Rhein-Neckar/Berlin, 12. Dezember 2016. (red/pro) Wer hat eigentlich noch Angst vor der AfD? Die neue rechtspopulistische Partei ist nirgendwo an der Macht. Sie kann fordern und provozieren, aber sie kann (noch) nichts entscheiden. Dass tun die Parteien, die an der Macht sind. Diese Parteien setzen aktuell viele Forderungen der AfD um. Kein Medium schreit auf. Niemand ist entsetzt. Die politische Strategie und die fehlende medialen Reaktionen könnten künftige Erfolge der AfD schmälern. Je rechter die CDU wird, umso hoffähiger wird allerdings die AfD als Koalitionspartner.
Dieser Artikel ist gebührenpflichtig. Warum? Das lesen Sie kostenfrei hier.
Von Hardy Prothmann
Erinnern Sie sich noch an den Entrüstungssturm, nachdem die Bundessprecherin Dr. Frauke Petry von einer Lokalzeitung gefragt worden war, ob man die Schusswaffe an der Grenze einsetzen müsse und die Politikerin zutreffend geantwortet hatte: „Als ultima ratio, ja.“
Schnappatmung allerorten. Vor allem medial. Als dann tatsächlich an europäischen Grenzen geschossen wurde, regte sich niemand auf. War ja nicht die deutsche Grenze.
Was hat man sich aufgeregt
Dann kam der EU-Türkei-Deal, die Flüchtlingsroute über Land wurde dicht gemacht. Seitdem wird an der türkisch-syrischen Grenze tödlich auf Flüchtlinge geschossen, hunderte Menschen sind seither im Mittelmeer ersoffen. Regt sich jemand auf? Achselzucken. Nicht der deutsche Zuständigkeitsbereich.
Die AfD forderte mehr Abschiebungen. Diese Menschenverachter. Schlimm, schlimm. Aktuell lässt sich CDU-Innenminister Thomas Strobl feiern, weil die Abschiebungen erhöht werden und deutlich ausgeweitet werden sollen. Wer analysiert das Fremdenfeinde-Gen des Ministers? Achso, ein wenig die SPD und die Grünen halten die sonst so laute Schnauze. Immerhin ist das ja der Koalitionspartner und „Kretsche“ ist Kanzlerinbeter.
Dieselbe oben (nicht) genannte Lokalzeitung sorgte nochmal für Wirbel, als der andere Bundessprecher Prof. Dr. Jörg Meuthen gefragt wurde, ob er sich vorstellen könne, einem Antrag der NPD zuzustimmen. Dieser meinte, dass man das von Antrag zu Antrag prüfen müsse, das gelte auch für Anträge von Die Linke. Daraus wurde „medial“ ein „Jörg Meuthen kann sich Zusammenarbeit von AfD & NPD vorstellen“ (FAZ).
Wie theoretisch diese Schlagzeile ist, zeigen folgende Tatsachen: Die NPD war zu diesem Zeitpunkt nur noch im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern mit fünf Abgeordneten vertreten. Für viele gescheite Anträge ist die rechtsradikale Partei eher nicht bekannt geworden. Somit wäre eine Zusammenarbeit schon an der inhaltlichen Prüfung gescheitert. Abgesehen davon ist Herr Meuthen zwar Bundessprecher, aber nicht Chef des Landesverbands MV, sondern in Baden-Württemberg. Insbesondere die Person Meuthen kann überhaupt nicht mit der NPD zusammenarbeiten – noch nicht mal theoretisch.
-Anzeige- |
Wie unsinnig diese Frage war, zeigt auch der Zeitpunkt. Das war der 31. August 2016. Am 04. September hatte sich die Frage erledigt. Die NPD verfehlte mit 4,9 Prozent den Wiedereinzug in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern und verlor ihre letzten fünf Landtagsmandate. Dafür kam die AfD aus dem Stand auf 18 Mandate und ist zweitstärkste Kraft geworden.
Und möglicherweise erfahren wir am 17. Januar mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Parteiverbotsverfahren, dass die NPD sowieso Geschichte, weil verboten ist. Das glaube ich zwar nicht, aber es könnte sein. Abgesehen davon ist die unter 1-Prozent-NPD so dermaßen unwichtig, dass sich die Aufregung gar nicht lohnt.
Kaputter Politzirkus
Wie kaputt der Politikzirkus ist, zeigt das aktuelle Spiel. Niemand fragt CDU, SPD oder Die Grünen, ob man sich eine Zusammenarbeit mit der AfD vorstellen könne – warum eigentlich nicht? Stellt die AfD doch Forderungen, die zumindest von CDU und CSU dann abgekupfert und in Realpolitik umgesetzt werden. Wozu der Umweg?
Wenn Herr Meuthen antwortet, dass er alle Anträge inhaltlich prüft und sich dann entscheidet – wo ist der Skandel? Das ist ein vorbildliches, an der Sache orientiertes Verhalten. Theoretisch. Praktisch ist solche Politik nicht.
Man stelle sich weiter vor, AfD-Vertreter würden Wirte bedrohen, Häuser beschmieren und anderes Zeugs veranstalten, um CDU, SPD, Grünen, FDP, Die Linke und anderen jede Möglichkeit zu nehmen, zu öffentlichen Veranstaltungen einzuladen und diese durchzuführen. Was würde passieren? Es gäbe einen riesigen Aufschrei. Zu Recht. Denn das geht ja mal gar nicht. Theoretisch.
