Rhein-Neckar/Berlin, 02. Oktober 2017. (red/pro) Nach dem historischen Absturz der SPD auf nur noch 20,5 Prozent bei der Bundestagswahl 2017 behaupten verschiedene SPD-Politiker, die große Koalition sei abgewählt worden. Der Wählerauftrag sei der, in die Opposition zu gehen. Das sind glatte Lügen. Die große Koalition aus Union und SPD ist die größte denkbare Kombination. Die SPD muss sich der Verantwortung stellen. Es kann auch anders kommen – wie, erzählt unsere Betrachtung.
Von Hardy Prothmann
Bei der Koalitionsfrage stehen mehrere Möglichkeiten zur Auswahl. Nach dem Rückzug der SPD fehlt allerdings eine klare Perspektive. Rechnet man eine Fraktion aus CDU/CSU, FDP und Grüne, ergeben sich, 32,9+10,7+8,9=52,5 Prozent. Bei dieser Variante ist eine Trennung der Unionsparteien nicht möglich. Rechnet man die schwächste Fraktion, die CSU mit 6,2 Prozent heraus, blieben 46,3 Prozent, die restlichen Fraktionen hätten 48,5 Prozent.
Vorstellbar wäre aber eine Trennung der Fraktionsgemeinschaft und dann eine Koalition aus CDU, SPD und Grünen: 32,9+20,5+8,9=62,3 Prozent. Doch das wäre ein Bruch zwischen CDU und CSU, der weitreichende Folgen hätte. Und künftig würden der CDU dann möglicherweise dauerhaft die 19 Prozent fehlen, die die 6,2 Prozentpunkte am Gesamtergebnis der Union mit 32,9 Prozent ausmachen.
Wo steht CDU/CSU festgeschrieben?
Andererseits: Es ist nirgendwo festgeschrieben, dass CDU und CSU eine Fraktionsgemeinschaft bilden müssen. Häufig ist in Betrachtung der großen Koalition von zwei Parteien die Rede – das ist natürlich falsch, es sind zwei Fraktionen, aber drei Parteien. Die CDU könnte bei der kommenden Wahl in Bayern antreten und versuchen, sich dort Prozente zu holen. Umgekehrt ist es wenig wahrscheinlich, dass die CSU außerhalb Bayerns Fuß fassen könnte, denn mit der AfD hat die CSU eine scharfe Konkurrenz und konnte selbst im „schwarzen“ Bayern 12,4 Prozent holen.
Die starken Animositäten zwischen CSU und Grünen – spielen die eine Rolle? Mehr denn je, vor allem in der Flüchtlingsfrage und der Außenpolitik. Ein massiver Streit ist hier vorprogrammiert und beim Bruch der Koalition müssten vor allem CSU und Grüne einen Absturz fürchten, was bei knappen 6,2 Prozent für die CSU aber nicht den Abgang aus dem Bundestag bedeuten würde, da sie sicherlich immer mehr als drei Direktmandate gewinnt.
Die große Koalition liegt nahe
Unterm Strich ist die naheliegendste Koalition die Fortführung der großen Koalition. Die wurde zwar mit Verlusten von -8,6 Prozentpunkten (-7,4 Prozentpunkte CDU, -1,2 Prozentpunkte CSU) bei der Union und -5,2 Prozentpunkten bei der SPD gehörig abgestraft – abgewählt ist diese Koalition aber nicht. Wenn sie weitermachen will kommt sie auf 53,4 Prozent und steht damit besser dar als eine Koalition aus Union, FDP und Grünen.
Zwar haben sich Martin Schulz und andere hochrangige SPD-Politiker kategorisch gegen eine Fortführung der großen Koalition ausgesprochen, aber was heißt das schon? Martin Schulz trägt einen riesigen Makel, denn der erhoffte „Schulz-Effekt“ ist nicht nur nicht eingetreten, die SPD hat mit dem Kandidaten Schulz ein historisches Debakel erlebt. Und Herr Schulz will nun die Partei wieder „aufbauen“? Da reibt man sich ungläubig die Augen. Die Kampfansage von Frau Nahles, „voll in die Fresse“ (auch, wenn es ein missglückter „Scherz“ gewesen sein sollte), kann das wohl kaum sein. Auch Horst Seehofer trägt einen Makel.
Die SPD kann sich durch eine weitere Regierungsbeteiligung viel besser profilieren als auf der harten Oppositionsbank. Dafür muss sie sich aber disziplinieren und in der Realität ankommen – ein weiter so führt nicht in eine Erneuerung und bei den Bürgern wird, sollten die Sondierungsgespräche für eine anderen Koalition lange dauern, die Schuldige feststehen: SPD.
Monatelange Übergangsregierung?
Denn was steht bevor? Eine monatelange Übergangsregierung mit einer geschäftsführenden Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. Es wird keine neuen Gesetze geben, weil es keine Mehrheiten gibt. Das kann man so machen, aber dann wird nur verwaltet und nicht gestaltet. Kann sich Deutschland das in dieser stürmischen Zeit leisten? Eher nicht.
Wer argumentiert, 20,5 Prozent seien kein Regierungsauftrag, redet hohles Zeug. Die SPD ist mit Abstand die zweitstärkste Fraktion. Natürlich ist das ein Auftrag zum Mitregieren, was denn sonst?
Was passiert, wenn die SPD nicht einlenkt? Dann dauern die Gespräch an. Es werden mehrere Monate vergehen, bis man einen kleinstmöglichen Nenner gefunden haben wird, der möglichst einen vorzeitigen Bruch der Koalition verhindern soll. Dass man diesen findet, ist nicht garantiert.
