Rhein-Neckar/Köln, 24. April 2017. (red/pro) Dr. Frauke Petry steht kurz vor der Entbindung ihres fünften eigenen Kindes und ebenso ihres Babys namens AfD. Der 6. Bundesparteitag der 2013 gegründeten rechtskonservativen Partei hat ein knappes halbes Jahr vor der Bundestagswahl in Köln Klarheit geschaffen. Die AfD wird eine fundamental-oppositionelle Partei am rechten Rand bleiben und ist bis auf Weiteres nicht anschlussfähig. Der innerparteiliche Selbstfindungsprozess, der ganz überwiegend von Querelen und nicht von gemeinsamen Zielen bestimmt ist, ist kurioserweise ein Spiegel der politischen Gesellschaft in Deutschland – auch, wenn das bislang nur wenige wahrhaben wollen.
Von Hardy Prothmann
Petry ist damit gescheitert, der Partei ein Gesicht zu geben, das von bürgerlicher Mitte geprägt ist.
Raten Sie mal, aus welchem Kommentar einer deutschen Lokalzeitung dieser Satz stammt? Sie sind clever – natürlich aus dem Mannheimer Morgen, unserer “Heimatzeitung” hier vor Ort.
Weil Sie wirklich clever sind, erkennen Sie die fundamentale Bedeutung dieses Satzes. Denn vor gut einem Jahr, Ende Januar 2016, hatte ebendiese Zeitung für Schlagzeilen gesorgt, weil sie ein Interview so hingebogen hatte, dass Frau Dr. Petry und die AfD als Synonym für einen geforderten Schießbefehl an deutschen Grenzen standen.
Und jetzt meint diese Zeitung, diese Frau stehe für ein Gesicht der “bürgerlichen Mitte” und sei damit “gescheitert”? Erstaunlich – meinen Sie nicht?
Doch die Zeitung hat Recht – denn die bürgerliche Mitte hat sich zwar über einen konstruierten Schießbefehl echauffiert – vor allem medial – aber im Kern gab man Frau Petry innerlich recht. Das musste aufhören mit diesen Menschenmassen an den Grenzen. Deswegen fand die konstruierte Aussage als Narrativ auch eine solche Aufmerksamkeit. Mutet widerlich an, aber so ist das manchmal.
Niemand schießt – aber Tausende sterben
Der vorsätzlich skandalisierte Schießbefehl ist nicht Wirklichkeit geworden – die tödliche Umsetzung sehr wohl.
Der Türkei-Deal mit Schließung der Balkan-Route hat die Grenzen dicht gemacht und viele tausend Flüchtlinge ersaufen seitdem weitgehend unproblematisiert vor der afrikanischen Küste in internationalen Gewässern, wo niemand so richtig zuständig ist.
Eine politisch geschmeidige Lösung, die ganz ohne Schussabgabe auskommt, dennoch unmissverständlich tödlich ist und für die sich niemand rechtfertigen muss. Man könnte das eine “saubere Lösung” der Flüchtlingsfrage nennen.
Ich widerspreche der Analyse des Lokalzeitungskommentators – Frau Dr. Petry ist nicht daran gescheitert, der AfD ein bürgerliches Gesicht verleihen zu wollen. Sie ist an Bedürfnissen gescheitert, die noch längst nicht bedient sind.
Gut vs. Böse
Zum einen an denen ihrer Parteigenossen, einer Wutvereinigung, die so ziemlich alles schlecht findet, was “etabliert” ist. Und zum anderen an denen der Medien, die alles wollen, nur keine bürgerliche AfD – wie langweilig wäre das denn? Welche Schlagzeilen sollte man in Zukunft titeln, wenn man nicht mehr Gut-Böse in den Kontrast setzen könnte? Wenn es keine Aufreger mehr gäbe? Wenn man nicht mehr Schießbefehl-Schlagzeilen zusammenzimmern könnte?
Die Zeit für eine AfD der “bürgerlichen Mitte” ist noch längst nicht gekommen – weil weder die Gesellschaft, noch die AfD dazu bereit sind.
Statt 50.000 Demonstranten in Köln, die zunächst erwartet worden sind, waren es wohl nur gut 10.000. Auch das ein Gradmesser, der zeigt, wie groß und gleichzeitig gering der Protest ist. Es gibt großen Protest gegen die AfD, aber er ist nicht selbstverständlich und viel geringer als erwartet – was das wohl bedeutet, vor allem, was die Erwartungen von Befürwortern wie Gegnern angeht?
Es gibt Gründe für die Empörungen
Es gibt im Gegensatz betrachtet keine Partei, die die Republik mehr beschäftigt als diese Neugründung. 300 Journalisten waren akkreditiert. Die AfD hat rund 26.000 Mitglieder, das sind gerade mal fünf Prozent der Mitglieder der SPD. Aber die AfD rockt nach wie vor die öffentlichen Schlagzeilen in einem unverhältnismäßigen Ausmaß zu ihrer Größe.
