Rhein-Neckar/Berlin, 20. November 2017. (red/pro) Keiner nimmt das Wort in den Mund, tatsächlich beschreibt ein Wort die Lage: Krise. Das parteipolitische System der Bundesrepublik Deutschland ist angeschlagen und aktuell nur sehr eingeschränkt handlungsfähig. Die FDP hat die Verhandlungen zu einer „Jamaika“-Koalition zu Fall gebracht. Das wiederum zeigt, dass Macht auch durch kleine Parteien ausgeübt werden kann und das politische System sehr wohl in Ordnung ist – oder nicht?
Von Hardy Prothmann
Es wächst nicht zusammen, was nicht zusammen gehört,
hätte möglicherweise Willy Brandt aktuell kommentiert.
Das parteipolitische System der Bundesrepublik Deutschland ist in einer Krise, wie es sie noch nie zuvor gab. Bislang konnten immer regierungsfähige Koalitionen gebildet werden – aktuell ist das auch der Fall, aber eigene Befindlichkeiten verhindern das bislang.
Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner hat das einzig richtige getan, um seine Partei, deren Wahlprogramm und deren Wähler/innen zu respektieren, indem er die Verhandlungen abgebrochen hat. Denn die FDP und die Grünen können nicht zusammen regieren, insbesondere was die Top-Themen Klimaschutz und Migration angeht. Herr Lindner hat dankenswerterweise das vorweggenommen, was sowieso eingetreten wäre, hätte es „Jamaika“ gegeben – irgendwann wäre die Koalition in der Legislaturperiode zerbrochen.
Die SPD hat genau kein Recht, auch nur eine Silbe der Kritik zu äußern. Denn die Absage der SPD an eine große Koalition hat das Dilemma der Jamaika-Verhandlungen erst ausgelöst. Die SPD wollte sich aus der Verantwortung stehlen, tatsächlich steht sie nunmehr am Pranger.
Was steht nun an? Es bleiben verschiedene Möglichkeiten. Erstens eine Minderheitsregierung. Die muss konsequent nur aus CDU/CSU bestehen, denn wenn diese Parteien eine Koalition mit Grünen oder der FDP eingehen, hat sie jeweils die Grünen oder die FDP gegen sich. Kommt eine solche Minderheitsregierung nicht zustande, wird es eine Neuwahl geben müssen. Die einzige Variante, eine Neuwahl zu verhindern und eine regierungsfähige Koalition zu bilden, ist, wenn die SPD erneut mit CDU/CSU zusammengeht.
Das hätte man auch schon vor zwei Monaten mit dem Wahlergebnis am 24. September wissen können – schließlich sollten CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne absolute Profis sein, die wissen, wie man regierungsfähige Mehrheiten bildet und auch wissen, dass scheinbar kleinere Koalitionäre sehr viel Macht haben. Denn ohne sie geht es nicht.
Doch auch andere haben Macht – CDU/CSU und SPD sind die Verlierer der vergangenen Wahl. Die Politik dieser Parteien hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die AfD entstehen konnte und deren zweistelliger Erfolg von 12,6 Prozent ist auch Zeichen für den Misserfolg der großen Parteien. Die AfD kann genüsslich zuschauen, wie diese sich nun handlungsunfähig zeigen und damit die AfD-Sicht belegen, dass die „Alt-Parteien“ am Ende sind.
Auch die Grünen haben als kleinster Verhandlungspartner Macht – denn es geht nur mit ihnen. Deren Forderungen waren allerdings für die FDP nicht verhandelbar. Im Machtpoker hat die FDP gewonnen, weil sie nach der ersten Aufregung am glaubwürdigsten dasteht, was das Vertreten eigener Standpunkte angeht.
Unterm Strich liegt der Ball wieder bei der SPD. Und die hat vor allem ein Problem, das heißt Martin Schulz. Der hat ausgeschlossen, dass die SPD in eine Koalition geht sowie, dass er am Kabinett beteiligt wäre. Dann soll er halt Platz machen für die, die sich das vorstellen können – also Sigmar Gabriel und auch Andrea Nahles.
