Mannheim/Rhein-Neckar, 22. Dezember 2016. (red/pro) Es gibt verschiedene Szenarien der Unterbringung von Flüchtlingen in Mannheim. Wir stellen Ihnen die aktuelle Situation dar und welche in Zukunft denkbar sind. Dabei ergeben sich Unterszenarien – eine Kombination daraus könnte allerdings der “worste case” sein und der ist nicht utopisch. Was Sie zum bisherigen System und den möglichen Veränderungen wissen müssen, erklärt unser Text.
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Das bisherige System
Das bisherige System der Aufnahme von Flüchtlingen ist dreigliedrig: Flüchtlinge, die neu ankommen, werden einer Landeserstaufnahmeeinrichtung zugewiesen. Hier verbleiben sie einige Monate, bis die Formalitäten geklärt sind. Danach werden sie an die Stadt- und Landkreise nach Königsteiner Schlüssel in die “vorläufige Unterbringung” verteilt. Hier verbleiben sie bis zu zwei Jahre. In dieser Zeit soll über den Asylantrag entschieden sein. In dieser Zeit ist das Land der Kostenträger – aber die Kreise müssen die Verwaltungskosten übernehmen.
Mit einem positiven Bescheid oder einer Duldung oder wenn nach zwei Jahren noch nicht entschieden ist, werden sie auf die Kommunen zur “Anschlussunterbringung” verteilt – Kostenträger werden die Kommunen. Personen mit abgelehnten Bescheiden werden geduldet und/oder abgeschoben.
Aber: Je nach Status, können manche sich selbst aussuchen, wo sie leben möchten. Und viele zieht es von den kleinen Gemeinden in die Städte. Um dies einzuschränken gibt es seit einiger Zeit die “Wohnsitzauflage” – soziale Leistungen sind nur dort zu erhalten.
Szenario 1 (alt)
Bis vor einem Jahr schien die Sache klar: Mannheimer erhält eine eigene Landeserstaufnahmeeinrichtung mit bis zu 1.000 Personen und damit auch das Privileg, als Stadtkreis keine Flüchtlinge zugewiesen zu bekommen. Aktuell wird dafür noch ein Gebäude in der Industriestraße/Pyramidenstraße genutzt. Doch das ist baulich nicht mehr geeignet – dafür sollte es in der Ludwig-Jolly-Straße einen Neubau geben. Doch bereits im Frühjahr war klar, dass das Land diese Planung nicht mehr unterstützt – angeblich ist der Bau zu teuer.
Gleichzeitig wurden mit dem enormen Zuwachs an Flüchtlingen ab Sommer 2015 die Kasernengelände mit teils bis zu 15.000 Flüchtlingen gefüllt, in der Spitze sogar bis 20.000. Aktuell sind Standorte wie Hammonds Barracks für die Unterbringung geschlossen und es befinden sich noch schwankend zwischen zwei- bis viertausend Flüchtlinge im Columbus-Quartier auf Benjamin Franklin Village sowie Spinelli Barracks.
Beide Standorte sind aber verplant – Columbus als Gewerbestandort, Spinelli für Buga23, dann Grünzug mit Wohnbebauung an den Rändern. Auf Franklin hat das Land nur noch begrenzt Zugriff – ab 1. Januar 2018 gehört das Gelände der Stadt Mannheim. Für Spinelli liegt die Zusage vor, dass die Stadt das Gelände erwerben kann, aber das Land hat das zwar zugesagt, aber noch nicht freigegeben – bei “höheren” Interessen könnte es die Fläche immer noch für sich beanspruchen.
In Heidelberg wurden Teile von Patrick Henry Village (PHV) mit teils über 6.000 Flüchtlingen belegt. Dann wurde dort eine Zentrale Registrierungsstelle eingerichtet, deren Konzeption schnell als bundesweites Vorbild galt. Bis zu 600 Flüchtlinge am Tag sollten hier “abgefertigt” werden, um diese innerhalb weniger Tage auf andere Standorte zu verteilen, nachdem Registrierung, Gesundheitscheck und Asylantrag erledigt worden sind.
Dieses ökonomisch effiziente System soll erhalten bleiben – aber nicht auf PHV, denn Heidelberg will das Gelände entwickeln. Das Land hat mit der Stadt einen Vertrag geschlossen, der Ende April 2017 ausläuft. Eigentlich müsste dann die Unterbringung auf PHV vorbei sein. Als sicher gilt, dass es vorerst bei der Nutzung bleibt, allerdings nur bis 2019, spätestens 2020. Dann soll die ZRS umgesiedelt werden, nur wohin?
