Mannheim/Rhein-Neckar, 29. Mai 2014. (red) Rund 1.000 Mannheimer/innen sind gestern spontan dem Aufruf des Bündnis „Mannheim gegen Rechts“ gefolgt und haben ihren Widerstandswillen gegen jede Art von Menschenfeindlichkeit, Rassismus, Faschismus oder Nationalsozialismus bekundet. Der Protest verlief engagiert, teils emotional, aber vollkommen friedlich. Viele lokale Politiker und Amtsinhaber waren gekommen, um sich zu Demokratie und Menschenwürde zu bekennen und sich gegen den neu gewählten Gemeinderat der NPD, Christian Hehl, zu stellen.
Von Hardy Prothmann
Erst waren es drei- bis vierhundert Menschen, dann 500, 700 zum Ende gut 1.000 Menschen, die dem Aufruf des Bündnis „Mannheim gegen Rechts“ gefolgt sind. Junge, Alte, Männer, Frauen, quer durch alle Schichten, Antifas, wobei man wenig Geschäftsleute oder „biedere Menschen“ sehen konnte. Mannheimer Schickeria schon gar nicht. Auch keine Zuhälter, obwohl die mit bulgarischen Frauen viel Geschäft machen. Geschäftsleute, Spießer, Verbrecher halten sich von Menschenansammlungen eher fern.

Auch dieser Jugendliche ist die Zukunft Mannheims – er macht Spaß und will nur aufs Foto. Die Menschen hinter ihm demonstrieren auch für ihn gegen die menschenverachtende Ideologie der NPD. Leider fehlen wesentliche Teile der Mannheimer Stadtgesellschaft bei dieser Demonstration.
Warum fehlen viele Vertreter der Mannheimer Stadtgesellschaft bei Demos gegen Rechts?
Dabei wünschte man sich, dass auch die IHK, die Handwerkskammer und andere Verbände Vertreter schickten, um klar zu machen, dass sie viele, viele Menschen mit Migrationshintergrund beschäftigen und diese erheblich zur Firmenleistung beitragen und dass internationale Geschäfte mit anderen Menschen in anderen Ländern ein wesentlicher Stützpfeiler für den Wohlstand der Menschen in Deutschland sind. Und auch die Spießer wären gerne willkommen – beschäftigen sie doch Kindermädchen, Altenpflegerinnen, Gärtner, Bauarbeiter und sonstige Arbeitskräfte aus dem Ausland ganz selbstverständlich.
Auch Bauern hätte man gerne gesehen, die ohne polnische, rumänische oder bulgarische Arbeiter aufgeschmissen wären. Ja, und auch die Schickeria, die den von diesen Leuten geernteten, hochpreisigen Spargel schlonzt. Dazu ein vortrefflicher Wein – die Trauben von billigen Kräften geerntet. In schicken Klamotten – irgendwo auf der Welt, vermutlich in China oder Bangladesh von Menschen zusammengenäht, die davon kaum überleben können, während die Schicki-Mickies teure Euros auf den Tisch blättern, um die Marken zu kaufen.
Und auch Vertreter anderer Gemeinden aus dem Umland hat man nicht gesehen: Beispielsweise aus Weinheim, wo der NPD-Kreisvorsitzende Jan Jaeschke lebt und man mir hinter vorgehaltener Hand sagt, man sei froh, „das Mannheimer Problem nicht zu haben“. Oder aus Ladenburg, wo die NPD aufmarschiert ist. Oder Sinsheim, das die Nazis als Hochburg betrachten. Oder Ludwigshafen, wo vor einigen Monaten NPD-Aktivisten und Rechtsradikale aus der ganzen Region in der Nähe einer Asylbewerberunterkunft aufmarschierten.
