Mannheim/Heidelberg/Stuttgart, 23. November 2016. (red/pro) SPD und Grüne wollten in der Gemeinderatssitzung am Dienstag eigentlich die freiwillige Aufnahme von 550 Flüchtlingen aus Griechenland und Italien beantragen. Dann folgten die Antragsteller aber dem dringenden Appell von Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (SPD), zunächst die weitere Entwicklung abzuwarten. Denn aktuell sei völlig unklar, was das Innenministerium in Sachen Ankunftszentrum plane.
Von Hardy Prothmann
Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz lädt vor den Gemeinderatssitzungen zum sogenannten „Stadthausgespräch“ für Journalisten. Hier werden wichtige Tagesordnungspunkte in konzentrierter Atmosphäre besprochen. Das Top-Thema gestern war die zukünftige Nutzung von Coleman als „Ankunftszentrum“ für Flüchtlinge.
Fakt ist, dass keine Fakten bekannt:
Uns sind keine wesentlichen Eckpunkte bekannt. Welche Konzeption steckt dahinter? Was soll da geschehen? Wann soll das geschehen? Wie lange werden die Menschen dort sein?,
fragt sich Oberbürgermeister Dr. Kurz. Bevor keine grundlegenden Informationen auf dem Tisch liegen, will er sich keinen Spekulationen hingeben.
Unklare Lage
In einem ersten kurzen Gespräch zwischen Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz und Ministerialdirektor Julian Würtenberger, dem Amtsleiter des Innenministeriums, wurden zwei Besprechungen auf Arbeitsebene und politischer Ebene bis Mitte Dezember vereinbart. Das Ziel: Eine Konzeption und die Bedingungen für ein Ankunftszentrum zu prüfen. Dabei erinnerte Oberbürgermeister Dr. Kurz an die Zusagen des Landes, dass die städtebauliche Entwicklung nicht behindert werden soll. Danach war nicht nur der Erwerb und die Entwicklung von Benjamin Franklin Village notariell mit dem Bund unter Zustimmung des Landes vereinbart, sondern auch ein solcher Erwerb von Spinelli Ende 2019 zugesagt. Die Einhaltung der Zusagen durch die Landesregierung sei essentiell für Mannheims Stadtentwicklung und damit auch für eine weitere Zusammenarbeit mit dem Land.
Entscheidend sei das Gesamtkonzept bei der Frage, ob ein landesweites Ankunftszentrum in Mannheim zumutbar ist. Das Land hatte lediglich angekündigt, dass das „LEA-Privileg“ (Befreiung von der vorläufigen Unterbringung von Flüchtlingen) auch für den Standort mit dem Ankunftszentrum gelten soll:
Das ist aber nicht ausreichend. Geklärt werden müssen die Dauer des Aufenthalts und das Verfahren der Verteilung nach der Entscheidung über den Antrag der Asylbewerber. Eine Zustimmung kann es auch nur dann geben, wenn unsere Stadt ab sofort keine Flüchtlinge, deren Verfahren abgeschlossen ist, im Rahmen der Wohnsitzauflage zugewiesen bekommt. Ob hier befriedigende und verlässliche Aussagen in den nächsten Wochen getroffen werden können, werden die Gespräche zeigen,
teilte Oberbürgermeister Dr. Kurz bereits vergangene Woche mit. Im Stadthausgespräch wird er konkreter:
Coleman ist ein desintegrierter Standort. Wenn hier Menschen ankommen und die Registrierung durchlaufen, dann ist die Frage, wie viele Tage sie vor Ort sein werden. Ich rede von Tagen, nicht von Wochen und schon gar nicht von Monaten.
Die „negative Wohnsitzauflage“ habe das Ministerium bereits abgelehnt – Mannheim muss also mit der Zuweisung von Menschen mit Bleibeberechtigung rechnen. Schon jetzt seien die Herausforderungen immens durch die Zuwanderung aus Südosteuropa und Mannheimerinnen und Mannheimer hätten mit ihrem Engagement dazu beigetragen, dass die Herausforderungen im vergangenen Jahr mit teilweise über 15.000 Flüchtlingen gut gemeistert worden seien.
Anträge zurückgezogen
In der Gemeinderatssitzung betonte der Oberbürgermeister, dass aktuell die freiwillige Aufnahme von 550 Flüchtlingen aus den Lagern in Griechenland und Italien ein „denkbar ungünstiger“ Zeitpunkt für eine entsprechende „Botschaft“ an das Land sei. Man müsse zunächst die Sachlage für das Ankunftszentrum kennen und dann Vor- und Nachteile abwägen. Da das Land im Dezember die Konzeption darstellen wolle, sollten zeitnah die Fakten vorliegen, was wie geplant werde. Daran sollten sich weitere Entscheidungen orientieren.
In der Aussprache sagte CDU-Stadtrat Nikolas Löbel, dass Mannheim in der Hochphase 2015 und danach jegliche Herausforderung gestemmt habe und die Anträge von SPD und Grünen aktuell ein falsches Signal aussenden würden:
Wir müssen entlastet werden, man kann die Stadtgesellschaft nicht überfordern.
Grünen-Stadtrat Gerhard Fontagnier sagte, man habe eine funktionierende Infrastruktur und Kapazitäten, die leer stünden und die man nutzen könne. Er schätze die Zahl der Helfer auf gut 1.000, die sich einbringen, obwohl sie wüssten, dass die Menschen transferiert werden. Aktuell würde man von den Flüchtlingen nichts mehr sehen, weil die Medien nicht berichteten, die Zustände in den Lagern in Griechenland und Italien seien aber dramatisch.
SPD-Stadtrat Ralf Eisenhauer zog für die Fraktion den Antrag zurück und appellierte ebenfalls an die Grünen:
Ich glaube nicht, dass es jetzt angezeigt ist, darüber abzustimmen.
Die Grünen taten sich sichtlich schwer, mussten aber mit einer Ablehnung rechnen und zogen schließlich den Antrag zurück, nachdem Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz nochmals klar gemacht hatte, dass es auch der Bevölkerung schwer zu vermitteln sei, in einer unklaren Situation über die weitere Entwicklung Entscheidungen herbeiführen zu wollen, die Fakten schaffen und möglicherweise falsche Signale aussenden. Klar sei, dass Mannheim aufnahmebereit sei. Aktuell müsse man allerdings noch viele Sachfragen klären.
Eine wurde geklärt: Die Mannheimer Liste wollte beantragen, verfolgte Jesidinnen aufzunehmen. Auch dieser Antrag wurde zurückgezogen, da das Büro von Ministerpräsident Kretschmann informierte, dass das Kontingent von rund 1.000 Frauen und Mädchen, die Baden-Württemberg aufnehmen wollte, bereits untergebracht sei.