Rhein-Neckar/Stuttgart, 15. Juni 2017. (red/pro/ps) Die Klage des baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten Dr. Heinrich Fiechtner gegen seine Fraktion könnte einen bundesweiten Präzedenzfall schaffen. Mit dem Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg will der 56-Jährige klären, ob ihn seine Fraktion von zwei Landtagsausschüssen abwählen durfte. Die Absetzung verstieß möglicherweise zudem gegen Vorschriften des Parlaments. Landtagspräsidentin Muhterem Aras hatte Fiechtners Anwalt einen Organstreit gegen die Fraktion nahegelegt, wie das Rheinneckarblog erfuhr. Der Fall berührt die grundsätzliche Frage, wie viel Freiheit einem Abgeordneten gegenüber der eigenen Fraktion zusteht. Unsere Recherche begann mit einer Suche nach Informationen zur Sachlage – herausgekommen ist ein Bericht, der tief in die “innere Verfasstheit” der AfD blicken lässt.
Von Petra Sorge
Der Streit eskalierte, als der AfD-Politiker und Mediziner Dr. Heinrich Fiechtner, Markenzeichen blaue Fliege, schwarzes Jackett, am 14. Dezember 2016 ans Rednerpult des Landtags Baden-Württemberg trat. In sechseinhalb Minuten brachte er seine Kollegen in Aufruhr. „Wir sind für die Einführung einer Gesundheitskarte für Flüchtlinge“, rief er da ins Mikro:
Wenn Sie den Flüchtlingen nicht schon aus humanitären Gründen eine bessere Medizin zukommen lassen wollen, dann sollten Sie es wenigstens aus finanziellen Gründen tun.
Gemeint war das Parlament, aber insbesondere seine Fraktion. Am Vorabend hatte seine Fraktion noch per Mehrheitsbeschluss versucht, ihn von dieser Rede abzuhalten. „Das war das erste Mal, dass ein Abgeordneter von der Fraktion zu einer Meinung gezwungen wurde“, sagt Herr Fiechtner dem Rheinneckarblog. Er ignorierte das Votum. Die „Alternative”, die in der Asylpolitik eine harte bis ablehnende Haltung vertritt, habe sich von Herrn Fiechtner daraufhin hintergangen gefühlt.
Redeverbot für den Abgeordneten
Eine Woche später, am 20. Dezember, belegten die Kollegen ihn mehrheitlich mit einem Redeverbot:
Ich hatte nach Jörg Meuthen die meisten Reden gehalten. Nun bin ich sogar schlechter gestellt als ein fraktionsloser Abgeordneter,
kommentiert Herr Fiechtner trocken. Außerdem sei er aus dem Losverfahren für die Bundespräsidentenwahl und vom Untersuchungsausschuss „Rechtsextremismus/NSU II“ ausgeschlossen worden.
Doch in der Satzung der baden-württembergischen AfD-Fraktion sind all diese Maßnahmen gar nicht vorgesehen: Unter Paragraph 12 ist nur die Abberufung von Mitgliedern aus den fraktionsinternen „Arbeitskreisen“, nicht aber aus den parlamentarischen Ausschüssen geregelt. Und Paragraph 13 regelt den Ausschluss aus der Fraktion.
„Halt die Klappe“
Dr. Fiechtner wandte sich an die Bundespartei, erhielt aber nirgends Unterstützung. Für ihn erklären sich die Sanktionen mit dem „unglaublichen Zorn, dass ich es wagen konnte, gegen einen Beschluss zu verstoßen.“ Er wurde wüst beschimpft.
