Rhein-Neckar/Kehl, 14. November 2016. (red/pol) Am kommenden Wochenende trifft sich die AfD Baden-Württemberg in Kehl zum Landesparteitagf. Die Landeszentrale für politische Bildung hat dazu einige Thesen aufgestellt, die sehr interessant und überlegenswert sind. Wir setzen uns in den Montagsgedanken mit den Thesen auseinander – kritisch und streitbar. Es stecken viele richtige Gedanken darin, aber auch viele, die wir massiv kritisieren. Auf der Sachebene und mit dem Ziel, die Meinungsbildung zu fördern. Nicht die Meinung, die wir vorschreiben wollen, das können und wollen wir nicht, sondern einfach nur den Prozess der Meinungsbildung.
Von Hardy Prothmann
Stellen wir uns mal das Jahr 2021 vor. Hinter uns liegen vier Jahre rot-rot-grüne Politik. Zwischenzeitlich gab es eine weitere enorme Zuwanderung, da der „Türkei-Deal“ nicht gehalten hat. Binnen kurzer Zeit erreichen über zwei Millionen Menschen Europa, die meisten davon Deutschland. Der Syrienkrieg tobt weiter. Es gibt Negativzinsen auf Guthaben. Die EU ist heillos zerstritten. In Frankreich ist Le Pen an der Macht. Die Spannungen zwischen den USA und Deutschland erreichen einen Höhepunkt.
Stellen wir uns weiter vor, die AfD erreicht nach 21 Prozent 2017 nun 34 Prozent, die CDU nur noch 29 Prozent. Die SPD ist auf 12 Prozent abgestürzt, die Grünen erreichen 8 Prozent, die Linke 10 Prozent und die FDP 7 Prozent. Die AfD ist bei allen Landtagswahlen bis dahin weiter erfolgreich. Dr. Frauke Petry (AfD) ist 46 Jahre alt und wird zur Bundeskanzlerin gewählt. Der kleinere Partner ist die CDU/CSU. Innenminister wird Prof. Dr. Wolfgang Meuthen (AfD), Außenminister Torsten Frei (CDU), Verteidigungsminister wird Roderich Kiesewetter (CDU).
Sie sagen: Moment. Das ist doch vollkommen utopisch. Ist es das? Und selbst wenn, frage ich Sie zurück: Hätten Sie gedacht, dass die erst 2013 gegründete AfD nur knapp den Einzug in den Bundestag 2013 verpasst hat und seitdem bei allen acht Landtagswahlen teils mit sensationellen Ergebnissen den Einzug geschafft hat? Hätten Sie gedacht, dass die CDU im Kernland Baden-Württemberg Juniorpartner der Grünen sein könnte? Vor 2016 hätte das jeder für utopisch gehalten. Hätten Sie gedacht, dass Donald Trump der 45. Präsident der USA werden könnte? Vollkommen utopisch und nach den Meinungsumfragen noch mehr.
Die „Populisten“ sind also teils schon an der Macht. Manchmal werden Utopien schneller faktisch als man denkt.
Die AfD-Thesen der Landeszentrale für politische Bildung
Dr. Michael Wehner, Leiter der Freiburger Außenstelle der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg (LpB), bezeichnet „Populismus“ als „schillernden Begriff“, der „nicht per se negativ“ sei.
Denn (Volks-)Parteien müssen, um auf dem Wählermarkt bestehen zu können, sich darum bemühen Stimmungen, Meinungen und Einstellungen aufzugreifen. Das heißt nicht, dem sogenannten Volksempfinden nachgeben zu müssen. Es ist aber Aufgabe der Parteien eine Dialogmöglichkeit anzubieten, um sich nicht vom Fundament (nationalstaatlicher) Demokratie zu entfernen: von den „Menschen im Lande“ – korrekter und problematisierender formuliert: von den stimmberechtigten Bürgerinnen und Bürgern.
Haben Sie sorgfältig aufgepasst? Herr Dr. Wehner bringt die Worte „Fundament“ und „Nationalstaat“. Wenn Sie jetzt entsprechend links und multi-kulti sind, keimt sofort der Verdacht auf: Ist die Landeszentrale möglicherweise rechtsradikal unterwandert?