Das muss Gründe haben und die hat es. Die sensationellen Wahlerfolge der AfD kommen nicht von ungefähr – sondern basieren auf einer großen Unzufriedenheit von Teilen der Gesellschaft. Mit Ergebnissen bis um 20 Prozent bei Landtagswahlen und in Baden-Württemberg mit deutlichem Vorsprung vor der SPD ist die AfD ein Seismograph – insbesondere mit Blick auf die Verhältnisse in Frankreich, in Ungarn, in Polen, in der Türkei und anderen Ländern wie Großbritannien und den Vereinigten Staaten. Die ausschlaggebende Linie ist eine bemerkenswerte Unzufriedenheit mit “etablierter” Politik.
Das kann man gut oder schlecht finden – entscheidend ist, das man es empfindet.
Unaufrichtiger Journalismus
Aktuell ereifern sich Medien im Abgesang auf die AfD – wieder einmal unaufrichtig in der Analyse. Die Partei ist gerade mal vier Jahre alt und hat die Chance, in den deutschen Bundestag einzuziehen. Selbst fünf Prozent wären ein absoluter und einmaliger Erfolg, der noch keiner absoluten Neugründung in der Nachkriegsgeschichte gelungen wäre. 2013 hat die AfD den Einzug knapp verfehlt, in diesem Herbst wird er vermutlich gelingen.
Allerdings nicht mit bis zu 20 Prozent, die noch vor wenigen Wochen durchaus vorstellbar waren. Die Gründe dafür sind, dass die “etablierte” Politik glasklar AfD-Forderungen umgesetzt hat, wie die Schließung der Grenzen und dabei ist, weitere Forderungen zu vollziehen, wie die Ausweisung von nicht anerkannten Asylbewerbern. Dazu kommt ein Schließen der Schultern, weil klar ist, dass die Kriminalität und die Gefahr durch Anschläge steigt – da verlässt man sich lieber auf das, was man kennt.
Ohne Petry verliert die AfD
Die AfD verliert mit Dr. Frauke Petry ihr wichtigstes Aushängeschild. Niemand sonst hat deren Energie, rhetorische Begabung und ein derartiges Sendungsbewusstsein – man könnte der Frau jetzt Vorwürfe machen, dass sie die Partei im Stich gelassen hätte. Nur: Die Partei hat Frauke Petry im Stich gelassen und sich damit selbst schwer beschädigt.
Das aktuell gewählte Spitzenduo aus Dr. Alice Weidel und Alexander Gauland ist selten unspannend und für Schlagzeilen abseits von Boateng-Aufregern nicht geeignet. Frau Dr. Weidel mag eine Wirtschaftsexpertin sein, Herr Gauland mag als graue Eminenz innerparteilich Einfluss haben. Beide werden niemals Säle füllen und Menschenmassen begeistern können. Übrigens auch nicht ein Herr Meuthen.
Besonders pikant – die neue “Spitzenfrau” Weidel ist krachend AfD-intern in Baden-Württemberg durchgefallen. Und ausgerechnet der Fraktionsvorsitzende und Ex-Landeschef der AfD im Südwesten, Herr Meuthen, soll jetzt ihr Rückgrat sein? Die eigentlich kluge Frau will “politische Korrektheit” auf den “Müllhaufen der Geschichte” werfen? Interessant, wie dumm man sich positionieren muss, um in der AfD Gefallen zu finden. Dabei geht es nicht um eine kritische Auseinandersetzung mit “politischer Korrektheit”, sondern um eine plakative. Wie langweilig.
Im Ergebnis wird die AfD bei der Bundestagswahl im einstelligen Bereich einen Erfolg verbuchen können, der nur die Hälfte der bisherigen Möglichkeiten heben wird – nicht ausgeschlossen ist, dass sie die fünf Prozent nicht packt, wenn der parteiinterne Zwist weiter eskaliert und Konsorten wie Björn Höcke in vorauseilendem Nationalgegeifere die neue Partei vollends unwählbar machen.
Herr Meuthen sollte auf seinen Wichs achten
Sehr interessant ist die Rolle des Herrn Meuthen. Der “Co”-Chef neben Frau Petry fühlt sich aktuell als Sieger. Er hat die Konkurrentin scheinbar überflügelt – aber er sollte auf seinen Wichs achten. Wer der Sonne zu nah kommt, dem schmilzt das Wachs auf den Flügeln und der stürzt ab.
Das war bei Bernd Lucke so, bei seiner Widersacherin Petry und das wird auch den Widersacher Meuthen treffen, wenn nicht klug gehandelt wird. Herr Meuthen hat aber seine Flugkoordinaten falsch eingegeben. Seine zunehmende “Orientierung” nach rechts in Richtung Gauland und Höcke, sein Rumgeeiere in Sachen Gedeon und der eigenen Fraktion haben ihn auf einen Kurs gebracht, der vorbestimmt ist: Er kann nur die rechte Schleife fliegen. Weicht er ab, folgt er dem Schicksal von Petry. Damit ist das Schicksal des Herrn Meuthen vorherbestimmt – er kommt aus der rechtsnationalen Ecke nicht mehr raus. Die kann er ausbauen, die muss er ausbauen – im Sinne der Frau Petry. Die Zukunft der AfD ist eine Art deutschlandweite CSU, alles andere wird ihr Niedergang sein.
