Rhein-Neckar/Berlin, 24. September 2017. (red/pro) Die Wahl des 19. Bundestags seit 1949 stellt eine Zäsur dar. Erstmals werden voraussichtlich sieben Parteien (sechs Fraktionen, da CDU/CSU) vertreten sein. Die AfD hat Chancen, nur vier Jahre nach Gründung drittstärkste Kraft zu werden. Eine nochmalige große Koalition aus Union und SPD gilt als nicht ideal, ebenso eine „Jamaika“-Koalition. Ob es für Union/FDP reicht, ist offen. Klar ist, dass die politischen Auseinandersetzungen zunehmen werden. Doch das muss kein Nachteil sein.
Kommentar: Hardy Prothmann
Demokratie lebt vom Wettbewerb der Ideen. Man könnte auch sagen Auseinandersetzung oder auch Streit. Ob Wettbewerb oder Streit, eine Auseinandersetzung ist es immer, auch wenn man zusammen in einem Parlament sitzt.
Die übermächtige große Koalition wurde und wird von vielen als Stillstand empfunden, was natürlich nicht so ist. Regierungsgeschäfte müssen erledigt werden und werden das auch. Der politische Betrieb läuft weiterhin, die Frage ist nur wie.
Insbesondere die Flüchtlingskrise hat in den vergangenen zwei Jahren viel Aufmerksamkeit erhalten. Zwischen Euphorie und Ablehnung. Klar ist, dass die „Grenzöffnung“ durch Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel mehr als umstritten ist, denn die allermeisten, damit verbundenen Probleme sind weiterhin vorhanden und bei weitem nicht gelöst.
Die steigende Kriminalität durch Flüchtlinge ist ein Top-Thema ebenso wie eine schleppende Integration und die insgesamt hohen Kosten. Insbesondere diese Tatsachen haben die AfD außerordentlich befördert.
Hinzu kommt eine Medienlandschaft, die durch eine insgesamt sehr undifferenzierte und kampagnenhafte Berichterstattung bestimmt ist. Der klare Feind ist für viele „seriösen“ Angebote die AfD. Dabei wird aber zu wenig analysiert, welche Fehler der etablierten Parteien Probleme verursacht haben, die die AfD nutzen kann und die auch „alternative Medienangebote“ rechtsaußen zunehmend interessant machen. Hinzu kommen die Echoräume in (a)sozialen Medien wie Facebook. Beides zusammen, mediale Gegenangebote und eine Gegenpartei ergänzen sich.
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Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder angemahnt, dass bei allem politischen Richtungsstreit eine Basis heilig sein muss. Der demokratisch-freiheitliche Rechtsstaat ist die Basis für unsere „Volksgemeinschaft“, die aus Teils sehr unterschiedlichen Deutschen, aus eingebürgerten Deutschen und aus Ausländern besteht. Und für alle gilt dieser Rechtsstaat gleich – in den Freiheiten, den Pflichten und der Verantwortung. Das ist offenbar aber weiten Teilen der politischen Akteure und Medien nicht mehr bewusst oder wird bewusst ignoriert.
Die teils ätzende Kritik der AfD an diesen Verhältnissen ist leider berechtigt. Nicht in der Tonalität, nicht in der Aggression, nicht in geschichtsrevisionistischen Erklärungen. Was Alexander Gauland oder Björn Höcke, um nur zwei zu nennen, immer wieder an Provokationen hervorbringen, ist überwiegend widerwärtig.
Hier sind insbesondere andere Parteien und viele Medien mitverantwortlich. Statt sich der neuen Partei inhaltlich zu stellen, versuchte man, sie pauschal anzugreifen. Verloren haben die gemäßigteren Kräfte, gewonnen haben die Extremisten. Im Ergebnis führt das nicht dazu, dass die AfD erledigt ist, sondern dass sie radikaler ist, als sie sein müsste.
Geradezu tragisch ist das Schicksal der linken Parteien. Allen voran die SPD, deren Niedergang man nicht schön reden muss. Die SPD ist in einer existenziellen Krise. Die Grünen ebenso, denn bundespolitisch haben sie fast Harakiri begangen. Das Ergebnis wird ernüchternd sein. Die Linke ist als in Teilen extreme Partei nur scheinbar der Gegenspieler zur AfD, da es, analytisch betrachtet einige Übereinstimmungen gibt.
Die FDP wird der heimliche Gewinner dieser Bundestagswahl sein. Sie kommt, egal, ob mit hohem einstelligem oder zweistelligem Ergebnis zurück auf die bundespolitische Bühne. Doch zu welchem Preis? Sie hat sich als Alternative zur Alternative aufgestellt, inhaltlich sind große Unterschiede aber kaum zu erkennen.