Keine Sorge, ist sie nicht. Wer sich auf das Fundament der Demokratie beruft, also den Bürgern im Lande, der ist kein Fundamentalist. Oder wenn, eben ein demokratischer Fundamentalist. Was ist daran schlecht? Worüber regen Sie sich auf? Über eine fundamental-demokratische Sichtweise? Nicht wirklich jetzt, oder doch?
Besorgte Bürger verstehen
Wenn Sie den „Nationalstaat“ bemängeln – haben Sie sich auch mal die Frage gestellt, warum Deutschland die einzige Nation in Europa ist, die als Staat die Herausforderungen der Flüchtlingskrise zumindestens bislang organisatorisch einigermaßen bewältigen konnte?
An dieser Stelle gilt es auch, den zu Unrecht diskreditierten Begriff der besorgten Bürger wieder zu rehabilitieren. Es ist gut, wenn Bürgerinnen und Bürger in Sorge um die Demokratie sind, sich Gehör verschaffen und einbringen. Sofern die demokratischen Spielregeln und die Rechtsordnung nicht in Frage gestellt werden. Der Populismusbegriff kann nicht nur als wissenschaftlicher Analysebegriff, sondern auch als wertgeladener Kampfbegriff in der politischen Debatte instrumentalisiert werden, um von den Repräsentationsdefiziten der letzten Jahre abzulenken. Oder wie Francis Fukuyama es formuliert hat: „Populismus ist das Etikett, mit dem politische Eliten die bei ihnen unbeliebten politischen Ansichten einfacher Bürger versehen.“
Ach du meine Güte. Jetzt muss man also auch noch „besorgte-Bürger-Versteher“ werden? Ja, muss man. Denn diese Bürger haben eine Stimme und tragen sie zur Wahlurne.
Dr. Wehner stellt fest, dass „(Rechts-)Populismus“ keine deutsche oder europäische Besonderheit ist. Ob Trump oder der Sieg linkspopulistischer Parteien in Bolivien und Ecuador oder in Griechenland zeigten, dass das pluralistische Demokratiemodell weltweit von links und rechts in Frage gestellt wird:
Die neuen cleavages scheinen zwischen Populisten und Pluralisten, zwischen Neonationalisten und Internationalisten zu verlaufen. Den Hofers, Petrys und Trumps dieser Welt muss klargemacht werden, dass sie nicht berechtigt sind, im Namen des Volkes zu sprechen. Sie dürfen nicht in dem Glauben gelassen werden, sie sprächen für die schweigende Mehrheit.
Schreibt Dr. Wehner und hier mag ich ihm widersprechen, weil ich nicht weiß, woher er den Imperativ herzaubert. Niemand muss das glauben – die Wahlergebnisse sind entscheidend. Wer gewählt ist, hat „das Volk“ hinter sich – zumindest die Mehrheit.
Erfolge von Protest-Parteien sind kein neues Phänomen
Das Phänomen des Aufpoppens populistischen Protests ist in der Geschichte der Bundesrepublik nicht unbekannt. Stimmenanteile der NPD 1968 (9,8% Landtagswahl Baden-Württemberg) oder der Republikaner (1992: 10,9, 1996: 9,1 BW) verdeutlichen, dass mit Angstwahlkämpfen schon in den 60-er und 90-er Jahren erfolgreich Wähler(innen-)Stimmen gewonnen werden konnten. Erfolge von Protest-Parteien sind vor allem abhängig von der politischen Großwetterlage und politischen Problemlagen (Krisen), ökonomischen Rahmenbedingungen und programmatischen Defiziten etablierter Parteien sowie neuen gesellschaftlichen Fragen (auch die Grünen begannen als Protestpartei und Bewegung und führten Angst-Wahlkämpfe) und vermeintlichen programmatischen Alleinstellungsmerkmalen.