Ernste Mienen
Viele der Gesichter bei dieser politischen Demonstration sind sorgenvoll und ernst. Aktuell nicht wegen der weltweiten Ausbeutung von Arbeitskraft, sondern wegen eines lokalen Problems. Ein NPD-Mann ist demokratisch gewählt worden. Ein Rechtsradikaler. Ein Nazi. Ein Menschenverachter. Ein Gewalttäter. In Mannheim. Der Stadt mit dem Zuwandererproblem. Der Stadt, in der weit über ein Viertel der Menschen einen Migrationshintergrund hat. Der Stadt, die stolz auf ihre demokratische Tradition ist. Auf Jahrhunderte des Miteinanders der Kulturen. Der Stadt, die erst vor kurzem lernen musste, dass sie erhebliche Schuld durch Arisierung auf sich geladen hat und deren spendabler Mäzen Heinrich Vetter einer der großen Profiteure war.

Mehr und mehr Menschen versammelten sich nach dem Aufruf von Mannheim gegen Rechts am Mittwochabend am Paradeplatz.
Was hat die Wahl des Nazis zu bedeuten? Viele Gesichter hier auf dem Mannheimer Paradeplatz zeigen die Vielfalt der Welt. Viele der Menschen heute und hier haben einen Migrationshintergrund. Deutsche stehen neben schwarzheutigen Menschen, neben Frauen mit Kopftuch, neben Schnauzbartträgern aus dem Hindukusch, türkischen und arabischen Frauen und neben Asiaten und alle sind angespannt.
Wir stehen hier, auf dem Paradeplatz, nur ein paar hundert Meter von hier haben die Nazis den Bürgermeister entmachtet und Unheil über die Menschen und die Stadt gebracht,

Stadt Ralf Eisenhauer (SPD)
sagt Stadtrat Ralf Eisenhauer (SPD). Er ist sichtlich bewegt. Das Gesicht zuckt, die Hand umklammert das Mikrophon, bis die Knöchel weiß werden. Er dreht sich im Kreis, versucht die Menschen in alle Richtungen anzusprechen. Der Mann ist innerlich total aufgewühlt. Die Menschen hören zu und gucken ernst und sorgenvoll. Herr Eisenhauer verliest eine Botschaft von Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz, der aktuell außerhalb von Mannheim ist. Unverständnis, Aufruf zur Demokratie. Botschaften des Widerstands, des Einstands füreinander. Die Menschen klatschen. Sie stimmen zu. Dann gucken sie wieder sorgenvoll.
Reinhold Götz, Erster Bevollmächtigter der IG Metall und SPD-Stadtrat, spricht und beschwört den Zusammenhalt der Demokraten. Sogar Vertreter der CDU sind anwesend, wofür sich der wiedergewählte Grüne Stadtrat Gerhard Fontagnier ausdrücklich bedankt. Natürlich sind nicht die CDU-Vertreter da, die im Wahlkampf das Ausländerthema zum Thema gemacht haben, wie der CDU-Chef Claudius Kranz. Und die Frage, wie sicher man sich noch in Mannheim fühlen kann und wie das alles mit einer angeblich steigenden Kriminalität zusammenhängt und dass man darüber „endlich mal reden müsse“. Sondern die lieben CDU-Mitglieder wie eine Rebekka Schmitt-Illert. Wie nett. Der hebräische Name Rebekka heißt die „Verbindung schaffende“. Wenn das mal nicht passt. Dass hochrangige CDU-Vertreter nicht da sind – Erster Bürgermeister Christian Specht beispielsweise, lässt an einer „Verbindung“ zweifeln.
Viele Nazi-Veranstaltungen – und nun der Wahl-Erfolg
Es war absehbar, dass dieses „Unglück“ passieren würde. Und während alle den Nazi Christian Hehl vor Augen haben, heißt der Drahtzieher Jan Jaeschke. Das komplette Gegenteil des Gewalttäters Hehl. Ein pausbackiger, pummelig wirkender Überzeugungstäter im Anzug. Er hat zig NPD-Kundgebungen über die vergangenen zwei, drei Jahre veranstaltet, den Bundesparteitag der NPD nach Weinheim geholt, ist durchs Land gezogen und hat als Ziel Mannheim ausgemacht. Man macht sich lustig über ihn. Beispielswiese als „Wurst im Anzug“. Trifft ihn das? Vielleicht. Vor einigen Monaten haben ihn Schläge eines NPD-Freundes getroffen – er wurde massiv verletzt und macht weiter. Jan Jaeschke ist vielleicht teigig – aber er ist der vermutlich überzeugteste Nazi in Nordbaden und geht strategisch vor. Dass viele ihn unterschätzen, kommt ihm zupass.
