Rhein-Neckar/Freiburg, 06. Dezember 2016. (red/pro) Der Sexualmord an der 19-jährigen Maria L. hat eine Debatte ausgelöst, in der es drunter und drüber geht, die aber überwiegend voll daneben ist und massive Mängel auf vielen Seiten offenbart – betroffen sind sowohl die Politik, als auch die Medien, als auch die Gesellschaft insgesamt.
Von Hardy Prothmann
Selbstverständlich hat der Tagesschau-Chefredakteur Dr. Kai Gniffke recht, wenn er argumentiert, dass ein einzelner Mordfall nicht in die Hauptnachrichtensendung der ARD zur besten Sendezeit gehört. Aber selbstverständlich darf man Zweifel haben, ob die Tagesschau-Redaktion richtig entschieden hat, die Verhaftung des Tatverdächtigen nicht zu thematisieren.
Freiburg kann überall sein – deswegen ist Freiburg überall relevant
“Streng nach Vorschrift” betrachtet, hat zunächst die Verhaftung eines des Mordes Tatverdächtigen keine Relevanz für ein Sendeformat mit überregional bedeutenden Nachrichten. Es kommt aber auf den Kontext an. Nicht der einzelne Mord und nicht der bestimmte Tatverdächtige ergeben die Relevanz, sondern die gesellschaftliche Stimmung in Freiburg, die man “regional” sehen kann oder als pars pro toto. Freiburg kann überall sein – so gesehen bekommt das regionale Geschehen eine nationale Bedeutung. Insbesondere, weil erst am 02. Dezember 2016 sogar der Staatssekretär des Innenministeriums zu einem Gespräch mit Oberbürgermeister und Polizeipräsident zum Thema Sicherheit extra in die Stadt gereist war. Alltäglich ist das nicht.
Eine junge, lebenslustige Frau, engagiert in der Flüchtlingshilfe, wird mutmaßlich von einem minderjährigen Flüchtling aus Afghanistan, der in der Obhut einer Familie lebt, vergewaltigt und getötet. Es gibt noch einen weiteren Sexualmord an Carolin G. in der Nähe von Freiburg (Endingen) und wochenlang herrschen Angst und Schrecken in der insgesamt als linksliberal geltenden Stadt. Zwei Sexualmorde, einer Ende Oktober, einer Anfang November. Es steht die Frage im Raum, ob es einen Serienmörder gibt. Unter Studenten wird ein Massengentest vorgenommen.
Als der mutmaßliche Täter verhaftet wird, äußert sich der Oberbürgermeister Dieter Salomon und warnt vor einer pauschalisierenden Verurteilung von Flüchtlingen und betont, dass man differenzieren muss. Damit hat Herr Salomon recht. Doch die Abwehr eine Pauschalisierung darf im Ergebnis nicht zu einer Tabuisierung führen.
Mannheim hätte Freiburg sein können – in Mannheim wurde im Sommer eine junge Frau, ebenfalls in der Nacht am Neckarufer Opfer eines Sexualverbrechens. Sie hat überlebt, aber sie war in Lebensgefahr, der Neckar nur ein paar Meter weiter. Wären keine Passanten aufgetaucht – wer weiß, was der Tatverdächtige, ein Araber, mit dem Opfer noch gemacht hätte.
Die Summe der Einzelfälle ist beträchtlich
Über eine Million Flüchtlinge sind seit Sommer 2015 nach Deutschland gekommen. Es vergeht kein Tag, an dem die Flüchtlingskrise kein Thema ist. Es gibt zuhauf falsche Verdächtigungen und Gerüchte, aber es gibt auch zuhauf schwerste Verbrechen, begangen von Flüchtlingen. Jeder für sich ein Einzelfall, in Summe sicher meist keine, die ein System ergeben, aber doch eine so erhebliche Anzahl, die für erhebliche Sorgen und Ängste in der Bevölkerung sorgen.
Wer dann, wie Dr. Kai Gniffke, das Einzelfall-Mantra vor sich hinbetet, verweigert sich der Empathie um diese Sorgen – nicht der einzelne Mord ergibt die “Relevanz” für eine Berichterstattung in der Tagesschau, soweit korrekt. Die allgemeine Verunsicherung der Bevölkerung einer Stadt und deren Umland hingegen schon.
Relevanz heißt übersetzt “wieder in die Höhe heben” – die Tagesschau hätte also den Mord in die Höhe heben können. Das hat sie nicht getan und das ist angesichts der nun erfolgten, teils äußerst empörten Debatte, ganz offensichtlich ein Fehler gewesen.
