Rhein-Neckar/Stuttgart/Südwesten, 07. Februar 2017. (red/pro) Die “Causa Gedeon”, das lernt man dieser Tage, ist für die AfD-Fraktion im Südwesten noch längst nicht ausgestanden. Wir hatten das in früheren Berichten schon vorausgesagt. Dabei geht es nicht um die Person des Abgeordneten Dr. Wolfgang Gedeon, der mit verschwurbelten antisemitischen Thesen negativ aufgefallen ist, sondern um die klare und eindeutige Abgrenzung gegen Antisemitismus der Südwest-AfD. Die ist nach wie vor nicht klar. Der Fraktionsvorsitzende Prof. Dr. Jörg Meuthen kämpft um seinen Machtanspruch – dabei verwechselt er die AfD mit den klassischen Gefügen der etablierten Parteien und untergräbt den hohen Selbstanspruch der AfD. Eine Analyse.
Von Hardy Prothmann
Ich ging davon aus, dass Herr Meuthen ein aufrechter Mann wäre.
Lassen Sie das Zitat wirken. Denn der Satz ist nicht einfach daher gesagt. Die Person, die diesen Satz gesagt hat, Dr. Heinrich Fiechtner (Wahlkreis Göppingen), galt bislang als Unterstützer von Herrn Dr. Meuthen. Achten Sie auf die Wortwahl – “wäre”, statt “ist”. Der Satz ist eine Kampfansage. Warum, zeigt Ihnen dieser Artikel auf.
Herr Dr. Fiechtner antwortet diesen Satz im Telefongespräch, als ich ihn nach seinem Verhältnis zu Herrn Dr. Meuthen frage. Ohne Zögern. Ohne Häme. Ohne Beiwerk. Als würde er als Arzt, der er ist, ein Diagnoseergebnis einer bislang nicht genau bekannten “Komplikation” wiedergeben.
Herr Dr. Fiechtner ist einer der herausragendsten Redner der AfD im Südwesten. Kein Kind von Traurigkeit. Er führt gerne das Wort. Er provoziert auch gerne mal. Er ist klar konservativ. Und er hat klare Positionen – die irgendwie auch FDP und CDU sein könnten. Nur halt klarer.
Der Kontakt heute ist ein “Erstkontakt”. Ich kenne Herrn Dr. Fiechtner weder persönlich, noch hatten wir bislang direkten Kontakt. Als ich ihn erreiche und meinen Namen und das Medium nenne, sagt er: “Sie und das Rheinneckarblog haben den Ruf, neutral und kritisch zu berichten.” Und dann reden wir gut eine Stunde lang. Herr Dr. Fiechtner erhält den Hinweis, dass wir immer offen anfragen, weil wir uns aber nicht kennen, er Hinweise geben könne, wenn er etwas “vertraulich” behandelt haben wolle. Dieses Angebot nimmt er einmal in Anspruch – an einer Stelle, die dritte Personen betreffen, aber ohne Belang für diesen Text sind.
Müssten wir als Partei, die für freie Meinungsäußerung steht, so eine Meinung nicht akzeptieren? Nein, so eine Meinung müssen, können und wollen wir nicht akzeptieren.
Das ist nicht etwa Herr Prof. Dr. Meuthen, den wir zitieren, sondern Dr. Fiechtner in einem Video auf Youtube. Weiter:
Ja, die Alternative für Deutschland setzt sich für die freie Meinungsäußerung ein. Das heißt, dass wir auch Antisemiten das Recht zugestehen, ihre Meinung zu äußern. Denn nur so hat man überhaupt die Möglichkeit, solche Menschen zu erkennen und vom Gegenteil zu überzeugen. Wenn wir anfangen, solche Meinungen zu verbieten, dann erreichen wir nur eines, nämlich, dass diese Menschen sich isolieren und im Untergrund radikalisieren. Doch sich für die freie Meinungsäußerung einzusetzen, heißt noch lange nicht, dass wir jede Meinung akzeptieren und vertreten müssen. In der AfD ist kein Platz für Pädophile, Antisemiten, Rassisten oder sonstige Extremisten.
Die Harke auf die Grünen sitzt. Auf Die Linke, auf Rechtsradikale oder andere Extremisten. Tatsächlich gibt Herr Dr. Fiechtner wieder, was viele nicht verstehen wollen. Das Grundgesetz schützt auch “abweichende” Meinungen.