Haben Sie wieder aufgepasst? Die NPD und Die Grünen in einem analogen Gedankenzug. Heißt das jetzt, dass die Öko-Partei sowas wie grüne Nazis sind? Diese Vergleiche werden durchaus in der Bevölkerung gezogen und der Wissenschaftler Dr. Wehner unterstellt den Grünen, mit Angst Wähler gewonnen zu haben.
Natürlich ist das eine bösartige Interpretation von mir. Herr Dr. Wehner stellt die Grünen nicht auf die Ebene der NPD, sondern beobachtet vergleichbare Phänomene ohne „same same“ zu rufen. Auch hier gilt, wer oberflächlich Grüne mit Nazis vergleicht, mit dem muss man argumentieren. Das gilt auch, wenn man die AfD mit der NPD vergleicht. Sonst macht man es sich zu einfach und erzeugt nur Trotz.
Andererseits stellt das Thesenpapier eindeutig klar:
Ohne klare Abgrenzung von Rechtsextremisten und der Neuen Rechten wird die AfD sich mittelfristig nicht etablieren. Die Zusammenstellung der einzelnen Landeslisten zur Bundestagswahl sind ein wichtiger Prüfstein für die Beurteilung, ob es der AfD ernst damit ist, sich im demokratischen Parteiensystem zu verorten. Dann darf aber kein Platz für völkisch-nationale Kandidaten auf den Listen sein. Auch Kandidaten, gegen die ein laufendes Strafverfahren wegen Volksverhetzung im Gang ist, oder AfD Funktionäre, die eine Zusammenarbeit mit der Identitären Bewegung oder den Reichsbürgern suchen, oder sich mit menschenverachtenden Facebook-Kommentaren hervortun, sollten auf keinen Fall die Möglichkeit bekommen, die AfD in der kommenden Legislaturperiode im Bundestag vertreten zu können.
Und wieder folgt mein Widerspruch: Wieso sollten solche Kandidaten nicht aufgestellt werden dürfen? Dieses „Verbot“ kann nur gelten, wenn man die AfD etablieren will. Finden sich solche Kandidaten, wird, zutreffend analysiert, die oben beschriebene Utopie sicherlich nicht eintreten und Frau Dr. Petry muss weiter als oppositionelle Vortragsreisende durchs Land ziehen.
Die Formel 5xA+3xV
Die Formel 5xA+3xV kennzeichnet die Oppositionsrolle der AfD in den Landtagen, schreibt Herr Dr. Wehner. Die Auflösung:
- Ablenkung von eigenen Problemen
- Aufmerksamkeit (durch Tabubrüche und emotionale Erregung)
- Agitation gegen Flüchtlinge, Politiker, Journalisten, „Volksverräter“
- Abgrenzung von den sog. „Kartell- oder Systemparteien“
- Außenseiter-Selbststilisierung (anders, ausgegrenzt)
- Verschwörungstheorien bedienen
- Verächtlichmachung/Verhöhnung demokratischer Institutionen
- Verschiebung des öffentlichen Diskurses (sog. „Enttabuisierung“)
Mit ihren Anträgen lenke die AfD von eigenen Problemen ab, beispielsweise die geforderte Einsetzung eines Untersuchungsausschusses Linksextremismus in Baden-Württemberg. Ihr selbst gelinge es nicht, sich von rechtsextremistischen Gruppierungen oder vermeintlich verfassungsfeindlichen Organisationen wie den Reichsbürgern oder der Identitären Bewegung abzugrenzen.
Ich will die durchaus interessanten Thesen von Herrn Dr. Wehner nicht schmälern, aber die Formel Formel 5xA+3xV, könnte für etablierte Parteien auch so entschlüsselt werden:
- Ablenkung von eigenen Problemen
- Aufmerksamkeit (durch Tabubrüche und emotionale Erregung)
- Agitation gegen vermeintliche Populisten
- Abgrenzung von den sog. „völkischen Parteien“
- Außenseiter-Definition für jeden, der nicht der etablierten Meinung ist
- Verschwörungstheorien bedienen
- Verächtlichmachung/Verhöhnung des neuen Mitbewerbers
- Verschiebung des öffentlichen Diskurses (sog. „Tabuisierung“)
Brandreden halten alle
Mediale Aufmerksamkeit erhalte die AfD vor allem durch Tabubrüche und indem sie die emotionale Erregungsklaviatur bediene.„Deutsche Interessen“ würden auf dem Altar der
Europäisierung vernachlässigt. Das deutsche Volk würde gegenüber den Flüchtlingen vernachlässigt. So werden die Bedürftigkeiten von Hochwasseropfern oder n auch ALG II-Bezieher gegen Flüchtlinge ausgespielt, steht im Thesenpapier. Statt „Volksschulen“ zu sanieren oder arbeitslose Deutsche in den Arbeitsmarkt zu integrieren würden Flüchtlingsheime gebaut und Migrant(inn)en versorgt.
