Mannheim/Heidelberg/Stuttgart, 23. November 2016. (red) Bislang gibt es nur die Ankündigung des Innenministeriums, dass die Zentrale Registrierungsstelle im Heidelberg Patrick Henry Village aufgelöst und in Mannheim ein Ankunftszentrum errichtet werden soll. Wann und wie das stattfinden soll, ist noch vollständig unbekannt. Hier lauert ein erhebliches Potenzial an politischem und gesellschaftlichem Konfliktstoff. Nach unserer Analyse ist nicht Coleman das Ziel, sondern Spinelli.
Hinweis: Guter Journalismus kostet Geld, um ihn zu produzieren. Mit kleinen Beiträgen helfen Sie uns dabei. Danke schön! Infos zu Rheinneckarblog-Plus hier.
Von Hardy Prothmann
Ohne Schmerzen wird es nicht gehen. Bislang hat Innenminister Thomas Strobl (CDU) nur Eckdaten zur neuen Konzeption der Flüchtlingsaufnahme öffentlich gemacht. Doch der Teufel steckt bekanntlich im Detail. (Siehe auch Bericht zur Aufnahme von Flüchtlingen in der Beratung des Gemeinderats.)
Die Zeit drängt
Heidelberg wurde versprochen, dass Patrick Henry Village (PHV) entwickelt werden kann. Gut 5.000 Menschen sollen dort einmal leben und nach unseren Informationen hat man in Heidelberg die Vorstellung, dass bauliche Arbeiten noch mit „einer Eins vorne“ beginnen können. Das wäre spätestens 2019. Das ist ein strammer Zeitplan, aber die Planungen haben begonnen, zwei Drittel der Fläche hat das Land mehr oder weniger eh schon frei gegeben, die Verhandlungen mit der BImA sind mittlerweile routiniert.
Doch ist das realistisch? Bis 2019 müsste die Zentrale Registrierungsstelle umgezogen sein. Klar ist: Am 30. April 2017 läuft der Nutzungsvertrag für PHV ab. „Niemand wird am 01. Mai den Strom abschalten“, heißt es aus Heidelberg. Übersetzt: Wenn den weiter Not herrscht, aber ein dann tatsächliches Ende der Nutzung irgendwann 2018 erreicht sein wird, plant man halt weiter und lässt sich nochmals auf eine Verlängerung ein – dann muss es aber gut sein.
Aktuell denken alle an das Gelände von Coleman Barracks im Mannheimer Norden als neuem Standort. Doch wann die Fläche frei wird, ist offen. Fest steht, dass die US Army vor Sommer 2017 keine Entscheidung treffen wird. Selbst wenn genau dann, die Entscheidung zum Abzug gefällt würde, dauert es sicherlich noch Monate, wenn nicht gut ein Jahr, bis der Abzug erfolgt wäre. Dann schreibt man schon Mitte 2018 und dann müsste dort die Infrastruktur aufgebaut werden, um das „Ankunftszentrum“ aufzubauen.
3.500 Menschen
Äußerst irritierend ist die Zahl von 3.500 Menschen, die auf Coleman „ankommen“ sollen. Setzt man die in Heidelberg aufgebaute Infrastruktur ebenso auf Coleman um und können dort täglich ebenfalls bis zu 600 Menschen registriert werden, dann wären die 3.500 Menschen nach einer Woche „abgewickelt“. So viele Menschen kommen aber aktuell noch nicht einmal im Monat nach Baden-Württemberg.
Die Zugangszahlen können wieder steigen und angesichts der Zustände in der Türkei kann das sogar sehr schnell passieren.
Sollen die Menschen auf Coleman möglicherweise nicht nur ankommen, sondern auf längere Zeit untergebracht werden? Für Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz ist das völlig undenkbar. Nach seiner Auffassung ist der Standort nur für eine kurzfristige Unterbringung von höchstens zwei Wochen geeignet.
Weit abgelegen ohne Infrastruktur hätte Coleman den Charakter eines Internierungslagers – das sagt der OB zwar nicht, aber darauf muss die Bewertung hinauslaufen. Diese zutreffende Analyse des OB ist elektrisierend – was, wenn das Innenministerium das genauso sieht?
