Mannheim/Rhein-Neckar, 06. März 2014. (red/jsc/hp) Wir sind mit Kinderbüchern aufgewachsen, in denen es „Negerlein“ und „Negerprinzessinnen“ gab, und haben „Zigeunerschnitzel“ gegessen. Heute lesen wir täglich „von anstürmenden Flüchtlingsmassen“ und Anwohner „wehren“ sich gegen die „Flut“ von Asylbewerbern. Wie sehr Sprache diskriminiert – darüber sprachen wir mit Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch (43).
Das Gespräch führten Julia Schmitt und Hardy Prothmann
Herr Professor Stefanowitsch, Sie lehren an der Freien Universität Berlin und schreiben auf Ihrem „Sprachlog“ unterhaltsam und fachkundig über Sprache und das Sprechen. Ist Sprache wertneutral oder kann Sprache diskriminieren?
Prof. Dr. Anatol Stefanowitsch: Sprache kann auf jeden Fall diskriminieren. Die Grundfunktion von Sprache ist nicht, die Welt neutral abzubilden, sondern eine bestimmte Perspektive auf sie zu kommunizieren. Deshalb ist Sprache seltener neutral, als man vielleicht denken würde.
Haben Sie dafür ein Beispiel?
Stefanowitsch: Eine Grundfunktion von Sprache ist es, Dinge zu benennen. Um etwas zu benennen, muss man es aber von anderen Dingen unterscheiden. Diese Unterscheidung birgt immer die Gefahr der Diskriminierung, da ich wählen kann, anhand welcher Merkmale ich die Unterscheidung treffe.
Aber fällt das im Alltag nicht auf?
Stefanowitsch: In vielen Fällen fällt es nicht auf. Wenn ich etwas als „Stuhl“ beschreibe, unterscheide ich es damit von einem „Sessel“. Das mache ich auf der Grundlage von bestimmten Eigenschaften. Ich könnte aber auch andere Eigenschaften wählen, dann würde sich diese Unterscheidung gar nicht ergeben. Ein Stuhl und ein Sessel können beide zum Sitzen benutzt werden. Wenn ich den Unterschied zwischen weich und hart nicht für wichtig halten würde, dann hätte ich gar keine Unterscheidung. Das Englische zum Beispiel unterscheidet hiernicht zwingend, es nennt beide Dinge „chair“.
Die Diskriminierung beginnt beim Menschen und der Unterscheidung
Wie kommt es dadurch zu einer Diskriminierung?
Stefanowitsch: Bei Sesseln und Stühlen gibt es natürlich kein Problem, weil die sich nicht diskriminiert fühlen. Die Diskriminierung beginnt beim Menschen. Plötzlich wird es ganz entscheidend, wonach ich Unterscheidungen treffe. Die meisten dieser Unterscheidungen werden ganz selbstverständlich getroffen und nie hinterfragt. Wir reden scheinbar neutral über „die Muslime“, es wird also eine Religion genommen, um einen ganzen Kulturraum zu identifizieren. Warum wird aber über „die Muslime“ geredet und bei Bevölkerungsgruppen, die aus Asien einwandern, über „Asiaten“ und nicht über „die Buddhisten“? Einmal wird als Unterscheidungsmerkmal die Religion, ein anderes Mal die Region gewählt. Bei wieder anderen die Hautfarbe.
Gilt das auch für neutrale Begriffe?
Stefanowitsch: Es gilt potenziell auch bei akzeptierten Begriffen, wie „Schwarze“. Schwarze Deutsche bezeichnen sich selbst so. Es trifft aber eine Unterscheidung, die an anderer Stelle auch wieder nicht gemacht wird. Wir nennen Menschen aus Asien auch nicht, bzw. nicht mehr, „die Gelben“ und sie nennen sich selbst auch nicht so.
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Eine Modernisierung ist keine Zensur
Es gibt aber auch eindeutige sprachliche „No-Go“-Ausdrücke?
Stefanowitsch: Es gibt Begriffe, die eindeutig diskriminierend sind, weil sie auf ähnlichen Unterscheidungen beruhen, aber zusätzlich noch herabwürdigende Elemente enthalten. Statt „Muslime“ zum Beispiel „Muselmänner“ – Wörter, die aus einem geschichtlichen oder gesellschaftlichen Kontext kommen, wo sie bewusst abwertend gemeint waren oder sind. In diesen Fällen gibt es dann auch immer wieder Streit, wenn beispielsweise Kinderbücher sprachlich an die heutige Zeit angepasst werden.
