Mannheim/Heidelberg/Schwetzingen/Stuttgart, 16. November 2016. (red/pro) Innenminister Thomas Strobl (CDU) hat heute mitgeteilt, wie die Flüchtlingsunterbringung künftig organisiert sein soll. Danach werden die aktuellen Kapazitäten deutlich zurückgefahren. Künftig soll es in jedem Regierungsbezirk eine Landeserstaufnahmeeinrichtung geben. Weiter sind zusätzliche Erstaufnahmeeinrichtungen sowie ein “Ankunftszentrum” geplant – dieses sei für Mannheim oder Schwetzingen vorgesehen. Es kommt mit Sicherheit nach Mannheim, wie unser Artikel aufzeigt.
Von Hardy Prothmann
Die Pressemitteilung aus dem Innenministerium ist ein Paukenschlag und wird viel Zorn erzeugen. Nach unseren Informationen wurden die Kommunen in die Planungen des Innenministers nicht einbezogen. Nach den Plänen von Minister Strobl soll es in Schwetzingen oder Mannheim ein “Ankunftszentrum” für bis zu 3.500 Personen geben.
Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (SPD) sagte auf Anfrage:
Für eine Bewertung sind noch zu viele Fragen offen, unter anderem nach der Konzeption des Ankunftszentrums, der Aufenthaltsdauer und der Frage der Zuweisung von anerkannten Flüchtlingen.
Der Schwetzinger Oberbürgermeister Dr. René Pöltl wusste bis heute nichts von diesen Plänen und sagt auf Anfrage:
Schwetzingen ist aktuell mit Hochdruck in der Planung für Erwerb und Nutzung des Kasernengeländes, die letzte Entwicklungsfläche der Stadt, vor allem für den dringend benötigten Wohnraum. Von daher ist Stand heute ein mittel- und langfristig ausgerichtetes Ankunftszentrum in Schwetzingen aus Sicht der Stadt nicht vorstellbar. Dies wäre auch nicht im Einklang mit den Absprachen mit dem Land bei Einrichtung der bedarfsorientierten Erstaufnahmestelle 2014, in der zeitweise bis zu 1500 Menschen untergebracht waren. Allerdings muss ich auch sagen, dass ich noch keine näheren Informationen habe, da es bisher in der Sache noch keinen Kontakt mit mir gab.
In Heidelberg wird das neue Standortkonzept des Innenministeriums mit Wohlwollen aufgenommen – nachvollziehbar, kommt es doch den Entwicklungswünschen der Stadt entgegen, die das Patrick Henry Village entwickeln möchte. Oberbürgermeister Dr. Eckart Würzner sagt auf Anfrage:
Innenminister Strobl bestätigt mit seinem Konzept exakt die Linie, die wir mit dem Land vereinbart haben: Das Registrierungszentrum ist vorübergehend auf PHV untergebracht., da Heidelberg diese Fläche als wachsendende Stadt dringend benötigt. Wir brauchen das Areal als letzte große Entwicklungsfläche für die Bereiche Wohnen, Wirtschaft und Wissenschaft. Ich freue mich, dass das Land Wort hält und sich nun um eine Verlagerung des Zentrums kümmert. Wir werden das weitere Vorgehen zwischen Stadt und Land besprechen.
Mannheim bekommt dauerhaft ein Flüchtlings-“Ankunftszentrum”?
Aus unserer Sicht steht fest, dass Schwetzingen als Standort nicht in Frage kommt. Die dortigen Tompkins Barracks waren mit bis zu 1.500 Personen belegt und hätten nur eine Kapazität bis 3.500 Personen, wenn man zusätzliche Gebäude errichten würde. Außerdem ist das einer 20.000-Einwohner-Stadt auf Dauer nicht zuzumuten. Also bleibt nur Mannheim, weil Heidelberg auf die Entwicklung von Patrick Henry Village drängt. Schwetzingen ist also ein “Pseudo-Argument”, ein Ablenkungsmanöver.
