Mannheim/Rhein-Neckar, 08. Dezember 2016. (red/pro) Hannes Greiling, Vorsitzender der Deutsch-isralischen Gesellschaft Rhein-Neckar e.V., wirft dem verantwortlichen Redakteur von Rheinneckarblog, Hardy Prothmann, eine Verrohung der Sprache und die Verharmlosung der Verbrechen der Nazis vor. Wir halten diese propagandistisch-ideologische Stigmatisierung für unerträglich und werten solche „Urteile“ als klaren Angriff auf einen unabhängigen, diskursiven Journalismus, der zur Meinungsbildung der Öffentlichkeit beiträgt. Eine offene, demokratische Gesellschaft braucht Debatte und keine Sprach- oder Gedankenpolizei.
Anm. d. Red.: Auf den Kommentar von Herrn Hannes Greiling hatte Hardy Prothmann zunächst im Kommentarbereich geantwortet. Da wir sehr viele Rückmeldungen erhalten, dokumentieren wir sowohl den Kommentar von Herrn Greiling als auch die Antwort von Hardy Prothmann als eigenen Artikeltext. Beide Kommentare beziehen sich auf den sehr gut gelesenen Text (über 15.000 Aufrufe bis heute): „Bekommt Mannheim ein Konzentrationslager?“ Im Artikel geht es um Pläne, auf Coleman ein Flüchtlingslager für 3.500 Personen zu errichten.
Herr Greiling und die Deutsch-israelische Gesellschaft (DIG) erhalten von Hardy Prothmann eine unmissverständliche Einordnung in Sachen „Nazi-Vokabular“ und diskursiver Auseinandersetzung mit wichtigen Themen zur Zeit. Herr Greiling und die Deutsch-israelische Gesellschaft sind zur Debatte aufgefordert, insbesondere Herr Greiling ist aufgerufen, sich öffentlich für diese unerträgliche Zuweisung zu entschuldigen. Denn wer die Opfer des Nationalsozialismus willentlich instrumentalisiert, um eine inhaltliche Debatte um die aktuelle Behandlung von Opfern von Krieg, Verfolgung und Vertreibung zu verhindern, verhält sich nicht verantwortlich, sondern beschämend. Herr Greiling mag sich „nicht offiziell“ für die DIG geäußert haben, er ist aber deren Vorsitzender und Äußerungen im öffentlichen Raum müssen seiner Funktion zugemessen werden. Die DIG darf uns jederzeit zu einer diskursiven, öffentlichen Debatte einladen.
Dokumentation
Kommentar, Hannes Greiling, 06. Dezember, 17:22 Uhr
Hallo Herr Prothmann,
Ihre Beispiele zeigen gerade, dass Sie anscheinend den Kern der Kritik an der Verwendung des Begriffes nicht verstehen. Dass manches KZ direkt nach dem Krieg weiter als Gefangenenlager genutzt wurde, ist unbestritten. Niemand nannte diese Lager aber Konzentrationslager.
In Konzentrationslager wurden im Dritten Reich zunächst politische Gegner, später Juden und andere „Minderwertige“ unter menschenunwürdigen Verhältnissen gefangen gehalten und ermordet. Sie werden hoffentlich weder den Siegermächten des 2. Weltkriegs noch den heute gewählten Politikern unterstellen, dass sie inhaftierte ermorden möchten oder den Tod zumindest in Kauf nehmen wollen. Sie verharmlosen deshalb mit ihrer Wortwahl die Verbrechen der Nazis.
Sie haben vor wenigen Tagen ein Interview mit Frau Prof. Kämper veröffentlicht über die Verrohung der deutschen Sprache in der heutigen Zeit. Sie kritisiert genau das, was Sie in diesem Artikel machen.
Kommentar als Antwort an Herrn Greiling, 06. Dezember, 20:45 Uhr
Sehr geehrter Herr Greiling,
der Begriff der Konzentrationslager wurde bereits vor den Nazis verwendet und diese Lager werden auch in der wissenschaftlichen Forschung heute noch so genannt. Dazu empfehle ich Ihnen einen Text in der FAZ:
http://www.faz.net/aktuell/pol…
Auch die Lager des Gulag nannte man unter anderem Konzentrationslager:
https://de.wikipedia.org/wiki/…
Zu den Siegermächten gehörte auch die Sowjetunion. In Dachau starben mehrere tausend Menschen – nach dem zweiten Weltkrieg. Es wurde nicht mehr Konzentrationslager genannt, hatte aber im Kern dieselbe Funktion und Wirkung. Internierung von Menschen, wobei es zu Tötungen oder Todesfällen durch andere Ursachen kam. In früheren Jugoslawien starben Zehntausende in „Internierungslagern“, ebenso in der Sowjetunion.
