Mannheim/Rhein-Neckar, 04. Oktober 2016. (red/pro) Prof. Dr. Jörg Meuthen gilt als der Teddy-Bär der AfD. Der immer freundliche und nette Akademiker. Vater von fünf Kindern. Konservativ, anständig. Kritisch, aber nicht kreischend. Doch Herr Meuthen verändert sich. Er stellt sich klipp und klar gegen Antisemitismus, gleichzeitig versucht er sich nicht nur dezent in Populismus. Zwar auf höherem Niveau als die Krakeler in seiner Partei, aber eben doch populistisch. Dabei ärgert er sich, wenn man ihn so nennt. Warum eigentlich? Er fordert doch offene Kritik, also muss er sich dieser auch stellen.
Von Hardy Prothmann
Der Saal im Schützenhaus im Stadtteil Feudenheim ist voll. Naja, nicht ganz voll. Rund 170 Personen sind zum Vortrag von Prof. Dr. Jörg Meuthen gekommen. Das ist um Längen mehr als bei Veranstaltungen der CDU, der SPD, der Grünen und klar über Die Linke und FPD.
Er ist mit Dr. Frauke Petry Bundessprecher der neuen Partei. Er ist in Baden-Württemberg Landesvorsitzender. Er war Fraktionsvorsitzender und ist nach der Spaltung der Fraktion Chefs des größeren Teils, der sich ABW nennt – Alternative für Baden-Württemberg, weil AfD durch die ursprüngliche Fraktion besetzt ist.
Veranstaltung und Gegendemo
Bald will man sich wieder vereinen, sagt er uns auf Nachfrage. Nicht in den nächsten Tagen, aber in drei bis vier Wochen. Warten wir es ab.
Draußen demonstrieren rund 130 überwiegend junge Menschen, darunter einige, die der gewaltbereiten Antifa zuzuordnen sind. Aber nicht so wirklich viele. Versammlungsleiter der Gegendemo ist der grüne Stadtrat Gerhard Fontagnier, der Rüdiger Klos “das Arschloch, den keiner kennt“, nennt. Herr Fontagnier weiß, dass die Gegendemo diesmal nicht ausarten darf und dass man auch keine Chance hätte – also bleibt alles friedlich.
Der Eppelheimer Rüdiger Klos ist an diesem Abend gar nicht vor Ort. Herr Klos hatte im März bei der Landtagswahl das Direktmandat im Mannheimer Norden gewonnen – das letzte, dass die SPD bis dahin noch hatte. Einfach so. Obwohl ihn keiner kennt. Herr Fontagnier, der dort für Bündnis90/Die Grünen kandidiert hatte, war klar unterlegen.
Die Polizei musste Ende Januar hinnehmen, dass Bürger durch Antifa-Aktivisten bespuckt, geboxt und zu Boden gebracht wurden. Darunter Frauen und Rentner. Diesmal wird sich das nicht wiederholen. Einsatzleiter Jörg Lewitzki hat aufgerüstet und die Lage jederzeit unter Kontrolle. Es war klar, dass es an diesem Donnerstagabend nicht zu Tumulten kommen würde.
Frau Dr. Frauke Petry zog im Januar gut 300 Menschen in den Saal, 450 insgesamt, von denen 150 draußen über Lautsprecher mithören mussten. Nun sind es also nur 170. Die Gegendemo hatte damals rund 350 Teilnehmer. Nun sind es 130. Erstaunlich, wie proportional die Teilnehmerzahlen verlaufen. Und ganz klar liegt Frau Petry in Sachen “Erregungsfaktor” vor ihrem Kollegen Meuthen.
Sie ist der Pop-Star, er das Kuscheltier. Und das versucht Herr Meuthen zu ändern.
Gekommen, um zu bleiben
Viele hatten Angst – wegen der Gewalt von links, die Veranstaltung zu besuchen. Nicht so ein Pärchen Ende 20. Frühere SPD-Wähler, die sich für den Vortrag von Herrn Meuthen interessieren:
Ich kann viel von dem, was Herr Meuthen sagt, einfach nur zustimmen,
sagt der junge, freundliche Mann, der Mitarbeiter in einem soziologischen Institut mit gewerkschaftsnaher Bindung sein könnte. Seine attraktive Begleiterin nickt. Beide wollten sich selbst ein Bild machen. Beide sind auf der Suche nach Orientierung.
Was also sagt einer der prominentesten AfD-Politiker im Land?
Wir sind gekommen, um zu bleiben!
Großer Applaus im Saal. Die steigende Wahlbeteiligung sei ein Phänomen, das nur die AfD schaffe. Diese Beobachtung ist tatsächlich faktisch zutreffend.
Meuthen goes Populismus
Frau Dr. Angela Merkel nennt er eine “Kanzlerdarstellerin”. Und die müsse “weg”. Gleichzeitig beschwert er sich, dass die AfD als “demagogisch” und “rechtspopulistisch” bezeichnet werde – das seien Kampfbegriffe, die die AfD als “bedrohlich” darstellen. Dabei sei doch die “Abschaffung Deutschlands” die eigentliche Bedrohung.