Ihre Brandreden gegen demokratisch gewählte Politiker, die Verhöhnung von Regierungsmitgliedern und Abgeordneten als Diktatoren und Volksverräter sowie ihre Brandreden auf die Vertreter von „Pinocchio“- und „Lügenpresse“ untergraben die Legitimität der Demokratie und erinnern in Form und Strategie an die Verächtlichmachung der Weimarer Republik durch die Nazis. Damit gelingt den AfD-Agitatoren eine Verschiebung des öffentlichen Diskurses nach rechts und eine Relativierung bislang erfolgreich zurechtgewiesener Parolen im Sinne eines „Das wird doch noch gesagt werden dürfen“. Rechtsextremismus in seiner light-Version wird hoffähig gemacht und gelangt in die Medienberichterstattung. Begriffe wie „völkisch“, „Bevölkerungstausch“, „schleichender
Genozid an der deutschen Bevölkerung“ werden von der Leine gelassen, verharmlosen den Nationalsozialismus und relativieren die Verbrechen der Deutschen gegen die Menschlichkeit.
Hier stimme ich in Teilen zu und widerspreche gleichzeitig vehement. Die Brandreden und Verhöhnung sind ein schwerer Schaden durch absolut ungebührliches und nicht vorbildhaftes Verhalten von vielen in der AfD. Es zeugt zudem von politischem Unsachverstand, ja geradezu schreiender Dummheit, wenn die Kanzlerin Dr. Angela Merkel als „Diktatorin“ bezeichnet wird und gewählte Abgeordnete als „Volksverräter“ wie zuletzt im Landtag von Baden-Württemberg durch den AfD-Abgeordneten Stefan Räpple.
Gleiches gilt für „Lügenpresse“. Die Kritik an Mandatsträgern ist ebenso erlaubt und sogar erwünscht, wie die Kritik an Medien. Aber sachlich, auf den Einzelfall bezogen, meinetwegen auch systematisch – aber eben ohne pauschalisierende verbale Ausfälle.
„Form und Stragie“ mögen erinnern – aber ist die Anmutung ein Beleg? Und ist die Bundesrepublik Deutschland auch nur ansatzweise mit der Weimarer Republik und den damaligen Zeiten vergleichbar? Wohl kaum.
Ist die AfD „erfolgreich“ oder sind die anderen einfach nur „schwach“?
Auch, was den „Erfolg der AfD-Agitatoren“ angeht, habe ich erhebliche Zweifel, ob das deren Erfolg oder die Schwäche anderer ist. Am öffentlichen Diskurs sind neben der AfD alle anderen Parteien beteiligt und vor allem die Medien, die den Diskurs verbreiten. Verantwortlich ist immer nur die AfD? Das ist sehr einseitig gedacht.
Insbesondere mit Bezug auf „Das wird doch noch gesagt werden dürfen“ – dieses Zitat kommt von einem SPD-Politiker Thilo Sarrazin. Also explizit nicht von der AfD. Insbesondere Sarrazin hat die Büchse der Pandora aufgemacht und die SPD hat haltungslos zugeschaut.
Dazu kommt eine geradezu panische Medienlandschaft, die für eine Schlagzeile die eigene Großmutter nicht nur opfern, sondern möglichst kleinteilig verkaufen würde und über jedes Stöckchen springt, das man ihr hinhält, um den nächsten „Skandal“ durchs Dorf zu treiben.