Mehrere Verlage haben in Kinderbüchern das Wort „Neger“ gestrichen oder durch andere Wörter ersetzt. Journalisten großer Zeitungen haben dies als Zensur betitelt. Ist das Zensur?
Stefanowitsch: Von Zensur kann man sprechen, wenn Streichungen durch staatliche Stellen vorgenommen werden, oder zumindest durch Stellen, die ein Monopol auf bestimmte Kommunikationskanäle haben. Sicher nicht dann, wenn Verlage ihre Texte sprachlich modernisieren.
Also sind sprachliche Modernisierungen normal?
Stefanowitsch: Bücher werden ständig sprachlich modernisiert. Die Bücher lesbar zu halten ist eine Aufgabe der Verlage. Zensur ist aber die Unterdrückung von Information. Die Frage ist, welche Informationen unterdrückt werden, wenn ich mich entscheide, rassistisch belegte Wörter durch neutrale Wörter zu ersetzen.
Intention spielt bei Sprache eine Rolle
Sie haben Ihrer Tochter auch Pippi Langstrumpf vorgelesen. Bei Ihnen gab es also keine „Negerprinzessin“?
Stefanowitsch: Als ich das meiner Tochter vorgelesen habe, gab es die überarbeiteten Ausgaben noch nicht. Der Oetinger Verlag hat sich erst 2009 nach 20 Jahren Diskussion dazu entschieden. Die Struktur der Geschichte – der weiße Seemann strandet auf einer Südseeinsel und wird von den Einheimischen zum König gemacht – bleibt kolonialistisch und diskriminierend, auch wenn man die Sprache säubert. Beim Vorlesen habe ich aber aus „Negerprinzessin“ eine „Südseeprinzessin“ werden lassen. Interessanterweise hat der Verlag später dieselbe Lösung gewählt. Meinen anderen Kindern habe ich die Bücher dann aber gar nicht mehr vorgelesen.
Alternativ: Ist es denn tatsächlich die Sprache selbst, die diskriminiert? Kommt es nicht auf die Absicht des Benutzers an?
Stefanowitsch: Es ist uns allen klar, dass wir in manchen Zusammenhängen, wo wir jemanden gut kennen, auch Wörter und Formulierungen akzeptieren können, die in anderen Kontexten problematisch sind. In dem Sinne spielt Intention sicher eine Rolle.
Wie weit kann man damit gehen?
Stefanowitsch: Intention kann nicht beliebig zur Rechtfertigung herangezogen werden. Es gibt Wörter und sprachliche Ausdrücke, die ganz klar und eindeutig eine sowohl gesellschafts- als auch sprachgeschichtliche Vorbelastung haben. Dann hilft es nichts, wenn die Intention edel war. Bestimmte Wörter sind in ihrer Bedeutung diskriminierend. Ich kann dort nicht einfach behaupten, ich meine mit den Wörtern, was ich individuell im Kopf habe.
Man kann sich irren
Wie fallen die Reaktionen darauf aus?
Stefanowitsch: Die Wörter haben eine anerkannte konventionalisierte Bedeutung, und wenn die diskriminierend ist, kann ich sie höchstens aus Versehen verwenden. Nach einem Hinweis darauf wäre die richtige Reaktion dann aber: „Tut mir sehr leid, das war mir nicht bewusst.“ Nur kommt meistens die Reaktion: „Das habe ich nicht so gemeint und deshalb ist das in Ordnung.“ Aber es ist natürlich nicht in Ordnung.
Passiert das bei bestimmten Diskriminierungen öfter als bei anderen?
Stefanowitsch: Das Argument kommt interessanterweise meistens im Zusammenhang mit rassistischer Sprache. Viele behaupten, wenn sie ein Wort wie „Neger“ nicht negativ meinen, dann ist es auch nicht negativ. Bei sexistischer Sprache kommt dieses Argument hingegen kaum. Es klingt nicht sehr plausibel, zu sagen: „Ich habe die Frau als ‚Schlampe‘ bezeichnet, das war aber nicht negativ gemeint.“
Warum ist das bei sexistischer Sprache anders?
