Mannheim, 17. Juni 2023. (red/pro) Die Wahl des Oberbürgermeisters in Mannheim könnte “historisch” werden. Es gibt gute Gründe für diese Annahme. Aber es gibt auf sehr viel Blödsinn, der von verschiedenen Medien im Vorfeld veröffentlicht worden ist. Einige analytische Gedanken und Hintergründe zur Wahl. Die Wahl ist spannend, aber nicht aus Gründen, die man in verschiedenen Tageszeitungen und Online-Angeboten liest. Die Gründe liegen tiefer und werden dort gar nicht oder nur ansatzweise genannt.
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Von Hardy Prothmann
Die absolut blödeste Aussage zur bevorstehenden Oberbürgermeister-Wahl ist die Behauptung in verschiedenen Medien, dass irgendjemand Mannheim “regieren” könne.
So die Stuttgarter Nachrichten vor etwa drei Wochen: “OB-Wahl in Mannheim: Diese acht Männer und Frauen wollen im Rathaus regieren.”
Mit Verlaub: Solche Überschriften sind Volksverdummung. Ob vorsätzlich oder weil Redakteure und Medien keinerlei Ahnung von Politik haben, sei dahingestellt.
Kein Bürgermeister in Deutschland, auch kein Oberbürgermeister, “regiert”. Punkt.
Trotzdem ist die Stellung eines Bürgermeisters nach der süddeutschen Ratsverfassung in vielen Punkten “mächtiger” als die eines Bundeskanzlers – im jeweiligen “Machtgebiet”.
Das Amt eines Bürgermeisters oder Bürgermeisterin ist die Leitung der Verwaltung der jeweiligen Gemeinde. Ganz egal, ob ein Dorf oder eine Stadt. Ganz egal, wie viele Einwohner.
Der “Souverän” ist immer der Gemeinderat. Dieses Gremium und Ausschüsse entscheiden per Mehrheitsbeschluss, was in einer Gemeinde umgesetzt wird oder eben nicht.
Gemeinderäte sind aber keine “Kommunalparlamente”, wie viele Medien immer wieder falsch behaupten. Sie sind Teil der Verwaltung und verpflichtet, das Wohl der Kommune nach Möglichkeit zu mehren, wie auch Schaden abzuwenden.
Ein Bürgermeister nach der süddeutschen Ratsverfassung ist, obwohl kein “Regent”, trotzdem eine sehr mächtige Person. Leiter der Verwaltung, Leiter des Gemeinderats, Herr oder Frau über die Tagesordnung derer Sitzungen. Doch für alles, was eine Person in diesem Amt anstrebt, braucht es eine Mehrheitsentscheidung im Gemeinderat.
Bis auf die “laufenden Geschäfte der Verwaltung”, die von Kommune zu Kommune über Satzungen unterschiedlich geregelt sind. So können die Amtsleiter in jeweils definierter Höhe Aufträge frei vergeben. Wird der Betrag überschritten, muss es zwingend eine Entscheidung vom Gemeinderat oder einem der Ausschüsse geben. Die sind teils “vorberatend”, teils bindend.
Der nächste Punkt, der in der medialen Berichterstattung viel zu kurz kommt, ist die Darstellung und Sicht auf diese Amtsleiter.
Ja, sie haben viel Macht. Ja, sie haben viel Einfluss auf Entscheidungen. Und ja: Irgendwie haben diese Leute auch entweder eine Macke oder eine Eigenschaft, die völligen Respekt verdient.
Wer Bürgermeister oder Oberbürgermeister ist, ist im Zweifel 24/7 zur Stelle.
Ich kenne durch meine kommunale/regionale Arbeit seit Anfang meiner journalistischen Tätigkeit und dann später über die Blogs und das RNB viele Dutzende Amtsleiter. Keiner hat eine 35- oder 40-Stunden-Woche. 50-60 Stunden sind die Regel, 80-100 keine Ausnahme.
Diese Amtsleiter verdienen nicht schlecht, zwischen etwa 8.-16.000 Euro, je nach Größe der Gemeinde, sind “Beamte auf Zeit”, genießen viele andere Vorteile. Aber sie haben einen Job, der alles fordert. Ich meine: Alles.
Verglichen mit ähnlichen Positionen in der freien Wirtschaft verdienen sie viel zu wenig. Da komm ich zur “Macke”: Wieso tut man sich das an?
Weil man das irgendwie will. Aus welchen Gründen auch immer.
Wirklich vernünftig ist es nicht. Ja, man hat Macht, ja, man ist bekannt, ja, man ist vielleicht sogar berühmt. Aber ja: Man gibt sein eigenes Leben auf.
Jetzt wird es etwas anstrengender.
“Historisch” könnte diese Wahl werden, weil die CDU erstmals nach einer kurzen Amtszeit von Josef Braun von 1945-1948 erstmals wieder einen Oberbürgermeister stellen könnte.
Die anderen waren immer SPD-Mitglieder. Bis auf Hans Reschke, parteilos, aber früher NSDAP (OB von 1956-1972).
Es gibt aktuell acht Kandidaten für das Amt: Christian Specht (CDU), 1. Bürgermeister, verantwortlich für Finanzen und Ordnung, Thorsten Rhiele, Geschäftsführer des Capitol und SPD-Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat Mannheim sowie Raymond Fojkar, Arzt und Kinderpsychologe.