Die Abgrenzung von den sogenannten Kartell- bzw. Systemparteien dient dazu die vermeintliche Volksverbundenheit der AfD zu unterstreichen und den Unfug zu verbreiten, nur und ausschließlich die AfD spreche im Namen des Volkes und könne dem Volkswillen „wahre Geltung“ verschaffen. Insofern kommt es der AfD sehr gelegen, von anderen Parteien ausgegrenzt zu werden; das unterstreicht ihr angebliches Anders-Sein und verleiht ihr den Charakter einer besonderen Partei mit Alleinstellungsmerkmal, der vermeintlichen Alternative eben.
Obacht, sonst stolpert man selbst über Ansprüche
Hier stolpert der Wissenschaftler Dr. Wehner selbst über die eigentlich von ihm erkannten Phönomene: „Unfug verbreiten“ viele. Fürs Volk reden wollen auch viele. Und Ausgrenzung ist nur die Steigerung von Abgrenzung, was ebenfalls alle Parteien versuchen oder eben zu wenig versucht haben, weshalb man sie in vielen Fällen nicht mehr unterscheiden kann. Auf der Suche nach dem Alleinstellungsmerkmal sind plötzlich alle Parteien durch Einwirkung der AfD – tatsächlich wird die AfD in vielfacher Hinsicht insbesondere durch CDU/CSU, aber auch durch die SPD kopiert.
Verschwörungstheorien der AfD und ihres Sympathisanten-Umfelds von der Islamisierung des Abendlandes oder der Umvolkung werden gerne häufig an Stammtischen und Vereinslokalen aufgegriffen. Die Legende der rot-grün-links versifften Bundesrepublik (Meuthen) dient der AfD dazu, einmal mehr das Bild von demokratischen Institutionen zu zeichnen, die in der Hand weniger Manipulatoren seien. Es werden Unterwanderungsfantasien gezeichnet, die einhergehen mit einer Dominanz der Linken in den Medien und die die AfD zu Märtyrern des politischen Systems werden lassen sollen.
Auch hier mag ich widersprechen. Nicht in der Behauptung, dass die AfD sich entsprechend verhält, sondern zur Aussage einer Legende – soweit mir gekannt, gibt es schon seit vielen Jahren keine vernünftige wissenschaftliche Untersuchung, wie die mediale Landschaft ausgerichtet ist und welchen Einflüssen sie unterliegt. Und auch das Meuthen-Zitat ist unvollständig. Ich war vor Ort beim Bundesparteitag in Stuttgart und Herr Meuthen hat dort sogar von „rot-grün-links verseucht“ gesprochen, was nicht nur einen „verkommenen“, sondern einen nicht wiederherzustellenden Zustand bezeichnet und absolut widerwärtig in der Formulierung war. Beim Thema Seuche ist man in der Tat schnell beim Ratten-Judenvergleich der Nazis.
Come on – die Nazis und Weimar sind vorbei
Sorgen bereiten nicht nur manche Positionen und Parolen, sondern vor allem die antidemokratischen Nadelstiche und Sub-Botschaften der AfD. Will die AfD eine erstzunehmende Partei im demokratischen Spektrum werden, so muss sie sich von ihrer bislang verfolgten Strategie, die demokratischen Prozesse und staatlichen Institutionen zu delegitimieren, schleunigst verabschieden. Bislang zielen all ihre Bemühungen aber genau darauf. In Kombination mit ihrem Alleinvertretungsanspruch auf den vermeintlichen Volkswillen sind die Versuche die Demokratie lächerlich zu machen tatsächlich Methoden, die bereits von den Nazis so angewandt wurden, um ihre Diktatur und einen Unrechtsstaat in Deutschland zu etablieren.
Nochmals vehementer Widerspruch. Die Nazis kommen ebensowenig wieder wie die Weimarer Republik als Fehlkonstruktion. Interessant ist, das bislang weder von politischen Parteien noch von Medien in ausreichendem Maße der innere Widerspruch der AfD hinreichend kenntlich gemacht worden ist.