Stefanowitsch: Die wenigsten Männer leben in einem Filter, wo es keine Frauen gibt. Frauen und Männer sind ja fast zwingend Teil derselben Gemeinschaft. Dagegen gibt es tatsächlich Leute, die keinen Kontakt zum Beispiel zu Schwarzen haben. Dann fällt es leichter Dinge zu behaupten – jedoch ohne jegliche Erfahrung.
Also spielt die Distanz zum Betroffenen eine Rolle?
Stefanowitsch: Auf jeden Fall. Dadurch ist rassistische Sprache häufig auch offensichtlicher beleidigend. Gleichzeitig fällt es sehr viel schwerer, das zu vermitteln. Wer rassistische Sprache verwendet, bekommt oft wenig direktes Feedback von den Betroffenen . So kann man sich länger einreden, dass das nicht beleidigend ist. Bezeichnet ein Mann aber eine Kollegin, Bekannte oder Partnerin mit Kraftausdrücken, bekommt er schnell Rückmeldung, dass das nicht in Ordnung ist. Was natürlich noch nicht automatisch heißt, dass er die Wörter dann nicht mehr verwendet.
Das Diskriminierungsopfer ist nicht „objektiv“
Ist es auch ein Problem, dass diejenigen, die es betrifft, an solchen Diskussionen oftmals gar nicht beteiligt sind?
Stefanowitsch: Ja. Dabei ist es wäre gar nicht schwer, sie zu beteiligen, denn sie äußern sich häufig sehr ausführlich. Aber erstens bekommen sie keine mediale Aufmerksamkeit. Zweitens wird ihnen auch oft fehlende Objektivität vorgeworfen – man tut so als ob sie gerade durch ihre Betroffenheit nichts Sinnvolles beizutragen haben.
Wo ist das zum Beispiel der Fall?
Stefanowitsch: Bei rassistischer Sprache ist das besonders deutlich. Immer wieder werden Diskussionen angefangen, obwohl Vereine wie „Der braune Mob“ die „Initiative Schwarze Menschen in Deutschland“ schon seit vielen Jahren erklären, welche Wörter sie für angemessen halten und warum. Statt ihnen zuzuhören, beginnt die Diskussion aber jedes Mal von vorne, wenn einzelne behaupten, für sie seien diese Wörter völlig neutral oder sie würden Schwarze kennen, die dieses oder jenes Wort nicht als beleidigend empfinden. Obwohl es also institutionelle Vertreter und engagierte Individuen vieler Betroffenengruppen gibt, werden sie nicht wahrgenommen oder sogar bewusst ausgeschlossen.
Wie erklären Sie sich, dass Begriffe wie „Political Correctness“ oder „Gutmenschentum“ mittlerweile eine negative Bedeutung haben?
Stefanowitsch: Es ist interessant, dass diese Wörter so negativ belegt sind. Als wäre es negativ, sich um Menschen kümmern zu wollen. Dadurch wird propagiert: „Jeder soll für sich selber kämpfen“. Das sagt eigentlich mehr über diejenigen aus, die diese Begriffe verwenden als über diejenigen, die so bezeichnet werden.
Man muss zuhören
Sie sehen das „Gutmenschentum“ also nicht negativ?
Stefanowitsch: Was soll schlecht daran sein ein Gutmensch zu sein? Oft wird gesagt, tatsächliche Gleichberechtigung sei wichtiger als Sprache. Das eine geht aber nicht ohne das andere. Die Art und Weise, auf die ich über etwas rede, ist nicht unabhängig von meiner Perspektive darauf.
Sie selbst haben einen jugoslawischen Migrationshintergrund, leben in zweiter Generation in Deutschland. Wie geht es Ihnen mit Diskriminierung?
Stefanowitsch: Ich werde heute vergleichsweise weitgehend verschont. Menschen mit einem osteuropäischen Hintergrund werden meinem Empfinden nach insgesamt in vielen Bereichen nicht mehr so stark diskriminiert wie viele andere Gruppen. Als ich jung war, war das noch anders. Heute erlebe ich es nur noch ab und zu, und mir persönlich macht es auch nicht mehr besonders viel aus. Ich führe ja insgesamt ein recht privilegiertes Leben, sodass mir einzelne diskriminierende Situationen ein Stück weit egal sein können. Aber ich würde eben nicht den Fehler machen zu sagen, nur weil ich etwas mit einem Schulterzucken abtun kann, gilt dies für andere auch.
