Mannheim, 13. Mai 2016. (red/ms) Die Sicherheitslage in Mannheim hat sich verschlechtert. Die Zahl der erfassten Straftaten nahm zu. Das sind die Fakten. Deswegen muss man aber nicht den Kopf verlieren: Wie Polizeipräsident Thomas Köber gegenüber dem Sicherheitsausschuss erläuterte, hätten sich die Zahlen zwar im Vergleich zu den Vorjahren verschlechtert – dennoch lebe man in der Region objektiv betrachtet immer noch sehr sicher. Grund für Hysterie gebe es jedenfalls keinen.
Von Minh Schredle
2010 habe ich noch gesagt, wenn sich die Kriminalität weiter so entwickelt, verkommen wir hier noch zur Kur-Oase. Das trifft heute leider nicht mehr zu.
Die Botschaft von Polizeipräsident Thomas Köber ist klar: Ja, die Zahl der erfassten Delikte in Mannheim und Umgebung ist angestiegen. Ja, es gibt bedenkliche Entwicklungen. Und ja, es gibt berechtigten Grund zur Sorge – aber nicht zur Hysterie.
Vergangenen Donnerstag präsentierte der Polizeipräsident die Ergebnisse der Kriminalstatistik 2015 vor dem Mannheimer Sicherheitsausschuss. Seine Darstellung war nüchtern, sachlich – und vor allem: differenziert.
Es lässt sich nicht einfach sagen: Alles wird immer schlimmer. Ebenso wenig wie: Die Sicherheitslage entwickelt sich gut. Denn richtig ist: In einigen Teilbereichen, wie etwa bei den Eigentumsdelikten – Taschendiebstähle, Raubüberfälle, usw. – ist eine auffällige Steigerung der Fallzahlen zu verzeichnen.
Schlechter – aber nicht schlecht
Richtig ist auch: Im Vergleich zu den Vorjahren wurden 2015 insgesamt mehr Straftaten erfasst. Aber auch wenn sich die Sicherheitslage verschlechtert hat – und das hat sie nach den Zahlen der Statistik – muss ebenso erwähnt werden: Insgesamt ist die Bedrohung für den Einzelnen noch immer sehr gering. Häufig wird die Gefahrenlage überschätzt:
Objektiv betrachtet, sind die Zahlen nicht so hart, wie oft angenommen wird. Es ist noch gar nicht so lange her, da waren die Zeiten in Mannheim noch deutlich rauer als heute,
sagt Herr Köber. Man wolle aber ganz sicher nichts verharmlosen – sondern das Bild „möglichst so, wie es ist und nicht wie man es wünscht oder erwartet“ vermitteln. So gebe es im Bereich der Straßenkriminalität – also Verbrechen im öffentlichen Raum – eine Zunahme der Delikte um 12,7 Prozent:
Das ist ein Punkt, der uns wirklich Sorgen macht. Diese Entwicklung ist durchaus beunruhigend.
Häufig handle es sich um Diebstähle oder Überfälle, bei denen es die Täter überwiegend auf „Handys und/oder Bargeld“ abgesehen hätten. Auch die Gewaltkriminalität hat laut Statistik wieder zugenommen – allerdings ist in dieser Kategorie erst im Vorjahr ein zehn-Jahres-Tief erreicht worden.
Hysterie schlägt Vernunft
Man lebe in der Region immer noch vergleichsweise sehr sicher, sagt Herr Köber. Er kritisierte explizit manche mediale Berichterstattung mit „Hang zur Dramatisierung“, durch die vieles aufgebauscht werde und schlimmer erscheint, als es eigentlich ist. Dass es selbstverständlich auch Probleme und kritische Entwicklungen gebe, wolle niemand bestreiten – die habe es aber schon immer in jeder Zivilisation gegeben.
Oft werde durch Hysterie und Panik das subjektive Empfinden verzerrt – wie etwa nach den Übergriffen der Kölner Silvesternacht. „Um das ganz klar zu sagen: Jedes einzelne Sexualdelikt ist eines zu viel und grausam für das Opfer,“ betont Herr Köber:
Aber um die allgemeine Gefährdung vernünftig beurteilen zu können, muss man sich die Entwicklungen der Zahlen anschauen. Und die ist nun mal nicht dramatisch. In Mannheim wurden im vergangenen Jahr weniger Sexualstraftaten erfasst als noch 2014.
Es gebe nur wenig albtraumhaftere Szenarien, als durch einen völlig Fremden überfallen und vergewaltigt zu werden, sagt er. Er habe größtes Mitgefühl mit jedem einzelnen Opfer und die Qualen, die sie durchlitten haben müssen, sei durch nichts zu relativieren.
Für die allgemeine Sicherheitslage müsse daneben aber auch klar gesagt werden, dass solche Vorfälle sehr selten sind – in Mannheim wurden im vergangenen Jahr zwei überfallartige Vergewaltigungen registriert. Diese beiden Fälle seien medial aber so intensiv thematisiert worden, dass das Bild einer viel größeren Bedrohung entstanden sei:
Die Wahrscheinlichkeit, selbst zum Opfer zu werden, ist statistisch gesehen verschwindend gering. Auch das muss man so eindeutig feststellen. Inzwischen hat sich die Stimmung wieder etwas beruhigt. Hätte ich das aber so deutlich direkt nach Köln gesagt, wäre ich wahrscheinlich gelyncht worden.
In diesem Kontext stellte der Polizeipräsident auch klar, dass sich in der Kategorie der Sexualdelikte kein auffälliger Anteil von Tatverdächtigen mit Migrationshintergrund ausmachen lasse, das gleiche gelte für Flüchtlinge.
