Mannheim, 18. Mai 2017. (red/pro) Die Mehrzeit der CDU-Fraktion stellt die Planung Grünzug Nordost vor eine Zerreißprobe. Mit erneuten Forderungen, die am Dienstag im Hauptausschuss als Antrag gestellt worden sind, wird ein Dilemma erzeugt, das ohne Gesichtsverlust nicht mehr beizulegen ist. Damit ist nicht nur das komplette Projekt akut gefährdet. Wenn die Beschlussvorlage der Stadtverwaltung keine Mehrheit findet, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass das Land Baden-Württemberg Teile von Spinelli für ein Ankunftszentrum für Flüchtlinge verwenden wird, enorm. Dafür trägt die CDU die Verantwortung.
Von Hardy Prothmann
Die auf den letzten Drücker gestellten Forderungen der CDU sind erst einmal ein schlechter Stil. Seit 14 Monaten haben zahlreiche Planungsrunden stattgefunden, Kompromisse wie keine Bespielung der Feudenheimer Au durch die Buga23 oder keine Verlegung der Straße Am Aubuckel wurden eingearbeitet. Es wurde penibel auf den Kostenrahmen geachtet und die Planungen wurden angepasst. Wer dann im Hauptausschuss eine Woche vor der entscheidenden Gemeinderatssitzung mit weiteren absoluten Forderungen kommt, der muss sich fragen lassen, ob man das nicht als vorsätzliche Nötigung zu verstehen hat.
Die CDU gibt vor, Kosten und Einnahmen sichern zu wollen. Das ist geheuchelt. Denn es ist klipp und klar, dass die geforderte Festlegung auf ausschließlich hochwertigen Wohnungsbau in der Parkschale Käfertal in dieser Form nicht konsensfähig ist. Wer andere mit dem Rücken an die Wand stellt, will keinen Kompromiss, sondern eine Demütigung erreichen. Abgesehen davon ist die Bebauung nicht Teil der Grünzugplanung.
Kein anderes Projekt wie den Grünzug Nordost und die zur Entwicklung begleitende Buga23 haben jemals soviel Bürgerbeteiligung und öffentliche Information erfahren. Insbesondere die nicht verlegte Straße ist ein schwerer Eingriff in die ursprüngliche Idee eines durchgehenden Grünzugs.
Rechenspiele
Bislang wird folgendermaßen gerechnet: Der Gemeinderat hat 48 Stimmen plus die des Oberbürgermeisters. Nach unseren Informationen werden aber je ein Stadtrat von SPD und CDU entschuldigt fehlen, es verbleiben also 47 Stimmen, 24 Stimmen sind die Mehrheit. SPD (12), OB (1), CDU (2), Grüne (3), Die Linke (2) ergeben 20 Stimmen für die Verwaltungsvorlage. Unklar ist das Abstimmungsverhalten der drei Einzelstadträte Julien Ferrat (Familienpartei), Christian Hehl (NPD) und Helmut Lambert (vormals AfD, jetzt parteilos). Helmut Lambert äußerte sich uns gegenüber als noch unentschieden, tendenziell aber eher ablehnend.
Sollten diese alle zustimmen, fehlt immer noch eine Stimme, die möglicherweise von einem weiteren CDU-Stadtrat kommen könnte, der aber möglicherweise der Sitzung fernbleibt. Dann könnte auch ein Patt von 23:23 entstehen und der Antrag wäre ohne Mehrheit gescheitert. Klar ist nur: Vier Stimmen sind nicht sicher für oder gegen einzuordnen.
Sollte die CDU ihren Antrag aufrecht erhalten, der unter anderem nun ganz neu eine ausschließlich hochwertige Bebauung in der Parkschale Käfertal zur Bedingung macht, müsste dieser vor der Verwaltungsvorlage abgestimmt werden. Eine Mehrheit ist unwahrscheinlich, da es absurd wäre, weil Mannheimer Liste (5) und FDP (2) viele Punkte der Planung gestrichen haben wollen und über eine Zustimmung ihre Anträge konterkarieren würden.