Dr. Fiechtner steht mit vielen Positionen klar für die AfD. Stichwort: “Unkontrollierte Einreise stoppen”. Aber er sagt auch:
Ich bin durch die christlich-abendländische Tradition und als Arzt geprägt. Deshalb auch meine Position zur Gesundheitskarte für Flüchtlinge. Bedürftigen, die in Deutschland sind, müssen wir helfen. Das heißt nicht, dass wir jeden dazu einladen. Die Gesundheitskarte baut Verwaltungskosten ab. Auch das ist aus meiner Sicht eine klare AfD-Position.
Nachdem er gegen einen Fraktionsbeschluss, der, wie er behauptet, ohne “anständige” Debatte verlaufen sei, in seiner Rede im Landtag seine Position geäußert hatte, wurde er mit Redeverbot, Ausschluss aus Ausschüssen und weiteren Maßnahmen belegt.
Herr Dr. Fiechtner hatte sich zudem in einem “offenen Brief” zusammen mit den AfD-Abgeordneten Stefan Herre und Lars Patrick Berg gegen den “Einspar-Vorschlag” der AfD zur Gedenkstätte Gurs geäußert:
Das Gedenken an die Vergangenheit ist bestimmend für die Grundausrichtung eines Volkes. Positives macht stolz und weckt die Zuversicht für weitere große Taten. Schreckliches und Betrübliches lässt innehalten und gibt Anlass, sein Handeln sorgfältig zu bedenken und abzuwägen. Vor diesem Hintergrund sind wir betroffen über die Entscheidung der Fraktion bei ihrer Klausurtagung, die Förderung für die Gedenkstätte Gurs in Südfrankreich zu streichen. Weit über 6000 Juden aus Deutschland wurden dort untergebracht auf der Zwischenstation in ihr Verderben. Dessen auch heute und in der Zukunft zu gedenken, ist wichtig für ein heilsames Erschrecken vor den Untiefen menschlichen Handelns, auch und gerade weil es fern von Deutschland liegt und so die Fernwirkung verbrecherischen Handelns zeigt.
Gedeon, Gesundheitskarte, Gurs – die drei-Gs haben die Kaltstellung des Dr. Fiechtner aktuell beschleunigt. Als vorerst letzter Akt verschickt die AfD-Fraktion heute eine Pressemitteilung:
Die Abmahnung bezieht sich weniger auf den Brief selbst, sondern vielmehr auf die Weitergabe an die Presse. So kann man nicht arbeiten,
wird AfD-Fraktionsvorsitzender Prof. Dr. Jörg Meuthen darin zitiert. Und weiter:
Dr. Fiechtner wurde wegen mehrerer Vorfälle dieser Art bereits sanktioniert. Zukünftig wird er im Plenum „bis auf weiteres“ nicht mehr für die Fraktion sprechen, da Dr. Fiechtner bereits im Dezember „seine eigene Meinung über die Meinung der Fraktion stellte. Er muss die Position der Partei vertreten.
Zudem wurde Dr. Fiechtner aus allen Ausschüssen abgezogen. Einen Parteiausschluss Fiechtners strebe die Fraktion nicht an.
Die Fraktion und ich wünschen uns, dass Dr. Fiechtner zur Fraktionsdisziplin zurückkehrt. Er hat fraglos das Potenzial, ein wichtiges Mitglied der Fraktion zu sein. Herr Fiechtner musste zuletzt viele Niederlagen einstecken. Das ist nicht erfreulich für ihn – und scheint offensichtlich dazu zu führen, dass er sich nun profilieren will.
Dr. Fiechtner sagt dazu, dass er seine Haltungen vertrete, es also zutreffe, dass er damit sein Profil offenbare. Einschüchtern lässt der Mann sich nicht:
Ich bin aktuell vollständig kalt gestellt. Aber wissen Sie, ich bin mit einer Behinderung auf die Welt gekommen. Ich habe keine rechte Hand. Heute bin ich 56 Jahre alt. Man lernt viel auszuhalten und zurechtzukommen. Die Versuchung des Austritts ist groß. Ich warte aber lieber die Zeit des Kriegs der emotional überfrachteten Irrationalitäten ab und hoffe darauf, dass diese Partei sich selbst findet.