Richtig ist, dass die SPD in einem bedenklichen Zustand ist. Richtig ist auch, dass eine Opposition Zeit gäbe, sich neu aufzustellen und zu profilieren. Richtig ist aber auch, dass eine Opposition auch klare Verhältnisse braucht – hier die Regierungsmehrheit, dort die Opposition. „Jamaika“ ist gescheitert, eine Minderheitsregierung ist keine Mehrheit und eine Opposition, die stur quer steht, würde eine solche handlungsunfähig machen. Das Ergebnis wären Neuwahlen, die mit ziemlicher Sicherheit nochmals zu Lasten der SPD gehen würden. Denn wer sollte den „Kanzlerkandidat“ geben? Herr Schulz? Wer das glaubt, ist von Selbstvernichtungswillen getrieben.
Und wenn es diese Neuwahl geben würde – was dann? Würde die SPD kategorisch eine Koalition mit der CDU/CSU verneinen? Warum dann neu wählen? In der Hoffnung, irgendwann selbst die absolute Mehrheit zu haben oder eine mit den Grünen und Die Linke? Das ist kein strategisches Gedankenspiel, das ist utopischer Quatsch. Viel wahrscheinlicher wäre, dass es auch für CDU/CSU und SPD allein nicht mehr reicht und man entweder die Grünen oder die FDP ins Boot holen müsste. Wäre das von Vorteil für die SPD? Sicher nicht.
Die aktuelle Lage ist sehr lehrreich – für alle. Für die, die immer bemängeln, dass Parteien sich absprechen. Die können nun lernen, was Demokratie ausmacht – nämlich sich absprechen und Kompromisse finden. Aber auch für die, die denken, sich in Absolutismen gegen Absprechen ergehen zu müssen, hier vor allem die SPD. Die hat den kategorischen Imperativ benutzt und steht nun mit dem Rücken zur Wand. Es geht nur mit ihr, aber wenn sie sich in dieser Richtung bewegt, dann mit der Angst, ihr Gesicht zu verlieren.
Politik ist aber keine Veranstaltung für befindliche Persönlichkeiten, sondern eine, bei der man bereit sein muss, Niederlagen einzustecken, diese zu verarbeiten und sich immer wieder aufzurappeln, wenn man weiter mitspielen möchte.
Die FDP hat durch ihren Abbruch dafür gesorgt, dass ordentliche Verhältnisse geschaffen werden können. Eine regierungsfähige Mehrheit aus CDU/CSU und SPD oder eine Neuwahl, die keiner will. Der SPD bleibt keine andere Wahl, als diese Herausforderung anzunehmen. Tut sie das nicht, stiehlt sie sich aus der Verantwortung und wird das sehr bitter büßen müssen.
Unterm Strich ist die aktuelle Bilanz, das wertvolle Zeit verschwendet worden ist. Klar ist auch, dass die Flüchtlingskrise viel bedeutender ist, als das viele wahrhaben wollten. Ebenso klar ist, dass der Klimaschutz ein Top-Thema ist, das zu sehr vom Utopismus der Grünen und zu wenig von der CDU bestimmt ist. Klar ist auch, dass die FDP sich politisch als die bedeutendste Oppositionspartei positioniert hat. Sie hat über Standpunkte verhandelt, es gab keine Einigung, also verhält sie sich konsequent. Diesen Beweis ist die die SPD noch schuldig.
Aktuell beweist sie, dass sie gegen eine große Koalition steht, aber ihre Minister sind noch im Amt einer geschäftsführenden Bundesregierung. Das muss und wird niemand verstehen.
Hinweis: Sie haben diesen Artikel frei zugänglich gelesen und damit unsere Leistung in Anspruch genommen. Sie wollen unsere Arbeit honorieren? Dann zahlen Sie gerne mit Selectyco durch Klick auf den Button oder via Paypal einen von Ihnen festgelegten Betrag.