Rhein-Neckar/Stuttgart, 05. November 2017. (red/pro) Aktualisiert. Aktuell hat der AfD-Abgeordnete Dr. Heinrich Fiechtner einen Link geteilt, der mehr als problematisch ist. Erstens verletzt er in unerträglicher Weise Persönlichkeitsrechte, zweitens ist nicht auszuschließen, dass das Foto keine realistische Darstellung ist und drittens, das ist besonders empörend, wird behauptet, dass man sich in Deutschland mehr über die Inhaftierung eines türkischen Journalisten empöre, denn über die Enthauptung eines “Landsmannes”. Dieses Posting erfordert einen unmissverständlichen Widerspruch.
Anm. d. Red.: Herr Dr. Fiechtner hat sehr zügig auf unseren Text reagiert, das Foto gelöscht und eine Stellungnahme verfasst, die Sie am Ende des Textes finden.
Von Hardy Prothmann
Sehr geehrter Herr Dr. Fiechtner,
ich schreibe Ihnen einen offenen Brief. Sie haben mir gegenüber mehrmals und eindrücklich versichert, dass Sie Transparenz politischen Handelns fördern wollen, also werden Sie sicherlich einverstanden sein, wenn ich Sie persönlich anschreibe und gleichzeitig die Öffentlichkeit informiere.
Ganz ehrlich? Sie machen mich fassungslos.
Es gibt einen Unterschied zwischen Transparenz und Zurschaustellung von Opfern von Gewaltverbrechen.
Lesen Sie bitte den vorhergehenden Satz nochmals und nochmals. Solange, bis Sie diesen verstanden haben. Wenn Sie diesen Satz nicht verstehen können oder wollen, bleiben Sie in einer Endlosschleife hängen.
Sie, Herr Dr. Fiechtner, als Arzt, müssen wissen, wann Grenzen überschritten werden. Sie teilen ein Foto eines mutmaßlichen Opfers eines Gewaltverbrechens in vollem Antlitz. Dazu teilen Sie die vermutete Botschaft, dass die unterstellte Hinrichtung der gezeigten Person weniger Empörung verursacht hätte, als das nicht näher benannte “Schicksal eines türkischen Journalisten”. Sie teilen damit einen mutmaßlichen Mord und stellen diesen auf dieselbe Ebene wie eine mutmaßliche politische Verfolgung.
Ab welchem Punkt wird Ihnen eigentlich heiß und bange?
Sehr geehrter Herr Dr. Fiechtner. Wir waren, Sie als Politiker, ich als Journalist, bislang in einem anlassbezogenen und immer korrektem Austausch. Persönlich getroffen haben wir uns noch niemals.
Ihr Posting, Herr Dr. Fiechtner, wenn auch nur als Teilen eines Bildmotivs mit Botschaft, gehört aus meiner Sicht in die Kategorie “absolut widerwärtig”.
Der Mann ist vermutlich Ende Februar 2017 getötet worden. Ebenso seine Frau. Die Behauptung allerdings, dass dies keine Empörung oder weniger Empörung verursache und wenn dem so sei, sei man in der Bundesrepublik Deutschland, ist verletzend – für die Ehre, für den Anstand, für die Moral.
Und damit Sie sich da nicht komplett vertun, weil Sie irgendetwas annehmen, Herr Dr. Fiechtner. Dieser blöde Spruch, Ihr blödes Teilen dieses blöden Spruchs, verletzt meine Ehre, meinen Anstand und meine Moral. Ich bin absolut empört darüber, wenn Menschen, egal ob Landsmann oder nicht, entführt und ermordet werden. Ich bin auch empört über staatliche Willkür, egal, ob in der Türkei oder sonstwo. Ich bin aber sehr froh in einem Rechtsstaat leben zu können, in dem weder Menschen systematisch entführt und ermordet noch aus aus politischen Motiven inhaftiert werden. Ich fühle mich sehr wohl in der Bundesrepublik Deutschland, die nicht für Morde oder politische Verfolgung in anderen Staaten verantwortlich ist.
Sie, Herr Dr. Fiechtner, meinen, durch das Teilen eines Fotos, das zutiefst die Persönlichkeitsrechte eines vermutlich ermordeten Menschen verletzt, garniert durch einen vollkommen hohlen Spruch, Ihrer Community irgendetwas mitteilen zu müssen, denn sonst hätten Sie das Foto und den Spruch ja nicht geteilt.
Was genau möchten Sie mitteilen? Dass Sie ein Schuft sind? Dass Sie gerne und vorsätzlich Persönlichkeitsrechte verletzen? Dass Ihnen ärztliche Verantwortung gerade mal am Arsch vorbei geht? Willkommen in der Bundesrepublik Deutschland, geht es nach Dr. Fiechtner, werden Opfer künftig identifizierend im Bild gezeigt und per social Media wird zum Teilen der Verachtung von Menschen, die Opfer geworden sind, aufgerufen?