Warum denken Sie, dass Sie nicht für andere sprechen können?
Stefanowitsch: Zum einen bin ich nicht typisch für eine ganze Gruppe und zum zweiten ist es ein Unterschied, ob man einen osteuropäischen Nachnamen hat oder eine dunkle Hautfarbe. Der Grad und die Art der Diskriminierung ist eben doch sehr unterschiedlich. Man muss den jeweils Betroffenen zuhören. Das ist jedoch schwer zu vermitteln.
Warum ist es schwer zu vermitteln, dass man mit den Betroffenen sprechen muss?
Stefanowitsch: Zum einen ist das ein automatischer Abwehrreflex; Man glaubt ja von sich, man sei kein Rassist, also kann man auch nichts Rassistisches gesagt haben. Zum anderen fehlt die Neugier. Die Idee, von den Menschen, über die man diskriminierend spricht, tatsächlich etwas zu lernen, kommt vielen absurd vor. Deshalb fragt keiner, warum ein Wort problematisch ist und welches Wort stattdessen in Frage käme. Dahinter steckt sicher auch eine allgemeine Grundeinstellung, dass es die anderen sind, die sich hier anpassen sollen.
Sprachmuster stehen oft für eine Weltsicht
Betrifft das nur einzelne Begriffe oder ganze Themenfelder?
Stefanowitsch: Für viele Themenfelder existieren systematische Sprachmuster, bei denen es nicht nur um die Diskriminierung von einzelnen Menschen geht, sondern um eine bestimmte Weltsicht. Die bleibt dann nicht nur sprachlich, sondern beeinflusst tatsächlich, wie über ein Thema gedacht wird.
Wie kommt es dazu?
Stefanowitsch: Wenn selbst führende Politiker demokratischer Parteien wie Horst Seehofer sagen, man werde sich „bis zur letzten Patrone“ gegen Einwanderung in die Sozialsysteme wehren, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn junge Menschen denken, Gewalt gegen Migranten wäre in Ordnung.
Stefanowitsch: Da wird eine richtige Kriegsmetaphorik benutzt. In normalen Tageszeitungen stehen Begriffe wie, „die Flüchtlinge versuchten über die Grenze zu stürmen“ oder „die Behörden hielten den Ansturm auf“ oder Magazine titeln „Ansturm auf Europa“. Als wäre das eine feindliche Armee, die angestürmt kommt und Europa muss sich „wehren“. Oder Anwohner „wehren“ sich gegen ein Flüchtlingsheim.
Die Sprache beeinflusst also unser Denken?
Stefanowitsch: Begriffe, wie „wehren“, „Grenzen schützen“ oder „stürmen“ – dadurch werden Flüchtlinge als militärische Gegner dargestellt. Mit Frontex und der gemeinsamen Initiative der EU ihre Außengrenzen zu schützen, wird das dann Realität. Plötzlich passiert das nicht mehr im übertragenen Sinne, sondern ganz wörtlich.
Für uns scheint das aber ganz normal.
Stefanowitsch: Weil wir eben in scheinbar neutralen Diskussionen diese Sprache verwenden, kommt es uns weniger erschreckend vor, als es eigentlich ist.
Gibt es neben der „Kriegsmetaphorik“ noch weitere Beispiele dafür?
Stefanowitsch: Ja, die „Flutmetaphorik“. Wir sprechen über eine „Flut von Asylanträgen“. Als ob wir gleich alle überschwemmt werden. Sieht man aber die Relation der Anträge zur Bevölkerungszahl in Deutschland, ist das nichts weiter als ein Tropfen. Das ist keine Flut.
Problematische Logiken ergeben sich aus metaphorischen Sprachmustern
Warum werden dann solche Begriffe gebraucht?
Stefanowitsch: Indem man von einer „Flut von Anträgen“ spricht, erschafft man ein Katastrophenszenario. Es erscheint dann plausibel, dass eilig etwas unternommen werden muss, um „die Flut einzudämmen“. Wenn wir nicht bewusst darüber nachdenken, akzeptieren wir das. Es ist ja selbstverständlich, dass man gegen eine Flut etwas tun muss.
Wie weit gehen die Begriffe in der Debatte?
