Rhein-Neckar/Stuttgart/Südwesten, 06. Juli 2016. (red/pro) Man reibt sich die Augen: Hat man das schon mal erlebt? Da spaltet sich der größere Teil einer Fraktion ab, weil einer sich antisemitisch positioniert und neun andere das stützen oder akzeptieren. Und am Abend soll die Spaltung aufgehoben sein, weil der betroffene Abgeordnete scheinbar endlich ein Einsehen hat und die Fraktion verlässt? In der AfD geht es drunter und drüber. Die Situation ist derart zugespitzt, dass es nun zum Hauen und Stechen kommen wird, bis einer der beiden Bundesvorsitzenden auf der Strecke bleibt. Der totale Machtkampf zwischen Prof. Dr. Jörg Meuthen und Dr. Frauke Petry steht vor der Entscheidung.
Von Hardy Prothmann
Was sich die Bundesvorsitzende Dr. Frau Petry da geleistet hat, ist mindestens selbstbewusst. Oder so frech, dass es einem die Sprache verschlägt. Das liegt im Auge des Betrachters. Während ihr Bundessprecherkollege Meuthen gerade den Rücktritt als AfD-Fraktionsvorsitzender verkündet, verhandelt sie mit der Rumpffraktion der zehn Abgeordneten, mit denen der Bundesvorstand laut Mehrheitsbeschluss nichts mehr zu tun haben will und lässt den antisemitischen Spaltpilz Dr. Wolfgang Gedeon am Abend seinen Fraktionsaustritt erklären. Damit sei die Spaltung abgewendet. Auf Facebook schreibt sie:
Der heutige Tag zeigt, dass dieses Land und unsere Partei wichtiger sind als persönliche Animositäten. Wir dulden keinen Antisemitismus in unseren Reihen. Der Austritt von Herrn Gedeon war deshalb der einzig richtige Schritt. Die Spaltung der Fraktion muss jetzt beendet werden. Das ist die AfD den Wählern schuldig. Ich würde mich insbesondere freuen, wenn Jörg Meuthen erneut Teil der AfD-Fraktion wird.
Da bleibt einem der Mund offen stehen. “Persönliche Animositäten”? Die sächsische Abgeordnete reist nach Stuttgart, verhandelt mit dem Antisemiten und dessen Lager, verkündet eine Lösung und bietet ihrem Bundesvorstandskollegen Meuthen einen “Platz” an, als “Teil der Fraktion”. Mehr versuchte Erniedrigung geht nicht. Frau Petry weist dem Kollegen den Platz zu wie einem Hund: Sitz und halt die Klappe.
Herr Prof. Meuthen reagiert umgehend. Auf der Facebook-Seite der Fraktion (!) wird sein Widerspruch veröffentlicht:
Entgegen anderslautenden Meldungen wurde die Spaltung der AfD-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg nicht abgewendet. Daran ändert auch der verspätete Rückzug von Wolfgang Gedeon nichts. Die Spaltung wurde vollzogen, als heute Mittag 10 von 23 Abgeordneten nicht für den Ausschluss Wolfgang Gedeons gestimmt haben. Diese Abgeordneten haben sich – aus welchen Motiven auch immer – auf die Seite eines Antisemiten gestellt. Sie und ihre Unterstützer tragen die alleinige Verantwortung dafür, dass der Spaltpilz in die baden-württembergische AfD-Fraktion und die gesamte Partei getragen wurde. Das unwürdige Schauspiel, erst für den Verbleib Gedeons zu stimmen und ihn anschließend stundenlang zu überreden, freiwillig die Fraktion zu verlassen, fällt auf diese Abgeordneten und ihre Unterstützer zurück.