Danach will die AfD das „verkommene“ Parteiensystem abschaffen und ist selbst was? Partei. Eine starke Demokratie ist immer nur so stark, wie die Opposition. Das erkennt man aktuell an der Übermacht von CDU/CSU und SPD, das bei vielen ein Gefühl der Ohnmacht durch unzureichende Teilhabe erzeugt.
Es ist weiter falsch, dass die Thesen von Dr. Wehner nahelegen, die AfD sei auch nur ansatzweise in der Lage, die demokratischen Prozesse und staatlichen Institutionen zu delegitimieren. Dafür bräuchte sie im Zweifel die absolute Macht. Die wird aber keine Partei mehr erringen und wenn, dann nur in einzelnen Gesetzgebungsänderungsverfahren, für die auch die Opposition gewonnen werden muss. Es ist außerdem falsch, dass die „Lächerlichmachung“ der Demokratie durch die Nazis Diktatur und Unrechtsstaat etabliert hätten – das erfolgte durch die Schwäche des Weimarer Systems demokratisch legitimiert.
Die AfD ist Chance und Bedrohung gleichermaßen
Richtig ist, dass die AfD eine Gefahr für die Gesellschaft darstellt. Nämlich durch falsche Versprechungen und die Imagination, nur sie allein sei in der Lage, „alles zu ändern“. Wer will den „alles ändern“? Wohl niemand. Man will also „Auswüchse“ beenden und ändern? Nur zu, dafür ist Politik da, sich auch immer wieder selbst zu korrigieren. Wer daran Teil haben will, muss allerdings ins System rein. Man muss sich dort nicht ideologisch anpassen, aber man muss es respektieren und die bewährten Abläufe einhalten. Die AfD hat sich schon viele blutige Nasen geholt. Und lernt. Genau davor haben alle Angst, aber genau das wird die AfD auch entzaubern – wer an die Macht will, muss die Oppositionsrolle aufgeben und plötzlich mit einer anderen Rolle zurechtkommen. Die Grünen und die CDU lassen grüßen.
Der Strategie einer Umkehrung der Täter-Opfer-Perspektive muss von Beginn an entgegen getreten werden. Die AfD und ihre Sympathisanten sind keine Widerstandskämpfer in einem unfreien Staat. Ganz im Gegenteil. Die wehrhafte Demokratie des Grundgesetzes (Artikel 18) muss dagegen halten und darf nicht davor zurückschrecken, Gegner der verfassungsmäßig garantierten Rechte öffentlich als Feinde der Demokratie zu brandmarken. Auch der Rassismus in modernem Gewande von Ethnopluralismus ist und bleibt Rassismus. Homophobie bleibt Homophobie. Pauschalen Verunglimpfungen und Stigmatisierungen muss frühzeitig begegnet werden. Wenn pauschal Minderheiten und/oder „Randgruppen“ diskriminiert oder verunglimpft werden, darf nicht geschwiegen
oder weggeschaut werden. Das gilt im gleichen Maße, wenn von „den“ Junkies, „den“ Flüchtlingen oder „den“ Deutschen geredet wird.
Richtig – man muss immer genau schauen, wer Täter und wer Opfer ist. Das ist eine Binse. Die AfD und ihre Anhänger werden aber zu Opfern und Widerstandskämpfern, wenn sie beim Versuch der demokratischen Wahrnahme von Versammlungsfreiheit massivst behindert werden. Wenn Gastwirte bedroht werden, wenn Kommunen unter fadenscheinigen Gründen die Vermietung von Räumen verweigern, dann befördert dieses selbst als „demokratieverteidigend“, aber tatsächlich demokratieverachtende Verhalten die Umkehr.
Die AfD ist nicht mit der NPD vergleichbar – die NPD war nie ansatzweise so erfolgreich
Und ist die AfD nun ein Gender der „verfassungsmäßig garantierten Rechte“ und ein Demokratiefeind wie die NPD? Hier entgleitet dem Autoren sein Enthusiasmus hin ins Irrationale. Ebenso verfängt das falsch gesetzte Argument: Wenn „Minderheiten“ pauschal verunglimpft werden – und aktuell ist die AfD noch Minderheit – „darf nicht geschwiegen und weggeschaut“ werden. Zustimmung – deshalb berichtet das Rheinneckarblog auch immer wieder kritisch, wenn genau das passiert. Die Auseinandersetzung mit der AfD darf nur demokratisch, aber nie antidemokratisch geführt werden.