Ebenso wie die Haltung von Herrn Dr. Gniffke, der meint, Recht haben zu müssen und sich und seine Redaktion einfach aus der Kritik hätte nehmen können, wenn er zugestanden hätte, die Bedeutung nicht des Einzelfalles, sondern der Gesamtsituation falsch eingeschätzt zu haben. Selbst sehr gut bezahlte und bestens ausgestattete Redaktionen machen gelegentlich Fehler und sollten daraus lernen.
Gegen Emotionen helfen nur Fakten
Je emotionaler eine Debatte geführt wird, umso mehr als sonst ist es angeraten, bei den Fakten zu bleiben und an rechtsstaatliche Verfahren zu erinnern. Der junge Mann ist aktuell nicht “der Täter”, sondern bleibt bis zu seiner Verurteilung ein Beschuldigter, ein mutmaßlicher Tatverdächtiger. Wir leben immer noch in einem Land, in dem ein Verdacht kein Urteil sein kann.
Weiter ist der Fall noch längst nicht ausermittelt. Staatsanwalt Michael Mächtel sagt auf Anfrage, dass der Tatverdächtige junge Mann aus Afghanistan seit rund einem Jahr in Deutschland ist und nach den vorliegenden Daten gerade 17 Jahre alt geworden ist. Die zweifelsfreie Feststellung des Alters ist aber noch Gegenstand der Ermittlungen. Das ist relevant, weil ein unter 18-Jähriger Täter bei Nachweis einer Tat zwingend nach dem Jugendstrafrecht zu verurteilen ist und das wären bei einer Verurteilung wegen Mordes zehn Jahre Haft als Höchststrafe. 18-21-Jährige können entweder nach Jugendstrafrecht oder Erwachsenenstrafrecht verurteilt werden, was eine lebenslange Haft bedeuten könnte.
Weiter ist noch unklar, wie das Opfer letztlich gestorben ist. Fest steht durch die Obduktion, dass der Tod durch Ertrinken in der Dreisam eingetreten ist. Ob der Tatverdächtige das Opfer im Wasser abgelegt oder aktiv ertränkt hat, ist noch unklar und wird vermutlich nur durch Aussagen des Tatverdächtigen zu klären sein, sofern sich dieser äußert. Bislang hat er sich zur Tat nicht eingelassen.
Ob sich Täter und Opfer kannten, ist ebenfalls noch unklar. Fest steht, dass Maria L. sich in der Flüchtlingshilfe engagiert hat. Definitiv falsch ist, dass die Familie nach der Festnahme des Tatverdächtigen mit einer “herzzerreißenden Todesanzeige” an die Öffentlichkeit gewendet habe – diese Anzeige erschien am 26. Oktober und bat um Spenden für ein Flüchtlingsprojekt statt Blumen. Zu diesem Zeitpunkt war die Identität des Mörders der Studentin noch vollständig unbekannt.
Zum Täter weiß man, dass er vor einem Jahr nach Deutschland eingereist ist, zuletzt bei einer Pflegefamilie untergebracht war und vor kurzem 17 Jahre alt geworden sein soll. Das Opfer starb in der Nacht auf den 16. Oktober. Ob ein weiterer Sexualmord an einer 27-jährigen Frau am 06. November auch dem Tatverdächtigen zugerechnet werden kann, ist noch unklar. Eine DNA-Abgleich hat noch nicht stattgefunden. Dieser Mord wird von vielen als bedrohlich empfunden, weil er am hellichten Tag geschah. Die junge Frau war am Nachmittag joggen und kam nicht mehr zurück – erst vier Tage später wurde ihre Leiche gefunden.
Viel Unsinn in der Debatte
Der medial allseits vertretende Polizeigewerkschaftler Rainer Wendt sagte aktuell im Deutschlandfunk: “Man muss nach wie vor die Frage stellen, ob man hierzulande alles getan hat, um mögliche Gefahrenherde zu erkennen.” Deshalb wird ihm von manchen Seiten “Hetze” vorgeworfen. Das ist natürlich interpretatorischer Unsinn. Genauso unsinnig wie die Frage, die Herr Wendt aufwirft. Es gibt keine Möglichkeit “alles zu tun, um mögliche Gefahrenherde zu erkennen” – insbesondere nicht in Bezug auf individuelle Gewaltverbrechen. Weder ist es möglich, jedes Opfer zu beschützen, noch ist es möglich, jeden potenziellen Straftäter im Vorfeld der Straftat zu erkennen.
