Wiesloch/Rhein-Neckar, 16. Dezember 2016. (red/pro) Aktualisiert. Claudia Martin (46) hat für morgen zu einer Pressekonferenz in ihr Stuttgarter Büro eingeladen. Dort will sie die Gründe darlegen, warum sie Fraktion und Partei verlässt. Die Erzieherin wuchs in Ostdeutschland auf. Ihre Themen sind Bildung und Inklusion. Die AfD hat sie aufgefordert, ihr Mandat zurückzugeben. Sie will dieses wohl behalten und als fraktionslose Landtagsabgeordnete ihren Wahlkreis weiter vertreten.
Als Gründe für ihren Schritt nannte die Landtagsabgeordnete Martin der FAZ den „systemfeindlichen Oppositionskurs, das Desinteresse an Sachpolitik in ihrer Fraktion, die starke Tendenz zu rechtsextremen Auffassungen innerhalb der Fraktion, den Verzicht auf politische Sacharbeit sowie die ständige und einseitige Skandalisierung des Flüchtlingsthemas“.
Im Sommer hatten wir Sie zu einem langen Hintergrundgespräch in Mannheim getroffen. Darin erläuterte sie ihre Entscheidung zur AfD zu gehen. Sie wollte helfen, „Missstände zu beheben“.
Bis zu ihrer Mitgliedschaft sei sie eher ein unpolitischer Mensch gewesen. Die Mutter eines erwachsen Sohnes wuchs in der Nähe von Bautzen auf, wollte studieren, hatte aber zu wenig Unterstützung erfahren. In Bautzen schloss sie eine Ausbildung zur staatlich anerkannten Erzieherin ab. Danach sei sie, damals 24, mit ihrer Familie nach Wiesloch umgesiedelt, denn dort wurden Erzieherinnen gesucht.
Durch ihre Erfahrungen im Beruf habe sie sich zunehmend politisiert und sich schließlich für die AfD entschieden. Sie bezeichnet sich selbst weder als religiös noch konservativ, sondern habe klare Positionen, die sie am ehesten bei der AfD unterstützt sieht. Im Wahlkreis Wiesloch erreichte sie bei der Landtagswahl im Frühjahr 18,6 Prozent.
Doch die völlig verfehlte Politik der regierenden Parteien auf Bundes-und auf Landesebene hat auch unser Bundesland an die Grenzen der Belastbarkeit und der Funktionsfähigkeit gebracht. Gekennzeichnet wird dies durch eine ergebnislose Euro-Rettungspolitik, eine verantwortungslose Asyl-und Einwanderungspolitik, eine kopflose „Energiewende“ und eine gewissenlose Abschaffung eines leistungsstarken Bildungssystems. Durch Selbstüberschätzung und grenzenlose Machtansprüchen, fernab von den wirklichen Bedürfnissen der Menschen, sind der Politik vielfach Maß und Bodenhaftung verloren gegangen. Das spüren wir nun auch in Baden-Württemberg,
nannte sie als Gründe für ihre Entscheidung zur AfD zu gehen.
Klare Position gegen Fremdenfeindlichkeit
Sie gehörte zur „Meuthen“-Fraktion (ABW, Alternative für Baden-Württemberg), als die AfD-Fraktion über mehrere Monate im Sommer auseinandergebrochen war. Sie positionierte sich eindeutig gegen den Abgeordneten Dr. Wolfgang Gedeon, dem Antisemitismus vorgeworfen war. Dies lehnte sie ebenfalls eindeutig ab und gab sogar ein eigenes Gutachten in Auftrag (Prof. Patzelt), um die Vorwürfe zu prüfen.
Im Gespräch positionierte sie sich klar gegen rechtsextremes Gedankengut. Nun wirft sie der Partei vor, immer weiter nach rechts abzudriften, wie sie dem SWR mitteilte.
Frau Martin ist eine eher zurückhaltende, ruhige Frau, die aber im Gespräch sehr direkt zugewandt ist. Sie setzte sich im Wahlkampf bei vielen Veranstaltungen für die Partei ein – unter anderem auch Parteiveranstaltungen mit dem Fraktionsvoristzenden Meuthen.
In weiteren Medienberichten sind unterschiedliche Meldungen erschienen. In der FAZ äußert sich der Fraktionsvorsitzende Prof. Dr. Jörg Meuthen sehr herablassend über Frau Martin. Die AfD teilte am Abend Zitate von Herrn Meuthen mit:
Wir haben sie als einen Menschen erlebt, der anderen gegenüber mit Kritik stets wenig sparsam umging, selbst allerdings keinen kritischen Diskurs vertragen hat. Ihr Vorwurf ist also pure Heuchelei. Es ist offenkundig, dass Frau Martin mit der parlamentarischen Arbeit insgesamt überfordert war, falsche Vorstellungen dazu hatte und überdies nicht konsensfähig war. Zur politischen Arbeit gehören jedoch sowohl Fleiß auch Kompromissfähigkeit; beides hat Frau Martin vermissen lassen.
Und weiter:
Wir sind uns sicher, dass sie mit diesem falschen Spiel auch bei keiner anderen Partei willkommen wäre. Wer möchte schon jemanden in seinen Reihen haben, der zuerst einen Deal mit dem Fernsehen macht, um dort groß herauszukommen und bis dato nicht einmal die Fraktionskollegen informiert hat.
Und das Finale:
Wir fordern Frau Martin auf, ihr Mandat unverzüglich niederzulegen. Sie hat dieses Amt mit Hilfe des AfD-Programms errungen, das sie nun plötzlich als rechtspopulistisch bezeichnet. Tut sie dies nicht, hintergeht sie ihre Wähler, die sie als AfD-Abgeordnete im Parlament sehen wollten und nicht als kostspielige Diätenbezieherin auf der parlamentarischen Hinterbank. Ob sie sich nach dieser hinterrücks vorbereiteten Aktion für billige 15 Minuten Ruhm im Parlament noch wohlfühlen wird, ist zu bezweifeln. Einer Volksvertreterin ist dieses Verhalten in höchstem Maße unwürdig.
Die Welt hingegen berichtete noch am Abend, Herr Meuthen werde sich nach einer Meldung der dpa bemühen, Frau Martin zu einem Umdenken zu bewegen und in Fraktion und Partei zu verbleiben. Das ist wohl eine „Fake-News“ und eher unwahrscheinlich nach den massiven Vorwürfen von Frau Martin gegenüber der AfD.
Durch ihren Fraktionsaustritt verbleiben noch 21 von ehemals 23 Abgeordneten in der Fraktion. Die AfD bleibt nach Grünen und CDU drittstärkste Kraft vor der SPD mit 19 Sitzen. Nach dem Austritt von Frau Martin gibt es noch zwei Frauen in der Fraktion: Dr. Christina Baum (Main-Tauber) und Carola Wille (Neckarsulm). Die AfD hat weiterhin den höchsten Akademikeranteil und trotz des Ausscheidens von Frau Martin ist der „Frauenanteil“ (2 von 21) noch leicht höher als bei der FDP (1 von 12).
Aktualisierung
In einem Video erklärt die ehemalige AfD-Abgeordnete ihre Entscheidung – es hat bereits über 5.000 Abrufe: