Rhein-Neckar/Mannheim, 08. Februar 2024. (red/as/kh) Das Beste an Ludwigshafen ist, dass es dort Brücken nach Mannheim gibt. Das Schlechteste an Mannheim ist, dass es offenbar kaum jemand kennt. Denn Mannheim ist eine Stadt mit Zukunft. Karlsruhe und Stuttgart können sich warm anziehen!
Text: Andrea Seibel, Fotos: Klaus Hecke
Es gibt Städte, die sind am schönsten, wenn man einfach an ihnen vorbeifahren und sie hinter sich lassen kann. So eine Stadt ist Ludwigshafen. Einige sagen sogar, diese Stadt sei tot, sie sei ein Appendix der BASF.
Aber es gibt Brücken nach Mannheim, kleine Fluchten für jedermann. Durch Mannheim fahren sehr viele ICEs. Warum aber nicht mal aussteigen? Schon das ist selten: An einem Bahnhof anzukommen, wo nicht gleich alles dunkel und grau ist, nach Urin riecht und voller übler Figuren ist, so wie in den meisten Großstadtbahnhöfen deutscher Großstädte.
Wer kennt schon “Monnem”?
Es gibt Städte, die niemand kennt, wenn man im Ausland nach seiner Herkunft gefragt wird. Man kennt Berlin, München, Hamburg, Köln und Frankfurt. Aber Mannheim?
Es liegt nahe bei Heidelberg, würde man beschwichtigend sagen. Heidelberg, ach, Heidelberg, würden dann die meisten sagen, ob Amerikaner oder Asiate. Eine intakte Altstadt und eine Schlossruine. Perfekt für die Ewigkeit. Aber “Monnem”? Die Klischees kleben an der Stadt wie die schlechte Luft, die aus Ludwigshafen herüberweht.
Mannheim ist eine relativ junge Stadt, ihr fehlt der mittelalterliche Kern, sie wurde von einem niederländischen Stadtplaner mit militärischem Blick am Reißbrett entworfen: Quadratstruktur mit 144 Teilen, ähnlich den Blocks in Manhattan. Migration und religiöse Toleranz wie im Preußen Friedrichs II. bewirkten eine schöne Zeit. Doch die Idylle währte nicht lange.
Denn Ludwig XIV. machte im pfälzischen Erbfolgekrieg Ende des 17. Jahrhunderts alles bis Heidelberg dem Erdboden gleich und brach das Herz seiner Schwägerin Lieselotte. Der Wiederaufbau des Barockschlosses wurde nach der totalen Zerstörung Mannheims 1720 begonnen.
Schön. Zerstört. Legenden. Strahlkraft. Schwärmereien
Mannheim muss im 18. Jahrhundert schön gewesen sein. Legenden ranken sich um seine Strahlkraft. Schiller war auf der Flucht und seine Räuber wurden hier uraufgeführt, was den Mythos des Mannheimer Nationaltheaters bis heute nährt. Goethe schwärmte, als wäre es Weimar.
Im 19. und 20. Jahrhundert wurde die Stadt dann eine dieser vielen Industrie- und Arbeitermetropolen, aber auch Kaderschmiede so vieler Erfindungen (das Auto, das Laufrad, ein Vorgänger des Fahrrads, der Aufzug, der Traktor), dass das in die DNA der Stadt übergegangen sein muss.
Dass Mannheim seit 2014 im Rahmen der “creative city” zur “Unesco City of Music” gemacht wurde, ist kein Treppenwitz, sondern der dort ansässigen Popakademie geschuldet. Natürlich denkt man auch an den damals noch nicht desavouierten Xavier Naidoo und seinen Song “Meine Stadt”. Die Boomer-Generation ist bei Joy Fleming und ihrem zeitlos starken, im Pfälzer Dialekt gesungenen “Neckarbrückenblues” der Siebzigerjahre bestens aufgehoben, die über einen Mann namens Karl sang, der zu viel soff und fremdging.
Mannheim muss endlich Gerechtigkeit widerfahren
Brücken sind tröstlich, weil sie “riwwer un niwwer” führen, Wasser in rauen Mengen ist immer eine Tränke für alles Leben. Die Rhein-Neckar-Region mit ihren 2,4 Millionen Einwohnern ist identisch mit der alten Kurpfalz: ein verdichtetes Verkehrsnetz, ein industrieller Großraum mit gigantischen Hafenanlagen und zu Restaurants umgebauten Schiffen, die “Heimat” heißen.
Mannheim muss endlich Gerechtigkeit widerfahren. Zu lange wurde die Stadt unterschätzt, abgetan als eine unter vielen. Es galt der Spruch: Wer dorthin ziehen müsse, weine.
Ihre Attraktivität ist natürlich nicht gewachsene Schönheit oder Harmonie wie bei so vielen mittleren Städten in Deutschland. Keine Großstadt ist gemütlich. Aber der Stolz und die Weltläufigkeit sind frappierend. Mannheim ist eine kleine Großstadt, in der Schwebe, aber nicht so kaputt und verloren wie vergleichbare Orte etwa in NRW.
Wie überall gibt es so hoffnungslose, schmutzige Ecken, etwa in Neckarstadt-West, dass man verzweifeln könnte, und immer wieder müssen Appelle her, nicht den Müll in Hauseingänge zu werfen oder dort zu urinieren.
Heute muss das dämliche Wort der Diversität für alles herhalten. Hier ist selbstredend auch die Hälfte der Bewohner migrantischen Ursprungs, das ist heute normaler deutscher Schnitt. Mannheim mit seinen 320.000 Einwohnern ist so groß wie der Berliner Kiez Neukölln. Aber es ist mehr. Die türkische Community ist selbstbewusst, bürgerlich und geschäftstüchtig, man will mehr sein als Gemüsehändler und achtet in “Little Istanbul” darauf, dass neue Migranten nicht die Norm verderben.
Bausünden, Konversion – die Stadtgesellschaft ist interessiert
Wenn mittlerweile Abriss oder Umbau und Konversion das Thema vieler verwucherter, verkorkster Städte ist, so betonen Städteplaner das ungewöhnliche Engagement der Bürger und Bürgerinnen in Mannheim. Alle 30 Jahre würde jede Stadt das Bedürfnis haben, ihr architektonisches Gesicht zu ändern, und in Mannheim gäbe es einige “ambitionierte Bausünden” besonders der Siebziger – seien es Verwaltungsgebäude oder Parkhäuser, den…