Man braucht einen geeigneten Standort – also Fläche. Das Land hat Mitte November bekannt gegeben, dass man dafür die aktuell noch von der US-Army genutzte Fläche Coleman Barraks in Anspruch nehmen will. Wenn die Fläche nicht frei werden sollte Spinelli Barracks oder Tompkins Barracks auf Schwetzinger Gemarkung, doch die ist eigentlich zu klein und wird von Schwetzingen ebenfalls als Wohnbauerweiterungsfläche dringend gebraucht.
Da die Planungen auf Spinelli weiter fortgeschritten sind als PHV oder Tompkins und bereits erhebliche Investitionen getätigt wurden und Förderzusagen für Buga23 und Grünzug durch das Land vorliegen, verbleibt nur noch Coleman Barracks – sofern die US-Army abzieht. Dies könnte bis 2020 der Fall sein, womit ein Umzug der ZRS möglich wäre. Da Mannheim bereits zwei Flächen entwickelt und Schwetzingen und Heidelberg nur je eine, könnte Mannheim mit diesem Argument der schwarze Peter zufallen.
Der Grundplan für ein neues System
Innenminister Thomas Strobl (CDU) hat einen neuen Begriff erfunden: “Ankunftszentrum”. Dies soll nach ersten Informationen wie die ZRS auf PHV funktionieren. Doch das ist nur eine erste Information. Die grün-schwarze Landesregierung will das “LEA”-System nämlich neu aufstellen:
Neben dem Ankunftszentrum sind derzeit Landeserstaufnahmeeinrichtungen in Karlsruhe, Ellwangen, Sigmaringen und Freiburg (auf dem Gelände der ehemaligen Polizei-Akademie) vorgesehen. Alle LEAs sollen genauso wie das Ankunftszentrum jeweils alle Bestandteile des Aufnahmeverfahrens abdecken, allerdings mit geringeren Kapazitäten als im Ankunftszentrum. Ergänzend dazu sollen in Tübingen und Giengen an der Brenz weitere Erstaufnahmeeinrichtungen (EA) – gegebenenfalls im Stand-by-Betrieb – als zusätzliche Unterbringungskapazitäten vorgehalten werden.
Insgesamt soll die Zahl der Plätze in der Erstaufnahme bis zum Jahr 2020 von derzeit 34.000 Plätze auf 8.000 bei Regelbelegung beziehungsweise 16.000 Plätze bei Maximalbelegung zurückgefahren werden. Zum Vergleich: In der Hochphase 2015/2016 waren es 42.000 Plätze.
Szenario 2
Alle mit dem Thema befassten Personen gehen davon aus, dass Innenminister Strobl Coleman fest im Blick hat. Hier soll ein “Ankunftszentrum” für bis zu 3.500 Personen entstehen. Der erste Fehler dieses neuen Begriffs ist die Abkürzung “AKZ” – ein “KZ” ist die denkbar ungünstigste Kurzform.
Das Gelände ist an das Gleis der Bahn angeschlossen – bereits in der Hochphase der Flüchtlingszugänge wurde der Bahnhof Mannheim als “Verteilzentrum” genutzt. Nun könnte man Flüchtlinge per Zug direkt auf Coleman abliefern, hier registrieren und dann weiterverteilen.
Ankunftszentrum und/oder Abschiebezentrum
Hier würde ein ZRS eingerichtet, in dem die meisten Asylbewerber ankommen und binnen weniger Tage, höchstens zwei Wochen entweder gleich in die vorläufige Unterbringung der Stadt- und Landkreise kommen oder in andere LEA-Einrichtungen. Das ist Szenario 2a.
Die Befürchtung: Das Ankunftszentrum auf Coleman könnte auch ein “Abschiebezentrum” sein. Dass diese Pläne existieren, haben wir andeutungsweise erfahren. Denn auf Coleman gibt es ein ehemaliges Gefängnis der US-amerikanischen Militärpolizei. Dies könnte man zu einem Abschiebeknast umfunktionieren. Das wäre Szenario 2b.
Wer rechnen kann, ist im Vorteil: Wenn also “bis zu” 3.500 Personen hier untergebracht würden und die ZRS “bis zu” 600 Personen am Tag “behandeln” kann, wäre die “Höchstzahl” nach spätestens einer Woche abgearbeitet und das Ankunftszentrum leer. Den Neuzugänge in Höhe von 4 * 3.500 = 14.000 Personen gab es noch nicht mal in der vergangenen Hochphase. Dieser Standort ist also schon auf den ersten Blick zu überdimensioniert für das Ziel von 8.000 Plätzen auf verschiedene Standorte verteilt – selbst 16.000 Plätze bei “Maximalbelegung” wären nach 27 Wochen abgearbeitet, wenn nur das Ankunftszentrum dafür zuständig wäre – es soll ja aber auch in den anderen Einrichtungen “Bearbeitungsstraßen” geben.
