Rhein-Neckar, 30. März 2017. (red/pro) Immer wieder gibt es Debatten, welche Formulierungen bei Täterbeschreibungen verwendet werden dürfen und welche nicht. Teils weigern sich sogar Behörden mit Hinweis auf den „Pressekodex“, gewisse Informationen herauszugeben, weil diese diskriminierend seien. Das ist Mumpitz. Wir erklären, warum.
Kommentar: Hardy Prothmann
„Nordafrikanischer Phänotyp“, „osmanisches Erscheinungsbild“, „südosteuropäisches Aussehen“, halten viele politisch korrekt denkende Menschen für unanständig, unangebracht, schlicht „diskriminierend“ oder, wie man gerade in einer Lokalzeitung nachlesen kann, für „zu unkonkret“.
Ist „ca. 1,80 Meter groß“ konkreter? Welcher Spannweite hat dieses „circa“? 1,75-1,85 Meter. Man kann sich locker 5-10 Zentimeter größer machen, wenn man entsprechende Schuhe anhat – das merkt niemand. Man kann sich sogar kleiner machen, ist eine Haltungsfrage.
Welches blond ist blond?
Welches „blond“ meint man, wenn man „blond“ angibt? Was ist ein Vollbart? Ist der kurz oder lang oder sehr lang? Sehr dicht oder weniger dicht? Was sagt das Alter, „etwa 50 Jahre“? Ist das konkret?
Es gibt Leute, die sind 35 Jahre alt und sehen wie 50 aus und umgekehrt. Die Haarfarbe blond kann morgen lila sein. Die Haarlänge lang kann morgen kürzer sein. Umgekehrt ist schwieriger, aber mit Perücke machbar. Oder hatte jemand eine Kurzhaarperücke auf und hat in Wirklichkeit lange Haare?
Männlich oder weiblich – das sind doch wohl klare Informationen? Vergessen Sie es. Nicht jeder Mann kann sich zur Frau machen und umgekehrt, aber es gibt viele, die das können. Nicht der zwei Meter Bodybuilder und auch nicht die 1,50 Meter große 40-Kilo-Frau. Aber dazwischen ist viel möglich.
Jemand, der 140 Kilo wiegt, kann nicht auf Hungerhaken machen, aber der Hungerhaken kann bedeutend schwerer wirken, wenn er es drauf anlegt.
Es kommt auf viele Informationen an
Bei Täterbeschreibungen kommt es auf eine Vielzahl von Beobachtungen an: Geschlecht, Größe, Alter, Figur, Haut- und Haarfarbe, Sprache, Kleidung – eben auf jedes Detail, das von Zeugen beobachtet worden ist.
Klar ist, dass Zeugen sich immer irren können und das auch häufig tun. Für manche ist ein „teures Auto“ immer ein Mercedes. Wenn diese ein teures Auto gesehen haben wollen, sagen sie „Mercedes“ – könnte aber auch ein Audi oder BMW oder oder gewesen sein.
Andere halten bestimmte „Phänotypen“ (Erscheinungsbild) für grundsätzlich kriminell. Dann folgt die Beschreibung „osmanisch“ oder „südosteuropäisch“, obwohl der Tatverdächtige vielleicht Grieche oder Pole ist oder Deutscher, mit entsprechenden Vorfahren.
Wenn Behörden anfangen, sich am Pressekodex zu orientieren, dann ist das grundsätzlich nicht verkehrt, aber doch nicht richtig. Der Pressekodex gilt nur für Mitglieder des Deutschen Presserats und ist Kodex der freiwilligen (!) Selbstkontrolle. Der Pressekodex ist kein Gesetz, keine Vorschrift, sondern nur eine Erklärung, die niemand abgeben muss, der nicht will.
Wenn man politische Korrektheit übertreibt, steht demnächst nur noch als Täterbeschreibung: „Ein menschliches Wesen wird gesucht“. Dann wird es blöd. Denn sind alle unter 1,60 Meter oder über 1,80 Meter mögliche Verbrecher? Alle Blonden oder Dicken? Alle Alten oder Jungen?
Eine konkrete Täterbeschreibung liefert immer möglichst viele Details – ob diese zutreffen, steht auf einem anderen Blatt. Die Behörden müssen beurteilen, wie „glaubhaft“ Zeugenaussagen sind und dann mit „glaubwürdigen“ Informationen in die Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit, also Sie oder ich oder jemand sonst, muss wissen, dass solche Informationen immer vage, nicht konkret oder sogar falsch sein können.
Jedes Detail kann wichtig oder falsch sein
Ein Zeugenaufruf ist immer nur ein Mittel zur öffentlichen Unterstützung der Ermittlungsbehörden. Nicht mehr und nicht weniger. Jedes Detail kann wichtig, aber auch falsch sein. Es geht immer um eine möglichst große Vielzahl von Details.
Damit wird niemand diskriminiert. Erst, wenn man denkt: „Mal wieder typisch“, „Hab ich doch gewusst“, „Die schon wieder“, wird es problematisch. Auch das ist noch keine Diskriminierung, wenn bestimmte „Typen“ sehr häufig auffallen. Dann stellt man einfach Tatsachen fest. Diskriminierung geht dann los, wenn es pauschal wird: „Die Türken“, „die Afrikaner“, „die Südosteuropäer“. Solche Annahmen und Aussagen sind immer falsch und daneben.
Fallen allerdings bestimmte „Herkünfte“ extrem auf, dann sollte man diese auch benennen. (Lesen Sie dazu aktuell eine Einschätzung zu einer Verhaftung eines gambischen Dealers.) Klar ist, dass „Männer“ und vor allem junge Männer, klar die Straßenkriminalität „beherrschen“. Unabhängig von der Herkunft. Klar ist auch, dass Männer häufig ein erhöhtes Sicherheitsrisiko für deren Partnerinnen sind.
Klar ist aber auch, dass die meisten Opfer von Gewaltverbrechen ebenfalls Männer sind, weil sich diese überschätzen und denken: „Mir kann keiner was.“ Klar ist ebenso, dass insbesondere ältere Frauen am meisten Angst vor Kriminalität haben und am wenigsten Opfer werden – das spielt im Kopf.
Wichtig ist und bleibt, abzuwägen. Das gilt für die Behörden, für die Medien und die Öffentlichkeit. Und alle sind verantwortlich für das, was sie mitteilen. Verantwortung heißt, sich selbst Fragen zu stellen und Antworten auf Fragen von anderen zu haben.
„Osmanisches Erscheinungsbild“ ist beispielsweise eher nicht geeignet, weil das einen „politischen“ Anstrich hat, der hier wohl keinerlei Rolle spielt. „Südländisches“ oder besser „türkisches“ wäre angemessener gewesen.
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