Mannheim, 26. September 2017. (red/pro) Bei der Landtagswahl konnte die AfD im Wahlbezirk Mannheim Nord der SPD das Direktmandat abnehmen. Konnte die AfD bei der Bundestagswahl diesen Erfolg wiederholen? Bedingt. Von der Tendenz her ja, vom Ergebnis her nicht. Unsere Analyse zeigt, dass der aktuelle Gewinn des Direktmandats für die CDU durch die Wähler im Norden gefährdet war.
Von Hardy Prothmann
Nikolas Löbel musste als Nachfolger von Prof. Dr. Egon Jüttner für die Kandidatur um das Direktmandat vor allem im Mannheimer Norden nicht nur Verluste hinnehmen, man könnte auch sagen: Die CDU ist dort brachial gerupft worden.
Wir betrachten die Erststimmen, weil die für den Gewinn des Direktmandats wesentlich ist. Bei der Betrachtung beschränken wir uns auf die Wahlbezirke mit besonders hohen Ergebnissen für die AfD – „Norden“ also eher geografisch gesehen und nicht als Landtagswahlbezirk Mannheim Nord.
Herbe Verluste für CDU und SPD
Ähnlich wie bei der Landtagswahl hat die AfD beiden Parteien in fünf nördlichen Wahlbezirken enorm viele Stimmen abgenommen und ist hier im Stadtgebiet am erfolgreichsten (Ausnahme Rheinau mit 16 Prozent) – allerdings konnte sie keinen Wahlbezirk auch nur ansatzweise gewinnen.

Fünf ausgewählte Bezirke aus dem Mannheimer Norden – überall ist die AfD erstmals bei der Erststimme stark. Datenquelle: Stadt Mannheim, Realisierung: RNB
Die CDU verliert massiv vor allem in Sandhofen (-16,4 Prozentpunkte) und auf der Vogelstang (-15,2 Prozentpunkte). Die AfD holt ihre besten Ergebnisse mit 21,8 Prozent auf der Schönau und mit 20,8 Prozent auf der Schönau. Auf der Schönau und dem Waldhof holt die AfD mehr Stimmen, als CDU und SPD verloren haben.
SPD-Kandidat Stefan Rebmann verliert sein Bundestagsmandat, weil er nicht über die Landesliste in den Bundestag einziehen konnte. Zwar holt er im Südwesten das beste Wahlkreisergebnis – aber wenn soll das überraschen, im „roten“ Mannheim ? Tatsächlich muss die SPD im Norden überall Verluste hinnehmen, am meisten auf der Schönau (-5,8 Prozentpunkte) und auf der Vogelstang (-6,4 Prozentpunkte). Das mit der Tradition ist historisch betrachtet richtig – 15 Mal konnte die SPD das Bundestagsmandat gewinnen, die CDU nur vier Mal, allerdings nun zum dritten Mal in Folge.
Nach der Wahl ist vor der Wahl
Bitter für die CDU: Konnte sie bei der Bundestagswahl in den ausgewählten Wahlbezirken drei Mal klar über 40 Prozent und zwei Mal klar über 30 Prozent holen, gelingt das aktuell nur noch knapp in Sandhofen mit 30,7 Prozent. Doch die SPD kann sich auch nicht freuen. Kam sie 2013 vier Mal über 30 Prozent und ein Mal über 40 Prozent, schafft sie aktuell nur noch zwei Mal über 30 Prozent, bestes Ergebnis auf der Schönau mit 35,4 Prozent. Während die CDU 2013 drei der fünf Wahlbezirke gewonnen hatte, ist nun die SPD in drei Wahlbezirken vorne.
Weiter ist zu betrachten, dass die SPD zwar auch überall verliert, aber wenigstens in etwa gleich oder in der Nähe des Ergebnisses von 2009 kommt. Für die CDU gilt das nicht: Im Vergleich betrachtet ist jedes Ergebnis in diesen Wahlbezirken ein Desaster. Profiteur ist in allen Fällen die AfD.
