Mannheim/Berlin, 15. April 2014. (red) Der Deutsche Presserat ist einer Beschwerde der beiden Grünen-Stadträte Raymond Fojkar und Gerhard Fontagnier gefolgt und hat eine Missbilligung gegenüber dem Mannheimer Morgen ausgesprochen. Am 21. Oktober 2013 hatte der stellvertretende Lokalchef Peter W. Ragge die Festnahme des mutmaßlichen Mörders der Studentin Gabriele Z. kommentiert und nach einstimmiger Ansicht des Gremiums gegen Ziffer 12 des Pressekodex verstoßen. Die Zeitung verschweigt der Öffentlichkeit diese Entscheidung und verweigert sich damit einer fairen Berichterstattung.
Von Hardy Prothmann
Dass der Deutsche Presserat, das Selbstkontrollorgan der Deutschen Presse, die Beschwerde annehmen und mindestens eine Missbilligung aussprechen würde, dürfte jedem klar sein, der bei Verstand ist. Der stellvertretende Lokalchef Peter W. Ragge hatte nach der Verhaftung des mutmaßlichen Sexualmörders Emil S. kommentiert:
An der Uni ist die Erleichterung besonders groß, dass der Täter nicht aus den Reihen der Studenten kommt. Dass es aber eine Verbindung zu den vielen Bulgaren im Jungbusch gibt, wird eine Diskussion auslösen, die unvermeidlich ist.
Eindeutiges Urteil: Diskriminierende Berichterstattung
Die beiden Stadträte Fojkar und Fontagnier sahen hier ein klare Diskrimierung einer ganzen Volksgruppe und formulierten ihre Beschwerde. Je zwei Mitglieder der Deutschen Journalisten-Union, des Deutschen Journalistenverbands und des Bundesverbands der Deutschen Zeitungsverleger folgten der Beschwerde einstimmig und sahen die Ziffer 12 des Pressekodex (Diskriminierung) verletzt:
Die Ausschussmitglieder kritisieren insbesondere zwei Aspekte der Veröffentlichung: So lenkt die Redaktion den Fokus gezielt auf das Mannheimer Wohngebiet, in dem viele Bulgaren wohnen. Es gibt aber keine Anhaltspunkte dafür, dass die zahlreichen dort lebenden Menschen irgendetwas mit dem konkreten Verbrechen zu tun haben, das ein bestimmter Bulgare begangen haben soll. Damit wird eine ganze Gruppe in Kollektivhaftung genommen. Das schürt Vorurteile gegen diese Gruppe. Außerdem drückt die Redaktion nach Ansicht der Beschwerdeausschussmitglieder durch die Aussage: „Dass es aber eine Verbindung zu den vielen Bulgaren im Jungbusch gibt, wird eine Diskussion auslösen, die unvermeidlich ist“ aus, dass sie selbst diese Diskussion für richtig hält. Dies ist nach Ansicht der Ausschussmitglieder diskriminierend, weil die einzige Verbindung zwischen dem mutmaßlichen Täter eines Gewaltverbrechens und den Bewohnern des genannten Wohngebiets deren gemeinsame nationale Herkunft ist.
Was der Presserat wohlformuliert ausdrückt, kann man auch ganz klar als Rassismus und versuchte Volksverhetzung bezeichnen. Dem Redakteur war sehr wohl bewusst, dass der mutmaßliche Täter eben nicht im Jungbusch lebte, sondern in Grünstadt, wo er auch verhaftet worden war. Weiter hatte die Polizei mitgeteilt, dass der Tatverdächtige auch in Speyer und Grünstadt drei weitere Frauen überfallen haben sollte. Was also soll die Verbindung zu Mannheim, zum Jungbusch und zum Zuzug von Südosteuropäern sein? (Hier der Faktenstand zum 20. Oktober 2013.)
Widerliche Stellungnahme
Besonders widerlich ist die Stellungnahme des stellvertretenden Chefredakteurs (vermutlich damals Michael Schröder, der aktuelle Chefredakteur, Anm. d. Red.):
Der enorme Zuzug vor allem von Rumänen und Bulgaren, von denen eine ganz erhebliche Zahl im Jungbusch lebe, stoße an die Grenzen der Belastbarkeit Mannheims. Den Lesern zu verschweigen, dass mit der wachsenden Migration auch die Kriminalitätsrate gestiegen sei, würde die Zeitung unglaubwürdig machen.
Wie glaubwürdig ist eine Zeitung, die Lügen verbreitet? Es gibt keine durch Migration irgendwie auffällige und gestiegene Kriminalitätsrate – insbesondere im Bereich der schweren Verbrechen fallen Rumänen und Bulgaren unterdurchschnittlich auf. Statt also die Beschwerde anzunehmen und nachzudenken, schiebt der Chefredakteur gleich die nächste Diskriminierung hinterher. Der Zeitungschef hat kein Einsehen und verknüpft wiederum die Nationalität von Migranten mit einem mutmaßlichen Sexualstraftäter – der aber gar nicht in Mannheim wohnte und drei andere Frauen in Speyer und Grünstadt überfallen hat, die vermutlich nur durch extreme Gegenwehr nicht zu Tode kamen.
Grundsatzfragen der Glaubwürdigkeit
Und wie glaubwürdig ist eine Zeitung, die eine Missbilligung durch den Presserat nicht veröffentlicht? Wie transparent macht die Redaktion, dass verständige Kollegen aus der Branche diese Form der diskriminierenden Berichterstattung einstimmig ablehnen? Welcher Diskussionsprozess wird innerhalb der Redaktion in Gang gesetzt, bei solche sensiblen Themen noch sorgsamer als sonst zu berichten? Was hat dieser Rassismus mit Qualitätsjournalismus zu tun, was mit Objektivität?
Nach §15 Beschwerdeordnung besteht zwar keine Pflicht, Missbilligungen zu veröffentlichen. Als Ausdruck fairer Berichterstattung empfiehlt der Beschwerdeausschuss jedoch eine solche redaktionelle Entscheidung.
Dieser Empfehlung ist die Zeitung nicht gefolgt – man hat beim Mannheimer Morgen offensichtlich kein Interesse an einer fairen Berichterstattung. Kommende Woche beginnt der Prozess gegen Emil S., dem mutmaßlichen Mörder von Gabriele Z. Der Redaktion des Mannheimer Morgen bleiben noch ein paar Tage, um über die eigene journalistische Linie neu nachzudenken. Mal schauen, ob sie diese Zeit nutzt oder ob hier tausende Menschen, darunter sehr viele Kinder in Kollektivhaftung genommen und grundsätzlich diskriminiert werden.
In anderen Fällen hat der Mannheimer Morgen übrigens kein Problem, über Rügen und Missbilligungen zu berichten. In einem Artikel vom 20.2.2014 mit der Schlagzeilge „taz kassiert Rüge“ ist zu lesen:
Zu den häufigsten Verstößen der Medien gehörten 2013 neben Recherchefehlern die Verletzung des Persönlichkeitsrechts und Diskriminierung, wie Presserats-Sprecherin Ursula Ernst sagte.
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