So votierte laut Protokoll am 21. Februar eine Mehrheit für seinen Ausschluss aus der Fraktionssitzung. Weil der Abgeordnete Fiechtner sich weigerte, gab es den Minderheitenantrag, ihn “polizeilich entfernen zu lassen”. Der Antrag wurde abgelehnt, sodann forderte ein Abgeordneter “wegen großer Zerwürfnisse”, die Sitzung zu beenden. Prof. Dr. Jörg Meuthen sagte zu einem Abgeordneten: “Halt die Klappe”, Dr. Heinrich Merz zu Herrn Dr. Fiechtner: “Leck mich am…”. Im Protokoll heißt es sodann, dass die Sitzung ohne Herrn Fiechtner in einem anderen Raum fortgesetzt wurde.
Fiechtners Anwalt zitiert für seine Klageschrift an den Verfassungsgerichtshof Baden-Württemberg aus mehreren dieser Sitzungsprotokolle. Diese Ausfälligkeiten und “Maßnahmen” werfen ein fragwürdiges Licht auf die “Fraktionsdisziplin” und “politische Streitkultur”.
Der geschasste Fiechtner strengt nun ein Organstreitverfahren gegen seine eigene Fraktion an. Er hat darüber hinaus den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, um die Sanktionen unverzüglich bis zu einer richterlichen Entscheidung aufheben zu lassen.
Das Verfassungsgericht bestätigte Ende Mai den Eingang der Organklage. Derzeit laufen noch Äußerungsfristen, sagte ein Gerichtssprecher dem Rheinneckarblog.
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Am 31. Januar wurde Herr Fiechtner auch noch von seinem zweiten Parlamentsausschuss abgesetzt – den für Inneres, Digitalisierung und Migration. Zudem entzog man ihm den Vorsitz des Fraktionsarbeitskreises Inneres. Knapp eine Woche später wurde er aus mehreren Fraktionssitzungen ausgeschlossen, sein Mitarbeiter erhielt gar Hausverbot für die Räumlichkeiten.
AfD wollte Gelder für die NS-Gedenkstätte Gurs streichen
Am gleichen Tag hatte Herr Fiechtner mit zwei weiteren AfD-Kollegen einen offenen Brief verschickt. Darin forderte er seine Kollegen auf, ihre Haltung zur NS-Gedenkstätte Gurs „zu überdenken“. Fraktionschef Prof. Dr. Jörg Meuthen hatte im Landtag den Antrag eingereicht, Fördergelder für dieses Museum in Frankreich zu streichen. Nach Gurs waren im Herbst 1940 mehr als 6.000 Juden aus Baden, der Pfalz und dem Saarland deportiert worden. Von dort aus ging es für viele in den Tod nach Auschwitz. Die Erinnerungsstätte wird jährlich mit 120.000 Euro gefördert.
Der Abgeordnete für den Wahlkreis 10 in Göppingen erhielt eine „Abmahnung“ – während Herr Meuthen gegenüber der Presse erklärte, dass seine Fraktion nun doch die Holocaust-Gedenkstätte unterstützen wolle. War Herr Meuthen frustriert, dass sein Kollege Fiechtner ihn in dieser Frage zur Umkehr „bewegt“ hatte? Wurde der AfD-Abweichler deshalb zum Ausgestoßenen? Eine “Abmahnung” sieht die Satzung der AfD-Fraktion im Übrigen nicht vor.
Dr. Heinrich Fiechtner, der ohne rechte Hand zur Welt kam, ist in der Öffentlichkeit keine unumstrittene Person. So hatte er den Stuttgarter Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) einmal als „miesen faschistoid-populistischen Scharfmacher“ bezeichnet (Anm. d. Red.: wofür er sich später entschuldigte) und bei einer Gedenkfeier für die Pariser Terroropfer den Koran mit Hitlers „Mein Kampf“ verglichen. Ein anderes Mal erhielt er Hausverbot in einer Stuttgarter Flüchtlingsunterkunft, die er unangemeldet besucht hatte. Herr Fiechtner, der auch Stadtrat in Stuttgart ist, hielt das für sein gutes Recht. Außerdem sei er entsetzt gewesen, „dass die Unterkunft von Minderjährigen in einer Weise stattfindet, die mit unserer Vorstellung von Menschenwürde nicht übereinstimmt“.