Und er macht nichts anderes, als seine ideologischen Ziele zu verfolgen. Sich selbst sieht er verfolgt. Von der Demokratie. Und die will er überwinden. Ad absurdum führen. Das ist gefährlich, weil die Demokratie schwach ist – insbesondere, wenn 60 Prozent einer Stadt nicht wählen gehen, wie Ralf Eisenhauer richtig anmerkt und Tränen in den Augen hat, als er das sagt.
Der SPD-Mann weiß, dass seine Partei verloren hat. Und die CDU. Und die FDP. Und er weiß auch, dass Protestlisten wie die Freien Wähler und vor allem die AfD plötzlich erkennbar da sind, Raum einnehmen. Aufmerksamkeit. Aber weder die AfD noch die Mannheimer Liste schaffen es, 1.000 Menschen zu mobilisieren. Dafür aber ein NPD-Mitglied. Stadtrat Fontagnier ruft dazu auf, den Nazi zu ignorieren. Ihm nicht zuzuhören. Ihm keine Aufmerksamkeit zu geben – und hunderte Demonstranten hören ihm aufmerksam zu. Wie löst man diese Paradoxie auf, den Aufruf zur Ignoranz gepaart mit dem Aufruf zum Engagement?
Ist die Lösung das „Schweriner Modell“? Dort antwortet – wenn überhaupt – immer nur ein Vertreter der demokratischen Parteien für alle anderen, um den demokratischen Ablauf zu gewährleisten, den Nazis aber nicht mehr Raum als nötig zu geben.

Der Weinheimer Jan Jaeschke (rechts im Bild) ist Kreisvorsitzender der NPD und im Landesvorstand der rechtsextremen Partei. Links neben ihm: Ricarda Riefling, die Rechtsextreme aus Pirmasens ist im Bundesvorstand der NPD und Vorsitzende des Ring nationaler Frauen.
Ist das vorstellbar? Dann müsste die CDU die Kriminalisierung der Südosteuropäer ebenfalls aufgeben. Und die örtliche Tageszeitung auf rassistische Kommentare verzichten. Die Biedermänner, die vermutlich dafür verantwortlich sind, durch ihre fortgesetzte geistige Brandstiftung ein Klima der Fremdenfeindlichkeit derart gefördert zu haben, dass rund 1.000 Mannheimer Wähler/innen – mehr waren es nicht und es sind trotzdem zu viele – einen Nazi in den Gemeinderat gewählt haben.
Der Weinheimer Kreisvorsitzende Jan Jaeschke wird die Chance ergreifen wollen, das politische Mandat für die demokratiefeindlichen Ziele der NPD so gut es geht zu nutzen. Mannheim gegen Rechts und viele, viele Demonstranten haben schon lange im Vorfeld Widerstand gegen die braune Ideologie geleistet, um die Wahl eines Nazi zu verhindern. Leider hatte man so gut wie nie Vertreter der CDU, FDP, der Mannheimer Liste oder Vertreter der Wirtschaft, der Hochschulen, aus den Sportvereien in der Vergangenheit dort gesehen.
Erst vor wenigen Wochen haben sich politische Hooligans von eigentlich verfeindeten Clubs in Mannheim gegen ebenfalls extremistische Salafisten zusammengeschlossen – dass es zu keinen Eskalationen kam, ist nur der guten Arbeit der Polizei zu verdanken, die nur mit enormen Aufwand die öffentliche Ordnung sicherstellen konnte.
Mannheim hat schwere Zeiten vor sich, wenn nicht nur die zusammenhalten, die sich immer wieder gegen Rechtsextremismus einsetzen. Die Wahl des Nazi Christian Hehl ist ein Auftrag an alle, nicht nur die kommenden fünf Jahre demokratisch geschlossen zu gestalten, damit nicht bald wieder Asylbewerberunterkünfte brennen.