Rhein-Neckar, 05. Dezember 2016. (red/pro) Die Tagesschau tut es, Spiegel online tut es, die Welt tut es, die Süddeutsche tut es, die Bild tut es – fast alle tun es. Fast minütlich wird irgendeine “Nachricht” mit Zitat-Häppchen rausgehauen. Besonders beliebt: Trump hat xy getwittert. Das hat nichts mit Journalismus zu tun, sondern ist billigstes Clickbaiting, um den Traffic anzukurbeln. Beim Rennen um die vordersten Plätze irgendwelcher Statistiken geht es nicht um Inhalte, sondern ausschließlich um Zugriffszahlen. Am Ende werden alle ausgepumpt sein und im Ziel steht niemand, der einem zujubelt.
Von Hardy Prothmann
Die Medienlandschaft befindest sich in der größten Strukturkrise der Moderne. Doch bis auf auf die Fachmedien berichten die Publikumsmedien darüber so gut wie nie. Selbstkritik ist keine vorzügliche Eigenschaft von Medien und eine eher unterentwickelte Fähigkeit.
Die Auflagenzahlen der Zeitungen gehen massiv zurück – dieser Prozess beschleunigt sich. Einige Zeitungen sind schon vom Markt verschwunden. Redaktionen werden zusammengelegt, um Zeitungstitel zu erhalten, denen aber der frühere “Spirit” fehlt.
Auflagen sinken, Publikum wird immer älter
Das Publikum von ARD und ZDF wird wie das der Zeitungen immer älter. Zahlen müssen aber alle und diese “Zwangsgebühr” sorgt für erheblichen Unmut. Insbesondere die Kritik an den Öffentlich-rechtlichen wächst immens.
Das Problem der Branche, das viele noch nicht realisieren: Die Kritiker stehen nun auch in der Kritik. Berichterstattung kann auf ihren “Wahrheitsgehalt”, zumindest auf die Fakten überprüft werden und immer öfter stellt das Publikum fest: Die stimmen nicht. Oder teils nicht. Oder werden einfach “verschwiegen”.
Das Misstrauen in die Medien wächst enorm – gleichzeitig zitiert man aber was, um seine Meinung zu untermauern? Richtig, die Medienberichte, die halt gerade zur Meinung passen.
Grassierende Zitatitis
Medien wird “Meinungsmache” vorgeworfen – was absurd ist und auch nicht. Denn es ist explizite Aufgabe der Medien, durch Informationen zur Meinungsbildung beizutragen. Es ist aber nicht Aufgabe der Medien, Mehrheitsmeinungen zu bilden und andere Meinungen auszublenden. Dann informieren Medien nicht mehr, sondern manipulieren (was sie immer tun) als politische Akteure. Werden Medien zu Akteuren oder Aktivisten, sind sie nicht mehr unabhängig und das Vertrauen in eine ausgewogene Berichterstattung nimmt noch weiter ab.
Hinzu kommt ein Trend, der fatal ist. Wer die sozialen Medien, insbesondere Facebook und Twitter, durchschaut, stellt fest, dass eine Zitatitis um sich greift. Ein, zwei Sätze von Politiker X und Y werden mit einer Grafik unterlegt. Und meist geht es – eben – um Dafür oder Dagegen, Gut oder Schlecht, Stimmt oder Stimmt nicht.
Die ausgeruhte Analyse, die umfassende Darstellung der verschiedenen Aspekte und Perspektiven bleibt auf der Strecke. Besonders beliebt ist insbesondere bei großen Medien der neu gewählte Präsident der USA, Donald Trump. Der twittert gerne und man hat den Eindruck, dass jede seiner Kurzäußerungen für eine Skandalisierung geeignet ist. 140 Zeichen stehen für diese Kurznachrichten an alle Welt zur Verfügung – 140 Zeichen sind oft die Grundlage für ganze Meinungsartikel in den Medien, die dann entweder Dafür oder Dagegen oder… Sie wissen schon.
Motzen über “Hate-Speech”, aber selber Stimmung machen
Gleichzeitig lamentieren insbesondere die früheren Massenmedien wie Zeitungen, Fernsehen und Hörfunk über “Fake-News” oder “Hate-Speech” und dass das mit dem Internet alles so schlimm ist – gleichzeitig befördern aber genau diese Medien die Twitteritis und Zitatitis. Sie verabschieden sich aus der differenzierten Debatte.
