Mannheim, 27. Juni 2015. (red/ms) Die „Mannheimer Erklärung“ ist momentan vor allem eine „Erklärung des guten Willens“: Ihre Unterzeichner erklären sich bereit, für Respekt und Solidarität in einer vielfältigen Gesellschaft einzutreten. Es gibt aber kein vorgeschriebenes Mindestmaß an Engagement, das erfüllt werden muss, sondern „nur“ die Selbstverpflichtung. Der Gemeinderat will die Mannheimer Erklärung aktuell weiterentwickeln. Verbindliche Verpflichtungen soll es aber auch in der neuen Fassung nicht geben. Braucht es so eine Erklärung überhaupt? Dafür gibt es „solide“ Hinweise.
Von Minh Schredle
Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz (SPD) vermeidet entschieden jeden Blickkontakt mit dem AfD-Fraktionsvorsitzenden Eberhard Will und verzieht das Gesicht, während dieser spricht. Auch die zehn anderen Stadträte, die im Integrationsausschuss anwesend sind, erscheinen entrüstend, einige sogar verstört. Später werden die Mitglieder des Migrationsbeirats die Äußerungen von Herrn Will als „beschämend“ bezeichnen.
Der Gemeinderat plant aktuell, die Mannheimer Erklärung weiterzuentwickeln. Diese wurde im Dezember 2009 einstimmig beschlossen, inzwischen gibt es mehr als 100 Unterzeichner aus verschiedensten gesellschaftlichen Bereichen: Von „DITIB – Türkisch-Islamische Gemeinde zu Mannheim“ über das „Goethe-Institut Mannheim-Heidelberg“ und den „Drogenverein Mannheim“ bis hin zum SV Waldhof Mannheim.
Schritt nach vorne?
In der noch aktuellen Fassung der Erklärung wird der Fokus vor allem auf kulturelle und religiöse Vielfalt gelegt. Diesen Vielfaltsbegriff wolle man in einer neuen Version um die Dimensionen Alter, sexuelle Orientierung und Gesundheit erweitern, erklärt Oberbürgermeister Dr. Peter Kurz im Gespräch mit Journalisten.
In dem Entwurf für die neue Fassung der Mannheimer Erklärung sollen künftige Unterzeichner die „Gleichberechtigung vielfältiger menschlicher Daseinsformen“ anerkennen und sich „aktiv für die gesellschaftliche Akzeptanz, Anerkennung und Wertschätzung von Vielfalt sowie für ein offenes und respektvolles Zusammenleben“ in Mannheim einsetzen. Außerdem heißt es:
Wir wollen einen Beitrag leisten für eine Stadtgesellschaft, die von Mitmenschlichkeit und Solidarität geprägt ist und in der niemand insbesondere aufgrund seiner Herkunft, der Sprache, der sexuellen und geschlechtlichen Identität, des Alters, der Religion oder Weltanschauung, der geistigen und körperlichen Fähigkeiten oder der Hautfarbe herabgewürdigt oder diskriminiert wird.
Laut Oberbürgermeister Dr. Kurz wäre die Neufassung der Mannheimer Erklärung „ein großer Schritt nach vorne“ – insbesondere zwischen verschiedenen religiösen Institutionen und unterschiedlichen sexuellen Orientierungen gebe es noch große Vorbehalte. Eine Einigung auf eine gemeinsame Erklärung sei daher „sicher keine Selbstverständlichkeit“.
„Toleranz darf nicht grenzenlos sein“
Außerdem ist im Entwurf für die neue Version der Erklärung ein Abschnitt enthalten, den es so in der alten Fassung noch nicht gegeben hat. Darin heißt es:
Die Anerkennung von Vielfalt kann in diesem Verständnis aber nicht grenzenlos sein. Als wesentliches Merkmal unserer freiheitlich demokratischen und pluralistischen Gesellschaft hört Toleranz dort auf, wo sich Einzelne, Gruppen, Institutionen und Strukturen in ihrer Haltung gegen die Werte unseres Grundgesetzes sowie gegen die Werte der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte richten. Auf unseren schärfsten Widerspruch trifft erst recht jeder Aufruf zu Hass und Gewalt.
Ein gleichberechtigtes Miteinander gelinge nur, wenn eine respektvolle und wertschätzende Verständigung, sowie Offenheit und gegenseitiges Vertrauen wechselseitig gelebt werden.
