Wiesloch/Rhein-Neckar, 31. Oktober 2017. (red/pol) Die frühere AfD-Landtagsabgeordnete Claudia Martin war im Dezember 2016 aus der Partei und der AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag ausgetreten. Vergangene Woche hat sie nun die Mitgliedschaft in der CDU beantragt. Dieser Schritt deutete sich bereits seit Monaten an. Die aktuell noch fraktionslose Abgeordnete wird damit in Kürze Mitglied der CDU-Fraktion werden.
Von Hardy Prothmann
Der Parteiwechsel führt zu einer kuriosen Situation: Der Landtagswahlkreis 37 Wiesloch (Dielheim, Leimen, Malsch, Mühlhausen, Nußloch, Rauenberg, Sandhausen, St. Leon-Rot, Walldorf, Wiesloch) wird demnächst von zwei CDU-Abgeordneten vertreten sein, zum einen durch Karl Klein und zum anderen durch Claudia Martin, die voraussichtlich das 43. Fraktionsmitglied wird. (Anm. d. Red.: Nach dem Wahlsystem ist das auch nach entsprechenden Ergebnissen möglich, zuletzt 1984.)
Diese Konstellation wird spätestens bei der kommenden Landtagswahl 2021 interessant, denn es kann nur einen Direktkandidaten geben. Karl Klein hatte 2016 sein Mandat mit haudünner Mehrheit retten können. Er verlor 11,3 Prozentpunkte und landete bei 28,4 Prozent und landete vor dem Grünen Kai Schmidt-Eisenlohr mit 28,2 Prozent, der trotz 3,3 Prozentpunkten Zugewinn nicht erneut in den Landtag einziehen konnte, während Claudia Martin mit 18,6 Prozent aus dem Stand als AfD-Kandidatin das Zweitmandat gewann.
Generationenwechsel?
In vier Jahren wird Herr Klein 64 Jahre alt sein, Claudia Martin 51 Jahre alt – damit wäre ein Generationenwechsel möglich, sofern es den Willen innerhalb der CDU gibt, Claudia Martin aufzubauen und Herr Klein seinen Wahlkreis abzugeben bereit ist. Wenn nicht, wird die politische Karriere der Erzieherin 2021 eher beendet sein, außer, man findet eine Beschäftigung innerhalb der CDU für das neue Mitglied.
Für die AfD ist Claudia Martin eine Abtrünnige, gar eine Verräterin. Tatsächlich ist sie bundesweit mit die erste frühere AfD-Politikerin, die sich konsequent gegen einen zunehmenden Rechtsruck in der Partei gestellt hatte. Insbesondere die leidige Debatte und das Lavieren beim Ausschluss des Antisemiten Dr. Wolfgang Gedeon hatte bei ihr zunehmende Zweifel aufkommen lassen, ob sie dieser Partei noch angehören wolle. Als der Mord an einer Freiburger Studentin durch einen Flüchtling aus Afghanistan von der Partei politisch instrumentalisiert wurde, fiel ihre Entscheidung konsequent – sie wollte und konnte diese Entwicklung in der Partei nicht mehr mittragen.
Entschieden, aber nicht radikal
Ich habe Frau Martin in verschiedenen Hintergrundgesprächen kennengelernt. 1970 geboren, wuchs sie in Bautzen auf, machte hier Abitur und im Anschluss eine Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin. Sie hätte gerne studiert, das war finanziell aber nicht möglich. Nach der Wende siedelte sie im August 1994 nach Walldorf um – hier wurden dringend Erzieherinnen gesucht. Sie ist geschieden und hat einen erwachsenen Sohn.
Politisch hat sie sich erstmals mit dem Aufkommen der AfD engagiert, weil sie etwas verändern wollte. Denn aus ihrer konservativen Sicht entwickelten sich viele Dinge im Land nicht gut. Radikale Positionen sind ihre Sache nicht. In den Gesprächen ging ihr niemals ein Wort über die Lippen, das man als eindeutig “rechts” einordnen könnte. Häme und Herablassung sind ihr vollkommen fremd. Sie ist, aus eigener beruflicher Erfahrung, eine entschiedene Gegnerin einer absoluten Inklusion, weil sie der Überzeugung ist, dass diese in den vielen Fällen nicht umsetzbar ist. Es geht ihr dabei überhaupt nicht um den Ausschluss behinderter Kinder, sondern um deren fachlich bessere Betreuung.
Auch zur Flüchtlingsfrage hat sie eindeutige Positionen – sie störte die Unordnung und das zeitweilige Chaos. Böse Worte über Flüchtlinge sucht man hingegen vergebens, ganz im Gegenteil. Auch “Lügenpresse” oder “Systemparteien” ist ein Vokabular, das sie nicht gebraucht. Im Grunde ist sie eine grundsolide Frau mit konservativen Ansichten, die nicht die große Bühne oder die Selbstinszenierung sucht.
Und sie ist konsequent. Der Austritt aus der AfD war ein Paukenschlag – die negativen und herablassenden Reaktionen der früheren Parteikollegen folgten sofort und unerbittlich. Das hat sie mit stoischer Ruhe über sich ergehen lassen. Plötzlich war sie isoliert und musste ausgerechnet neben der Person sitzen, wegen der sie hauptsächlich ihre Entscheidung getroffen hatte: Wolfgang Gedeon.