Der Grund ist ein altes Gesetz, das die meisten noch gelernt haben und an das die meisten noch glauben: Reichweite. Die Auflagenzahl, die Quote – das sind die “Maßstäbe”, an denen sich diese Medien orientieren. Nicht der Inhalt, sondern die Zahl ist das Ziel.
Viele eher links ausgerichtete Redaktionen zeigen sich “entsetzt” über steigende Zahlen von “rechten” Politikern und versuchen mittels heilloser Agitation dagegenzuhalten – damit setzen sie ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel und befördern den Unmut der Mediennutzer weiter.
Was vielen Medienmachern leider mehr und mehr abgeht, ist die korrekte professionelle Haltung. Wer politisch korrekten Journalismus machen will, hat nicht verstanden, was Journalismus sein sollte: Korrekte Übermittlung von Informationen und Zusammenhängen und nicht die verlängerte PR-Abteilung von Parteien und Regierungen oder Amtsträgern.
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Weiter kommt die Kritik am Mainstream dazu – gibt es den? Ja, aber es ist eher ein Herdentrieb und journalistische Fantasielosigkeit und Feigheit. Wenn alle berichten, was Agenturen berichten, dann fällt man in der Herde nicht auf. Außerdem macht es weniger Arbeit. So wird Journalismus keine Zukunft haben.
Was insbesondere großen Medien nicht auffällt, ist, wieso so viele Menschen denken, dass Medien gleichgeschaltet seien, was sie nicht sind. Wieso denken viele Menschen das also? Die Erklärung liegt im Herdentrieb. Legt man Zeitungen nebeneinander oder schaut sich die Nachrichten an oder vergleicht Websites, dann entsteht schnell der Eindruck, dass alle über dieselben Themen berichten. Warum? Weil die meisten Medien den Agenden der Agenturen und politischen Akteure hinterherhinken und die Themen abhaken. Außerdem gucken alle, was alle anderen machen und liefern im Zweifel schnell nach, damit sie dieses und jenes Thema auch haben, weil man glaubt, die Mediennutzer würde genauso akribisch gucken und die dürfe man nicht enttäuschen.
Das Ergebnis ist die große Enttäuschung
Das Ergebnis ist die große Enttäuschung. Denn die meisten bleiben an der Oberfläche, transportieren alle im Wesentlichen dieselben Informationen – damit entsteht der Eindruck, als würde das irgendwie gesteuert werden. Dahinter sitzt keine Verschwörung, sondern nur eine mediale Gruppendynamik.
Analysiert man die medialen Angebote weiter, ist das “Entsetzen” groß über “Hate-Speech” – wer genau hinschaut erkennt aber, dass die Medien genau das ständig transportieren. Man muss doch aber berichten, was der und der gesagt hat, heißt es dann. Nein, muss man nicht. Man muss nicht über jedes Stöckchen springen. Man muss auch niemanden wörtliche zitieren. Man kann sich Zeit lassen und Entwicklungen ordentlich und vernünftig einordnen. Man kann aber auch Themen vollständig übersehen wie aktuell die Tagesschau, die sich mächtig Kritik einhandelt, weil in der Hauptsendung nicht über den Mordfall an Maria L. in Freiburg berichtet worden ist.
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Das allerdings braucht Energie und Kompetenz. Damit wird man langsamer als die hechelnde Branche, die jedem Zitatfetzen hinterherjagt. Man muss sich wünschen, dass dieses heillose Hinterherrennen aufhört und man sich auf Inhalte konzentriert. Kein Medium kann alles berichten und gegen das Internet haben selbst Internetmedien verloren. Und wenn man so weitermacht, schafft man sich selbst ab.
Schauen Sie sich viele “Berichte” an, ob im TV oder Internet – oft nutzen große Medien Amateuraufnahmen, teils gekauft, teils geklaut, weil keine Redaktion so schnell Reporter vor Ort bringen kann, wie Menschen mit Smartphones dort unterwegs sind, Aufnahmen machen und diese über das Internet verbreiten. Die Medien sind längst nicht mehr exklusive Erstverbreiter von Inhalten. Was sie aber privaten Nutzern voraushaben sollten, ist die Professionalität des “Fact-checking” und der Einordnung. Dazu kommen exklusive Zugänge zu Experten.
Doch niemand will das Rennen verlieren, alle wollen immer “Erster” sein – zu Lasten des Inhalts. Übrig bleiben Zitatitis und Twitteritis – mit Journalismus hat das wenig zu tun.
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