Mannheim/Stuttgart, 09. Dezember 2016. (red/pro) Rund 140 Personen sind ins Lutherhaus Sandhofen zur CDU-Veranstaltung “Ankunftszentrum für Flüchtlinge auf Coleman” gekommen. Der CDU-Kreisvorsitzende Nikolas Löbel führt ins Thema ein und moderiert. Sehr viele Bürger hören sehr aufmerksam zu, kommen dann zu Wort – äußern sich sehr offen und ohne Zurückhaltung. Das von Innenminister Thomas Strobl geplante Ankunftszentrum im Norden Mannheims wird für erheblichen Widerstand sorgen. Soviel ist klar. Wird der Plan umgesetzt, befürchten viele, dass die AfD den Norden bei der Bundestagswahl im Handstreich nimmt.
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Von Hardy Prothmann
Applaus bekommen an diesem Abend vor allem die Bürger, die sich zu Wort melden und klipp und klar ohne Scheu ihre Meinung sagen.
Zitate aus der Veranstaltung
Irgendwann läuft das Fass über. 30 Jahre Hubschrauber. Haben wir hingenommen. Gerade zwei Brände, Glück gehabt. Wie viel will man uns noch zumuten?
Viele haben einfach Angst.
Macht doch mal die Augen auf.
Wir sollten Lampertheim mit einbeziehen, die sind auch betroffen.
Wir sollen jeden Dreck schlucken.
Bei der Fahrt in die Stadt zum Weihnachtsmarkt kriege ich Beklemmungen.
Man freut sich über jedes deutsche Wort.
Und dann sagt einer:
Unser Geld wird verbrannt. Wie bescheuert sind wir?
Er führt aus, mit wie viel Aufwand Standorte aufgebaut worden sind. Die würden nun alle wieder abgebaut und auf Coleman müsste wieder investiert werden:
Das ist unser Geld. Wie kann man das so verschwenden?
Viele offene Fragen
Zunächst hatte der CDU-Kreisvorsitzende Nikolas Löbel in die Thematik eingeführt. Die hohen Flüchtlingszugänge, die vielen Schwierigkeiten und Fehler, die gemacht worden seien. Er gibt seinen Kenntnisstand wieder und umreißt die Lage einerseits sehr zutreffend, was die Entwicklung angeht, kann er eher wenig anbieten – welche Vor- und Nachteile der Standort Coleman für ein Zentrales Ankunftszentrum bringen wird, sei unklar. Hier seien viele Fragen offen – eine aber nicht: Mannheim müsse entlastet werden. Das trägt er ehrlich und ohne Politikerpathos vor.
Seine Rolle ist nicht einfach – ist es doch CDU-Innenminister Thomas Strobl, dessen Pläne im Mannheimer Norden für große Aufregung sorgen. Doch Nikolas Löbel macht zusammen mit dem Stadtratskollegen Konrad Schlichter klar, dass hier Bürger und Stadt vor Parteizugehörigkeiten gehen.
Klare Absage an die Pläne der Landesregierung
Er erläutert, dass Mannheim Außenstelle der Landeserstaufnahmeeinrichtung Karlsruhe sein wollte, um den Vorteil zu genießen, keine Zuweisungen von Flüchtlingen zu haben. Diese Pläne seien nicht aufgegangen und die “offene Tür” wolle die Landesregierung wohl nutzen, um jetzt ein Ankunftszentrum einzurichten:
Das ist nicht das, was wir wollen. Wir wollten eine Entlastung und keine zusätzliche Belastung.
Applaus. Er hebt sogar den Vorschlag von SPD-Bundestagsmitglied Stefan Rebmann hervor, auf Coleman einen Standort für die Bundespolizei zu schaffen. Dem könne er sich anschließen. Konrad Schlichter will klar zwei Signale aussenden – eins an die Stadtverwaltung, eins nach Stuttgart:
Wir haben hier nördlich des Neckars enorme soziale Lasten zu tragen. Die reichen jetzt schon, da müssen nicht noch mehr kommen.
