Mannheim/Rhein-Neckar, 05. Dezember 2016. (red/cr) Ob in sozialen Netzwerken, unter Politikern oder bei öffentlichen Veranstaltungen – es hat sich etwas verändert. Im Sprachgebrauch. Ein Umgangston fällt auf, der früher so nicht üblich war. Rauer. Schärfer. Verroht unser Sprachgebrauch? Besteht in ein paar Jahren unsere Kommunikation nur noch aus Großbuchstaben und Ausrufezeichen? Prof. Dr. Heidrun Kämper ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Deutsche Sprache und SPD-Stadträtin. Im Interview spricht sie über ihre Beobachtungen, von Trump über Gewalt und Sprache bis zum „digitalen Stammtisch“.
Interview: Christin Rudolph
Frau Kämper, Sie sind Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Lexik am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim und forschen im Bereich „Sprachliche Umbrüche“. Kann man aktuell einen sprachlichen Umbruch beobachten?
Prof. Dr. Heidrun Kämper: Wenn ich von sprachlichen Umbrüchen spreche, sind das Ereignisse im 20. Jahrhundert – also bereits historische. Daher kann man jetzt, sozusagen “mittendrin” noch nicht von einem sprachlichen Umbruch sprechen. Was ich aber bemerke, ist, dass der sprachliche Ausdruck im politischen Diskurs sich verändert hat. Der Ton ist schärfer geworden.
Ist das eine globale Entwicklung?
Kämper: Es ist ein Phänomen, das weite Kreise zieht. Beispiele sind der Brexit beziehungsweise seine Befürworter und Trump: Trump hat Begeisterungsstürme ausgelöst und ist schließlich gewählt worden. Der Brexit ist auch eingetreten.
Gibt es einen Zusammenhang zwischen sprachlicher und körperlicher Gewalt? Was unterscheidet die beiden Formen?
Kämper: Sprachliche und körperliche Gewalt hängen miteinander zusammen. Verbale Gewalt unterscheidet sich von körperlicher Gewalt, verletzt aber auch. Wer körperliche Gewalt ausübt, “trainiert” das vorher sozusagen durch verbale Gewalt. Das ist zwar keine Voraussetzung, es besteht jedoch ein enger Zusammenhang, auch umgekehrt von körperlicher zu sprachlicher Gewalt. Der Schritt ist nicht mehr so groß von dem Einen zum Anderen.
Stammtische sind heute öffentlich
Wie erkennt man Gewaltbereitschaft in der Sprache?
Kämper: Sprache hat ein großes Potential – man kann sehr viel Verschiedenes damit machen. Und diese Potential wird genutzt. Von Menschen die aggressiv sind und von Menschen die friedlich sind. Die Wahrnehmung aggressiver Sprachelemente ist dadurch bedingt, dass wir inzwischen viel größere Möglichkeiten haben diese wahrzunehmen als früher. Es gibt dieses Bild vom virtuellen Stammtisch – ich denke, dieses Bild trifft zu. Heutzutage ist das Stammtisch-Gerede öffentlich zugänglich in sozialen Netzwerken. Das fordert diejenigen mit der gleichen Meinung heraus, zu kommentieren und die Meinung zu bestätigen. Das birgt die Gefahr, dass sich die Aggressionen potenzieren.
Im Zusammenhang mit Hetze werden immer wieder soziale Medien erwähnt. Warum sind Menschen besonders in sozialen Netzwerken eher bereit, gewalterfüllte Sprache zu verwenden als im Alltag?
Kämper: Dazu gibt es interessante Versuche. Bei einem etwa wurden Menschen mit weißer Haut Menschen mit schwarzer Haut gegenüber gesetzt. Die Weißen sollten ihr Gegenüber mit rassistischen Stereotypen konfrontieren. Das haben die Versuchspersonen nicht geschafft. Denn es ist leichter, etwas Gewalttätiges zu schreiben, vor allem, wenn man die Personen, über die man schreibt, nicht sieht.
Denken Sie, dass soziale Netzwerke die Entwicklung von Sprache beschleunigen?
Kämper: Dass neue Medien ihre eigene Sprache haben, haben Kollegen bereits ausführlich beschrieben. Eine Prognose kann man, wie gesagt, noch nicht machen. Aber was ich feststelle, ist eine besondere Sensibilität der Medien dazu. Ich gebe in letzter Zeit viele Interviews wie diese. Darin drückt sich ein Gespür für Veränderung aus. Noch sehe ich keine Gefahr, weil dieses Korrektiv funktioniert.
Die einen frustriert, die anderen empört
Warum verwenden Menschen rohe Sprache? Kann sie als psychologische Reinigung, als Ventil für den Sprecher dienen?
Kämper: Sprachgebrauch ist immer auch ein Ventil. Wir wissen zum Beispiel, dass die Menschen die der AfD und Pegida hinterherlaufen, frustriert sind.
Wir als Redaktion stellen sowohl rechts als auch links im politischen Spektrum eine Verrohung der Sprache fest. Was sagt die Benutzung roher oder grober Sprache über den oder die Sprecher aus?
Kämper: Bei linker Aggression ist es ein Stück weit Empörung über das, was aktuell politisch passiert. Zum Beispiel als Sigmar Gabriel Pegida “Pack” nannte, geschah das aus Ärger. Sicher hat der scharfe Ton in der Politik auch etwas damit zu tun, dass man sich vom politischen Gegner abgrenzt – aber das ist ja kein neues Phänomen.
Gibt es Möglichkeiten, bewusst auf den Sprachgebrauch einzuwirken oder entwickelt sich der unabhängig von gesteuerter Einflussnahme?
Kämper: Es ist sehr schwer den einmal festgesetzten Sprachgebrauch zu verändern. Die Sprachgemeinschaft ist ein Souverän, der sich entscheidet wie er spricht und welche Worte er verwendet. Wichtig ist die Aufklärung über das, was gerade passiert. Zum Beispiel Frauke Petrys Versuch, das Wort “völkisch” wieder zu etablieren – da gilt es Leuten zu vermitteln, was der Begriff eigentlich bedeutet. Aber am Ende entscheidet die Sprachgemeinschaft.
Wie reagiert man auf einen solchen Sprachgebrauch? Sollte man versuchen, neutrales und sachliches Sprechen entgegenzusetzen oder sind „Hopfen und Malz verloren“?
Kämper: Auf jeden Fall sollte man immer sachbezogen bleiben. Und den kategorischen Imperativ sprachlich anwenden: Man sollte so sprechen, wie man auch angesprochen werden möchte. Wir können ja nicht das selbe Muster anwenden wollen wie die, die wir kritisieren.