Mannheim/Rhein-Neckar, 24. Mai 2014. (red) Der Blick auf die Piraten, ein Vergleich mit der AfD in Sachen „Aufmerksamkeit“ erkennt das eigentliche Problem nicht: Weder die Piraten noch die AfD sind das „Phänomen“ – sondern die Enttäuschung vieler Menschen mit der Politik der „etablierten“ Parteien. Wenn man die Nichtwähler und einen gewichtigen Teil der Grünen-Wähler alle zusammenzählt, zeigt sich, dass die „Altparteien“ CDU, SPD und FDP immer mehr Einfluss verlieren. Das erklärt erhebliche Widerstände besser, als „Aufregungen“ über rechtspopulistische Aussagen von AfD-Politikern. Die Kritik der AfD an den „Altparteien“ ist tatsächlich gerechtfertigt, denn denen laufen die Menschen weg.

Stehende Ovationen für Hans-Olaf Henkel am Montag in der Heidelberger Stadthalle – rund 650 Besucher. Einen Zuspruch in dieser Größenordnung schafft im Kommunal- und Europawahlkampf keine andere Partei auch nur ansatzweise.
Kommentar: Hardy Prothmann
Um es gleich vorwegzunehmen: Ich würde niemandem raten, die AfD zu wählen. Ganz schlicht und ergreifend aus dem Eindruck heraus, dass „wesentliche Inhalte“ nur auf Neid, Misstrauen, Ängste, Schuldzuweisungen und Verschwörungstheorien basieren. Es kann niemals eine vernünftige politische Partei entstehen, deren Hauptargumente der Verweis auf Fehler der anderen sind. Ernstzunehmende Parteien haben eigene Inhalte, programmatische Ziele und machen Angebote, für deren Umsetzung sie sich aktiv einsetzen und verantwortlich sind.
„Altparteien“ verlieren – AfD erhält Zulauf
Man kann, so unterschiedlich die neuen Parteien auch sind, die Piraten und die AfD in Teilen trotzdem vergleichen. Die Piraten haben viele junge Menschen angezogen, weil die angeblichen Inhalte die jüngeren Generationen angesprochen haben – denn die „etablierten“ Parteien habe dies nicht geleistet. Die AfD spricht interessanterweise viele Mitglieder „etablierter“ Parteien an, weil diese offensichtlich nicht das leisten, was sie vorgeben. Gut ein Viertel, mit großer Wahrscheinlichkeit sogar mehr, der mittlerweile 18.000 Mitglieder kommt von CDU, SPD und FDP – aber auch von Die Linke und sogar von Bündnis90/Die Grünen.

Vorzeigefigur der AfD: Der ehemalige BDI-Chef Hans-Olaf Henkel, der der Partei sogar eine Million Euro geliehen hat, damit der Wahlkampf finanziert werden kann. Er wird mit großer Sicherheit ins Europäische Parlament einziehen, um dort für die Abschaffung des Euro zu wirken.
Kein Wunder also, dass diese Parteien die AfD als ernsthafte Bedrohung wahrnehmen. Noch mehr, als es dazu viele „honorable“ Personen gibt, die nie Parteipolitik gemacht haben. Galionsfigur Hans-Olaf Henkel, ehemaliger BDI-Chef, ist das führende Beispiel.
Ein paar Vergleichszahlen zeigen den Trend: Die große Volkspartei SPD hat es geschafft, seit dem Höchststand 1977 von über einer Million auf nunmehr 470.000 zu halbieren – die Mitgliederentwicklung kennt nur eine Richtung, nach unten. Durchschnittsalter: 59 Jahre. Die CDU hatte Anfang der 90-er Jahre 790.000 Mitglieder, aktuell sind es 468.000. Durchschnittsalter: 59 Jahre. In den nächsten zehn Jahren wird ein Verlust von gut 50 Prozent erwartet. Die FDP schoss 1990 auf 180.000 Mitglieder, um in den folgenden Jahren rasant auf die Hälfte zurückzufallen. Auch hier ist die Tendenz stetig fallend. Durchschnittsalter 53 Jahre. Bündnis90/Die Grünen sind an der FDP vorbeigezogen und zählen 61.000 Mitglieder. Durchschnittsalter: 48 Jahre. Sie ist die einzige der „etablierten“ Parteien, die leicht wächst. Die Linke zählt 65.000 Mitglieder. Durch den Fusionsprozess von PDS und WASG ist eine Kontinuität der Mitgliederzahlen nur schwer zu ermittelt. 2011 erreichte die Partei einen Höchststand von 78.000 Mitgliedern, aktuell liegt sie bei knapp 64.000 und ist mit einem Durchschnittsalter von 60 Jahren die „älteste“ Partei.