Herr Schlichter führt aus, welche enorme Anstrengungen die Menschen bereits geleistet hätten:
Hier waren rund 2.500 Menschen aktiv, als bis zu 15.000 Flüchtlinge bei uns untergebracht waren. Das haben wir geschafft. Darauf können wir stolz sein.
Ein Teilnehmer führt aus, er wisse aus sicherer Quelle, dass die Amerikaner den Stützpunkt aufgeben. Andere können sich nicht vorstellen, dass es bereits Ende 2017 so weit sein könne. Und die Frage steht im Raum: Kommt Coleman wirklich in Frage?
Emotionen
Herr Schlichter spricht die enorme Belastung durch bis zu 16.000 Zuwanderer aus EU-2-Staaten wie Rumänien und Bulgarien an. Einige Bürger antworten, dass die Neckarstadt-West verloren sei, die Breite Straße ebenso. Es wird Tacheles geredet. Sogar das Wort “den Dreck wollen wir nicht”, fällt mehrfach.
Herr Schlichter wehrt sich gegen Äußerungen, dass Mannheim nicht lebenswert sei – das ist ein Moment, an dem fast die Stimmung kippt. Viele im Raum sehen das anders. Noch ginge es, aber die Grenze sei erreicht. Da ist die Stimmung kurz vorm Kippen – er beendet gerade noch rechtzeitig seine Rede.
Keine Stimmung gegen Ausländer – aber gegen “Dreck”
Dabei macht keiner Stimmung gegen Ausländer an sich. Auch die, die das Wort “Dreck” führen, machen glaubhaft deutlich, dass man “armen Menschen, die fliehen müssen”, helfen müsse. Aber die vielen, die Probleme machten, die wolle man eben nicht. “Den Dreck wolle mer net”, ist politisch ganz sicher nicht korrekt. Viele Wortbeiträge erfolgen aber in breitem Mannheimer Dialekt und der war schon vor der Flüchtlingskrise derb.
Ein großes Lager mit bis zu 3.500 Flüchtlingen auf Coleman bedeute eben sehr viele Flüchtlinge und darunter viele, die genau diese Probleme machten, die man nicht wolle. Es seien zu viele junge Männer, “Testosteronbomben” ohne Perspektive. Diese Massierung könne nur für Probleme sorgen.
Auch einige ältere Männer sagen ganz offen, dass man zwar die Fakten kenne, aber die Emotionen einen “umtreiben” – und die seien eher von Sorgen geprägt und erzeugten “Beklemmung”.
Wer zuhört, weiß, was die Stunde geschlagen hat
Nikolas Löbel sagt, es wäre sinnvoll, eine Bürgerversammlung abzuhalten – davon halte die Stadt aber im Moment noch nichts. Weiter meint er, man solle es mit der politischen Korrektheit nicht übertreiben und bedankt sich bei den Bürger/innen für die offenen Worte. Einer sagt:
Kann es sein, dass wir es mit der Willkommenskultur übertrieben haben?
Er führt aus, dass die Mannheimer möglicherweise zu gut bewiesen hätten, was “sie drauf haben”. Ein anderer meint, in Stuttgart denke man jetzt, man könne “dem Esel noch einen Packen” drauflegen. Der aber sei zu viel. Applaus. Und dann heißt es:
Macht nur weiter so. Die AfD freut sich.
Großer Applaus. Aber ernste Gesichter. Jeder im Raum weiß, dass Rüdiger Klos als AfD-Kandidat “vollkommen überraschend” das Direktmandat geholt hat. Hätte man den Leuten vor der Landtagswahl zugehört, wäre die Überraschung vielleicht nicht so hoch gewesen.
Was “Zuhören” angeht, kann man der Mannheimer CDU keinen Vorwurf machen. Das war an diesem Abend definitiv der Fall. Wenn sie auch verstanden hat, dann erwarten die Bürger nun auch Taten. Sie wollen organisierten Protest und eine Unterschriftenliste gegen das Vorhaben.
Die Verunsicherung ist da,
sagt ein Teilnehmer. Fast alle Anwesenden nicken.
Bei der Bundestagswahl 2017 werden diese Menschen diejenigen wählen, von denen sie sich am Besten vertreten fühlen.
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