Mannheim/Stuttgart, 15. September 2014. (red) NPD-Parolen in gut bürgerlichen Wohnzimmern? Gibt es – dank dem Südwestrundfunk und dessen Moderator Clemens Bratzler. In der Sendung „Zur Sache – Baden-Württemberg“ vom 11. September lässt er Zuschauer per Live-Schaltung zur besten Sendezeit zu Wort kommen. Ein Winzer, eine Pfarrerin und eine Unternehmerin. Zwei davon ziehen vornehm, aber mit braunen Argumenten vom Leder – unwidersprochen. Es gibt sogar eine Art Zustimmung durch den Moderator.

Zur Sache vom 11.9.2014. Moderator Clemens Bratzler informiert zu „Flüchtlinge bringen Kommunen in Not“ – zu Gast ist die Reutlinger Oberbürgermeisterin Barbara Bosch. Quelle: SWR
Von Hardy Prothmann
Helga Koch hat eine klare Meinung zur Aufnahme von Flüchtlingen – man soll sich doch bitte zuerst um die Deutschen kümmern:
Sind unsere deutschen Mitbürger, die vom Schicksal gebeutelt sind weniger wert, als die Asylbewerber? Wir dürfen das ganze nur mit unseren Steuern bezahlen, aber nie selbst etwas fordern. Und wir Deutschen haben kaum mehr genug zum leben. Die Mieten steigen, der Strom wird teurer und unsere Rentner kommen mit ihrer schmalen Rente kaum mehr über den Monat. Sie können sich noch nicht einmal mehr einen Kaffee und ein Stück Kuchen erlauben. Und dabei ist die Altersarmut noch lange nicht auf ihrem Höchststand. Doch das sind unsere Landsleute, die unser Land wieder aufgebaut haben als es am Boden lag. Das sind unsere Trümmerfrauen, die ihre Kinder allein aufziehen mussten, da ihre Männer im Krieg gefallen oder erst Jahre später aus der Gefangenschaft zurück kamen.
Halten Sie diese Argumentation für unredlich? Weil Sie wissen, dass die Rentenpolitik nichts mit der Asylpolitik zu tun hat – mal abgesehen davon, dass die Generation der „Trümmerfrauen“ als weitgehend ausgestorben gelten darf? Helga Koch ist übrigens NPD-Funktionärin und war Gemeinderatskandidatin auf Listenplatz vier in Mannheim. Das Zitat stammt von der Homepage der NPD Rhein-Neckar.
Gabriela Köther, Unternehmerin aus Gernsbach, darf sich in der Sendung „Zur Sache – Baden-Württemberg“ unwidersprochen wie folgt äußern:
Ich habe die Angst, dass auch bei diesen Flüchtlingen nicht nur welche dabei sind, die kriegsverfolgt sind, sondern auch irgendwelche wirtschaftlichen aufbügeln wollen. Denn wenn ich so sehe, wie unsere Rentner, die Deutschland aufgebaut haben, die Trümmerfrauen, die müssen von einer geringen Rente leben, wissen teilweise nicht, wie sie rumkommen sollen. Wir müssen ärztliche Versorgung selber zahlen. Die Flüchtlinge bekommen alles, ich sage mal, erstattet.
Andere Worte, aber gleiche Argumentationskette: Wirtschaftsflüchtlinge, Trümmerfrauen am Abgrund, Asylbewerber bekommen alles. Das ist fremdenfeindliches Gedankengut in Reinform.
Wir sagen schlicht und einfach, dass wir zuerst mit der Armut unserer Leute aufräumen müssen. Wenn wir das erledigt haben, dann können wir uns auch um andere kümmern. Solange es aber in Deutschland Kinder gibt, die Hunger leiden. So lange es Familien gibt, die vor Verzweiflung nicht mehr Wissen wie sie über die Runden kommen sollen, so lange werden wir uns dafür einsetzen, dass zuerst diesen Menschen geholfen wird. Das ist weder ausländerfeindlich noch ist es ein Verbrechen. Es ist das Normalste der Welt. Oder kennen Sie jemanden, der seine Kinder hungern lässt, um fremde Kinder zu ernähren? Wer das tut ist nicht normal. Die Altparteien sagen, wir seien ein reiches Land. Sie vergessen aber immer zu erwähnen wie viele Menschen weit unter diesem statistischen Durchschnitt leben. Eine politische Kaste, die Hilspate (sic!) für die ganze Welt spielen will und in der ganzen Welt unsere Steuergelder verschenkt, im eigenen Lande aber nicht mit der Arbeitslosigkeit und mit der Armut aufräumen kann ist volksfeindlich.