Die Debatten und Diskussionen der letzten Wochen haben gezeigt, dass eine Ausgrenzungsstrategie oder Dramatisierungskampagne nicht dazu führt, die AfD kleinzuhalten. Die Abgehängten haben die Demokratie und namentlich Wahlen als Waffe des Protestes entdeckt. Einhegen statt ausgrenzen ist angesagt. Der Streit ist zu führen. Wenn wir nicht davon überzeugt sind, dass die Demokratie die besseren Argumente auf ihrer Seite hat, hat sie schon verloren: Gegenhalten statt Ignorieren ist das bessere Vorgehen. Und das Beispiel USA kann auch zeigen, dass Populisten Konzepte und Lösungsangebote liefern müssen, wenn sie gestalten wollen. Parolen und Hetze reichen nicht aus, um gut regieren zu können. Angst, Verklärung und Misstrauen sind keine guten Ratgeber für gelingende Politik. Eine Verklärung der Vergangenheit ist der falsche Weg. Eine Rückkehr in nationalstaatliche Enge und eine Abkehr von der offenen Gesellschaft sind keine zukunftsfähige Lösung. Wer sehnt sich eigentlich zurück in eine längst vergangene Welt, in der Frauen unterdrückt wurden, Schwule keine Rechte hatten, Kinder geschlagen und Menschen am Reisen gehindert wurden?
Der letzten Wochen? Der Paukenschlag lag vor dreieinhalb Jahren und die Wirkkräfte längst davor. Richtig ist – trotz oder wegen aller Bemühungen in einer oft atemberaubenden Allianz von Politik und Medien gegen die neue Partei, fährt diese einen Erfolg nach dem anderen ein. Abgesehen davon werden Frauen immer noch schlechter gestellt, Schwulsein ist auch nicht das Erfolgsmodell der Gesellschaft, Kinder werden nach wie vor geschlagen (vor allem in entsprechenden Milieus) und es herrscht zwar Reisefreiheit, die kann sich aber einer mit ALGII nicht leisten.
Wer ist abgehängt?
Die „Abgehängten“? Die AfD hat die größte Zahl von Akademikern und führt frühere Nicht-Wähler wieder zur Wahlurne. Gelänge das einer anderen Partei, wäre das „sensationell“, bei der AfD ist es „bäh“. So geht das nicht.
Richtig, der Streit ist zu führen. Trump in den USA muss erst noch liefern – ab 20. Januar 2017. Vorher ist er nicht an der Macht – auch, wenn viele Parteien und Medien das täglich suggerieren und damit, palimpalim, das Bild der Lügenpresse und „Dummschwätzer“-Politik zementieren.
Herr Dr. Wehner schreibt Thesen, die durchaus richtig sind: „Parolen und Hetze reichen nicht aus, um gut regieren zu können.“ Der normative Imperativ ist „gut“. Was ist „gut“, das ist die Frage. Wer Hetze gut findet, findet auch eine solche Politik gut. „Angst und Misstrauen“ seien kein „guter Ratgeber“? Richtig – das gilt auch für die etablierten Parteien, die einen hinterherhechelnden Angstwahlkampf gegen die AfD führen, statt mit klaren Inhalten vorneweg zu sein.
Zukunftsfähige Lösung? Was ist das?
Und was ist eine „zukunftsfähige Lösung“? Könnte es möglich sein, dass hier relativ falsch gedacht wird? Europa ist durchlässiger geworden und hat den Weg weg von den Nationalstaaten genommen. Viele Rechte für Schwächere sind nicht durch Europa entstanden, sondern vorher. National. Europa ist in der Gesamtbetrachtung der Kernländer relativ homogen. Solange dem so war, ging es auch einigermaßen gut.