„Unzuverlässigkeit“ und „mangelnde Kollegialität“
Die AfD-Fraktion wollte sich trotz mehrerer Anfragen im Rahmen dieser Recherche nicht zu Fiechtners Organklage äußern – man wolle das nicht „coram publico“ besprechen, erklärte der neue Fraktionssprecher Michael Klonovsky auf Anfrage.
Interessanter Hintergrund: Der frühere Focus-Redakteur und neue Sprecher der AfD-Fraktion in Baden-Württemberg war für wenige Monate im zweiten Halbjahr 2016 Berater der AfD-Bundesvorsitzenden Dr. Frauke Petry. Nach kurzer Zeit kam es zum Zerwürfnis – angeblich wegen ausstehender Honorare für seine Tätigkeit. Die dpa meldete am 01. Juni:
Der Medienberater Michael Klonovsky darf trotz seines Zerwürfnisses mit AfD-Chefin Frauke Petry wieder für die Partei arbeiten.
Andersrum wird ein Schuh draus. Vermutlich gerade wegen dieses Zerwürfnisses holte sich Fraktionschef Meuthen den ehemaligen Journalisten als Pressesprecher. Schließlich ist Bundessprecher Meuthen mittlerweile der entschiedenste Gegner von Bundessprecherin Dr. Petry. Herr Klonovsky rechnete auf seiner Homepage im April in beispielloser Weise mit dem Ehepaar Petry/Pretzell ab, die er als “Bonnie & Clyde” kriminalisierte. Und zwar explizit “coram publico”. Unter anderem schrieb er am 13. April:
Das Problem ist, dass Frauke Petry den Filou, dessen Kind sie unter ihrem Herzen trägt, für ein politisches Genie hält, das sich allenfalls mit der Bismarckschen Elle messen lässt. Ihr eine Idee Pretzells auszureden ist ungefähr so sinnvoll, als hätte man Erich Honecker von den Vorzügen der Marktwirtschaft überzeugen wollen. Eros ist unbeherrschbar und schlägt die Menschen mit der süßesten aller Blindheiten. Ich vermag die persönliche Tragik dieser Konstellation nachzuempfinden. Doch so sehr ich als Literat für solch liebevolle Verblendung empfänglich bin, so rigoros muss ich sie als politischer Berater ablehnen.
(…)
Ein Blender und Spaltpilz wie Pretzell wiederum stünde jeder Partei schlecht zu Gesicht. Um kurz über meinen Fall zu sprechen: Dieser Mann hat einen – privaten – Arbeitsvertrag mit mir geschlossen, mich aber nicht bezahlt. Als Hochstapler, der er ist, wollte er sich mit intellektuellen Federn schmücken, hat aber nachträglich behauptet, der Vogel, von dem sie stammen, existiere gar nicht. Er hat sich von mir Reden schreiben, eine Webseite aufbauen, Termine vorbereiten, Kontakte anbahnen lassen, aber dreist erklärt, ich hätte nie für ihn gearbeitet. Er schuldet mir – gerechnet von Juli bis Dezember 2016 – 24.000 Euro. Ich habe beim Arbeitsgericht München Klage gegen ihn eingereicht.
Gleichzeitig teilte er ebenfalls am 13. April mit:
Selbstverständlich stünde ich der Partei, wenn sie nicht mehr von den Intrigen eines erweiterten Familienclans am Arbeiten gehindert wird, wieder beratend oder anderweitig hilfreich zur Verfügung.
Sechs Wochen später ist es soweit. Diese „beratende“ Hilfe im neuen Job als “Nuntius” des Herrn Meuthen war im Fall des Rheinneckarblogs selbst auf Nachfrage, ob man nicht Tatsachenbehauptungen des Herrn Fiechnter prüfen und gegebenenfalls richtigstellen möge, “in brevi”: „Nein.“
Argumente der AfD-Fraktion
Unsere Redaktion erhielt allerdings Einblick in das Schreiben des Rechtsanwalts der AfD-Fraktion an den Verfassungsgerichtshof und somit in die Begründung für die Sanktionen der Fraktion.
