Mannheim/Rhein-Neckar, 29. Juli 2015. (red/ms) Der AfD-Fraktionsvorsitzende Eberhard Will macht sich im Integrationsausschuss dafür stark, „Mischehen“ und deren „Haltbarkeit“ statistisch zu erfassen, um „Integrationspolitik besser und präziser steuern zu können“. Weil an dem historisch belasteten Begriff „Mischehe“ und seiner Idee Kritik geäußert wird, wirft Herr Will dem „links-grünen Milljöh“ vor, „der breiten Bevölkerung ihre Sprache zu stehlen und politisch zu zensieren“.
Kommentar: Minh Schredle
Die Stadt Mannheim will ein sogenanntes Integrationsmonitoring auf den Weg bringen. Darin sollen Daten und Informationen über Menschen mit und ohne Migrationshintergrund gesammelt und aufbereitet werden. Die neu gewonnen Erkenntnisse will die Stadt dazu nutzen, ihre Integrationspoitik besser und präziser zu steuern.
Die meisten dieser Daten werden ohnehin schon erfasst: Wer schafft welchen Schulabschluss? Wie hoch sind die Arbeitslosenquoten bei wem? Zwischen welchen Indikatoren gibt es vermutlich hohe Korrelationen? Wo kann die Stadt effektiv und effizient gestalten?
„Mischehen“ als Indikator?

Eberhard Will ist Sprecher des Kreisverbands Mannheim der AfD und Fraktionsvorsitzender im Mannheimer Gemeinderat. Foto: AfD
Die Daten werden nach Angaben der Stadt allesamt anonymisiert erfasst und werden vornehmlich aus den Erhebungen von anderen Institutionen – wie etwa dem Statistischen Bundesamt – wiederverwertet. Dadurch entstehen der Stadt Mannheim nach Angaben von Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz nur geringfügige Kosten durch das Monitoring.
Am vergangenen Mittwoch wurde dieses Konzept zum ersten Mal im Integrationsausschuss diskutiert. Die Pläne stehen noch am Anfang, viele Details sind noch ungeklärt. Die Grundgedanken kamen allerdings bei den anwesenden Stadträten schon mal sehr gut an – auch bei Eberhard Will, dem Fraktionsvorsitzenden der AfD.
Herr Will bezeichnete es als „lobenswert in der Debatte um die Zuwanderung endlich ein bisschen Transparenz“ schaffen zu wollen. Doch dann sprach er sich dafür aus, „Mischehen“ und deren „Haltbarkeit“ als einen Indikator für gelungene Integrationspolitik zu erfassen.
Ist das unbedacht und geschmacklos provokant oder menschenverachtend und freiheitsfeindlich?
Was denkt sich Herr Will?
In jedem denkbaren Fall ist der Begriff „Mischehe“ historisch betrachtet mindestens „belastet“: Im September 1935 erließ die NSDAP ein Gesetz, wonach die Ehen zwischen Juden und „Deutschblütigen“ als Mischehe bezeichnet werden mussten.
Wie kommt man darauf, so einen Begriff ausgerechnet in einer Diskussion im Integrationsausschuss zu verwenden?
Auf Rückfrage verweist Herr Will darauf, dass der Ausdruck „vermutlich schon seit der Reformation für glaubensverschiedene Ehen verwendet“ wäre und dass der „Versuch der Nazis den Begriff exklusiv für Ehen zwischen Juden und Nichtjuden zu reservieren“ gescheitert sei, wie sich am heutigen Sprachgebrauch leicht erkennen lasse.
„Autobahn“ genauso „vergiftet“ wie „Mischehe“?
Mir ist außer Herrn Will keine einzige Person bekannt, die den Begriff verwendet – schon gar nicht in der politischen Diskussion. Außer im äußerst rechten bis rechtsradikalen Umfeld.
Herr Will hält allerdings weiter an dem Begriff fest und sagt, man könne ebenso gut das Wort „Autobahn“ für „vergiftet“ erklären. Auf Anfrage schreibt er:
Die ständig zunehmenden Versuche des linksgrünen Milljöhs, die gewachsene Umgangssprache politisch zu zensieren, stellt den hinterhältigsten und gleichzeitig mächtigsten Angriff auf das Recht auf freie Rede dar. Er betrifft insbesondere die breiten Schichten der Bevölkerung, die dann objektiv keine Chance hätten, das was sie wirklich sagen wollen, in ihren eigenen Worten auszudrücken.
Aha.
Gerechtfertigte Kritik?
Tatsächlich gibt es verschiedene Fälle, in denen ein politisch vollkommen korrekter Sprachgebracht regelrecht sperrig und häufig gestelzt wirkt – unter gewissen Umständen könnte Kritik, wie von Herrn Will geäußert, hier sogar ihre Berechtigung haben. Aber ganz sicher nicht in diesem Fall.