Im Vergleich zur Jungen Union mit knapp 120.000 Mitgliedern sind Die Linke, Bündnis90/Die Grünen und FDP weit abgeschlagen. Der „Shooting“-Star ist die AfD. Knapp 18.000 Mitglieder in 15 Monaten – Durchschnittsalter: 51 Jahre. Die Wahlerfolge der AfD reichten noch nicht, um im Bund oder Ländern eine Rolle zu spielen. Bei der Bundestagswahl 2013 erreichte die AfD 4,7 Prozent, bei der Landtagswahl in Hessen 2013 4,1 Prozent. Für die Europawahl werden der Partei 7-9 Prozent prognostiziert. Sie wird hier Mandate erringen können. Ob dies auch bei Kommunalwahlen in Baden-Württemberg gelingt, ist offen, da die Partei eher in Sachen Europakritik wahrgenommen wird.
Erfolgreich trotz negativer Bewertung in den Medien
Erstaunlich ist die mediale Präsenz und die „Einigkeit“ in der Bewertung durch die Medien – die ist überwiegend negativ und widerspricht damit vollkommen dem Mitgliederzuwachs und den Wahlerfolgen. Eventuell trifft die AfD genau die Befindlichkeit vieler Menschen, die sich von der „etablierten“ Politik enttäuscht zeigen. Rettungsschirm-Milliarden, Osterweiterung der EU, spürbare Einkommensverluste, zunehmende Umverteilung des Besitzes (Reiche immer reicher, Ausdünnung des Mittelstands) werden von der Bevölkerung offenbar anders wahrgenommen als in der Politik und in den durchaus mit der Politik sehr eng verwobenen Medien.
Angstkampagnen gegenüber Ausländern und mit angeblich bedrohlicher Kriminalitätsentwicklung in den Zeitungen (auch beim Mannheimer Morgen) erzeugt zudem eine höhere Deckungsgleichheit mit Aussagen der AfD – selbst wenn insbesondere CDU/CSU ebenso unverhohlen Stimmung machen, wie ein Horst Seehofer mit seiner Parole „Bis zur letzten Patrone“ oder „Wer betrügt, der fliegt“. In Mannheim steht die CDU dem in nichts nach mit der fortwährenden Kampagne gegen südosteuropäische Einwanderer. Der Vergleich zu rechtsradikalen Parteien wie der NPD trifft aber nur die AfD – die CDU bleibt davon medial in den „etablierten“ Medien verschont.
Insbesondere Linksaktivisten, aber auch die Grünen problematisieren die AfD als rechte Partei. Die vielen Professoren und „honorigen“ Persönlichkeiten passen aber nicht ins „Glatzen-Image“ – auch das ein Fehler der Medien, die „Rechtsradikalismus“ zunehmend auf optische Symbole wie Glatzen, Springerstiefel und Nazi-Kleidermarken reduziert haben, anstatt sich tatsächlich „inhaltlich“ damit auseinanderzusetzen, was rechtsradikal ist. Die AfD spielt gekonnt mit Begriffen wie „Überfremdungsängsten“ oder Neid-Debatten, dass „die Deutschen“ Europa bezahlen und trifft die teils blank liegenden Nerven von immer mehr Menschen. Und wer weiß, dass durch alle Bevölkerungsschichten hindurch rund ein Vierteil der Deutschen ausländerfeindliche Einstellungen hat, muss sich über nichts wundern.

Zehn Störer werden aus dem Saal geführt – nachdrücklich, aber nicht von „Schlägertrupps“, sondern von einer privaten Sicherheitsfirma, die souverän dafür sorgt, dass die Veranstaltung durchgeführt werden kann.