Sollte der CDU-Antrag wider Erwarten doch eine Mehrheit finden, müssten die Forderungen in die Verwaltungsvorlage eingearbeitet werden. Das bringt die Grünzug- und Buga23-Befürworter in eine Zwickmühle, denn insbesondere SPD, Grüne und Linke werden mit Sicherheit einer ausschließlich hochwertige Bebauung nicht zustimmen, der OB vermutlich auch nicht. Allein die weitere Forderung, dass die GBG nicht als Investor auftreten dürfe, ist eine weitere Zumutung.
Dann wäre die Rechnung eine andere: Jetzt würden SPD (12), Grüne (8), Linke (2) gegen den Antrag stimmen. Das wären 20 Stimmen. Hinzu kämen Mannheimer Liste (5), LKR (3) und FDP (2). In Summe wären das schon 30 Stimmen und der Grünzug Nordost wie die Buga als auch gut 40 Millionen Euro Zuschüsse vom Land wären erledigt.
Wenn der Grünzug Nordost scheitert, wäre der Schaden enorm
Die CDU würde das so zu deuten versuchen, dass diese Mehrheit die “Schuld” am Scheitern hätte – das wäre aber eine falsche Interpretation. Der CDU-Antrag wäre der entscheidende Grund, warum es zu einem Scheitern gekommen wäre.
Der Schaden wäre enorm. Aktuell sind bereits rund 3,5 Millionen Euro Planungskosten entstanden. Hinzu käme eine Strafzahlung von rund zwei Millionen Euro durch die Kündigung des Buga-Vertrags. Doch dieser Schaden ist gering im Vergleich zu den voraussichtlichen Folgen.
Eine direkte Folge ist, dass hunderte von Bürger/innen enttäuscht sein werden. Sie hatten sich mit viel Energie in die Workshops und andere Gremien eingebracht. Die aktuelle Planung geht auch auf ihre Mitwirkung zurück. Sie lernen: Die Mühe und der Aufwand wird nicht geschätzt. Ob man diese Bürger für andere Projekte erneut motivieren kann, ist fraglich. Und andere werden sich vom Ergebnis abschrecken lassen.
Enorme Planungsressourcen bei der Stadt sind angefallen – und wäre überwiegend für die Katz. Außer Spesen nichts gewesen. Auch hier dürfte der Frust gegenüber den politischen Entscheidungsträgern hoch sein.
Was den Grünzug angeht, könnte man sagen: Hatten wir bisher nicht und sind auch ohne zurecht gekommen. Diese Meinung kann man haben, eine solche Meinung verkennt aber die enorme Aufwertung durch einen Grünzug Nordost.
Ohne Grünzug wird das Land ein Ankunftszentrum für 3.500 Flüchtlinge bauen
Von den rund 220 Hektar gehören knappe 40 Prozent der Stadt, überwiegend im westlichen Teil des Spinelli-Geländes am Rande von Käfertal. Aktuell hat man darauf keinen Zugriff, da das Gelände noch von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIma) verwaltet wird. Dort ist man bestrebt, das Gelände in einem Rutsch zu übergeben. Der andere Eigner wäre das Land Baden-Württemberg. Und das sucht dringend einen Standort für ein zentrales Ankunftszentrum für bis zu 3.500 Flüchtlinge.
Bislang ist dafür auch Coleman im Gespräch. Aktuell hat uns das Innenministerium mitgeteilt, dass die US-Streitkräfte signalisiert hätten, einen Teil des Geländes für ein solches Zentrum zu überlassen. Allerdings erst in einigen Jahren. Und ob man ein Flüchtlingslager neben ein Depot mit militärischem Kriegsgerät platzieren kann, werde noch geprüft, beispielsweise durch “bauliche Maßnahmen”, sprich eine Mauer.
Wenn die weitere Planung des Grünzugs Nordost keine Mehrheit im Gemeinderat fände, wäre das ein klares Signal an das Land, dass der Gemeinderat kein übergeordnetes Interesse zur Entwicklung des gesamten Geländes mehr hätte und somit müsste man sich nicht auf eine unsichere Lage auf Coleman festlegen, sondern könnte das Gelände für den Bau und Betrieb eines solchen Flüchtlinglagers nutzen.