Praktisch geht das schon. Kleine AfD-Veranstaltungen werden massiv boykottiert, die großen massiv von Polizei beschützt. Diejenigen, die sich für gute Demokraten halten, sich aber wie antidemokratische Asoziale verhalten, fühlen sich im gebogenen Recht wohl und erreichen was? Nichts, außer viel Ärger, viel Angst, viel Unruhe und zum Schluss weitere Wahlerfolge der AfD, die sich den Märtyrerkranz aufs Haupt legen kann.
AfD-Bashern geht die Luft aus
Und langsam geht den AfD-Bashern die Luft aus. Ist ja auch anstrengend, die ständige Schreierei. Gewählt worden ist die AfD trotzdem – teils auf Kosten heftiger Verluste insbesondere bei SPD und CDU. So ganz langsam kapiert man hier, dass, wenn man die AfD basht, man die eigenen, übergelaufenen Wähler trifft, die ganz sicher eins nicht tun werden: Zurückkehren.
Nach den Einzügen in acht Landtage, nächstes Jahr werden weitere folgen, versucht man die AfD in den Parlamenten vorzuführen. Auch das ist wieder zum Scheitern verurteilt, wenn es die AfD-Abgeordneten schaffen, sich auf die Arbeit zu konzentrieren und zeigen, dass sie ihre Politik einbringen.
-Anzeige- |
Auch die Medien sortieren sich neu. Sie verlieren viele Abos und suchen verzweifelt Kontakt zu AfD-Politikern (wie die nicht genannte Lokalzeitung), weil die nicht mehr mit denen reden wollen. Kein Wunder, wenn man dauernd auf die Mütze kriegt. In vielen Redaktionen sitzen keine Denker, die ein was-wäre-wenn überlegen und plötzlich feststellen, dass sie sich als Helden gerieren wollten, aber niemand klatscht – außer der übliche Zirkus.
Schwarz-blau vs. Rot-rot-grün
Und dann ist da noch die Bundestagswahl 2017. Alle glauben, dass die AfD zweistellig einzieht, möglicherweise sogar über 20 Prozent. Wenn das eintrifft, erinnern wir gerne mal die CDU an den „Wählerwillen“ – damit hat die CDU die Wahlniederlage in Baden-Württemberg so umgedeutet, dass sie erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland „Juniorpartner“ der Grünen wurde.
Wenn die CDU über 30 Prozent holt und die AfD um die 20 Prozent oder die Prozente jedenfalls so verteilt sind, dass CDU und AfD eine Regierung bilden könnten, dann muss sich die CDU fragen, ob sie diesen Wählerwillen akzeptiert, sofern keine andere zwei-Parteien-Koalition regierungsfähig wäre. CDU-SPD-Grüne? Come on, träumen Sie weiter.
Natürlich könnte möglicherweise Rot-Rot-Grün die Mehrheit erhalten – wenn das die Hoffnung der CDU wäre, dann gute Nacht. Aktuell hofft die CDU, dass sie mit dem Kanzlerinnen-Bonus einer Dr. Angela Merkel möglichst viel reißt und dann wahlweise auf SPD oder Grüne als schwachem Partner zurückgreifen kann.
Die CDU muss mutiger denken, sonst geht es ihr wie der SPD
Das ist ein gewagter Plan. Wenn er nicht hinhaut, braucht es einen Plan B – und der ist vermutlich eine Koalition mit der AfD. Blöderweise gibt es genau kein Anzeichen dafür, dass sich irgendein Parteistratege genau darüber Gedanken macht. Wie es überhaupt kaum Hinweise gibt, dass in den etablierten Parteien strategische Überlegungen zum Zug kommen.
Die AfD sind weder die Republikaner noch die NPD. Die AfD ist die bislang erfolgreichste Neugründung einer Partei der Bundesrepublik Deutschland in den vergangenen 40 Jahren. Die hat jede Menge problematische Mitglieder, aber noch viel mehr Potenzial. Der CDU täte auch gut, mal in die Geschichtsbücher zu gucken und zu schauen, wenn die CDU so alles in den 50er-60er-Jahren aufgesogen hat. Dagegen ist die AfD eine Regenbogenpartei.
Politik ist kein Ponyhof. Wenn die CDU nicht aufpasst, wird die AfD das für die Partei sein, was Die Linke für die SPD ist – der Weg in den fortgesetzten Machtverlust. In der Realpolitik angekommen, ist die AfD bei weitem nicht so erschreckend, wie sie politisch und medial hochgejazzt worden ist. Würden CDU/CSU sonst deren Forderungen umsetzen?
Man muss die AfD nicht gut finden. Man muss deren Positionen nicht teilen. Aber man muss die richtigen Schlüsse aus deren Auftreten und deren Erfolge ziehen, sonst macht man seinen Job nicht. Das gilt für die Politik wie für die Medien.
Ich habe noch einen mutigen Vorschlag für die CDU: Werbt Boris Palmer ab, der übersetzt AfD-Forderungen in vernünftige Schlüsse. Wenn ihr das nicht schafft, lest täglich seine Facebook-Seite und Rheinneckarblog. Dann bleibt Ihr vorne.
Unsere Kolumne Montagsgedanken greift Themen außerhalb des Terminkalenders auf – ob Kultur oder Politik, Wirtschaft oder Bildung, Weltweites oder Regionales, Sport oder Verkehr. Kurz gesagt: Alle Themen, die bewegen, sind erwünscht. Teils kommen die Texte aus der Redaktion – aber auch sehr gerne von Ihnen. Wenn Sie einen Vorschlag für Montagsgedanken haben, schreiben Sie bitte an redaktion (at) rheinneckarblog.de, Betreff: Montagsgedanken und umreißen uns kurz, wozu Sie einen Text in der Reihe veröffentlichen möchten. Natürlich fragen wir auch Persönlichkeiten und Experten an, ob sie nicht mal was für uns schreiben würden….