Stuttgart/Südwesten/Rhein-Neckar, 25. Juli 2016. (red) Die vom Landtag Baden-Württemberg beauftragten Wissenschaftler sehen die Gründung einer zweiter AfD-Fraktion unter dem Namen „Fraktion der Alternative für Baden- Württemberg im Landtag von Baden-Württemberg“ als zulässig an. Damit erhält die 14-köpfige Fraktion unter Führung von Prof. Dr. Jörg Meuthen alle Rechte wie andere Fraktionen und auch entsprechende finanzielle Mittel in erheblicher Höhe.
Von Hardy Prothmann
Wie wir bereits vorab analysiert hatten, ist die Bildung einer zweiten AfD-Fraktion rechtens. Zu diesem Ergebnis kommen die vom Landtag beauftragten Gutachter Prof. Dr. Christofer Lenz, Prof. Dr. Martin Morlok sowie Prof. Dr. Martin Nettesheim in einem gemeinsamen Gutachten, das uns vorliegt.
Einer Anerkennung bedarf es nicht,
beginnt das Gutachten knapp und unmissverständlich.
Verfassungsrechtlich basiert die Fraktionsbildung auf dem freien Mandat jedes einzelnen Abgeordneten (Art. 27 Abs. 3 Satz 2 der Verfassung des Landes Baden-Württemberg (LV)); es umfasst die Chance und Kompetenz, eine Fraktion zu gründen. In diese verfassungsrechtlich gewährleistete Assoziationsfreiheit der Abgeordneten kann das Parlament in Ausübung seiner Geschäftsordnungsautonomie (Art. 32 Abs. 1 Satz 2 LV) ausgestaltend eingreifen, bedarf dazu aber eines hinreichend gewichtigen rechtfertigenden Grundes. Landesverfassung, FraktionsG und GO LT (Anm. d. Red.: Fraktionsgesetz und Geschäftsordnung des Landtags) enthalten weder ausdrücklich noch implizit eine Regelung, welche Abgeordnete an der Gründung einer Fraktion hindert, weil andere Abgeordnete derselben Parteizugehörigkeit schon eine Fraktion im Landtag gebildet haben.

Prof. Dr. Jörg Meuthen darf sich als Gewinner betrachten. Ein Gutachten dreier renommierter Wissenschaftler bestätigt, dass er mit anderen zusammen eine weitere AfD-Fraktion gründen durfte.
Kein Verbot der “Fraktionsvermehrung”
Ein Verbot der neu gegründeten Fraktion würde erheblich in das freie Mandat der Abgeordneten eingreifen und könne nur bei einer “ausdrücklichen Verankerung durch den Landtag” greifen. Zwar bestehe eine “Erwartungshaltung”, dass sich Mitglieder einer Partei zu einer Fraktion zusammenschließen, ein “diesbezüglicher rechtlicher Zwang” bestehe nicht. Dies müsse solange hingenommen werden, solange die Arbeitsfähigkeit des Parlaments nicht gefährdet wäre.
Auch das Konzept des “Verbots der Fraktionsvermehrung” habe “bislang keine Verankerung im positiven Recht erfahren”. Dieses Konzept beschreibe zudem nur die Konstellation, dass sich eine Fraktion im Konsens aufteile, um sich dadurch zusätzliche Finanzquellen und Einfluss zu verschaffen – dieser Missbrauchsgedanke sei in der aktuellen Konstellation nicht erkennbar. Der aktuelle Zustand berühre zwar die Arbeitsfähigkeit des Parlaments, eine “hinreichende Beeinträchtigung” sei aber nicht erkennbar.
Nicht nur Vorteile
Eine Fraktionsspaltung ergebe für die “dahinter stehende Partei erkennbar nicht nur Vorteile”. Auch dies ist der Fall – immerhin wird im Landesverband gestritten, wer denn nun die “wahre” AfD-Fraktion ist. Die ursprüngliche mit nunmehr nur noch acht Mitgliedern oder die größere mit 14 Mitgliedern, die zudem vom AfD-Landeschef geführt wird. Insgesamt hatte die AfD 23 Abgeordnete.