Der Standort Spinelli Barracks ist wie Coleman langfristig ohne eine entsprechende Bebauung nicht nutzbar. Auf Spinelli soll aber 2023 eine Bundesgartenschau stattfinden und außerdem der Grünzug Nordort entwickelt werden.
Betrachtet man die Investitionszeiträume für die Nutzung von Bauten, so sind die Planungshorizonte durchgehend zehn Jahre oder sogar zwanzig Jahre. Damit kommt eigentlich nur noch Coleman als Standort in Frage – nur wann? Aktuell wird das Gelände noch vom amerikanischen Militär genutzt. Aus dem US Army Headquarter Europa heißt es auf Anfrage:
Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine konkreten Entscheidungen zur Zukunft der Coleman Barracks. Wir erwarten für den Sommer 2017 einige Entscheidungen, darunter auch darüber ob es (Coleman) ganz, teilweise oder gar nicht an die Deutschen übergeben wird, und diese Entscheidungen sollten dann mit Zeitschienen für die Übergänge versehen sein, falls das so entschieden wird.
Die Antwort des Militärs kann man auch so übersetzen: Offenbar plant Minister Strobl voll ins Blaue hinein.
Wenn nicht Coleman, bleibt nur Spinelli
Sollte das Gelände nicht aufgegeben werden, bliebe nur Spinelli. Das wäre der Supergau. Jahreslanges politisches Ringen, bereits angefallene enorme Kosten für die Entwicklung von Buga23 und Grünzug müssten abgeschrieben werden. Der Grünzug wäre auf unbestimmte Zeit dahin und mitten in der Stadt bestände ein Großlager für 3.500 Flüchtlinge, die man in Krisenzeiten sicherlich noch verdoppeln könnte.
Die Flüchtlingszahlen sind in den vergangenen Monaten stark zurückgegangen. Deshalb war es an der Zeit, die bestehenden Unterbringungseinrichtungen zu überprüfen und eine angepasste Standortkonzeption zu entwickeln,
sagte der Stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister Thomas Strobl (CDU) in Stuttgart.
Während im gesamten Jahr 2015 rund 98.000 Asylsuchende nach Baden-Württemberg gekommen seien, seien es bis Ende Oktober 2016 nur noch etwa 30.000. Trotz der momentan niedrigeren Zugangszahlen sei ein Wiederanstieg des Flüchtlingszugangs in den kommenden Monaten und Jahren nicht vollkommen auszuschließen. Der Minister:
Wir wollen angesichts der weltweiten Fluchtbewegungen Vorsorge für die Zukunft treffen. Deshalb schaffen wir ein flexibles System, das sich an den konkreten Zugangszahlen orientiert. Wir wollen aber zuvörderst alles dafür tun, dass die Zugangszahlen auf niedrigem Niveau bleiben!
Nun, das hat Herr Strobl nicht in der Hand, weil Baden-Württemberg weder Bundespolitik noch Europapolitik macht. Tatsächlich muss man sich fragen, welche Art von Innenpolitik Herr Strobl macht. Die Kommunen derart alternativlos zu überfahren, ist die Methode “per ordre de Mufti”.
Die Planungen des Innenministers
Zentraler Baustein für die Erstaufnahme von Flüchtlingen in Baden-Württemberg soll auch in Zukunft ein Ankunftszentrum sein, so das Ministerium. Das bestehende Ankunftszentrum soll vorübergehend im Patrick Henry Village in Heidelberg fortgeführt werden. Im Ankunftszentrum wird das gesamte Aufnahmeverfahren von der Registrierung, der Gesundheitsuntersuchung, der Asylantragstellung und Anhörung bis zur endgültigen Entscheidung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gebündelt und beschleunigt durchgeführt.