So, wie Herr Dr. Fiechtner das sagt, kann das als “Drohung” verstanden werden – oder als gelassene “Milde”. Denn er hat genau gar nichts mehr zu verlieren. Er soll als Vorzeigeredner nicht mehr reden dürfen. Er ist aus allen Ausschüssen abgezogen. Man hat ihn aus der Lostrommel für die Bundesversammlung entfernt. Dazu eine “Abmahnung”, was auch immer die bedeuten soll, denn schließlich ist Herr Dr. Fiechtner ein unabhängiger Abgeordneter und kein Angestellter.
Mit einer solchen Wucht habe ich nicht gerechnet,
sagt Herr Dr. Fiechtner.
Die finale “Strafe” wäre der Ausschluss aus der Fraktion – dass das nicht so einfach ist, hat die “Causa Gedeon” gezeigt. Würde man einen der wenig absolut eindeutigen Gegner von Antisemiten aus der Fraktion ausschließen, was wäre die Botschaft?
Zudem – wer wäre der nächste? Die AfD hätte dann nur noch 20 Abgeordnete, nach ursprünglich 23. Vor kurzem hatte die Wieslocher AfD-Abgeordnete Claudia Martin die Fraktion verlassen – auch sie erlebte eine Wucht des Nachschlagens. Auch sie hatte sich gegen eine nicht eindeutige Abgrenzung zu rechtsradikalen, antisemitischen Positionen gestellt.
Noch ein Abgang und die AfD wäre nicht mehr drittstärkste Fraktion vor der SPD, sondern mit 19 Mitgliedern gleichauf mit dieser. Noch ein Abgang und man wäre nur noch Platz vier. Herr Professor Meuthen würde sich dann nicht mehr halten können.
Der Antrag der AfD-Fraktion, der die Streichung der Gelder für die Gedenkstätte Gurs in Frankreich vorsieht, werde zurückgezogen, teilt die AfD mit.
Diese Entscheidung haben wir nicht in der heutigen Fraktionssitzung beschlossen, sondern schon vorher. Das war Dr. Fiechtner bekannt. Deswegen ist dieser Offene Brief sinnfrei,
lässt Prof. Dr. Jörg Meuthen in der Pressemitteilung verbreiten. Morgen will er sich im Plenum zum Sinn des Antrags äußern, der für nachvollziehbare Empörung gesorgt hat.
Herr Dr. Fiechtner wird dem Vortrag mit Sicherheit sehr entspannt folgen und lächeln. Geduld und Zuversicht sind Eigenschaften, die einen Arzt auszeichnen sollten. Mal schauen, ob es ihm gelingt, den Patienten AfD aus dem Wutrausch zu holen und zu heilen. Das geht wie immer nur, wenn der Patient dazu willens ist.
Der Patient AfD ist im Moment schwer traumatisiert. Redeverbot innerhalb einer Partei, die die Meinungsfreiheit hochhält. Absolute Parteidisziplin innerhalb einer Partei, die genau das bei anderen Parteien heftigst kritisiert. Sanktionen noch und nöcher gegen “unliebsame” Stimmen, während Höcke und Co. frei vom Leder ziehen können?
Und ein Fraktionsvorsitzender, der die “Wahrheit” biegt wie ein Weidenstämmchen – Stefan Räpple hat, anders als Herr Professor Meuthen das behauptete, bis heute die “Präambel” der Fraktion gegen Antisemitismus und Rassismus nicht unterschrieben, wie verschiedene Medien berichtet haben. “De jure” gäbe es dazu einen einstimmigen Fraktionsbeschluss, meint die AfD. Selbst Herr Meuthen sollte wissen, dass Worte Schall und Rauch sind. Eine Unterschrift ist eine Unterschrift. Keine ist keine.
Wer nicht darauf achtet, dass alles anständig zugeht, nicht darauf achtet, dass man sich klar gegen jeden Zweifel in Sachen Antisemitismus positioniert, ohne Not Zuschüsse für die Gedenkstätte Gurs streichen lassen will – den muss man nach seiner anständigen Haltung fragen dürfen. Entscheidend sind die Antworten. Wir sind gespannt.
Dr. Heinrich Fiechtner muss seit seiner Geburt mit einer Behinderung leben. Seine Waffe ist nicht die Faust, sondern das Wort. Das beherrscht er. Und er steht zur AfD – obwohl die ihn gerade behandelt wie einen Krüppel. Das ist ein hochbrisante Situation.
Ein Mann steht für seine Haltung und sein Wort ein. Ein anderer bemüht das “System”, um ihn kalt zu stellen.