Rhein-Neckar/Berlin, 06. Juni 2018. (red/pro) Und wieder hat einer der üblichen Verdächtigen, AfD-Chef Alexander Gauland, es getan: Er hat in einer Rede einen Satz eingebaut, der die Empörten bis zum Anschlag triggert. Sein Vogelschissvergleich zum Naziregimen bedient, was viele Medien brauchen: Schlagzeilen. In Zeiten der Empörungsökonomie ist das wie ein Reflex – man skandalisiert bis der Arzt kommt, um Aufmerksamkeit zurückzuerlangen, die man an soziale Medien verloren glaubt.
Kommentar: Hardy Prothmann
Wissen Sie, warum es mir leicht fällt, Herrn Gauland zu verteidigen? Erstens, weil ich immer farbenblind bin, zweitens, weil ich immer meinen Verstand benutze und drittens, weil ich auf die Zusammenhänge achte und viertens, weil ich meist genau analysiere, bevor ich mich inhaltlich äußere.
Bei Äußerungen auf Basis der Meinungsfreiheit hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass man Zitate niemals isoliert betrachten kann, sondern immer den Kontext einbeziehen muss. Es gibt sehr viele Verfahren, bei denen Medien dieses Recht erfolgreich verteidigt haben. Was für Medien gilt, gilt auch für andere, die sich öffentlich äußern.
Wir haben eine ruhmreiche Geschichte, daran hat vorhin Björn Höcke erinnert. Und die, liebe Freunde, dauerte länger als die verdammten zwölf Jahre. Und nur, wenn wir uns zu dieser Geschichte bekennen, haben wir die Kraft, die Zukunft zu gestalten. Ja, wir bekennen uns zu unserer Verantwortung für die zwölf Jahre. Aber, liebe Freunde, Hitler und die Nazis sind nur ein Vogelschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte.
Was kann man also dem Kontext des Zitats vordergründig entnehmen? Herr Gauland benutzt das Wort „verdammt“ für die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur von 1933-1945. Er bekennt sich zur „Verantwortung“ für „uns“. Und eine Verhöhnung der Opfer des Nationalsozialismus kann ich beim besten Willen nicht erkennen, außer, wenn man einen Subtext lesen wollte – der aber nicht gesagt worden ist.
Einfache Fragen könnten hilfreich sein
- Der große und zunehmende Makel des deutschen politischen Journalismus ist, dass er immer weniger klaren Prinzipien folgt. Dazu einige Fragen:
- Wieso fordert man für sich im Rechtsfall die Einbeziehung des Kontexts und verzichtet bei einem Politiker darauf, um empört zu skandalisieren?
- Warum analysiert man nicht zunächst sorgsam, um dann weitere Schritte zu entwicklen – aus Angst, andere könnten schneller empörte sein und die Welle reiten?
- Warum macht man sich keine harte Arbeit und konfrontiert eine Person mit dessen Aussagen – auch kalkulierend, dass man sich die schöne Empörung vielleicht kaputt macht?
Es wäre so einfach:
- Herr Gauland, was meinen Sie mit ruhmreiche Geschichte? Dann dürfte er antworten, was er damit meint und dann könnte man ihn fragen: Ihnen ist schon bewusst, das etwa ab dem 10. Jahrhundert der Antisemitismus die Züge entwickelte, die in der Shoah endeten? Halten Sie dies auch für ruhmreich oder meinen Sie, dass alles erst 1933 begann und 1945 endete?
- Herr Gauland, was meinen Sie mit verdammt? Dann dürfte er antworten, was er damit meint und man könnte ihn fragen: Finden Sie nicht, das klingt ein wenig so wie die Schuld von Dritten, die die Deutschen zu irgendwas verdammt hätten?
- Herr Gauland, Sie betonen, Herr Höcke habe erinnert und wir müssten uns zu unserer Geschichte bekennen – meinen Sie tatsächlich, dass es Herrn Höcke braucht, um sich zu erinnern? Meinen Sie tatsächlich, dass „wir uns“ nicht „zu dieser Geschichte bekennen? Dann dürfte er antworten, was er damit meint.
- Herr Gauland, „wir“ also Sie meinen die AfD bekennt sich zur Verantwortung „für die zwölf Jahre“ – was genau meinen Sie damit? Was er gibt sich aus dieser Verantwortung? Dann dürfte er antworten, was er damit meint.
- Herr Gauland, Sie haben sich jetzt sehr umfangreich erklärt – meinen Sie immer noch, der „Vogelschissvergleich“, in einen angeblichen Kontrast zu den restlichen 988 Jahren gesetzt, ist einem Manne Ihres Verstands und Ihres Formats würdig, der zudem der größte Oppositionspartei im Deutschen Bundestag vorsteht? Dann dürfte er antworten, was er damit meint.