Wer sagt das? Die NPD Bayern.
Winzer Emil Kopp darf sich bei „Zur Sache“ so äußern:
Das ganze Problem, mitten im Ort, dass da die Leute unterkommen mit unterschiedlichen Nationalitäten, befürchten die Einwohner das das nicht gut geht. Ich befürchte einfach, dass die Politiker zu leichtfertig versprechen und die Leute ins Land holen, ohne dafür zu sorgen, dass die unterkommen. Und ich denke einfach, dass es zu viele werden. Und wenn man humanitär sein will, gibt es auch viele Notlagen in den eigenen Reihen. wo man sich beweisen kann.
Auch hier steht die Argumentation „wir“ gegen „die“. Eigene, also deutsche „hungernde Kinder“ oder „Notlagen“ gegen Flüchtlinge. Humanitäre Hilfe nach innen oder außen. Und die Mär von Politikern, die angeblich verantwortungslos Fremde ins Land holen. Moderator Clemens Bratzler lauscht und signalisiert Zustimmung über ein häufiges „hmhm“.
Die Politikwissenschaftlerin und Rechtsextremismus-Expertin Ellen Esen aus Karlsruhe sagt auf Anfrage:
Solche „Argumentationsmuster“ sind eindeutig durch die NPD und andere Rechtsradikale geprägt und finden immer mehr Anklang im bürgerlichen Lager. Insbesondere Hassplattformen wie pi-news verbreiten diese „Argumente“, die keine sind.
Offenbar ist der SWR-Moderator Clemens Bratzler weitestgehend ahnungsfrei, was zum Beispiel Artikel 1 unseres Grundgesetzes über Menschenrechte sagt und auch Artikel 16 scheint ihm nicht geläufig zu sein. Und schon gar nicht, dass sozial schwache Kinder und deren Betreuung unter die Sozialgesetzgebung fällt, die Rentenregelung unter die Rentengesetzgebung und Flüchtlingsangelegenheiten unter die Asyl-Gesetzgebung.
Wer Argumentationsmuster unwidersprochen zulässt, die etwas vergleichen, was sich nicht vergleichen lässt, der könnte genauso gut per „hm“ Zustimmung signalisieren, wenn jemand behauptete, die Asylbewerber bekämen Deutschunterricht, während es noch viel zu viele deutsche Analphabeten gibt. Oder wie es denn sein könne, dass die Geldleistungen auf der Höhe von Hartz IV liegen und dann sagen: „Kann es sein, dass Fremde genauso behandelt werden wie Deutsche? Muss man da nicht einen Unterschied machen?“
Die Aussagen der zugeschalteten Zuschauer werden umrahmt von Beiträgen, die auch keinen Zweifel an der Aussage lassen: „Das Boot ist voll“. Einzig die Pfarrerin Bärbel Danner aus Bitz ist wahrscheinlich aus Gründen der „Objektivität“ zugeschaltet, damit die Sendung nicht zu einseitig wirkt und bringt ihren Unmut zum Ausdruck. Sie sagt:
Wir können noch viel mehr Flüchtlinge aufnehmen. Wir haben es nach dem zweiten Weltkrieg geschafft, dass wir 12,5 Millionen Menschen hier integrieren konnten. Haben wir eine unfähige Politik? Das ärgert mich sehr.
Beim SWR haben wir angefragt, wie man diese Sendung, die unwidersprochen getroffen Aussagen und die „Leistung“ des Moderators beurteilt, der immerhin auch stellvertretender Chefredakteur Fernsehen ist. Das ist dann sicher einen eigenen Artikel wert. Ebenso die Behauptung: „Flüchtlinge bringen Kommunen in Not“ – wir haben noch keine notleidende Kommune gefunden, die Schwimmbäder oder Schulen schließen musste oder eine Straße nicht saniert hat, weil die Kosten für Flüchtlinge den kommunalen Etat aufgezehrt hätten.