Kommt die Spaltung nach der Spaltung?
“Correctiv” – eine neue Recherche-Plattform meint zu wissen, dass Dr. Frauke Petry nach der Bundestagswahl eine Abspaltung plant. Keine Ahnung, wie fundiert diese Recherche ist, aber im Ergebnis wäre sie das Aus für die AfD – der Einschnitt 2015 war hart, die parallel gegründete Partei LKR zündet null, die Flüchtlingskrise hat die Partei beflügelt, tatsächliche Sachinhalte sind nicht ihr Thema.
Eine Petry-Realo-Partei ohne rechtsaußen-Flügel wäre wie ein langweiliger CSU-Ortsverband und der Rechtsaußen-Flügel ohne Petry wie ein nicht anschlussfähiger Kameradschaftsverband im ländlichen Raum an bierseligen Tischen mit Vaterlandsmotiven an der Wand.
Der Bundesparteitag von Köln war eine einzige Schlappe für Frau Dr. Petry als Vorsitzende und kein Erfolg für deren Co-Vorsitzenden Prof. Dr. Jörg Meuthen. Beide haben verloren. Und vermutlich auch die AfD insgesamt.
Das Wachs auf den Flügeln ist angebrannt und der Absturz droht. Absolut eigenverantwortlich. Mitgliederbestimmt. Für die etablierte Politik ist das kein Grund zur Freude – denn die AfD hat begeistert. Nicht nur die Mitglieder, sondern auch viele Wähler/innen. Wenn die Partei abstürzt, stürzen auch Hoffnungen ab und weil die Wut der Antrieb vieler war und ist, könnte sich diese noch vergrößern. Zurück ins gemäßigte Glied ist eine sehr unwahrscheinliche Option.
Diese Einsicht ist nach wie vor in den etablierten Parteien nicht vorhanden – ein “weiter so” geht nicht.
Demokratische Verlustanzeige
Und noch etwas muss große Sorgen machen: Wenn 4.000 Polizisten einen Bundesparteitag einer Partei beschützen müssen, ist das demokratische Gefüge mächtig in Schieflage.
Insgesamt ist die Schadensbilanz gering – trotzdem wurden Menschen verletzt und es kam zu Sachbeschädigungen. Zur Erinnerung: Wir alle leben das “Hoch” auf die Demokratie – ein solcher Einsatz ist alles, nur keine Bestätigung eines demokratischen Wettstreits um die besten Ideen für das Land.
Tatsächlich muss man davon ausgehen, dass die subversiven, gewaltbereiten Kräfte, angesichts der “Macht” des Rechtsstaats vorerst noch kapituliert haben – das kann in Zukunft anders sein, vor allem, wenn der Staat sich diese “Macht” nicht mehr leisten will. Keine gute Perspektive – mit Blick auf andere Länder muss das Sorge machen.
Fazit: Die AfD hat sich in Köln langfristig als nicht anschlussfähige “Alternative” festgelegt. Das wird die neue Partei sehr viele Stimmen kosten und ihren bisherigen Erfolg massiv einschneiden.
Ob die Partei ihren Platz als “nationale CSU” einnehmen kann, ist äußerst fraglich. Wahrscheinlicher ist, dass sie als rechtsaußen bis rechtsextreme Kleinpartei eine gewisse Rolle spielen wird, aber keine entscheidende.
Dr. Frauke Petry wird die Partei früher als später verlassen und für sich einen neuen Weg suchen, der kein politischer sein muss. Prof. Dr. Jörg Meuthen droht dasselbe Schicksal, weil er den Besen nicht unter Kontrolle hat – eine Rückkehr in die Akademie ist für ihn aber mehr als fraglich.
Der alte Ex-CDU-Mann Gauland hat nochmal Spaß auf seine alten Tage bei der Begleichung alter Rechnungen und wird sich irgendwann zur Ruhe legen.
Die AfD hat ihre Chance verpasst, sich als bürgerliche Partei zu etablieren und wird dies nur mit erheblichem Aufwand reparieren können. Die Chancen dafür stehen schlecht. Eher wird sie ihr Heil im Extremen suchen.
Und die Medien spielen das Theater mit, anstatt sich journalistisch anständig um ihre Aufgabe zu kümmern: Sachdienliche Hinweise für eine fundierte Meinungsbildung zu liefern.
Ruhe vor dem Sturm
2017 wird das Rekordjahr der ertrunkenen Flüchtlinge vor afrikanischen Küsten werden – aber sicher wird das Thema keine Debatten bestimmen, sondern nur eine Randnotiz bleiben. Möglicherweise stellt 2018 den Rekord von 2017 ein.
Irgendwann, vielleicht 2018 oder 2019 wird es militärische Operationen in Libyen geben, möglicherweise auch in Algerien, Tunesien und Ägypten. Wie sich das Verhältnis zur Türkei entwickelt, ist offen, aber nicht sehr hoffnungsvoll.
Haben Sie eine gute Woche. Wir leben alle in der Ruhe vor dem Sturm.