Sie verweisen auf das Interview mit Frau Prof. Dr. Kämper, das unsere Mitarbeiterin Christin Rudolph geführt hat. Dieses wurde von mir in Auftrag gegeben. Ich bin ebenso wie Frau Kämper Germanist und kann einen 1,0-Abschluss vorweisen.
Wir thematisieren immer wieder sprachliche Phänomene – lange vor der Debatte über die Verrohung der Sprache, wie sie aktuell geführt wird. Ein Beispiel:
https://rheinneckarblog.de/06/…
Es gibt an keiner Stelle im Text eine Verharmlosung der Verbrechen der Nazis, ganz im Gegenteil werden deren Konzentrationslager eindeutig als Vernichtungslager bezeichnet. Ich lasse mir weder von Ihnen noch der Deutsch-israelischen Gesellschaft noch sonstwem eine Verharmlosung der Nazi-Verbrechen unterstellen.
In meiner Berichterstattung finden Sie immer wieder – an geeigneter Stelle – das klare Bekenntnis zur historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber den Opfern und als Nachfolgestaat dieses Verbrecherregimes. Aber ich lasse mir von niemandem einen Schuldkomplex aufzwingen.
Sie, Herr Greiling, wollen eine Deutungshoheit erreichen, die Ihnen nicht zusteht. Sie haben genau das im Kern nicht verstanden, was die Verwendung des Begriffs Konzentrationslager im Zusammenhang mit der neuen Ausrichtung der Flüchtlingsunterbringung in Baden-Württemberg erreichen soll und was explizit im Text thematisiert wird – eine Auseinandersetzung mit der Form der Unterbringung. Dabei werden mit harten Fakten Hintergründe eingearbeitet und in Zusammenhänge gebracht – jedoch nicht in den absolut eindimensionalen, den Sie erkennen wollen.
Weiter wird explizit die „Provokation“ thematisiert, die das Wort Konzentrationslager auslöst. Diese Provokation soll diesen Begriff aber weder verharmlosen noch in Bezug auf Konzentrationslager in der Zeit 1933-45 umdeuten – deswegen steht im Text auch eindeutig der Zweck der Nazi-Konzentrationslager als Vernichtungslager. Gleichwohl soll diese Provokation Leser des Textes „herausfordern“, sich mit der Sache auseinanderzusetzen. Das Wort „Ankunftszentrum“ ist dafür genau nicht geeignet, denn das klingt wie der Beginn eines Wellness-Ausflugs und ist im Zusammenhang betrachtet einfach nur zynisch.
Einzelne Worte, Herr Greiling, sind meist vollständig ungeeignet, um eine eindeutige sinnzusammenhängende Aussage zu formulieren. Kennen Sie das Wort „Sonderbehandlung“? Erkennen Sie es als Nazi-Wort? Dann gucken Sie bitte, was eine Suchmaschinensuche Ihnen präsentieren wird:
https://www.google.de/webhp?so…
Alles Verroher? Alles Verharmloser?
„Soziale Gerechtigkeit ist nicht vereinbar mit Bonusmeilen, Privilegien oder einer irgend gearteten Sonderbehandlung“, so Görke. In diesem Zitat kommt zur Sonderbehandlung sogar noch die „geartete“ hinzu.
http://www.svz.de/regionales/b…
„Es wird für kein Land eine Sonderbehandlung geben“
http://www.deutschlandfunk.de/…
Erkennen Sie den gewaltigen Unterschied zwischen den Aussagen einer linken Politikerin, dem Chef des CDU-Kanzleramts und meinem Text? Mir ist die Bedeutung eines von den Nazis verwendeten Begriffs durchaus nicht nur geläufig, sondern ich binde ihn in einen diskursiven Zusammenhang ein, während landauf, landab Leute, die es besser wissen sollten, mit von Nazis extrem belasteten Worten hantieren.
Finden Sie an dem Wort „Mädel“ irgendetwas „verharmlosend“? Läuft es Ihnen eiskalt den Rücken hinunter, wenn Sie eine Frau zu anderen Frauen sagen hören: „Auf gehts, Mädels?“ Nein? Der „Bund deutscher Mädel“ war die größte Organisation junger Frauen weltweit – in der Nazizeit. Heute gibt es einen Kinofilm „Mädelsabend“ – es ist ein vollständig unverfänglich gebrauchtes Wort.