Denn „Mischehe“ ist eben kein Begriff wie „Autobahn“. Denn das Wort „Autobahn“ wurde noch nie gebraucht, um Menschen wegen ihres Glaubens auszugrenzen, zu diskriminieren, zu verfolgen oder gar zu vernichten. Und auch Worte wie „Neger“ wurden im historischen Gebrauch nicht immer ausschließlich diskriminierend gebraucht – das macht die Verwendung des Wortes noch lange nicht unproblematisch.
Und selbst wenn das Wort „Mischehe“ nicht vorbelastet wäre: Es wäre immer noch kein anständiges Wort. Denn es stellt sich die Fragen: Wo ist der Unterschied zu Ehen zwischen „Deutschen“? Mischen die sich nicht auch, wenn sie Kinder zeugen? Oder geht es um Rasse und „reinrassige Gene“?
Es gibt immer Alternativen
Die „Mischehe“ wird hier zum Sonderfall gegenüber der, ja was bitte? Zur „normalen“ Ehe?
Herr Will beklagt sich, dass das „linksgrüne Milieu“ der breiten Bevölkerung ihre Chancen berauben wolle, die „tatsächlichen“ Gedanken ausdrücken zu können. Wenn Herr Will mit der „Mischehe“ lediglich glaubensverschiedene Ehen meint – warum sagt er nicht genau das: „Glaubensverschiedene Ehe“? Das träfe auf Ehen in unterschiedlichsten Konstellationen zu, zwischen katholischen, griechisch-orthodoxen, protestantischen, christlicher Freikirchen, Juden, Buddhisten und was es sonst noch an Religionen gibt. Das wäre präziser und unmissverständlicher. Oder hat Herr Will nur die „deutsch-muslimische“ Ehe gemeint, wobei deutsch kein Religionsbegriff ist?
Der AfD wird regelmäßig eine Nähe zum Rechtspopulismus nachgesagt – sie selbst distanziert sich meist davon. Ist es unter solchen Umständen wirklich sinnvoll, dermaßen provokante und deplazierte Aussagen im Integrationsausschuss von sich zu geben und auf Nachfrage noch daran festzuhalten, obwohl die Problematik offensichtlich sein sollte?
Sprachbewusstsein schärfen
Man sollte niemals unterschätzen, wie bedrohlich Sprachgebrauch sein kann: Wenn etwa bei der griechischen Finanzkrise von einem „politischen Erdbeben“ oder bei Menschen auf der Flucht von einer „Asylantenflut“ gesprochen wird, dann werden automatisch und unscheinbar Bedrohungsszenarien suggeriert und – häufig auch unterbewusst – Ressentiments geschürt.
Aber selbst wenn man zu dem Entschluss kommt, auf solche „sprachlichen Spitzfindigkeiten“ keinen Wert zu legen, bleibt der Vorschlag von Herrn Will und der Mannheimer AfD immer noch inakzeptabel und mindestens genau so krude, wie das Wort „Mischehe“.
Wo soll das enden?
Man muss das Szenarion nur ein bisschen weiter denken: Nehmen wir einfach mal an, glaubensverschiedene Ehen und deren „Haltbarkeit“ würden tatsächlich statistisch erfasst und als Grundlage für politische Entscheidungen gebraucht werden – was dann?
Sollten sich etwa Kinder aus glaubensverschiedenen Ehen als intelligenter erweisen, will der Staat diese Form der Ehe dann mit Prämien subventionieren? Vielleicht trennen sich glaubensverschiedene Paare statistisch betrachtet aber auch signifikant schneller als gleichgläubige. Muss die „Mischehe“ dann verboten werden?
Das sind natürlich nur Gedankenspiele. Aber unabhängig davon, welche Ergebnisse nun tatsächlich erfasst würden: Es ist mir vollkommen schleierhaft, welche politischen Forderungen sich an diese statistische Erfassung anschließen sollten. Etwa eine rassische Familienplanung?
Nicht nur, dass der Punkt „Ehe“ weit davon entfernt ist, in irgendeiner Weise ein homogener Indikator zu sein – schließlich spielen hier außer dem Glauben noch etliche andere Faktoren bedeutende Rollen. Es ist ganz einfach die Tatsache, dass es den Staat und auch die Sozialpolitik nicht im Geringsten etwas anzugehen hat, wer mit welchen Hintergründen wen heiraten will – denn das ist Privatsache. Und jegliche Eingriffe oder Steuerungsversuche durch die Politik könnten verheerende Auswirkungen auf die Freiheit und die Zufriedenheit der Bevölkerung haben. Wenn sich Herr Will schon auf den „historischen“ Kontext beruft – dann sollte er auch die „positiven“ Auswirkungen darstellen. Spätestens daran wird er scheitern.
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