Viel eher ist denkbar, dass die Bundeskanzlerin das tut, was sie gut kann: aussitzen. Sie könnte darauf hoffen, dass die SPD sich vom Schock erholt, sich die Vertrauensfrage in Sachen Schulz stellt und zum Ergebnis kommt, dass es keine Zukunft mit Herrn Schulz gibt. Politische Königsmorde, siehe Scharping, kennt die Partei.
Je länger, desto schädlicher für die SPD
Je länger diese Phase dauert, umso mehr schadet sich die SPD aber, weil sie als zerrissen wahrgenommen wird und nicht entschlossen. Was will die SPD in der Opposition zudem erreichen? Stärkste Fraktion bei den kommenden Wahlen zu werden? Das glauben vermutlich noch nicht mal die größten Utopisten. Was also dann? Einmal Opposition, immer Opposition oder womöglich mit 17, 18 Prozent dann doch den Regierungsauftrag wiederentdecken?
Wenn absehbar werden sollte, dass es keine regierungsfähige Koalition geben kann, wird die Kanzlerin die Vertrauensfrage stellen müssen. Oder der Bundestag wird ein Misstrauensvotum beantragen. Doch dazu ist nur eine „Koalition“ mehrerer Parteien fähig – keine Fraktion bis auf CDU/CSU vereinigt alleine die dafür nötige Zahl eines Viertels der Abgeordneten. Dann käme es nach erfolglosen Wahlversuchen zur Auflösung des Bundestags und Neuwahlen.
Es ist davon auszugehen, dass davon die AfD profitiert, wenn sie die Reihen geschlossen halten kann. Aber nur dann. Geht der innerparteiliche Streit weiter, bildet sich um Frau Dr. Petry eine weitere Partei, könnte eine Neuwahl dazu führen, dass die AfD stark geschwächt wird und die CDU sich abgewanderte Wähler zurückholt, bleibt die FDP stark oder wird sogar noch stärker, könnte das für eine CDU/CSU/FDP-Koalition reichen, dann wäre die SPD klar aus dem Rennen, vermutlich für länger als eine Legislatur. Denn ohne ein deutlich besseres Ergebnis, was nicht zu erwarten ist, hätte sie ja immer noch keinen Regierungsauftrag und CDU/CSU werden sicher nicht laut rufen nach der aktuellen Positionierung.
Minderheitsregierung +x könnte ein Versuch sein
Vor einer Neuwahl könnte aber immer noch eine Minderheitsregierung aus CDU/CSU mit der FDP versucht werden. Man käme auf CDU 200, CSU 46 und FDP 80 Sitze auf insgesamt 326 Sitze – zu wenig, die Mehrheit liegt bei aktuell 709 Sitzen bei mindestens 355 Sitzen. Es fehlen also 29 Sitze. Woher nehmen, wenn nicht stehlen? Nun, Frau Dr. Petry könnte möglicherweise die Lösung sein. Gelingt ihr die Abwanderung von 28 Parlamentariern (einen Sitz hat sie selbst) von den insgesamt 94 Sitzen der AfD, wären die Rechtspopulisten mit 65 Sitzen plötzlich nicht mehr drittstärkste Fraktion, sondern sogar die zweitkleinste nach Die Linke (69) und Grünen (67) (CSU mal nicht betrachtet) und die FDP wäre plötzlich drittstärkste Kraft.
Bei einer solchen Rechnung geht es nicht nur um die Sitze im Bundestag und eine dortige Mehrheit – sondern selbstverständlich auch um die Besetzung der Ausschüsse und Ämtern. Frau Dr. Petry hat angekündigt, regierungsfähig sein zu wollen. Der Wink mit dem Zaunpfahl ist da. Sie würde auch ein Ministeramt beanspruchen und hätte Herrn Dr. Jörg Meuthen, Herrn Alexander Gauland und Frau Dr. Alice Weidel überrundet.
Strategisch gedacht könnte Frau Dr. Petry die Königinsmacherin sein
Klingt absurd? Nur, wenn man nicht strategisch denkt. Die Schmach wäre riesig für die AfD und würde die Partei ganz enorm schwächen. Das wiederum würde der CDU gut tun, der FDP sowieso. Ob und wie Frau Dr. Petry eine neue Partei bilden könnte, die auch +5 Prozent fähig ist, müsste man abwarten. Undenkbar ist das nicht – rechts von der CDU gibt es mit der CSU bereits eine Partei, warum nicht eine zweite? Frau Dr. Petry könnte eine Integrationsministerin Ost sein.
Der Gedankengang ist insofern nicht abwegig, weil die deutsche Parteienlandschaft sich darauf einstellen muss, dass eine absolute Mehrheit für eine Partei vollständig außer Sicht ist und der Trend eher ist, dass mehr kleine Parteien in den Bundestag kommen. Das macht die Arbeit nicht einfacher, aber sie ist umso konstruktiver möglich, je näher sich die Partei inhaltlich stehen. Das wäre bei einem Bündnis CDU/CSU, FDP und einer „Partei Petry“ durchaus möglich. Die Frau ist ohne Zweifel ein politisches Talent und hat sich frühzeitig und konsequent von rechtsextremen Kräften in der AfD distanziert.
Eine solche Regierungskonstellation müsste sich nicht mit den Grünen rumärgern und würde wieder mehr Anschluss an „rechts von der CDU“ bieten, den man ausbauen könnte, durch das Signal, dass die CDU die bessere Alternative als die AfD ist, wenn man was werden will. Und Ausfälligkeiten ist die CDU ja schon über Jahrzehnte von der CSU gewohnt. Warum also nicht eine Art „Ost-CSU“ mit aufbauen? Motto: Teile und herrsche.
Unterm Strich und das ist wesentlich, geht es nicht um Parteien, sondern um die Bundesrepublik Deutschland.