Im Bereich geplanter, organisierter Straftaten unternehmen die Behörden erhebliche Anstrengungen, um diese zu verhindern. Bislang äußerst erfolgreich, trotzdem sind die Attentate von Ansbach und Würzburg geschehen. Auf der anderen Seite hat sich die Zahl der Ermittlungen im Bereich staatsgefährdender Straftaten von 4 (!) Anfang 2014 auf weit über 200 aktuell entwickelt. Mit den Flüchtlingen sind in erheblichem Umfang mutmaßliche Terroristen ins Land gekommen. Wer das leugnet, muss nicht ernst genommen werden.
Aber die Mutmaßungen, “traumatisierte Menschen aus Kriegs- und Krisenregionen” stellten eine erhebliche Bedrohung dar, ist dahergeredeter Unsinn. Traumatisierte Menschen sind in aller Linie Opfer, die unter den Traumata leiden, die Hilfe brauchen und nicht potenzielle Täter. Wer kriminelles Verhalten mit Traumata zu entschuldigen sucht, ist, mit Verlaub, ein Dummschwätzer.
Richtig ist allerdings, dass insbesondere das Frauenbild in vielen Ländern, aus denen männliche Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind, für unsere Gesellschaft absolut inakzeptabel ist. Die dort häufig anzutreffende “Minderwertigkeit” oder gar “Wertlosigkeit” von Frauen und Mädchen ist und bleibt ein massives Problem, dem man sich hier stellen muss und das man nicht ignorieren darf.
Schuld ist immer nur der Täter
Niemand anderes als ein letztlich verurteilter Täter ist schuld. Schon gar nicht das Opfer. Aber auch nicht Politiker. Diese wären dann schuld, wenn sie am Verbrechen beteiligt wären oder irgendein Vorsatz zu erkennen wäre. Wer das behauptet, redet ebenfalls Unsinn. Umgekehrt redet Unsinn, wer ein kollektiv schuldhaftes Verhalten bei Zugewanderten unterstellt.
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Anders verhält es sich mit der Verantwortung. Selbstverständlich besteht eine politische Verantwortung, wenn sich die Lebensbedingungen der Menschen verändern. Diese Verantwortung bedeutet, sich Fragen stellen zu müssen und Antworten darauf zu geben. Dazu kann und muss die Frage gehören, welche Maßnahmen unternommen werden, um die ins Land gekommenen Personen hinreichend über unser Rechtssystem und vor allem die Rechtsstellung von Frauen und Kindern aufzuklären. Unwissenheit schützt zwar nicht vor Strafe, aber Wissen kann Straftaten verhindern helfen.
Das hier ein erheblicher Handlungsbedarf besteht, ergibt sich aus messbaren Tatsachen, beispielsweise von festgestellten mindestens 1.500 Kinderehen bei Ausländern, bei denen mindestens ein Ehepartner minderjährig ist. In anderen Ländern ist dies erlaubt – in Deutschland überwiegend verboten. Auch hier gilt es, jeden Einzelfall zu prüfen. Die Summe der Einzelfälle zeigt aber die Dringlichkeit, hier politisch, gesetzgeberisch und gesellschaftlich handeln zu müssen. Wer wegschaut, macht sich unverantwortlich.
Erhebliche Demokratiedefizite allerorten erkennbar
Für die Tagesschau und andere Redaktionen ergibt sich ebenfalls eine Verantwortung – eine gesellschaftliche. Diese ist ebenfalls sehr differenziert zu betrachten. Forderungen, man müsse die Bedürfnisse “der Deutschen” bevorzugt behandeln, lassen ein erhebliches Demokratiedefizit erkennen. Unser Rechtssystem unterscheidet – bis auf das Ausländerrecht – nicht zwischen Deutschen und Personen aus anderen Ländern. Das Recht muss für alle gleich gelten.
Trotzdem gilt es, die Befindlichkeiten im Blick zu haben. Bestehen in deutlich erkennbaren Teilen der Bevölkerung erhebliche Sorgen, muss verantwortliche Politik und müssen verantwortliche Medien diese ernst nehmen und nicht abwiegeln. Wohin das führt, kann man in der Entwicklung seit über einem Jahr erkennen – zu erheblichem Frust und Abkehr politischer und gesellschaftlicher Teilnahme von deutlich erkennbaren Teilen der Bevölkerung.