Sehr geehrter Herr Dr. Fiechtner. Wir hatten bislang einen professionellen Kontakt, den ich sehr geschätzt habe. Unabhängig von Ihrer politischen Ausrichtung und ebenfalls unabhängig zu anderen Kontakten.
Bis auf Weiteres werde ich keinen Kontakt mehr mit Ihnen pflegen – es sei denn, Sie distanzieren sich umfassend, eindeutig und unmissverständlich von diesem Post.
Wenn Sie sich dazu entschließen sollten, sollten Sie sich weiter über Persönlichkeitsrechte informieren und über Presserechte. Sie sollten weiter darüber nachdenken, was die Handlungsoptionen der Bundesrepublik Deutschland auf eigenem Terrain angeht – im Gegensatz zu anderen Ländern oder internationalen Gewässern.
All diese Überlegungen sind nämlich weitaus komplexer als der kurze Blödsinn in dem Posting, das Sie geteilt haben.
Ich erwarte von Ihnen, sehr geehrter Herr Dr. Fiechtner, eigentlich, sorry, nicht eigentlich, sondern zwingend eine Entschuldigung für dieses Posting auf Ihrer Facebook-Seite. Wenn Sie dieses Posting löschen und sich angemessen entschuldigen, werde ich wie in der Vergangenheit keinen Zweifel haben, Sie als respektable Persönlichkeit zu schätzen.
Wenn Sie den Post stehen lassen oder löschen und keine Reaktion zeigen, werde ich Sie leider einfach nur verachten müssen.
Sie entscheiden das selbst verantwortlich.
Entschuldigen Sie meine Mühe. Irgendjemand musste Ihnen mitteilen, wie widerlich Sie sich aktuell verhalten haben. Vor kurzem haben wir uns noch über Rassismus unterhalten. Denken Sie nochmal über eigene Positionen nach.
In diesem Zusammenhang. Das mutmaßliche Opfer ist auf Basis eigenen Willens nach meiner Auffassung kein “Landsmann” mehr gewesen. Dieser Mann hat für sich entschieden, keiner Nation anzugehören, sondern auf seinem Boot auf den Weltmeeren zu leben. Wie einer, der Nationalitäten über das Meer flüchtet, frei sein wollte von Grenzen und Landsmannschaften. Denken Sie bei Gelegenheit mal drüber nach.
Ja, Herr Dr. Fiechtner. Sie dürfen absoluten Blödsinn teilen. Sie dürfen sich menschen- und persönlichkeitsrechtsverachtend öffentlich präsentieren, bis Ihnen jemand juristisch Einhalt gebietet. Und Nein, Nein, und nochmals Nein, Herr Dr. Fiechtner. Weder ich noch andere müssen Ihrer verkorksten Weltsicht folgen.
Sie haben nichts transparent gemacht, außer die Abgründe ihrer Weltsicht. Die Ermordung eines 70-jährigen Seglers durch die philippinische Terrororganisation Abu Sayyaf und die Verfolgung von türkischen Journalisten haben nichts mit der Bundesrepublik Deutschland zu tun. Dieser Vergleich ist hanebüchen und irre. Er stammt nicht von Ihnen, aber Sie beteiligen sich an der Verbreitung dieses Schwachsinns, damit machen Sie sich verantwortlich für Schwachsinn.
Möglicherweise kommen Sie ja zur Vernunft, was begrüßenswert wäre.
Mit freundlichen Grüßen
Aktualisierung, 16:42 Uhr
Stellungnahme von Dr. Heinrich Fiechtner
Herr Prothmann wies mich in einem eindringlichen offenen Artikel darauf hin, daß ein Posting auf meinem Facebookprofil nicht hinnehmbaren Inhaltes sei. Er begründete dies mit den Persönlichkeitsrechten eines auf dem dazu gehörenden Bild gezeigten Mannes, der aller Wahrscheinlichkeit nach Opfer eines Mordes geworden ist.
Dazu stellte er den Text in Frage. Eine Parallelisierung eines Mordes mit einer politischen Inhaftierung sei nicht angemessen, zudem seien die Verbrechen im Ausland, mithin außerhalb der unmittelbaren Einflusssphäre Deutschlands, gewesen.
Herr Prothmann hat recht. Daher habe ich das Bild mit Text auch entfernt. Er zeigt, wie wichtig es ist, auch und gerade in sogenannten sozialen Medien die eigenen Verlautbarungen ganz besonders sorgfältig zu prüfen, auch und gerade wenn sie von Dritten kommen. Üblicherweise reagiere ich auf Anwürfe nicht, an dieser Steller sehr wohl, weil sie berechtigt sind. Das tut mir leid.
Dr. H. Fiechtner