, wie „alles mit allem“ zusammenhängt.
Heimat als Gemeinschaft heißt nicht, dass alle alles abnicken, sondern dass Personen in Verantwortung sich verantwortlich über eigene Interessen hinaus einbringen.
„Heimat erneuern und bewahren“ ist eine Kampfansage an alle, die „Heimat“ als irgendeinen „status quo“ betrachten und damit intellektuell bewegungsunfähig sind.
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Hinweis: Wir berichten in den nächsten Tagen natürlich auch zu weiteren Aspekten des Haushalts und freuen uns über Ihre Aufmerksamkeit. Die Rede können Sie hier herunterladen.