Befördert durch die EU und die “Schuldenparty in den Südstaaten”. Die AfD sei keine “ein-Thema-Partei”. Sie sei jung, anfangs ging es gegen den Euro, die unkontrollierte Zuwanderung, aber nach und nach sei ein Parteiprogramm entwickelt worden, das zu allen wichtigen Fragen der Gesellschaft ein klare Linie zeichne.
Selbstverständlich müsse man echten Flüchtlingen helfen, aber eben nicht den “Nicht-Flüchtlingen”, die in die “Sozialsysteme eindringen”, sagt Herr Meuthen und greift umfassend die CDU an.
Klarer Angriff auf die CDU
Große Teile seines Vortrags sind ein klarer Angriff auf die CDU und machen deutlich, welche Strategie die AfD ein Jahr vor der Bundestagswahl fahren wird: Eine fast am Boden liegende SPD bietet kein Potenzial. Der Gegner ist die CDU und dass die AfD hier Wähler ziehen kann, haben die vergangenen Wahlen mehr als deutlich gemacht.
Als “modern konservativ” und ehrlich und partriotisch bezeichnet Herr Meuthen die AfD. Immer wieder baut er Bedrohungsszenarien auf, wie die Bundesregierung und die EU dem Bürger in die Tasche greifen bis hin zur Abschaffung des Bargelds. Großer Applaus.
Wir machen uns vor der Welt lächerlich,
sagt Herr Meuthen und schiebt sich seine Brille ins Gesicht. Es geht um die Flüchtlingskrise:
Wann jagt man diese Regierung zur Hölle?
Brandender Applaus. Das nimmt er zurück. Er habe das “inszeniert” und nicht so gemeint, es gehe darum, die Regierung “aus dem Amt zu jagen”. Das mit der Hölle wünsche er niemandem. Das sagt er in Richtung eines uns unbekannten Journalisten, der möglicherweise eine Presseagentur angehört. Diese Agentur thematisiert diese Szene bis heute nicht. Herr Meuthen muss wohl noch Populismus üben.
Wir müssen nicht vor Flüchtlingsheimen demonstrieren, sondern vor dem Bundeskanzleramt,
fordert Herr Meuthen. Er rechnet als Volkswirt vor, dass gut 90 Prozent der Flüchtlinge nicht integrierbar seien und “wir alle auf den Kosten sitzenbleiben”. Bis zu 900 Milliarden Euro könnte das kosten.
Meuthen sucht den intellektuellen Anschluss an Pegida
Er spricht Köln an und sagt dann:
Selbstverständlich findet eine Islamisierung Deutschlands statt.
Möglicherweise war der Agenturjournalist nicht mehr im Raum. Niemand außer dem Rheinneckarblog berichtet das. Damit schließt der Teddy-Bär direkt an Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlands) an. Und zwar ohne Wenn-und-Aber.
Seine Argumentation: Bekanntlich sei Deutschland christianisiert worden und bekenne sich dazu. Wer nun sage, der Islam gehöre zu Deutschland, bestätige nach der Christianisierung auch die Islamisierung. Also finde die Islamisierung statt.
Und dann legt er los. 1.800 muslimische Kinderehen gebe es in Deutschland. All das dürfe nicht sein, ebensowenig “Ehrenmorde”, aber:
Deutschland schaut weg. In einer demokratischen Gesellschaft ist der politische Islam nicht hinzunehmen.
Brandender Applaus. Er redet über Parallelgesellschaften, über Sharia, keine Burka, über “widerwärtige Verachtung von Frauen”. Das Publikum hängt an den Lippen. Er redet von “Bürgerwehren” und sagt dann:
Das wollen wir nicht.
Fast klingt es, dass man es nicht wolle, aber möglicherweise nicht verhindern könne – doch diese Interpretation ist offen. Der Teddy-Bär auf dem Weg zum Populisten kann noch nicht so recht überzeugen.
Null-Toleranz vs. Parteien-Geschwätz
Das einzige Mittel gegen diese Einflüsse von außen sei eine “Null-Toleranz-Strategie”.
Sein Vortrag wird einmal von einer Frau unterbrochen, die kein “Partei-Geschwätz” hören will, sondern konkrete Vorschläge. Die kündigt Herr Meuthen an, liefert aber nicht.
Er macht klar Front gegen Flüchtlinge und Muslime, schränkt aber ein, dass er viele “Integrierte” kenne, die willkommen seien.
Kritik zur Spaltung – Sorgen um den Heimweg
Mächtig Kritik muss er zur Spaltung der AfD im Stuttgarter Landtag einstecken. Er erklärt sich ausführlich, dass er keinen Antisemitismus dulde und dass das seine Haltung sei, der 13 Abgeordnete gefolgt seien und verspricht, dass die Fraktion bald wiedervereint sei.
Und er stellt in Aussicht, dass die AfD bald in “Regierungsverantwortung” komme. Die Partei sei nicht aufzuhalten.
Am Ende der Veranstaltung haben die Teilnehmer ganz klare Fragen im Kopf. Die richten sich an die Polizeibeamten vor der Tür:
Komme ich hier sicher nach Hause? Fahren die Straßenbahnen wieder?
Die Beamten bejahen, “machen Sie sich keine Sorgen”. Die Bahnen fahren und der Weg nach Hause ist sicher.