„Wir müssen die Wahrheit aushalten“
In Bezug auf „Ausländerkriminalität“ bemerkte Herr Köber:
Ich werde Sie weder in die eine noch in die andere Richtung scheuchen, sondern Ihnen so objektiv wie möglich sagen, wie es ist – und das müssen wir aushalten.
Herr Köber nennt im Folgenden genau dann Nationalitäten und Ethnien, wenn es besondere, signifikante Auffälligkeiten gibt, die auf problematische Strukturen hinweisen. So steche bei den Rauschgift-Delikten eine Gruppe von Flüchtlingen aus Gambia heraus – hier sei von organisierten, durchstrukturierten Kriminalitätsnetzwerken im Hintergrund auszugehen. (Anmerkung der Redaktion: Wir hatten ähnlich berichtet. Gegen unseren Artikel legte der grüne Stadtrat und unterlegene Landtagskandidat Gerhard Fontagnier Beschwerde beim Deutschen Presserat ein, die vollumfänglich und einstimmig abgelehnt worden ist.)
„Wir müssen organisierte Kriminalität aufdecken“
Auch internationale Einbrecherbanden, vorwiegend aus Südost-Europa, machen der Mannheimer Polizei aktuell Probleme. Diese würden zunehmend professionalisiert vorgehen und über Landesgrenzen hinweg agieren, was die Strafverfolgung zusätzlich erschweren würde.
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Daneben habe es auffällig viele Eigentumsdelikte unter Flüchtlingen aus Mahgreb-Staaten gegeben: „Teils wurden hier in Mannheim Autoscheiben eingeschlagen, um ein bisschen Münzgeld aus der Handablage abzugreifen“. Herr Köber betont allerdings ebenfalls:
Deswegen zu sagen, wir saufen ab in Ausländerkriminalität, ist völliger Blödsinn.
Es gehe auch nicht darum, irgendwelche Ethnien unter Generalverdacht zu stellen. Sondern darum, dass organisierte Kriminalität bestehende Strukturen ausnutze und man die Schwerpunkte ausfindig machen müsse, von denen aus sie agiert, um Gegenmaßnahmen zu entwickeln.
Der Polizeipräsident kommt schließlich auf ein Thema zu sprechen, das ihm sichtlich am Herzen liegt: Die Belastung der Polizei. Die Gewalt gegen Beamte und Rettungskräfte nimmt seit Jahren kontinuierlich zu. In Mannheim um 17 Prozent im Vergleich zum Vorjahr:
Diese Entwicklungen gefallen mir überhaupt nicht. Hier läuft wenig gut.
Es sei nicht verständlich, aber erklärbar, wenn jemand Widerstand gegen seine Verhaftung leiste, schließlich lasse sich niemand gerne seine Freiheit entziehen. Dass dabei Beamte der Polizei verletzt wurden, kam allerdings im vergangenen Jahr allerdings nur 42 mal vor – insgesamt gab es aber 340 Fälle von Gewalt gegen Polizeibeamte:
Wir müssen uns ernsthaft fragen, was das über unser Verhältnis zur Bevölkerung aussagt. Es ist ein Kennzeichen jeder zivilisierten Gesellschaft, dass das Gewaltmonopol bei denen liegt, die dazu legitimiert sind. Offenbar verstehen das viele aber nicht.
Insgesamt wird der Polizei einiges zugemutet: „Wir sind an unsere Grenzen gekommen,“ sagt Herr Köber: „Das heißt sicher nicht, dass wir die weiße Flagge hissen“. Aber es bräuchte dringend mehr Personal, um alle Herausforderungen meistern zu können – auch weil sich Überstundenberge angehäuft hätten, bei denen er nicht wisse, wie man sie in naher Zukunft abbauen können sollte.
Polarität und Respekt
Die Stadträte im Sicherheitsausschuss zeigten sich nach dem Vortrag des Polizeipräsidenten dankbar für die nüchterne und sachliche Darstellung.
Laut Volker Beisel (FDP) würde viel Drama, das von „den Medien“ herbeigeschrieben worden sei, in Anbetracht der Wahrheit zu Rauch verpuffen. Offensichtlich sei die reale Bedrohung weitaus geringer, als von „den Medien“ transportiert, die in ihren Berichten zur Sicherheitslage nicht differenziert und hintergründig arbeiten würden (Anm.d.Red.: Diese Kritik sollte er sich selbst zu Herzen nehmen und differenzieren – bei uns beispielsweise wird sehr differenziert und hintergründig berichtet).
Das Phänomen, dass das subjektive Empfinden und die objektive Realität weit auseinander liegen können, wurde mehrfach thematisiert. CDU-Stadtrat Nikolas Löbel sagte:
Seit ich mich für Politik und Gesellschaft interessiere, habe ich die Gesellschaft noch nie so polarisiert erlebt.
Man streite aktuell viel, was unter „Toleranz“ verstanden werden sollte. Für ihn sei der Begriff untrennbar mit Respekt verbunden – dieser gerate in der Debatte aber zunehmend in den Hintergrund und daran sei nicht die Zuwanderung schuld. Man müsse hier wieder auf einen Grundkonsens kommen.
Dem Sicherheitsausschuss scheint das jedenfalls gelungen zu sein: Nachdem die Auseinandersetzungen im Gemeinderat kurz vor den Landtagswahlen immer vergifteter, feindseliger und unproduktiver wurden, war die Atmosphäre am Donnerstag wieder konzentriert und sachlich. So kann es weiter gehen. Denn auch hier zeigt sich: Ohne Hysterie kann man sich besser mit wichtigen Themen auseinandersetzen.
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