Rhein-Neckar/Kiel, 27. September 2023. (red/kb) Vergangene Woche tagte die Agrarministerkonferenz in Kiel. Es gab zwei Veranstaltungen dazu – eine vom Bauernverband und eine von “Land schafft Verbindung” (LsV), die aber medial kaum bis gar nicht wahrgenommen worden ist. Katharina Beckmann war vor Ort und schildert in ihrer Reportage ihre Eindrücke und was sie aus den Gesprächen mit den Bauern mitgenommen hat. Fakt: Bei den im LsV organisierten oder diesem nahestehenden Bauern gärt es. Man fürchtet um die eigene Zukunft.
Aus Kiel: Katharina Beckmann (Text und Fotos)
“Willst du drei Bauern unter einen Hut bringen, musst du zuerst zwei erschlagen,” lautet ein geflügeltes Wort.
Das Krawallmädchen in mir hat die Demo der Landwirte anlässlich der Agrarministerkonferenz in Kiel am 21. September 2023 besucht.
Mal ‘n büschen umgucken und die Stimmung aufschnappen.
Der „Wettergott“ hatte die ja generell sehr auf ihn angewiesenen Bauern jedenfalls erhört – 26 Grad und strahlender Sonnenschein empfing die Landwirte, Fischer und Geflügelzüchter.
Die meinen es ernst
Die Stimmung hingegen war weniger strahlend.
Können Traktoren wütend sein?
Der Eindruck drängte sich auf, als die Kolonne begleitet von Hupen und Sirenen wie eine gewaltige Schlange aus einer anderen Welt durch die Straßen auf mich zu rollte. Die meinen es ernst, das ist klar.
Während ca. 200 Traktoren, als wäre es nichts, auf einem Platz parken, auf den normalerweise ein Wochenmarkt passt, denke ich über die Protestkultur der Deutschen nach.
Man spürt den Frust
Im Vergleich zu bspw. Frankreich kann man meinen, es gäbe hier gar keine. Doch nicht erst seit C.rona hat sich was verändert.
Es ist lauter geworden, aggressiver, mehr dagegen und weniger dafür, wogegen ist fast schon egal. Man spürt den Frust und die Verzweiflung. Es ist ernst, aber irgendwie hat es etwas Infantiles. Kinder meinen ihren Protest schließlich auch völlig ernst.
Das hier ist anders. Ich habe noch mit niemandem gesprochen, doch weiß bereits, dass die wirklich die Faxen dicke haben.
Aber hier brüllt keiner rum. Es gibt keine Sprechchöre oder skandierte Parolen. Keinen Lauti.
Vom Feld auf die Demo
Es gibt auch niemanden, der die Demo als Happening oder Partyevent zelebriert. Keine Ghettoblaster auf Bollerwagen, keine Lichterketten, Kostüme oder mit Bedacht ausgewählte Outfits. Die Leute um mich rum sehen aus, als seien sie direkt vom Feld oder aus dem Stall auf ihren Traktor gestiegen und hierher gefahren. (Fast) Niemand will sich hier inszenieren. Man ist nicht zum Rumtüddeln gekommen, man meint es halt ernst und fertig.
Die Demo wird zu Fuß fortgesetzt und ich schließe mich an. Es gibt zwei Trommeln und ein paar Trillerpfeiffen, von beidem wird sparsamer Gebrauch gemacht. Es ist irgendwie…leise.
Ich gehe mal voraus im Zug, dann lasse ich mich zurück fallen. Ich lausche den Gesprächen um mich herum und bemerke, dass sich die Leute tatsächlich über die Themen der Demo unterhalten, und zwar ausschließlich. Kein Wort über die Gartenparty von Hans und Maria oder Gejammer über den HSV.
Anthony Robert Lee – das perfekte Zugpferd
Nach einer halben Stunde erreichen wir das Ziel, die Kundgebung mit Rednern, offenbar organisiert vom LsV (Land schafft Verbindung). Ich beschließe zu bleiben. Es gibt Bratwurst und alkoholfreie Getränke an einem kleinen Stand und einen LKW, der als Bühne fungiert.
Wir befinden uns am Busbahnhof. Also hinter dem Hotel, in welchem die Agrarminister gerade tagen. Dahinter. Und quasi abgeschnitten von jeglicher Lauf-Zuschauerschaft. Der Bauernverband hingegen hatte den Premiumplatz direkt vor dem Hotel.
Die Redebeiträge beginnen. Verschiedene Mitglieder vom LsV Schleswig Holstein und Hamburg, Tierärzte, Fischer, die auf Plattdeutsch reden. Schließlich betritt der erste Politiker die Bühne – Anthony Robert Lee.
Herr Lee ist nicht nur selbstständiger Landwirt und Bundessprecher des LsV Deutschland e.V., sondern auch Spitzenkandidat für die Europawahl 2024 der Freien Wähler Niedersachsen.
Außerdem ist er Mitglied im Stadtrat und stellvertretender Ortsbürgermeister in seiner Heimat Rinteln an der Weser, zuerst für die CDU, die er dann aber zu Gunsten der Freien Wähler verließ.
Ein “Landfluencer”
Herr Lee ist das perfekte Zugpferd – nicht zu jung, um für voll genommen zu werden, aber nicht zu alt, um von vorgestern oder auf Social Media “cringe” zu sein. Er hat Strahlkraft, sieht gut aus, ist gebildet, rhetorisch gewandt. Er redet frei und anschaulich, kennt alle aus seiner Sicht tatsächlichen Fakten, Zahlen und Anekdoten auswendig, bezieht das Publikum ein, reißt an den richtigen Stellen einen Witz.
Seinen Scharfsinn entschärft er durch typischen Bauerndress und formloses Duzen.
Großgrundbesitzervibes auf Augenhöhe.
Ein echter “Landfluencer” mit Lobbyqualitäten. Dass er privat auch AC/DC hört, würde man auch ihm sofort glauben. (was macht eigentlich KT zu Guttenberg dieser Tage?)
Politische Richtungen sind diesen Bauern egal
Herr Lee bleibt nach seiner Keynote gleich auf der Bühne und moderiert sich durch die folgenden Redner. Was er immer wieder betont: Es gehe ihm um „ideologiefreie Landwirtschaftspolitik“. Es gehe um die Sachfragen, nicht um politische Richtungen. Das stößt auf große Zustimmung.
Ich unterhalte mich im Laufe des Nachmittags mit einigen Bauern, die mir alle dasselbe sagen: Sie haben Angst. Angst vor Enteignung, Angst um die Existenz, Angst um die Zukunft ihrer Kinder und des Landes.
Hassfigur Ã…