Kennen Sie den Begriff der „Mischehe“? Nazi-belastet und immer noch absolut gebräuchlich, insbesondere in konfessionellen Kreisen:
http://www1.wdr.de/stichtag/st…
Haben n-tv und/oder Porsche ein Nazi-Problem? Der Begriff „ausmerzen“ stand in Nazi-Deutschland für die absolute Ausrottung von Menschen.
http://www.n-tv.de/auto/Porsch…
Haben wir im Schulsystem ein Nazi-Problem, weil selektiert wird? Die Rassenselektion – ein Nazi-Begriff. Dürfen wir nun auch nicht mehr von Auswahl sprechen?
http://www.tagesspiegel.de/wis…
Kaum ein Wort dürfte belasteter sein als Führer. Ich telefoniere häufig mit dem Polizeiführer vom Dienst, führe Interviews mit Führungspersönlichkeiten oder Mannschaftsführern, lassen mich mit der Bahn von einem Zugführer oder Triebwagenführer transportieren, im Urlaub gucke ich in den Reiseführer und im Museum folge ich dem Ausstellungsführer, manchmal auch der Führerin durch die Ausstellung.
Und von wem ich mich privat wie verführen lassen, geht Sie nichts an.
Menschen, die sich abwertend gegenüber anderen verhalten, die Umwelt verschmutzen, rumpöbeln, sprich sich so richtig daneben benehmen, bezeichne ich als Asoziale – auch ein Lieblingswort der Nazis.
Ich schreibe über Volksparteien, über Volksentscheide und ich war auch schon Besitzer eines Volkswagens. Ich setze mich für die Völkerverständigung ein und habe in meiner Jugend gerne Völkerball gespielt. Alles, was mit Volk zu tun hat, ist durch die Nazis missbraucht worden. Es gibt Leute, die lieben Volksmusik.
Wenn Menschen in großen Massen von politischen Kräften in Lagern konzentriert werden, spreche ich auch weiterhin von Konzentrationslagern.
Dieses Wort ist lange vor den Nazis entstanden und hat im Zusammenhang mit den Nazis eine eindeutige Konnotation.
Insbesondere in Afrika und im Nahen Osten gibt es Lager, in denen Menschen unter unwürdigsten Bedingungen leben müssen – auch diese Lager sind für mich Konzentrationslager. Flüchtlingslager beschreibt nicht ansatzweise die Menschenverachtung, die mit diesen Lagern einhergeht.
Ebenso wie in der Wissenschaft von kolonialistischen Konzentrationslagern gesprochen wird, wäre die Bezeichnung nationalistisches Konzentrationslager eine zutreffende und hinreichend eindeutige Nutzung dieses Begriffs, der eine klare Eindeutigkeit und Abgrenzung ermöglichen würde. Desgleichen könnte man von sowjetischen, jugoslawischen, koreanischen usw. Konzentrationslagern sprechen und ebenso von Guatanamo als us-amerikanischem Konzentrationslager.
Die Entgeiselung und Enttabuisierung dieses Begriffs durch eine Präzisierung würde das Wort befreien, um alle Orte, an denen Menschen gegen ihren Willen konzentriert werden, eben genau als das zu bezeichnen, was sie sind: Konzentrationslager.
Und selbstverständlich bin ich der Auffassung, dass, wer als gewählter und mit Handlungsmacht ausgestatteter deutscher Politiker plant, in großer Zahl Menschen erst zu konzentrieren und sie dann beispielsweise nach Afghanistan zurückzuschicken, den Tod dieser Menschen billigend in Kauf nimmt.
Das Auswärtige Amt schließt seine Vertretung im Norden des Landes und welche Reiseempfehlungen das AA gibt, können Sie hier nachlesen:
http://www.auswaertiges-amt.de…
Und hier im Bild ein Bericht der Deutschen Welle aus dem Sommer:
http://www.dw.com/de/immer-meh…
Wenn Sie nun inhaltlich etwas zur Erwiderung oder Erweiterung der Debatte beitragen wollen, Herr Greiling, bin ich auf Ihre argumentative Antwort gespannt. Auf ideologische Diffamierungen kann ich dankend verzichten.
Mit freundlichen Grüßen
Hardy Prothmann
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