Mangelhafte Empathie für „Eingeborene“?
Bei fast allen Stadträten kam die Arbeit der Verwaltung gut an – nur Eberhard Will äußerte deutliche Kritik. Im Anschluss an die Ausschusssitzung sagt Dr. Adelheid Weiss, die Integrationspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion, gegenüber dem Rheinneckarblog:
Ich habe mich in der Vorbereitung zur vergangenen Sitzung gefragt: Warum braucht man überhaupt eine Mannheimer Erklärung, das sind doch alles Selbstverständlichkeiten. Die indiskutablen Äußerungen von Herrn Stadtrat Will bei der Sitzung zeigten mir leider dann doch, wie notwendig die „Mannheimer Erklärung zu einem Zusammenleben in Vielfalt“ ist.
Andere Stadträte schätzen die Aussagen von Herrn Will ähnlich kritisch ein und bringen deutlich ihre Missbilligung zum Ausdruck. Herr Will selbst bezeichnet auf Rückfrage den Protest als „unbegründet“ und die Entrüstung als „gespielt“. Er bleibt bei seinen Aussagen:
Die Verwaltungsvorlage atmet einen vollkommenen Mangel an Empathie gegenüber der autochthonen, beziehungsweise eingeborenen Bevölkerung.
Die Vorlage beziehe sich nur auf Zuwanderer, würde aber „an keiner Stelle die tatsächliche Betroffenheit und die täglichen Empfindungen der Einheimischen, wie beispielsweise „Angst vor Überfremdung“ zum Ausdruck bringen. Der Begriff autochthon wird von Herrn Will dabei besonders perfide gebraucht: Als autochthone oder auch indigene Völker bezeichnet man Volksgruppen, die diskrimiert und an den Rand gedrängt werden. Herr Will meint also, dass die deutsche „eingeborene“ Bevölkerung diskrimiert werde und hier „mangelndes Einfühlungsvermögen“ seitens der Verwaltung vorliege.
Was zählt ein Geburtsrecht?
Überall auf der Welt, wo Zuwanderung stattfindet, gebe es laut Herrn Will Menschen, die davon ausgehen, dass sie die „älteren Rechte“ haben, weil sie die Eingeborenen sind. Das müsse in der Erklärung berücksichtigt und respektiert werden:
Nicht alle von uns wollen in allen Punkten als Gleichgestellte unter Gleichen behandelt werden.
Nach dieser Stellungnahme von Herrn Will schüttelt der Oberbürgermeister Kurz mit dem Kopf und sagt:
Wenn jemand hier in Mannheim meint, irgendwelche Sonderrechte für sich beanspruchen zu können, nur weil sein Großvater schon hier gelebt hat, ist er aber mal auf dem völlig falschen Dampfer unterwegs.
Seine Worte erhielten großen Beifall unter den Anwesenden. Stadträtin Gökay Akbulut (Die Linke) empfahl Herrn Will, „sich mal ein bisschen mit unserem Grundgesetz und der Erklärung der Menschenrechte auseinanderzusetzen“, bevor er versucht „hier mit zusammengewürfelten Argumenten seinen stumpfen Rechtspopulismus zu verbreiten“.
Respektvoller Umgang
Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.
So steht es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die man sich nach Angaben von Oberbürgermeister Dr. Kurz zum Vorbild gemacht hat. Eigentlich sollte man meinen, dass diese Sicht im Jahr 2015 in Deutschland eine Selbstverständlichkeit ist – die Realität zeigt leider, dass dem nicht durchgehend so ist.
Es gibt durchaus Teile der Bevölkerung, die wie Herr Will annehmen, man habe irgendwelche besonderen Geburtsrechte – warum auch immer. Genau hier setzt die Mannheimer Erklärung an. Denn sie ist ein Bekenntnis zu einem respektvollen Umgang miteinander. Und den darf und muss man von jedem verlangen: Von Zugewanderten, von „Eingeborenen“ und erst recht von Stadträten.
Noch ist die neue Fassung der Mannheimer Erklärung nur ein Entwurf – wann der Gemeinderat darüber abstimmen wird, ist momentan unklar. Dass es wie 2009 wieder eine einstimmige Beschlussfassung geben wird, darf stark bezweifelt werden.