Politik im Schnelldurchgang
Bereits im Frühsommer erzählte sie von der schwierigen Lage als partei- und fraktionslose Abgeordnete. Im parlamentarischen Betrieb hat man nur wenig Möglichkeiten, sich gestaltend einzubringen. Dabei klang bereits ein möglicher Wechsel zur CDU an. SPD und Grüne und auch die FDP kamen in ihrer Vorstellung nicht vor.
Insbesondere CDU-Abgeordnete “kümmerten” sich relativ zügig nach ihrer Entscheidung um sie. Die Möglichkeit, sich in der Fraktionsküche der CDU einen Kaffee zu machen, erscheint wie eine kleine Geste, doch tatsächlich ist die Küche seit jeher der Ort, wohin man eingeladen wird und sich näher kommt. Da sie durch nichts negativ aufgefallen war und keine verbrannte Erde hinterlassen hatte, war ein freundlicher Umgang mit ihr für CDU-Abgeordnete unproblematisch – auch, wenn die Aufnahme eines früheren AfD-Mitglieds jetzt für einige in der CDU sicher nicht ganz einfach war.
Claudia Martin (47) lernt das politische Geschäft im Schnelldurchgang. Unverhofft in den Landtag gewählt, dort mit dem Chaos innerhalb der AfD konfrontiert, wenig ernst genommen, ist sie erneut unverhofft durch ihren Austritt aus der AfD in die Schlagzeilen geraten. Und nun wieder durch den Wechsel zur CDU.
Martin wird bislang unterschätzt
Wer sich mit der Person beschäftigt, weiß eins: Claudia Martin neigt nicht zu impulsiven Handlungen. Sie beobachtet sehr genau, wägt sorgfältig für sich ab und entscheidet dann konsequent – auch, wenn diese Entscheidungen zunächst Nachteile für sie verursachen. Möglicherweise hilft ihr die Erfahrung als Erzieherin, mit dem zeitweiligen Kindergarten der Politik beständig zurechtzukommen.
Mit ihrem Austritt aus der AfD schien ihre politische Karriere nur noch eine auf Zeit zu sein – bis zum Ende der Legislatur. Mit dem Wechsel zur CDU tut sich möglicherweise eine Chance auf, in der Politik weitermachen zu können.
Nach meinem Eindruck ist das sicher eine strategische Überlegung, aber nicht die hauptsächliche. So, wie ich Claudia Martin kennengelernt habe, meint sie das mit dem Gestalten ernst. Sie hat nun dreieinhalb Jahre Zeit, das unter Beweis zu stellen – ist aber auch darauf angewiesen, das man sie innerhalb der CDU auch machen lässt. Man sollte sie nicht unterschätzen.
Symbolische Rolle für ein drängendes Problem
Klar ist, dass sich Frau Martin von der CDU ebensowenig instrumentalisieren lassen wird wie von der AfD. Wäre es nach ihr gegangen, wäre die Entscheidung zum Wechsel zur CDU dann verkündet worden, wenn alles in trockenen Tüchern ist. Zwar hat der Kreisverband seine Zustimmung bereits signalisiert, jetzt geht es noch um die Aufnahme in den Ortsverband und dann in die Fraktion. Irgendjemand hat die Nachricht vorher durchgestochen, vermutlich, um der AfD eins auszuwischen, damit aber dieser Entwicklung die volle Wucht genommen, weil jetzt im Raum steht, ob es möglicherweise noch Probleme geben könnte. Der Punkt ist gemacht, aber ohne die volle Wucht, die er hätte haben können.
Schon wieder kommt Claudia Martin eine besondere Rolle zu. Sie ist keine Politkarrieristin, sondern tatsächlich eine Vertreterin aus dem Volk, die eher zufällig Landtagsabgeordnete geworden ist (hier sollte man nicht die Leistung schmälern, sie hat sehr fleißig Wahlkampf betrieben). Und sie nimmt eine symbolische Rolle für eine drängende Frage ein: Wie bekommt man AfD-Wähler zurück zur CDU? Damit kommt ihr möglicherweise eine Schlüsselrolle zu, die strategisch sehr wertvoll für die CDU sein kann. Hier wird entscheidend sein, ob man sie als Auslauf- oder Aufbaumodell sieht. Die durchgestochene Nachricht gefällt Claudia Martin sicherlich nicht. Aber auch das wird sie aushalten, lernen, beobachten und ihre Entscheidungen treffen.
Auch andere werden das beobachten. Nach meiner Einschätzung gibt es drei AfD-Abgeordnete, die möglicherweise ebenfalls noch in der Legislatur wechseln könnten, zwei davon würde die CDU möglicherweise aufnehmen. Das wären dann 45 Sitze gegenüber 47 bei den Grünen. Das würde für einen Machtwechsel oder Neuwahlen nicht reichen – viel entscheidender für die CDU ist aber eine deutliche Schwächung der AfD.
Ob die AfD ihr fulminantes Wahlergebnis von 2016 wird wiederholen können, ist mehr als fraglich. Die Realität wird der neuen Partei viel von dem Zauber nehmen, der ihr einen Wahlerfolg nach dem anderen bescherte. Aber selbst wenn die Partei bei der kommenden Landtagswahl deutlich Stimmen verlieren sollte, werden doch viele Stimmen fehlen, die die CDU braucht, um wieder stärkste Kraft im Südwesten zu werden.
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