Darin heißt es, die Fraktion habe Herrn Fiechtner nicht mehr als Redner aufgestellt und ihn aus dem NSU-Untersuchungsausschuss abgezogen, weil er seine Position bezüglich der Gesundheitskarte „ohne Rücksicht auf den Standpunkt der Ag. (Anm. d. Red.: Antragsgegner) völlig im Alleingang durchgesetzt hat“.
Zudem sei es ihm nicht gelungen, Personal für den NSU-Ausschuss zu akquirieren. „Nach gesicherten Hinweisen“ habe sein Mitarbeiter Zugang zu geheimen Verschlusssachen des Ausschusses gehabt:
Hier musste die AfD-Fraktion schnell handeln, um Sanktionen der Landtagsverwaltung bzw. des Untersuchungsausschussvorsitzenden vorzubeugen.
Das Thema NS-Gedenkstätte Gurs habe zwar in der Fraktionssitzung vom 7. Februar keine Rolle gespielt. Es belege aber die „Unzuverlässigkeit“ und „seine mangelnde Kollegialität gegenüber den anderen Fraktionsmitgliedern“.
Streit um eine Abtrünnige
Den Ausschluss aus dem Innenausschuss begründet die Fraktion wiederum mit einer anderen Personalie – der Abgeordneten Claudia Martin (Wahlkreis Wiesloch). Sie war im März 2016 für die AfD in den Landtag gewählt worden und distanzierte sich im Zuge der Debatte um antisemitische Äußerungen des AfD-Abgeordneten Dr. Wolfgang Gedeon schnell von den Kollegen: Sie warf ihnen rechten Stimmenfang vor, bezeichnete den Umgang mit den Themen Islam und Flüchtlinge als „gefährlich“ . Im Dezember trat sie aus der Fraktion aus.
Andere AfD-Abgeordnete vermuten, dass Herrn Fiechtners Mitarbeiter damit zu tun hatte: Er habe „aktiv den Austritt“ Martins betrieben und der Partei so „schweren Schaden zugefügt“. Frau Martin kommentiert das auf Anfrage eindeutig:
Meinen Austritt habe ich ausschließlich wegen der von mir kritisierten gefährlichen Entwicklungen der Partei entschieden.
Sie selbst habe ebenfalls „Hausverbot“ für die Räume der AfD.
In einer Anhörung zu dem Thema sei der Auftritt des Mitarbeiters „selbstherrlich, arrogant und belehrend“ gewesen, seine „Körpersprache mehr als entlarvend“, “argumentiert” die AfD-Fraktion, vertreten durch Herrn Professor Meuthen.
Fiechtners Anwalt Reinhard Löffler hält diese Begründung für „geradezu absurd“ und „Realsatire“:
Frau Martin ist eine kompetente und willensstarke Frau, die ihre Entscheidungen selbst fällt,
schreibt er in seiner Replik. Ob CDU und AfD die Mandatierung von Dr. Löffler auch als Realsatire sehen, ist eine andere Story: Herr Dr. Löffler ist früherer Landtagsabgeordneter der CDU.
Dieser ganze Sanktionsreigen „verletzt die verfassungsrechtlich geschützten Rechte des Antragstellers in seinem freien Mandat,
sagt Rechtsanwalt Löffler gegenüber dem Rheinneckarblog. Und:
Das Demokratieverständnis der AfD ist offenbar nur rudimentär ausgeprägt.
In seinem Schriftsatz ans Verfassungsgericht argumentiert Löffler mit der Geschäftsordnung des Landtages. Diese regelt in §19 Absatz 2, dass der Landtag die Ausschussmitglieder nach den Vorschlägen der Fraktionen wählt.