Von dort aus werden die Flüchtlinge dann weiterverteilt. Der geplante LEA-Neubau in Mannheim ist vom Tisch (Anm. d. Red.: Damit werden unsere dazu bereits berichteten Vermutungen konkret.)
Darüber hinaus ist pro Regierungsbezirk eine Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) vorgesehen. Das Innenministerium plant derzeit mit Karlsruhe, Ellwangen, Sigmaringen und Freiburg (auf dem Gelände der ehemaligen Polizei-Akademie). Alle LEA sollen jeweils alle Bestandteile des Aufnahmeverfahrens abdecken, allerdings mit geringeren Kapazitäten als im Ankunftszentrum.
Ergänzend dazu sollen in Tübingen und Giengen an der Brenz weitere Erstaufnahmeeinrichtungen (EA) – gegebenenfalls im Stand-by-Betrieb – als zusätzliche Unterbringungskapazitäten vorgehalten werden. Diese sind unerlässlich, um ausreichend Vorsorge für besonders hohe Zugangszahlen zu treffen.
Unverständnis auch in Ellwangen
Ab dem Jahr 2020 ständen nach dem vorgelegten Entwurf bis zu 8.000 Plätze bei einer Regelbelegung und bis zu 16.000 Plätze bei einer Maximalbelegung zur Verfügung (Anm. d. Red: In der Hochphase 2015 waren es mit Notunterkünften über 40.000 Plätze). Davon auf das Ankunftszentrum bis zu 3.500 Plätze entfallen, auf die LEA Karlsruhe bis zu 1.000 Plätze, auf die LEA Ellwangen bis zu 700 Plätze, auf die LEA Sigmaringen bis zu 1.250 Plätze, auf die LEA Freiburg bis zu 800 Plätze, auf die EA Giengen bis zu 300 Plätze und auf die EA Tübingen bis zu 250 Plätze.
Das hat mich in Rage gebracht, dass das Regierungspräsidium da Planspiele macht und die Stadt nicht einbezieht,
zitiert die Südwestpresse den Ellwanger Oberbürgermeister Karl Hilsenbek.
Für die gesonderte Unterbringung besonders schutzbedürftiger Flüchtlinge seien insgesamt 500 Plätze im Christian-Griesbach-Haus (gesonderter Standort der LEA Karlsruhe) und in der EA Tübingen geplant. Zusätzlich stehen separate Unterbringungsmöglichkeiten im Ankunftszentrum und in den vier LEA zur Verfügung. Die Unterkünfte werden auf die Erfordernisse der besonders schutzbedürftigen Flüchtlinge ausgerichtet.
Innenministerium geht von kontinuierlich sinkenden Zahlen aus
In den Jahren 2017 bis 2019 solle die Kapazität entsprechend einer vor-sorgenden Standortstrategie in behutsamen Schritten zurückgefahren werden (degressives System). So stehen nach dem derzeitigen Stand der Standortkonzeption im Jahr 2017 rund 18.000 bzw. 31.000 Plätze bei Regel- bzw. Maximalbelegung zur Verfügung, 13.000 bzw. 23.000 Plätze im Jahr 2018 und 12.000 bzw. 22.000 Plätze im Jahr 2019. Derzeit beträgt die Kapazität 34.000 Plätze (ohne Unterscheidung in Regel- und Maximalbelegung).
Die Standorte Sasbachwalden, Hammonds Barracks in Mannheim, Hard-heim, Stuttgart Ehmannstraße, Bad Saulgau, Rottenburg-Ergenzingen, Wertheim, Bleidorn-Kaserne in Ulm und die Leichtbauhallen auf dem Sportplatz der ehemaligen Polizei-Akademie in Freiburg sollen schnellstmöglich aufgegeben werden.