Gepfefferter Fehdehandschuh – mitten ins Gesicht
Dreister als Frau Dr. Petry das macht, geht es nicht mehr. Sie reist ins Lager ihres Kontrahenten und fährt diesem in die Parade. Beim jetzt rückzugswilligen Dr. Wolfgang Gedeon bedankt sie sich artig und zollt ihm sogar Respekt, dem Antisemiten, um gleichzeitig zu erklären, dass Antisemitismus keinen Platz in der AfD habe. Das ist, nunja, sehr flexibel. Demjenigen, der das durch konsequente Trennung deutlich gemacht hat, dient sie die restlichen 9 Antisemitismus-Akzeptierer wieder an und ihm selbst einen Platz als Teil der AfD-Fraktion. Mehr Dilemma geht nicht? Aufgepasst. Das Angebot, die restlichen neun Abgeordneten wieder zu akzeptieren, ist nur dann eins, wenn Meuthen nicht mehr Fraktionsvorsitzender sein würde – einen Tod muss man sterben. Herr Meuthen vergrößert das Dilemma, in dem er anbietet, die zurückgelassenen könnten ja zu ihm kommen. Wie glaubwürdig ist seine kurz zuvor ausgesprochene Distanzierung?
Was Frau Dr. Petry unter Beweis stellen will, ist, dass sie führt – auch in Baden-Württemberg. Wenn es sein muss, über Meuthen hinweg. Sie sorgt für Entscheidungen, die einem Herrn Prof. Meuthen scheinbar nicht gelungen sind.
Was Frau Dr. Petry übersieht – ihr Kollege hat sie nicht gerufen. Auch nicht der Bundesvorstand. Und sie übersieht ein weiteres, sehr wichtiges Detail – die Konsequenz ihres Kollegen, der lieber einen Machtverlust durch weniger Abgeordnete hinter sich riskiert, als sich “systemparteiisch” zu verbiegen, nur, um die Machtbasis möglichst groß zu erhalten.
Sie übersieht auch, dass die Provokation derart groß ist, dass ihr Kollege nicht mehr nur ein möglicher Gegenpart ist, sondern ihr Gegner sein muss, will er noch “in den Spiegel schauen wollen”, wie Prof. Meuthen das so gerne sagt. Auch alle anderen Bundesvorstandskollegen wissen nach dieser Performance nun, dass Frau Dr. Petry kein Weg zu weit und keine Volte zu krass ist und sie jederzeit im Rücken auftauchen kann. Im Straßenkampf gibt es keinen gefährlicheren Gegner als jemanden, der nicht berechenbar ist – will man auf die politische Bühne, muss man neben Lächeln auch Straßenkampf können.
Der frühere AfD-Fraktionsvorsitzende Meuthen ist seit Wochen und gerade aktuell derart unter Beschuss, dass er sich eigentlich um andere Dinge kümmern müsste – aber Petry hat ihm den Fehdehandschuh nicht hingeworfen, sondern ins Gesicht gepfeffert. Auch dem Bundesvorstand, dessen mehrheitlichen Beschluss sie mit ihrer Erklärung konterkariert hat.
Herr Meuthen und die Mehrheit des Bundesvorstands geben sich der Lächerlichkeit preis, wenn man nicht auf diese Energie von Frau Petry entschieden reagiert. In der Politik ist es wie beim Elfmeterschießen – die Seite mit den besseren Nerven gewinnt. Bei der AfD ist das offen.
Zwischen Prof. Dr. Jörg Meuthen und Dr. Frauke Petry ist der totale Machtkampf entbrannt – am Ende dieser Auseinandersetzung wird es nur einen geben können. Die vermeintlich ruhigere Haltung hat Herr Meuthen, Frau Petry wirkt klar aggressiver und machtbewußter. Genau das könnte ihr Pferdefuß werden – wenn Meuthen sie da angreift. Aussitzen wird nicht reichen, die Replik “unwürdiges Schauspiel (…) fällt auf diese Abgeordneten und ihre Unterstützer zurück”, schon gar nicht. Derjenige, der härter angreift und den anderen vernichtet, gewinnt.
Das sind die Regeln, die die AfD ins Spiel gebracht hat und nach denen das jetzt parteiintern entschieden werden muss – keine Rücksicht auf niemanden.
Und möglicherweise bietet sich in den nächsten Tagen jemand an, als neuer Fraktionschef der nunmehr durch den Austritt von Gedeon “bereinigten” Fraktion den Neustart zu ermöglichen – Sie halten das für nicht wahrscheinlich? Ich schon.