Ein Abschiebezentrum will aber in Mannheim niemand. Doch es kommt noch schlechter.
Szenario 3
Stellen wir uns vor, es gibt erhebliche Widerstände, “die Amis” ziehen nicht ab, Spinelli kann nicht genutzt werden, Tompkins und PHV auch nicht – dann braucht das Land für das aktuelle Konzept eine Alternative, die wo auch immer gefunden wird.
Damit fiele für Mannheim das “LEA”-Privileg letztgültig weg. Die Stadt würde also wie alle Stadt- und Landkreise Flüchtlinge für die vorläufige Unterbringung zugewiesen bekommen. Das wären nach den aktuellen Zahlen von rund 30.000 Personen im Jahr anteilig knapp 1.000 Flüchtlinge jährlich.
Zwar müsste das Land für die Unterkunft und Versorgung gerade stehen, aber die Menschen müssten untergebracht werden. Damit müssten Standorte gefunden werden, wo die Menschen in Einfachbauweise (Container) untergebracht würden. Bei der Verteilung auf die Stadtteile kommen gewisse Stadtteile wie die Neckarstadt-West und Jungbusch nicht in Frage – erstens, weil sie verdichtet sind, zweitens, weil hier schon bis zu 15.000 Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien leben. Da kann man nicht noch weitere Ausländer obendrauf packen. Also bekämen andere Stadtteile mehr.
2,4 Millionen Euro Kosten – jährlich
Dazu würden nochmals gut 500 Flüchtlinge pro Jahr für die Anschlussunterbringung kommen – also in Summe 1.500 Personen jedes Jahr. Die Menschen in der Anschlussunterbringung fallen direkt auf die “Tasche” von Mannheim. Rechnet man den Wohnbedarf für die vorläufige Unterbringung nach dem neuen gesetzlichen Standard von sieben Quadratmetern pro Person, müssen also für die rund 1.000 Personen insgesamt 7.000 Quadratmeter vorhandener Wohn- und Nutzraum Verwendung finden oder neuer gefunden werden. Der neue gesetzliche Standard wurde “ausgesetzt” – aber wie lange? Und selbst, wenn das auf lange Zeit so wäre, reden wir über mindestens 3.500 Quadratmeter. Darunter geht nichts.
Für die Anschlussunterbringung gilt das nicht. Als einigermaßen “menschenwürdig” gelten zehn Quadratmeter pro Person. Bei jährlich 500 Personen (5 teilen sich eine 50 Quadratmeter-Wohnung), wären das also jährlich 5.000 Quadratmeter Wohnraumbedarf bei allen sonstigen zu tragenden Kosten.
Für die Stadt Mannheim sind das enorme Kosten. Die genauen Kosten kann man nicht berechnen. Nimmt man eine 50 Quadratmeterwohnung mit 500 Euro warm an, plus 300 Euro pro Kopf (zwei Erwachsene, drei Kinder) an, sind das 1.500 Euro Sozialkosten. Macht 200.000 Euro pro Monat oder 2,4 Millionen Euro pro Jahr für diesen Personenkreis. Verwaltungskosten und solche für Sozialarbeit, Kita-Plätze, Schulen und so weiter nicht gerechnet.
Szenario 4
Es kann noch härter kommen. Szenario 2a und Szenario 3 kommen zusammen. Das heißt, es gibt ein “Ankunftszentrum” und trotzdem eine Zuweisung an die Stadt Mannheim als Stadtkreis und als Kommune. Das wäre der “bad case”. Die Stadt hat die Belastung durch ein Ankunftszentrum, plus vorläufige Unterbringung plus enorme Kosten für die Anschlussunterbringung.
Der “worst case” = Szenario 2b + Szenario 4
Sie denken, es geht nicht heftiger? Geht doch. Der “worst case” ist eine Kombination aus Szenario 2b und Szenario 4. Ankunftszentrum + Abschiebezentrum + vorläufige Unterbringung + Anschlussunterbringung.
In Summe also bis zu 3.500 Flüchtlinge im “Ankunftszentrum” plus jährlich rund 1.000 Personen in der vorläufigen Unterbringung ergeben eine dauerhafte “Durchlauf”-Menge von 4.500 Personen.
Dazu kommen Jahr für Jahr 500 weitere Menschen in der Anschlussunterbringung.
Szenario 5
Die vorab geschilderten Szenarien treffen nicht ein. Die Landesregierung schwenkt um und verteilt nicht wie bislang rund 70 Prozent der Flüchtlinge auf Nordbaden und den Rest tröpfchenweise im Land, sondern sorgt für eine “gerechte” dezentrale Verteilung.
Doch daran glaubt niemand.