Im Zeitraum zwischen 2017 und 2019 werden noch die Erstaufnahmeeinrichtungen Benjamin Franklin Village in Mannheim (bis Ende 2018, eventuell je nach Bedarf bereits Ende 2017), Villingen-Schwenningen (bis Ende 2017), Meßstetten (bis Ende 2017), Mannheim Industriestraße (bis Ende 2018), Spinelli Barracks in Mannheim (bis Ende 2019), Tompkins Barracks in Schwetzingen (bis Ende 2019) und Donaueschingen (bis Ende 2019) genutzt.
Die vorgesehene LEA in Herrenberg wird nicht realisiert. Ein Umbau der Liegenschaft scheidet aufgrund der hohen Kosten aus. Eine Alternativnutzung wird angestrebt. Auch der geplante Neubau der LEA Schwäbisch Hall auf einer Erweiterungsfläche der Justizvollzugsanstalt wird aufgrund der hohen Kosten endgültig eingestellt. Aufgrund hoher Kosten verzichtet das Land endgültig auf den Neubau der LEA Mannheim in der Ludwig-Jolly-Straße, heißt es in der Pressemitteilung.
Standortkonzept soll noch in diesem Jahr beschlossen werden
„Die Vorschläge des Landes liegen nun auf dem Tisch. Wir haben die Konzeption bereits in zahlreichen Gesprächen mit dem Finanzministerium, dem Wirtschaftsministerium, der Ombudsstelle für Flüchtlinge, den vier Regierungspräsidien, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge besprochen“, erklärte Strobl. „Nun werden wir die Vorschläge in den nächsten Wochen mit den Betroffenen vor Ort besprechen. Es ist unser Ziel, die Standortkonzeption noch in diesem Jahr vom Ministerrat beschließen zu lassen.“
Es bleibt also nur noch wenig Zeit für “die Betroffenen”, sprich Mannheim und die Bevölkerung im Norden oder von Feudenheim/Käfertal. Von den Landtagsabgeordneten aus Mannheim hat man noch nichts zur Sache gehört. Der für Mannheim zuständige CDU-Landtagsabgeordnete fordert Georg Wacker die Verantwortlichen auf, die Stadt Mannheim und ihre Bedürfnisse bei der Standortwahl intensiv einzubeziehen.
Es ist natürlich auffällig, dass mit der Verlagerung des Ankunftszentrums innerhalb der Kurpfalz die Region auch weiterhin den landesweiten Schwerpunkt in der Flüchtlingserstaufnahme bilden wird. Aufgrund der Erfahrungen der vergangenen beiden Jahre und der Bereitschaft der Stadt Mannheim, Standort einer dauerhaften LEA zu werden, gehe ich aber davon aus, dass eine sinnvolle Lösung gefunden werden kann, zumal die aktuell noch extrem hohen Kapazitäten in Mannheim durch die Aufgabe der BEAs auf jeden Fall deutlich reduziert werden.
CDU-Stadtrat und Bundestagskandidat Nikolas Löbel reagierte auch sehr flott und meint:
Damit haben wir den gleichen Effekt wie bei einer LEA und das ist ein Teilerfolg für Mannheim. Wir haben in den letzten Monaten bei der neuen Landesregierung immer auf die besondere Situation Mannheims hingewiesen. Immerhin hat das dafür gesorgt, dass wir keine Zuweisung kommunaler Flüchtlinge bekommen sollen. Das ist eine gute Nachricht für Mannheim. Dass durch die Ansiedlung des zentralen Drehkreuzes auf Coleman die dortigen städtebaulichen Entwicklungspläne auf absehbare Zeit auf Eis gelegt werden, ist mehr aus bedauerlich und leider keine gute Nachricht für den Mannheimer Norden. Hingegen können die Planungen für die städtebaulichen Entwicklungen in den Hammond Barracks und auf Spinelli weitergehen. Auch dieses Ergebnisse für unsere einzelnen Stadtteile können wir mit einem lachenden und einem weinenden Auge betrachten.
Ob die Bürger im Mannheimer Norden das auch so sehen, darf abgewartet werden.