Ich nenne nur diese drei, weil die anderen keine Rolle spielen werden. (Respekt für das Engagement, aber auch völliges Unverständnis, wie man sich so ein Amt “zutraut” und keine “Ideen” oder Programme hat.)
Die “rote Stadt” Mannheim ist, schaut man sich die jüngsten Wahlergebnisse an, eine “grüne” geworden. Die Grünen stellen mit 13 Gemeinderatsmitgliedern die größte Fraktion. Danach folgt die SPD mit 10 Mitgliedern und die CDU mit 8 Mitgliedern.
Auch das ist so eine “mediale Erzählung”, die nur inszeniert ist und bei der jegliche Analyse fehlt.
Meiner Meinung nach ist Mannheim eine sehr konservative Stadt und alle Stadtteile, die “funktionieren”, also beispielsweise Feudenheim oder Wallstadt haben erstens eine hohe Wahlbeteiligung, von hier kommen viele aktive Personen, die sich in der Gemeinde einbringen und es herrscht einigermaßen Ordnung.
Mannheim ist aber auch ein Stadt der Unordnung und des Chaos. Ob Neckarstadt-West oder Jungbusch/Innenstadt.
Mannheim muss enorme Lasten an “Umverteilung” tragen. Tatsache ist auch, dass bei der vergangenen OB-Wahl nur rund 5 Prozent der EU-Ausländer gewählt haben. Gleichzeitig hat Mannheim einen Migrationsanteil von rund 50 Prozent. Hier passt gar nichts mehr zusammen.
Es werden enorme Energien und Gelder in die “Problembezirke” gesteckt, statt das zu fördern, was funktioniert. Die unproblematischen Stadtteile zeichnen sich durch Ordnung, Infrastruktur, wenig “Wanderungsbewegung” und kaum Kriminalität aus.
Wer kann das künftig “regieren”, “regeln”? Nur ein Bürgermeister, der sich mit Finanzen und kommunaler Verwaltung auskennt und auch bereit ist, nicht nur “charming” zu sein, sondern auch durchgreift.
Deswegen empfehle ich dringend Christian Specht. Der Jurist ist seit zwei Wahlperioden im Amt als erster Bürgermeister. Er war immer loyal gegenüber Dr. Peter Kurz (SPD), ist ein überlegter und analytisch völlig fähiger Mann.
Thorsten Rhiele mag ich gerne. Engagiert, freundlich. Aber kann der Geschäftsführer eines Zuschussbetriebs eine Stadt wie Mannheim verwalten. Eher nicht.
Herr Fojkar gilt als solide, hat aber nicht ansatzweise das Format für den Job. Sorry für die knallharte Ansage.
Was ebenfalls historisch sein wird, ist, dass es nach dieser Wahl in Mannheim eher schwierig wird.
Ich gehe davon aus, dass bei der Wahl morgen kein Kandidat 50 Prozent plus eine Stimme, also die Mehrheit erreicht. Es wird eine Neuwahl geben.
Das “linke Lager” hat einen ähnlich strategischen Fehler gemacht, wie das konservative 2015. Grüne, SPD und Linke nehmen sich gegenseitig die Stimmen weg. Das wird Herrn Specht nach vorne bringen.
Es wird im ersten Anlauf nicht für ihn reichen, im zweiten relativen dann schon.
Doch was dann?
“Regiert” dann die CDU? Mitnichten.
CDU, Freie Wähler und FDP haben im Gemeinderat 16 Stimmen. Rechnet man die AfD dazu (böse, böse), landet man bei 20 Stimmen. Plus OB Specht 21 Stimmen.
Alle Entscheidungen im Gemeinderat brauchen immer eine Mehrheit. Sind alle vor Ort heißt das mindestens 25:24.
Das “konservative Lager” kann das aus Substanz niemals erreichen.
Das macht den Erfolg von Christian Specht, von dem ich ausgehe, zur Schlittenfahrt. Er muss ständig versuchen, Stimmen bei den Linken einzusammeln.
Das kann aber auch erfolgreich sein, wenn diese zunächst verweigert werden – hier kommt es auf die Kommunikation an.
Wenn Herr Specht, so wie ich ihn kenne, solide arbeitet und vorbereitet und auch “Stimmungen” aus dem linken Lager “einbaut”, dann aber Verwaltungsvorlagen aus “ideologischen” Gründen verhindert werden, könnte die “linke” Stimmung in Mannheim kippen.
Die Stadt ist an einem Wendepunkt. Die Infrastruktur ist völlig marode. Es gibt enorme “soziale” Probleme. Aktionen wie der “Verkehrsversuch” bedrohen massiv den Handel und damit Gewerbesteuereinnahmen.
Die Wählerinnen und Wähler habe es in der Hand.
Der Blick auf die andere Rheinseite nach Ludwigshafen macht vielleicht den Kopf frei für die Frage: Wollen wir das auch?
Herzlichen Dank für Ihr Interesse.
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Das ist ihr Recht.
Und damit sich niemand in der “Meinungsbildung vertut”. 2007 habe ich ein Porträt über Dr. Peter Kurz (SPD) geschrieben: “Der Mannheimer”. Und ihn zur Wahl empfohlen. Ebenso 2015.
Die Wahl eines Bürgermeisters hat nur wenig mit “Partei sein” zu tun. Es ist eine Persönlichkeitswahl.
Spannend wird die Wahlbeteiligung sein. 2015 war sie historisch am tiefsten.