Gauland macht die Punkte – fast ohne Anstrengung
Herr Gauland hat übrigens geantwortet – aber ohne gefragt worden zu sein. Er hat sich entschuldig, dabei seinen unerschütterlichen Gesichtsausdruck zum besten gegeben und darf sich als Opfer fühlen. Denn etwas Erstaunliches ist passiert: Frank Plasberg, Dampfmoderator der ARD, der im Verdacht steht wie andere Dampfmoderatoren die politische Stimmung in Deutschland zu beschädigen, hat Herrn Gauland ausgeladen oder vielmehr angekündigt, ihn nicht mehr einzuladen.
Darauf muss man erstmal kommen als ARD-Moderator und damit ein Vertreter des „Staatsfunks“, wie AfD-Politiker die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten häufig nennen. Noch viel erstaunlicher ist, dass der öffentliche Aufschrei fehlt, der, wenn die AfD keine Medienvertreter oder nur bestimmte bei ihren Veranstaltungen zulässt, allgemein sehr empört und voller Abscheu genau von Leuten wie Plasberg vor sich hergetragen wird.
Selbstverständlich wollte Herr Gauland provozieren – er ist ja schließlich kein Depp und redet nicht so vor sich hin, sondern wird mit viel Mühe jede Rede zuspitzen, sich also Arbeit machen, was bei vielen Medienvertretern eher vermieden wird. Punktsieger ist Herr Gauland – er kann eine moralsaure Mediengesellschaft vorführen, die arbeitsscheu ist, wenig Faktenwissen hat und ihm immer und immer wieder auf den Leim geht. Er macht auch noch den Folgepunkt, indem er sich ganz erschüttert entschuldigt. Und wenn er auf den Kontext verweist, scheint der eindeutig seine Distanzierung zu belegen.
Ganz und gar unglaublich viele Medien, die angeblich Qualitätsjournalismus liefern wollte, sind voll in die Vogelschissfalle getreten.
Man darf den Subtext interpretieren – wenn man drauf hinweist
Wörtlich ist das der Fall. Nachdem das festgestellt worden ist, sollte man ihn fragen oder deutlich machen, das man einen Text interpretiert. Und danach ist sehr wohl eine indirekte Verächtlichmachung der Opfer des Naziregimes erkennbar – nicht nur der Juden übrigens, sondern auch der Homosexuellen, der Behinderten, der Systemgegner, der normalen Bevölkerung in vielen Ländern und einfach all jenen vielen Millionen, die diesem Mördersystem zum Opfer gefallen sind.
Man kann zugleich einordnen, dass Herr Gauland ein geschichtsvergessener Gesell ist, dem nicht bekannt ist, dass in der Vorzeit der ach-so-ruhmreichen-deutschen-Geschichte ab dem 7. Jahrhundert jede Menge Slawen nach Deutschland einwanderten und den Genpool der Deutschen bereicherten. Sozusagen eine Slawisierung Deutschlands. Weiter könnte man Herrn Gauland darauf hinweisen, dass Deutschland niemals isoliert eine ruhmreiche Geschichte erfahren hat, sondern überwiegend von Kleinstaaterei und ständigen Kriegen, mal groß, mal klein, im europäischen Gefüge geprägt war. Und wenn man schon, wie Herr Gauland das gerne tut, die ruhmreichen Taten der deutschen Soldaten in zwei Weltkriegen gewürdigt wissen will, sollte man nicht unerwähnt lassen, dass Deutschland beide Weltkriege massiv verloren hat und in erheblichem Maße für unvorstellbar viele Millionen Tote sowie eine nahezu vollständige Zerstörung des eigenen Landes verantwortlich war und ist.
Irgendwann ist auch Herr Gauland ein Vogelschiss
Die „ruhmreichen“ Zeiten (was immer das sein soll) der Perser, Griechen, Römer, Mongolen, Briten, Franzosen und Spanier sowie Russlands dauerten weitaus länger an, waren weitaus umfangreicher als das, was man als „Heiliges römisches Reich deutscher Nationen“ ansehen mag.
Mit anderen Worten – man könnte mit sehr einfachen Mitteln Herrn Gauland als das auflaufen lassen, was er ist: Ein zynischer, böser, alter Mann, der selbst keine ruhmreiche Vergangenheit hat und auch keine solche Zukunft.
Ich wünsche dem Mann noch eine gesunde Zeit auf Erden – irgendwann wird er gehen müssen. Vielleicht erinnert sich ja jemand voller Erfurt ob seiner ruhmreichen Taten und trägt an dessen Grabe vor:
Hier ruht Eberhardt Alexander Gauland. Er war Mitbegründer und Vorsitzender der AfD. Leider verließ er uns zu früh und so gesehen war seine letzte Wirkzeit so etwas wie ein Vogelschiss in seiner ansonsten ruhmreichen politischen Geschichte.