In Europa. Hat die europäische Politik der vergangenen Jahrzehnte außerhalb Europas für „Zukunftsfähigkeit“ gesorgt? Wenn mich mein Eindruck nicht täuscht, ist genau das Gegenteil eingetreten, weswegen Menschen aus aller Herrn Ländern nach Europa fliehen. Weil es da, wo sie herkommen, eben keine Zukunft gibt. Und bin ich ein Rassist, wenn ich sage, dass diese Menschen ihre perspektivlose Zukunftsunfähigkeit aus ihren Ländern mit nach Europa bringen? Oder bin ich jemand, der das erstmal realistisch sieht?
Schauen wir auf das Vielvölkerland USA – was macht den „Kern“ der „Urbevölkerung“ aus? Eigentlich Indianer, tatsächlich aber europäische Zuwanderer in einem unbestellten Land. Deutsche, Polen, Iren, Engländer, Franzosen, Spanier. Und später Sklaven und Eisenbahn-Chinesen. Zeit vielen Jahrzehnten erlebt dieses riesige Land, wo sich niemand auf die Füße treten muss, eine interne Krise nach der anderen.Über 30.000 Tote durch Schusswaffen Jahr für Jahr. In den Straßen herrscht Krieg. Nicht an der homogenen (europäischen) Ostküste, wo die Regierung sitzt, sondern überall dort, wo die Kulturen aufeinandertreffen.
Repolitisierung der Gesellschaft? Hoffentlich!
Die Polarisierung der Gesellschaft führt auch zu einer Repolitisierung der Öffentlichkeit. Das gemeinsame Streiten um die zukünftigen Wege, das Ringen um bessere Lösungen (im Rahmen der geltenden Grund- und Menschenrechte) zeigen die Bedeutung politischer Entscheidungen und machen deutlich: keine Beteiligung ohne politische Bildung. Die Bürger entdecken gerade wieder, wie wichtig und spannend Politik ist. Die politische Bildung erlebt eine Renaissance und erfährt einen neuen Bedeutungszuwachs, den sie längst verdient hat. Denn sie stellt sich mit ihren Angeboten in den Dienst unseres Gemeinwesens.
Wenn das so wäre, wäre das ein positiver Effekt. Ist das so? Offenbar erfahren die Bildungsangebot der Landeszentrale für politische Bildung eine erhöhte Aufmerksamkeit. Ebenso wie das Rheinneckarblog kontinuierlich steigenden Zugriffszahlen erfährt. Und das ist gut so, weil es zeigt, dass Angebote gemacht werden, mit denen sich die Menschen auseinandersetzen wollen.
In steigendem Maße. Auch das ist relativ. Wenn sich vorher immer weniger interessiert haben, ist jede Trendumkehr der Beginn einer Steigerung.
Die AfD – ob man sie nun mag oder nicht, hat viel dazu beigetragen und sich damit, wie auch immer man das beurteilt, einen gewissen Verdienst erworben.
Diesen Satz mag nun jeder beurteilen, wie er will. Die einen werden mich als rechtsradikalen Steigbügelhalter verunglimpfen wollen (ich weiß, wer das ist), andere werden sagen: „Jaja, viele Worte“ – unsere kluge Leserschaft aber wird sagen: „Danke für das Angebot, darüber denke ich nach und bilde mir meine Meinung.“
Dann hat der Text ein Ziel erreicht.
Das Thesenpapier von Dr. Wehner hat auch sein Ziel erreicht – zumindest bei mir. Ich finde es sehr interessant, ich reibe mich gerne an den Thesen, denen ich nur teilweise zustimme und die ich teilweise als nicht korrekt betrachte und so soll das sein.
Das ist demokratische Auseinandersetzung in der Sache, am Thema, für die Zukunft, mit Blick auf die Vergangenheit und der Frage: Was ist die jeweilige Lösung?
Die AfD hat den politisch-gesellschaftlichen Diskurs – ob gut oder schlecht – wie kaum eine andere Partei in den vergangenen Jahren vorangetrieben. Das ist eine Feststellung – nicht mehr, nicht weniger.
Service: Hier das Thesenpapier der LpB.