Für den politischen Betrieb wird die neue Situation noch herausfordernder sein, als alles, was die zurückliegenden Wahlen bereits gezeigt haben. Wenn es nur noch um Streit und Tricks gehen wird, um andere zu beschädigen, wird es eine kreischende Legislaturperiode werden, die sich immer mehr erhitzt, ähnlich einem Klimawandel.
Die große Herausforderung wird sein, dass die etablierte Parteien sich nicht wie in vielen Landtagen auf Scharmützel mit der AfD einlassen oder diese sogar provozieren, sondern die Ärmel hochkrempeln und ideologiefreie Sachpolitik machen.
Wer davon träumt, dass sich die AfD selbst zerlegt, hat dafür gute Gründe. Die innerparteilichen Zersetzungswut ist enorm. Das hat dieser neuen Partei geschadet, aber sie kann nach wie vor von den Fehlern der anderen profitieren. Je mehr Fehler die anderen machen, umso besser für die AfD.
Das beste Beispiel für diese Politik ist die CDU. Sie hat viele Fehler gemacht, aber die SPD noch mehr. Die CDU wird an Zustimmung verlieren, aber nicht so sehr wie die SPD. Die Grünen werden für ihre Fehler büßen. Die Linke kann keinen Fehler machen, weil sie ihren Bodensatz der Unzufriedenen mit Ressentiments beackert und das karge Feld gewohnt beackert. Die FDP profitiert ebenso wie die AfD von diesen Fehlern, wird aber 2021 erledigt sein, wenn sie den Fehler macht, kein tatsächliches Profil zu entwickeln, denn ohne dieses wird die AfD die aus Sicht gewisser Wähler bessere Alternative sein.
Alle werden auf die AfD schauen. Viele Medien werden aus allen Rohren feuern. Die AfD muss selbst keine Inhalte anbieten, sondern kann sich an den fehlenden Inhalten der anderen bedienen.
Eine Normalisierung des politischen Betriebs setzt erst dann ein, wenn die Parteien, die unser Land bislang verlässlich gestaltet haben, zur Sachpolitik zurückkehren und durch Leistung überzeugen. Wer nur den coolen Spruch und die Inszenierung sucht, verliert die Basis der Menschen, die Politik vertrauen wollen.
Das gilt insbesondere für die SPD, die jegliches Profil verloren hat, was ich sehr bedaure. Was die SPD vollkommen verkennt. Sie ist die älteste demokratische Partei Deutschlands. Ihre Mitglieder haben sich um das Land verdient gemacht – aber sie haben sich nicht um die Zukunft gekümmert und vor allem nicht um ihre Wähler/innen. Ideologie steht vor Pragmatismus – das können andere Ideologen ausnutzen, bei allen Wählern, die sich nicht mehr repräsentiert fühlen.
Die SPD, auch das muss man feststellen, hat früher schon immer im rechten Rand gefischt. Daran ist nichts verwerflich, wenn es der Gesamtheit dient. Das ist übrigens eine große Leistung der CDU, die in den 50-iger bis 60-iger Jahren viele rechte Parteien aufsaugte und damit unschädlich machte.
Einer der Totengräber der SPD ist Thilo Sarrazin, der sich als SPD-Mann rechtsaußen profilierte und die Partei massiv geschädigt hat – die sich selbst auch, indem niemand die Traute hatte, diesen Scharfmacher „rückstandsfrei zu entsorgen“ (Anm. d. Red.: Dieser Trigger-Ausdruck steht in Anführungszeiten, weil er nicht unsere Sprache ist, gebraucht von Herrn Gabriel (SPD) und Herrn Gauland (AfD) und beides mal verächtlich und ohne Anführungszeichen), aber gleichzeitig offen für Vorbehalte zu bleiben.
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Die SPD ist zum Sprachrohr für ausgegrenzte Minderheiten geworden – das haben frühere Wähler/innen der „Basis“ als Ausgrenzung empfunden und sind zu Die Linke und dann auch zur AfD gewechselt. Was die SPD nicht verstanden hat – sie war mal die Partei der ausgegrenzten Mehrheit und damit war sie erfolgreich.
Die CDU hat es verstanden, zur Partei der eingrenzenden Mehrheit zu werden, allerdings ist das kein Zukunftsmodell. Die Parteienlandschaft beginnt, sich zu zersplittern – auch das wird der erstmals mit sieben Parteien bestückte Bundestag historisch belegen.
Das ist keine zukunftsfähige Entwicklung. Mehrheiten gibt es nur durch mehr Einheit, nicht durch mehr „Vielfalt“. Darüber sollten alle Parteien und auch die Wähler/innen mal nachdenken.
Einigkeit und Recht und Freiheit singen wir in der Nationalhymne. Man beachte die Reihenfolge.
Fest steht: Der Klimawandel schreitet voran.
Anm. d. Red.: Alle Artikel zur Bundestagswahl 2017 finden Sie hier.
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