Stefanowitsch: Es werden zum Beispiel auch Länder als Behälter dargestellt. Dass „in“ Deutschland 80 Millionen Menschen leben, klingt erst einmal neutral. Aber plötzlich heißt es dann „das Boot ist voll“. Aber Deutschland hat ja kein Platzproblem, die Logik ergibt sich aus den metaphorischen Sprachmustern.
Es werden also die falschen Fragen debattiert?
Stefanowitsch: Eigentlich haben wir ja einen Bevölkerungsschwund. Es ist also keine Frage von Platz, sondern eine Frage von Menschlichkeit. Menschen kommen, die Schutz suchen und wir haben genug Platz und genug Geld. Die Frage ist, ob wir das Geld dafür ausgeben wollen. Aber diese Frage wird gar nicht gestellt – es heißt nur „das Boot ist voll“ und „wir werden überschwemmt“. Das ist gefährlicher als einzelne diskriminierende Wörter.
Verwendete Sprache muss diskutiert werden
Wie kann man das ändern?
Stefanowitsch: Indem man sich das bewusst macht und über die verwendete Sprache diskutiert. Vor allem die Medien müssten bewusster über Sprache nachdenken. Redaktionen müssen sich klarmachen, dass mit Sprachbildern auch bestimmte Perspektiven übernommen werden. Es muss nach Alternativen gesucht werden und eine neutralere Sprache benutzt werden.
Aber schaffen nicht gerade Medien neue Begriffe?
Stefanowitsch: Es werden stetig neue Formulierungen geschaffen, aber auch auf die muss geachtet werden. Zum Beispiel das Wort „Wirtschaftsflüchtlinge“. So ein Wort darf man nicht akzeptieren. Das sind Menschen, die in ihrer Heimat verhungern und die versuchen, ein besseres Leben zu finden. Politische Sprache versucht hier ein Problem zu überdecken und versucht zu vermitteln, dass man politischen Flüchtlingen Zuflucht gewähren müsse, aber „Wirtschaftsflüchtlinge“ zurückschicken kann. Als ob es einen entscheidenen Unterschied für die Betroffenen macht, ob sie in ihrer Heimat verfolgt werden oder verhungern. In beiden Fällen kommen sie hierher, weil ihr Leben in Gefahr ist. Durch solche Wörter wird das verdeckt.
Der Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Anatol Stefanowitsch zu „populären“ Diskriminierungen:
Zum Begriff „Neger“:
„Hier sollte die Diskussion längst beendet sein. Man kann ganz klar historisch und sprachwissenschaftlich zeigen, dass das Wort immer eine negative Bedeutung hatte. Wenn das früher als „normales“ Wort benutzt wurde, heißt das nur, dass die Gesellschaft insgesamt rassistischer war und es deshalb akzeptabel war, so zu reden.“
Zum Begriff „Zigeuner“:
„Das ist umstrittener. Klar ist aber, dass Wörter wie „Zigeunerschnitzel“ oder „Zigeunersoße“ in folkloristisch kulinarischer Verwendung sehr kritisch sind. Man muss bedenken, dass diese Menschen von den Nazis in Konzentrationslagern systematisch vernichtet wurden. Die Bezeichnungen sind also historisch belastet. Es gibt Verbände der Sinti und Roma, die sich deutlich gegen die Bezeichnung ausgesprochen haben: andere Gruppen nutzen sie als Selbstbezeichnung. Man muss also genauer hinschauen. Das gleiche gilt übrigens für das Wort „Eskimo“.“
Zum Begriff „Flüchtlinge“:
„Das Wort Flüchtlinge ist umstritten. Manchen ist das Wort zu passiv und abwertend: Als ob die Menschen vor etwas weglaufen. Teilweise wird argumentiert, dass man lieber das englische Wort „Refugee“ verwenden soll, das darauf abzielt, dass jemand „Zuflucht“ sucht. Andere bevorzugen „Geflüchtete“. Man kann aber nicht sagen, dass das Wort „Flüchtling“ generell zu vermeiden ist. Was zu vermeiden ist, ist das Wort Asylant. Es bleibt die Frage, wie man anerkannte Asylbewerber nennt. Vielleicht braucht man auch gar kein Wort mehr für sie. Es sind Mitglieder der deutschen Gesellschaft.“
Anm. d. Red.: Julia Schmitt (28) ist Redaktionsvolontärin der Main-Post in Würzburg. Im Februar hat sie beim Rheinneckarblog.de hospitiert.
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