Briefe an Landtagspräsidentin Aras
„Dementsprechend kann eine Fraktion ein Mitglied auch nicht einfach aus einem Ausschuss ‚abziehen‘, sondern über die Abwahl und die Neubesetzung entscheidet wiederum der Landtag in einer Plenarsitzung“, erklärte der Pressesprecher des Landtags, Marco Piljic, gegenüber dem Rheinneckarblog.
Rechtsanwalt Löffler schrieb zwei Briefe an die grüne Landtagspräsidentin Muhterem Aras: Sie solle darauf hinwirken, dass die Sanktionen gegen Herrn Fiechtner aufgehoben werden. Nach einem Monat, am 22. Mai, kam die Antwort von Frau Aras:
Eine Beurteilung fraktionsinterner Vorgänge liegt nicht in meiner Zuständigkeit.
Die Angelegenheit sei vom Landtag nicht zu prüfen, auch behalte die Wahl von Fiechtners Nachfolgern in die Ausschüsse „Gültigkeit“. Aras empfahl allerdings, dass Fiechtner seine Rechte als Fraktionsmitglied „in einem Organstreit gegen die AfD-Fraktion geltend machen“ könne.
Da hatte Rechtsanwalt Dr. Löffler seine Klageschrift bereits abgeschickt.
Freies versus imperatives Mandat
Die Klage ist geeignet, parlamentarische Grundsatzfragen zu klären: Wie sehr muss ein Abgeordneter mit seiner Fraktion übereinstimmen? Darf eine Fraktion ihre Mitglieder zu einer bestimmten Haltung „zwingen“? Gilt eher das freie Mandat, das den Abgeordneten begünstigt, oder das imperative Mandat, wonach dieser sich der Fraktion unterwerfen muss?
In ihrem Schreiben ans Verfassungsgericht argumentiert die AfD so: Wer sich im freien Mandat einer Fraktion anschließt, „von dem darf erwartet werden, dass er in wichtigen Fragen auch die Fraktionslinie vertritt“. Verfolgt er dann aber einen eigenen Weg, „täuscht er nicht nur seine Fraktionskollegen, sondern auch den Ausschuss insgesamt über den wahren politischen Standpunkt und Willen der Fraktion“.
Dies bedeute für die Parlamentsarbeit insgesamt „ein erhebliches Maß an Unsicherheit“. Die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit von Entscheidungen sei damit beeinträchtigt. Damit werde das Prinzip der repräsentativen Demokratie aus Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz „gänzlich in Frage gestellt“.
Die AfD bemerkt in dem Schreiben auch spitz, dass Herr Fiechtner seinen Abgeordnetensitz schließlich den Wählern verdanke, „die die Partei AfD und ihre inhaltlichen Positionen wählen wollten, ohne Rücksicht auf die Person“. Diese Spitze bekam auch die mittlerweile parteilose Abgeordnete Martin zu spüren.
Sachlage von noch keinem Landesverfassungsgericht geklärt
Dem entgegnet Fiechtners Anwalt Löffler, dass ein Abgeordneter der Vertreter aller Bürger, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur seinem Gewissen unterworfen sei. Eine Fraktionsdisziplin könne nur soweit gehen, als sie „ein einheitliches Auftreten und Abstimmungsverhalten erwarten kann“, aber nicht soweit, „dass im Nachhinein ein Fraktionsmitglied für ein Verhalten sanktioniert wird, für das es in der Satzung der Fraktion keine Regelungen gibt“.
Bislang hat auch noch kein Landesverfassungsgericht darüber entschieden, ob eine Fraktion eines ihrer Mitglieder gegen dessen Willen aus einem Parlamentsausschuss, in den es vom Landtag gewählt wurde, abberufen darf. Gerichte haben bislang nur über Fraktionsausschlüsse entschieden. Ein „wichtiger Grund“ für eine solchen Ausschluss wäre etwa, wenn es an „prinzipieller politischer Übereinstimmung fehlt“.