Doch warum ist die AfD in diesen Wahlbezirken so erfolgreich? Nur wegen der Flüchtlingssituation? Warum nicht auch in Feudenheim, das ja auch an das Flüchtlingslager Spinelli angrenzt? Wieso Sandhofen, Waldhof und Schönau? Das ist räumlich deutlicher von Benjamin Franklin entfernt als Käfertal und Vogelstang. Könnte es sein, dass diese Stadtteile räumlich zu weit vom Zentrum entfernt sind und sich nicht als Teil der Stadtgesellschaft verstehen? Wie wird sich das bis 2012 verändern – auch, wenn im Norden ein „Zentrales Ankunftszentrum“ für bis zu 3.500 Flüchtlinge kommen soll?
Eines wird bei der Betrachtung der Zahlen jedenfalls deutlich: Die Wahlbeteiligung ist in allen fünf Stadtteilen gegenüber 2009 gestiegen. Jetzt könnte man behaupten: Klar, die AfD hat Nichtwähler mobilisiert. Aber stimmt das? Wir betrachten die Erststimme. 2009 gab es keine AfD, 2013 gab es keinen AfD-Direktkandidaten, also konnte man auch die Erststimme nicht vergeben. Es kann also eher nicht an einer Mobilisierung der Nichtwähler liegen. Und 2013 brachte Spitzenwerte für CDU und SPD. Was ist hier passiert? Der Vertrauensverlust in die beiden großen Parteien jedenfalls ist enorm. Ist das reparabel?
Klar ist auch: Alle fünf Wahlbezirke bleiben unter der durchschnittlichen Wahlbeteiligung des gesamten Wahlkreises Mannheim mit 73 Prozent – trotz steigender Wahlbeteiligung.
Die SPD ist durch den Mandatsverlust stark geschwächt: Es fehlen nicht nur Einfluss und Prestige, sondern knallhart Geld. 20.870 Euro kann ein Bundestagsabgeordneter für Mitarbeiter monatlich ausgeben. Dazu kommen 4.318,38 Euro monatliche Kostenpauschale. Das sind über eine Legislatur über 1,2 Millionen Euro, die in die politische Arbeit fließen, zum Beispiel für ein Abgeordnetenbüro vor Ort, für Wahlkreisarbeit. CDU, Grüne und auch Die Linke haben je einen Abgeordneten – das ist ein klarer Vorteil für diese Parteien für die nächste Wahl. Denn historisch ist, dass Mannheim seit 1949 zum ersten Mal ohne SPD-Bundestagsabgeordneten dasteht.
Herr Rebmann meinte, er hätte gegen die „Geld- und Materialschlacht“ der CDU keine Chance gehabt. Da spricht ein schlechter Verlierer – weder weiß man öffentlich, welche Mittel die CDU aufgebracht hat, noch weiß jemand öffentlich, welche die SPD aufgewendet hat. Er ignoriert auch, dass der bisherige CDU-Abgeordnete Jüttner nicht nur nichts für seinen Nachfolger getan, sondern ganz im Gegenteil Herr Rebmann unterstützt hat. Dazu kamen Störfeuer einer kleinen CDU-Gruppe, die den Kandidaten Löbel beschädigen wollten. Neben den Verlusten an die AfD, die bundesweit zu sehen waren, dürften auch diese Faktoren viele Stimmen gekostet haben.
Aus unserer Perspektive in der Langzeitbeobachtung haben die lokale Politik ebenso wie viele Medien der AfD Wähler zugetrieben – durch eine Stigmatisierung als „Nazi“-Partei. Der Kandidat Robert Schmidt ist sicher kein Rechtsradikaler. Er war früher mal in der SPD – ist die SPD damit ein Hort von Rechtsradikalen? Naja, es gibt bis heute Sarrazin.
Die hohe Belastung der Stadt durch Zugewanderte aus Südosteuropa und Menschen in den Flüchtlingsunterkünften, die deutlich verschlechterte Sicherheitslage wurde durchgehend überwiegend ignoriert oder schön geredet – Kritik wurde sofort als „rechts“ gebrandmarkt.

Ergebnisse der Bundestagswahlen 200, 2013, 2017. Die AfD ist erstmals 2017 mit einem Direktkandidaten angetreten. Datenquelle: Stadt Mannheim, Realisierung: RNB. Zum Vergrößern anklicken