Hinzu kommt eine Skandalisierung in den Medien, die versucht, die AfD als eine Art „professorale“ NPD hinzustellen. Aktuell konnten sich 650 Menschen in Heidelberg davon überzeugen, dass sie das nicht erleben. Rund zehn „Störer“ wurden durch eine private Sicherheitsfirma ohne großes Aufsehen aus dem Zahl geleitet. Ich und andere Pressevertreter wurden in keinster Weise behindert, während in Bremen die bekannte Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpke des Saales verwiesen wurde und ein Fotograf angeblich zu Boden geschubst wurde, was aber eher nach einer „Schwalbe“ durch den Fotografen aussah. Die Rhein-Neckar-Zeitung berichtet von „drohender Eskalation“ und „Tumulten“ – vollkommener Blödsinn.
Problematische Entwicklung als Spiegel des Versagens der „Altparteien“
Meine Betrachtung kann nicht falsch verstanden werden: Die AfD ist eine hochproblematische Partei, die populistisch agiert – auch mit rechten Inhalten. Aber sie ist auch ein Spiegel der anderen Parteien. Ein sympathischer Martin Schulz (SPD) kassiert 111.000 Euro Sitzungsgelder – das kann „der kleine Mann“ nicht verstehen. Hinzu kommt die Kampagne, man solle ihn wählen, nur so könne „ein Deutscher“ Präsident der EU-Kommission werden. Wie unterscheiden sich solche „nationalen“ Anspielungen von anderen, fragt sich da der Wähler. Eine willkommene Vorlage für die AfD. Hinzu kommen Spitzenverdiener wie Peter Gauweiler (CSU), der bis zu einer Million Euro neben seinen Abgeordnetenbezügen einstreichen soll. Doktortitel-Betrüger bei CDU und FDP tun ihr Übriges, um Vertrauen in etablierte Parteien zu erschüttern.
Und aktuell wertet der baden-württembergische CDU-Chef Peter Hauk die AfD auf, in dem er indirekt eine Koalition mit ihr in einem SWR-Interview nicht ausschloss. Die Reaktionen anderer Partei-Vertreter waren „entsetzt“ – doch für die AfD war es ein Punktsieg, ohne eigenes Zutun. Nach aktuellen Umfragen würde die AfD im Ländle 6 Prozent bei einer Landtagswahl erreichen. Zusammen mit der CDU, die aktuell 39 Prozent hat und der FDP mit 5,3 Prozent wäre das eine regierungsfähige Mehrheit. Das setzt wiederum die SPD unter Druck, die nur ungern mit den Grünen regiert und mit einer großen Koalition bei der Wahl 2015 liebäugelt. Hauk ist ein Draufschläger – aktuell kassiert er Prügel und rudert zurück – aber er ist es, der eine Umarmung der AfD zur Machtsicherung ins Spiel gebracht hat. Und wenn es soweit ist, wird er die Karte ausspielen.
Parteien – hört die Signale
Wenn die etablierten Parteien die Signale nicht erkennen, die der Erfolg der AfD ausmachen, hat die Partei gute Chancen, sich im Parteiensystem einzurichten und zwar deutlich rechtskonservativ. Aus meiner Sicht ist die AfD als Spiegel großer Probleme des aktuellen Parteiensystems eine Handlungsaufforderung an diese selbst: Weglächeln und Aussitzen, wie Kanzlerin Merkel das gerne tut, ist vollständig verantwortungslos und wird sich rächen. Durch eine zunehmende Unzufriedenheit bei den Bürger/innen, die, auch wenn man sie nur „Protestwähler“ nennt, ihre Stimme trotzdem einsetzen können.
Von Weimarer Verhältnisse sind wir heute noch immer weit weg – aber auch damals begann der Niedergang der Demokratie mit dem Versagen der etablierten Parteien. Die Hoffnung, die AfD würde sich selbst erledigen, wie die Piraten das gemacht haben, sollte man nicht hegen – dafür hat die AfD zu viele „kluge Köpfe“, die „handfeste“ Forderungen stellen, statt über’s Neuland zu diskutieren.
Siehe auch sehr umfassende Darstellung zur AfD im Handelsblatt.