„Plattitüdenhafter Anti-Flüchtlings-Reflex“
Gibt es diese Übereinstimmung zwischen dem Kläger und der Fraktion überhaupt noch? Herr Dr. Fiechtner sagt, „natürlich gibt es die in den wesentlichen Fragen“. So sei er etwa bei der Frage der Autobahnprivatisierung „in voller Übereinstimmung mit Herrn Meuthen“. Die angebliche Abweichung erkläre sich seiner Meinung nach nur im „plattitüdenhaften Anti-Flüchtlings-Reflex“ seiner Kollegen. Er denke überhaupt nicht daran, die AfD-Fraktion zu verlassen und halte die aktuelle Situation gelassen aus.
Herr Fiechtner hält seine Klage für „einzigartig in 70 Jahren bundesrepublikanischer Geschichte” und teilt mit:
Die AfD kann stolz sein, dass ausgerechnet sie die Chance hat, eine solch wesentliche Frage des Parlamentarismus zu klären.
Diese spitze Provokation, davon kann man ausgehen, ist gewollt. Der Mann weiß, was er wie formuliert.
Befangenheitsantrag gegen eine AfD-Laienrichterin im Verfassungsgericht
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Ob Heinrich Fiechtner mit der Klage Erfolg hat, ist ungewiss und erfordert zunächst eine andere Entscheidung. Pikant: Eines der neun Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes ist Rosemarie Reiter, allerdings ohne Befähigung zum Richteramt. Sie war im Dezember auf Vorschlag der AfD vom Landtag in dieses Amt gewählt worden. Frau Reiter ist die Büroleiterin des AfD-Abgeordneten Hans-Peter Strauch, der für Fiechtner in den NSU-Ausschuss nachgerückt war, und Ehefrau von Thomas Seitz, Angehöriger des rechtsnationalen „patriotischen Flügels“ der AfD. Aktuell steht Herr Seitz auf einem aussichtsreichen fünften Platz auf der AfD-Landesliste zur kommenden Bundestagswahl.
Der Freiburger Staatsanwalt Seitz (49), zuständig für verkehrsrechtliche Verfahren, hatte die Politik von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) auf seiner Facebook-Seite unter anderem als „Auftakt zur Vernichtung des deutschen Volkes“ bezeichnet. Die Staatsanwaltschaft Freiburg leitete zunächst ein Ermittlungsverfahren ein, das dann aber Justizminister Guido Wolf (CDU) an sich gezogen hat. Ende Januar ging die Klage für ein Disziplinarverfahren beim Landgericht Karlsruhe gegen Staatsanwalt Seitz ein, der wie alle Beamten einem Mäßigungsgebot unterliegt.
Fiechtners Anwalt Löffler hat wegen der persönlichen Verbindung gegen Rosemarie Reiter einen Befangenheitsantrag eingereicht. Bevor der Verfassungsgerichtshof sich der eigentlichen Organklage widmen kann, wird das Gericht also erst einmal über diese Laienrichterin und deren mögliche Befangenheit entscheiden müssen. Der Gerichtssprecher sagte dem Rheinneckarblog, dass diese Entscheidung bis möglicherweise 3. Juli gefunden sein soll.
Selbstverständlich kann niemand von der AfD verlangen, dass sie sich in einem Verfahren anders verhält als andere Parteien. Damit hat sich aber auch die Sache mit der angeblichen Alternative irgendwie erledigt, wenn die AfD sich mindestens so wie andere Parteien verhält.
Ob die Aussage: „Dazu wollen wir uns coram publico“ nicht äußern”, eine „Alternative“ darstellt, entscheiden die Menschen bei ihrer Meinungsbildung über die AfD selbst.
Klar ist: Die Organklage ist auf den Weg gebracht und das Verfassungsgericht wird dazu entscheiden: coram publico.