Ludwigshafen, 06. März 2017. (red/cr) Die Tanzregisseurin Helena Waldmann überschreitet oft Grenzen – Landesgrenzen bei ihrer internationalen Arbeit und die Grenzen zwischen Tanz, Theater und Performance. Doch nicht jeder ist so frei wie sie, wie Menschen mit “guten” Pässen. Nicht jeder kann sich frei bewegen. Und nicht jeder kann mit jedem kommunizieren – denn wo ist die gemeinsame Sprache zwischen Deutsch und Englisch, zwischen Tanz und Akrobatik, zwischen Profis und Laien, Krach und Klassik? Mit einer außergewöhnlichen Besetzung wagt sich das Stück “Gute Pässe Schlechte Pässe – Eine Grenzerfahrung” an Grenzen des Klangs, der Bühne und in Köpfen.
Von Christin Rudolph
Ich habe den besten Pass. Ich kann in 178 Staaten ohne Visum oder mit Visum on arrival reisen. Meine Kollegen aus anderen Ländern werden an den Grenzen erniedrigt. Das ist eine ungerechte Behandlung. Jeder hat ein Recht auf Bewegungsfreiheit. Das Zumachen von Grenzen und in den Köpfen, das ist der Tod.
Helena Waldmann arbeitet als Tanzregisseurin international. Sie überquert oft Grenzen, die von Staaten und theatrale. Genau wie viele andere Menschen auch hat sie vor etwa eineinhalb Jahren innegehalten und sich Gedanken gemacht.
Gedanken, als die Anzahl der neuankommenden Geflüchteten in Deutschland immer größer wurde und als Reaktion darauf auch der Zulauf für Nationalisten wuchs.
Sie erschreckte sich vor dem wiedererstarkten Nationalismus. Sie begann intensiv darüber nachzudenken, warum ihr Pass so “gut” ist und der von Kollegen aus anderen Ländern so “schlecht”. Warum an Ländergrenzen eine Gruppe plötzlich geteilt wird anhand dieses Papieres.
Kulturen nebeneinander, miteinander, durcheinander
Damals entstand die Idee zu dem Stück “Gute Pässe Schlechte Pässe – Eine Grenzerfahrung”. Schon beim Besuch der Proben lässt sich erahnen – Grenzerfahrungen machen nicht nur die Zuschauer des Stückes.
Vier Tänzer treffen auf drei Artisten. Beide Gruppen nutzen ihre Körper als künstlerische Medien und doch sind sie grundverschieden. Links ein lautes “Tadaaaa!” und eine Pose, rechts eine elegante Verbeugung. Auf der einen Seite Energie und Spannung, auf der anderen Seite minimalistischer Ausdruck.
Zwei Probensysteme, zwei Selbstverständnisse, zwei Kulturen nebeneinander. Man teilt sich eine Bühne mit den Fremden, mit dem Fremden. Wie soll man kommunizieren, wenn die einen ganz andere Vokabeln benutzen als die anderen? Eine andere Sprache sprechen?
Mauer aus Menschen
Und als wäre das nicht genug, als würde eine Grenze nicht reichen, als wäre nicht schon genug Bewegung auf der Bühne, gibt es da noch die Mauer. Um die 20 Menschen. “Ganz normale” Leute aus der Umgebung, die Aufrufen gefolgt sind, Teil des Stückes zu werden.
Laien, die wenig bis keine Erfahrung haben mit der Welt der Tänzer oder der der Artisten. Sie treffen auf der Bühne zum ersten Mal aufeinander und auf die Mitwirkenden der Produktion. Eine Herausforderung auch für die Regisseurin. Frau Waldmann erklärte, in jeder Stadt müsse man sich herantasten, wie man mit den Freiwilligen umgeht.
Es ist eine große Umstellung.
Was kann man erwarten, was nicht? Wie muss man mit den “Leuten von der Straße” umgehen? Wie gibt man Anweisungen, die alle drei Gruppen verstehen? Bei dieser Konstellation braucht es keine Geschichte in die die Menschen hineingepasst werden. Ihre Zusammenarbeit trotz ihrer Verschiedenheit, individuell und in den Gruppen, ist Spannung genug.
Von Krach bis Wagner
Diese Spannung überträgt sich auch auf den Klang. Wer festgelegt ist auf ein Tanzstück nach dem Schema “Da spielt Musik und zu der wird getanzt”, der sollte sich eine andere Inszenierung suchen. In diesem Stück erklingen Sprache, Krach, imposante Orchesterwerke, minimalistische Musik und in Abwesenheit der Musik Bewegung.
Was der offene Zuschauer vermissen mag, ist Struktur. Die Klarheit, warum Szenen und Bilder aufeinander folgen. Ungleichgewichte werden nicht aufgelöst. Starke Standbilder, durchdachte Bildkompositionen und bewegende Szenen folgen aufeinander, aber in welcher Beziehung?
Am Ende steht kein zufriedenes In-sich-ruhen. Kein Zusammenführen zu einem Gesamtbild. Die Bewegung setzt sich fort, wie in einem Meer, in dem die ständige Begewegung kein Spiegelbild zulässt. Wenn die Realität auf die Bühne schwappt gibt es vielleicht kein Ende.
Die Uraufführung von “Gute Pässe Schlechte Pässe – Eine Grenzerfahrung” fand am 04. März im Theater im Pfalzbau in Ludwigshafen statt. Danach geht die Produktion auf Tour.