Und was, wenn die US Army erstmal nicht das Feld räumt? Bleibt PHV dann Zentrale Registrierungsstelle? Die Heidelberger würden hohl drehen. Und Ministerin Theresia Bauer wird sich mit aller Macht für ihre Stadt einsetzen – alles andere würden die Wähler im Direktwahlkreis nicht akzeptieren.
Die Buga hatte eh keine echte Mehrheit
Wenn also PHV frei wird und Coleman nicht zur Verfügung steht, bleibt nur noch Spinelli – damit wären Buga und Grünzug-Nordost geplatzt. Weil auch hier die Arbeiten spätestens 2019 beginnen müssen, sonst kann die Buga23 nicht vorbereitet werden. Und ohne Buga kein Grünzug. Auf Rücksicht der US Army darf man nicht setzen, der sind kommunale Entwicklungen egal.
Würden die Mannheimer dann hohl drehen? Nicht so sehr wie in Heidelberg, schließlich gab es einen enormen Widerstand gegen die Buga. Wären aber Millionen Euro an Anlaufkosten nicht für die Katz? Nicht, wenn das Land diese ersetzt.
Das Land könnte zudem argumentieren, dass der Bürgerentscheid für die Buga eh Fifty-Fifty ausgegangen ist, also keine breite Mehrheit der Bevölkerung die Buga23 wollte und will. Und auch kommunalpolitisch ist die Entwicklung eher von Streit denn großer Gemeinsamkeit geprägt – wenn es also ein so umstrittenes Projekt ist, warum dann daran festhalten?
Das Land hätte die Grünzug-Entwicklung bezuschusst – von mindestens 20 Millionen Euro ist die Rede. Selbst wenn das Land die bisherigen Kosten ersetzt und in Modularbauweise Unterkünfte erstellt, käme das das Land viel günstiger. Die Grundinfrastruktur auf Spinelli ist vorhanden. Der Standort ist „eingeführt“. Das Land kann über die Fläche verfügen und ähnliche Zusagen des Landes wie gegenüber Heidelberg gibt es nicht.
Was kann man Mannheim zumuten?
Die nächsten Landtagswahlen sind erst 2021 – erfolgt der Umzug 2017-18, ist der Schock bis dahin einigermaßen überwunden. Und man muss sich keinen Vorwurf machen lassen, ein Internierungslager zu schaffen. Die Mannheimer Grünen sind ganz wild drauf, Integrationsarbeit zu leisten. Die SPD ebenso. Beide Fraktionen wollten sogar freiwillig beantragen, zusätzlich Flüchtlinge aufzunehmen. Warum also nicht?
Man kann nicht noch mehr und noch mehr auf die Schultern packen,
sagt Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz und kann mit Fug und Recht diesen Standpunkt einnehmen. Doch was, wenn das Land sagt:
Heidelberg bekommt PHV und kann zufrieden sein. Mannheim bekommt das viel größere Franklin, Hammonds sowieso und kann zufrieden sein. Spinelli gibt es halt auch noch und das Land muss Lösungen finden, um zufrieden sein zu können. Es isch, wie es isch – alternativlos.
Dieses Szenario ist durchaus denkbar, obwohl es bislang undenkbar erscheint, dass Spinelli tatsächlich Teil des Konzepts von Innenminister Strobl ist. Doch realistisch gefragt: Was wäre ein Konzept „Coleman“ wert, von dem man nicht weiß, wann es aufgehen kann? Genau. Nichts.
Mannheim hat aktuell rund 3.500 Flüchtlinge auf Franklin und Spinelli. Damit kommt Mannheim zurecht. Das ist die Größenordnung, die das Innenministerium nennt. Auf Franklin hat das Land keinen Zugriff mehr – hier muss eine Besitzübergabe zum, Achtung, 01. Januar 2019 erfolgen. Wohin dann mit den dort untergebrachten Flüchtlingen? Es muss also bereits 2018 ein Ausweichquartier gefunden sein.
Aktuell denken alle noch, Schwetzingen und Spinelli seien Nebelgranaten und Coleman das Ziel. Schwetzingen ist sehr unrealistisch – Coleman aber ebenso. Vermutlich ist also Spinelli das eigentlich begehrte Ziel. Die Buga-Gegner wären erfolgreich, sie hätten die Bundesgartenschau damit definitiv verhindert und halt ein Flüchtlingslager dafür bekommen.