Statt gehobenem wird sozialer Wohnungsbau entstehen
Die Stadt wiederum könnte ihre Flächen mit Wohnbebauung und anderer Infrastruktur entwickeln – allerdings in direkter Nachbarschaft zu einer sehr großen Flüchtlingsunterkunft. Dann fänden sich mit Sicherheit keine Investoren für einen “gehobenen” Wohnungsbau, dann wäre hier überwiegend sozialer Wohnungsbau in direkter Beziehung zum Flüchtlingslager wahrscheinlich und dahinter vielleicht ein Bauen im mittleren Segment.
Die bestehenden Immobilien würden durch einen Grünzug Nordost mit Sicherheit aufgewertet und die Besitzer dürften sich über sehr gute Wertsteigerungen freuen – das Gegenteil, wenn dort eine Flüchtlingsunterkunft betrieben wird, ist möglich.
Häufige Störungen, Feuerwehr- und Polizeieinsätze
Auch für Feudenheim und Käfertal würden sich erhebliche Veränderungen in der Lebensqualität ergeben. Häufige Störungen, Feuerwehr- und Polizeieinsätze sind dann an der Tagesordnung, wie man das seit der Belegung der anderen Konversionsflächen klar belegen kann.
Auswirkungen auf Bundestags-, Kommunal- und Landtagswahl
Im Herbst ist Bundestagswahl. Scheitert die Verwaltungsvorlage, werden die Stimmchancen für die AfD enorm steigen und der CDU-Kandidat Nikolas Löbel gewinnt mit Sicherheit nicht das Direktmandat. 2019 folgt die nächste Kommunalwahl. Bis dahin könnte das Land bereits den Bau für die Flüchtlingsunterkunft begonnen haben. Das würde die CDU aller Voraussicht nach mehrere Sitze kosten, die zur AfD wandern. Der LKR räumen wir wenig Chancen ein, ihre Sitze zu verteidigen, auch diese sind potenzielle AfD-Sitze. Dann könnte die AfD im Mannheimer Gemeinderat mindestens drittgrößte, vielleicht sogar zweitgrößte Fraktion werden. Bei der Landtagswahl 2021 würde die AfD ihr Direktmandat im Norden mit hoher Voraussicht verteidigen können.
Bei der CDU scheint man sich diese Überlegungen nicht gemacht zu haben. Bei der kommenden Kampfabstimmung stehen die Chancen schlecht für den Grünzug Nordost, wenn die CDU ihren Antrag aufrecht erhält. Und in der Folge steht es schlecht um die CDU, die mal die absolut dominierende Fraktion im Gemeinderat war, aber von Wahl zu Wahl nur noch Sitze verliert.
Die CDU überspannt den Bogen und zeigt sich überwiegend als unseriöse Kraft. CDU-Stadtrat Konrad Schlichter, auf den nach eigenen Angaben die ursprüngliche Buga-Idee zurückgeht, sprach sich am Dienstag im Hauptausschuss deshalb sehr emotional aus, weil auch er ein Scheitern befürchtet.
Der einzige Ausweg für die CDU ist, den Antrag zurückzuziehen und damit einen Gesichtsverlust hinzunehmen. Dafür kein Mitleid. Selbst schuld.
Es bleibt noch eine weitere Möglichkeit: Auf Antrag zur Geschäftsordnung kann die Mehrheit des Gemeinderats eine geheime Abstimmung beschließen – dann könnte es weitere Stimmen für den Beschlussantrag der Verwaltung geben, weil diese Stimme keine “Fraktionsdisziplin” einhalten müssten.
Hohe Grundstückspreise und damit verbundene Erlöse sind für die Stadt nur über einen vorhandenen Grünzug Nordost zu erreichen. Zuschüsse vom Land ebenso. Der Grünzug Nordost, der über eine Bundesgartenschau und damit verbundene Millionenzuschüsse, in Schwung gebracht werden soll, ist eine Jahrhundertchance für Mannheim. Als einzigartiger Grünzug mit viel freiem Raum, als Frischluftschneise, als städtebauliche Aufwertung und als Anbindung von Käfertal, Vogelstang und Feudenheim an die Stadt – und zwar über gute Fahrrad(schnell)wege.
Verwaltungsantrag: “Leitentscheidung Grünzug Nordost”
(Anm. d. Red.: Die anderen Anträge sind aktuell leider nicht abrufbar.)