Erinnert sich noch jemand an den Professor, der Angst um seine blonden Töchter hat? Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer (Grüne) ist für diese Aussage im Februar in einem Interview mit dem Spiegel erheblich kritisiert worden. Dass diese Sorgen “im Einzelfall” berechtigt sind, ergibt sich aus jedem Einzelfall. Und diese Sorgen kann und darf man nicht bagatellisieren oder verunglimpfen. Nicht jeder, der sich sorgt, ist ein rechter Hetzer. Wer das behauptet, pauschalisiert ebenso wie die, die Flüchtlinge pauschal als Sicherheitsrisiko abstempeln.
Und mal ehrlich: Haben Sie eine Tochter, die jugendlich ist? Lassen Sie diese alleine dunkle Strecken nehmen oder holen Sie diese nicht lieber und sicherer ab?
Die Sorgen sind berechtigt – aber niemals pauschal
Die Sorge vor Straftätern ist berechtigt. Sexualstraftaten und andere körperliche Straftaten werden überwiegend von Männern verübt. Und unter der Gruppe der Männer wiederum überwiegend von jungen Männern. Und in dieser Gruppe überwiegend von solchen, die aus problematischen Verhältnissen stammen oder in solchen leben. Und hier wieder von Angehörigen gewisser Gruppen, die sich – wodurch auch immer begründet – nicht nach den Regeln unserer offenen, freiheitlichen und friedlichen Gesellschaft verhalten.
Genau über diese Problemgruppen muss man reden. Genau hier muss man handeln – und zwar in jedem Einzelfall. Denn genau diese Männer stellen nicht nur eine theoretische Bedrohung für die Gesamtbevölkerung dar – zu diesen Männern gehören auch Ausländer, die schon länger hier sind und auch Deutsche.
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Wer aber pauschal behauptet, es gäbe keine Auffälligkeiten unter der Vielzahl der jungen Männer aus Afrika und dem Hindukusch sowie dem Nahen Osten, der führt die Öffentlichkeit hinters Licht und verhält sich verantwortungslos. Und verstärkt den Unwillen, über die Abneigung bis zur Ablehnung von fremden Menschen, weil die Weigerung, sich der Vielzahl der Einzelfälle differenziert zu widmen keinen anderen Weg finden wird, als den in die Pauschalisierung.
Pauschalisierungen sind immer unscharf, unzutreffend und ungeeignet, um Lösungen zu finden. Aber haben sie sich erst einmal festgesetzt, sind sie nur noch schwer wieder loszubekommen.
Erinnerung an den Mordfall Gabriele Z.
Erinnern Sie sich noch an den Mordfall an der litauischen Studentin Gabriele Z.? Auch damals waren eine Stadt und die Umgebung in Aufruhr – in Mannheim hatten viele Frauen Angst, ebenso Eltern um ihre Töchter, solange der Mörder nicht gefasst war. Die Frau war in einer Passage am Abend mitten in der Stadt im Stadtteil Jungbusch missbraucht und ermordet worden
Auch damals waren hunderte Männer – wie beim Mordfall Maria L. – an der Universität überprüft worden. Letztlich gelang es der Polizei mit erheblichem Aufwand und ein wenig Glück, den Tatverdächtigen in Grünstadt aufzuspüren und zu verhaften. Der Bulgare wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.
Der Mannheimer Morgen handelte sich damals eine Missbilligung durch den Deutschen Presserat ein, weil er die Gesamtheit der Bulgaren als Sicherheitsproblem diskriminierte. Tatsache ist, dass Tausende von Bulgaren unter teils äußerst problematischen Bedingungen in Mannheim leben und sehr häufig selbst Opfer von Kriminellen werden. Unter ihnen selbst gibt es ebenfalls Kriminelle – regelmäßige Razzien der Polizei fördern diese Strukturen oder Hinweise darauf immer wieder zu Tage.
Diese südosteuropäischen Zuwanderer pauschal zu verdächtigen, ist ebenso falsch, wie pauschale Urteile über Menschen aus anderen Ländern. Der genaue Blick auf die, die Probleme machen, ist nicht nur angebracht, sondern muss im Sinne der Gesamtgesellschaft erfolgen. Relevanz ergibt sich nicht erst, wenn etwas nicht mehr zu verbergen ist, sondern bereits vorher – indem man etwas wieder hochhebt und damit eine Be”deut”ung gibt – vielleicht sollte die Tagesschau ihre Kriterien überprüfen.
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