Hintergrund der Spaltung waren als antisemitisch kritisierte Äußerungen des Abgeordneten Dr. Wolfgang Gedeon. Dieser sollte aus der Fraktion ausgeschlossen werden. Als der AfD-Fraktionsvorsitzende Prof. Dr. Jörg Meuten dafür keine notwendige Zweidrittel-Mehrheit erreichte, legte er sein Amt nieder und verließ die Fraktion. Mit ihm verließen zwölf weitere AfD-Abgeordnete die ursprüngliche AfD-Fraktion. Ein weiterer folgte. Am Folgetag meldete Herr Meuthen bei der Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) eine neue Fraktion “Alternative für Deutschland Baden-Württemberg” an.

Der Landtag von Baden-Württemberg (Quelle: Landtag Baden-Württemberg)
Parallelfraktionen können untersagt werden – bei rechtlich gültiger Regelung
Der Vorgang sorgte für erhebliche Kritik bei den anderen Parteien – in der Folge entschloss sich der Landtag zur Beauftragung des Gutachtens, da dieser Vorgang historisch ohne Beispiel war und auch erste Prüfungen keine klare Erkenntnis ergaben, ob dies rechtlich möglich ist oder nicht.
Die Gutachter verweisen darauf, dass die ursprüngliche Fraktion ihren Namen behalten kann – Änderungen müssten die Partei und die Abgeordneten untereinander ausmachen.
Der Landtag könne künftig die Bildung von “Parallelfraktionen” untersagen. Dies wäre verfassungsrechtlich zulässig und im Rahmen der “Geschäftsautonomie” möglich – allerdings nicht rückwirkend. Selbst wenn eine solche Regelung verfasst würde, wären davon alle bereits gegründeten Fraktionen nicht betroffen. Die Gutachter empfehlen, dass eine solche Regelung zum “Zeitpunkt des Zusammentritts eines neuen Landtags” erfolgen solle.
Im wesentlichen kommen die Gutachter zu denselben Schlüssen, die das Rheinneckarblog im Vorfeld bereits gezogen hatte. Erwähnt wird auch die Fraktionsspaltung der FDP im Deutschen Bundestag 1956, über die wir exklusiv berichtet hatten.
Parlament mit sechs Fraktionen
Nach unserer Auffassung wird die Bestätigung der Fraktion weitere Folgen haben – so wird die Besetzung von Gremien und Ausschüssen vermutlich neu berechnet werden müssen. Von der Rangfolge der Fraktionen ergibt sich ebenfalls eine Änderung. Zunächst war die Reihenfolge nach Abgeordneten diese: Bündnis90/Die Grünen (47), CDU (42), AfD (23), SPD (19), FDP (12). Dies änderte sich für einen Tag in Bündnis90/Die Grünen, CDU, SPD, FDP, AfD (10, dann mit Austritt Gedeon 9). Jetzt ergibt sich folgendes Bild: Bündnis90/Die Grünen, CDU, SPD, AfBW (14), FDP, AfD (8). Insgesamt hat der 16. Landtag von Baden-Württemberg 143 Abgeordnete.
Eine erneute Änderung könnte sich ergeben, falls weitere Mitglieder der ursprünglichen AfD-Fraktion zur neuen AfBW-Fraktion wechseln. Um eine Fraktion zu bilden, müssen sich mindestens sechs Abgeordnete zusammenschließen. Wenn mindestens fünf wechseln würden, wäre die AfBW wieder gleichauf mit der SPD und die AfD würde ihren Fraktionstatus verlieren. Bei sechs Wechslern wäre die AfBW wieder drittstärkste Fraktion. Wir gehen davon aus, dass der aktuelle Status der beiden Fraktionen noch nicht abgeschlossen ist.
Der in Mannheim-Nord direkt gewählte Abgeordnete Rüdiger Klos gehört der ursprünglichen Fraktion an, die im Wahlkreis Wiesloch gewählte Abgeordnete Claudia Martin gehört zur neuen Fraktion, ebenso der Schwetzinger Abgeordnete Klaus-Günther Voigtmann. Dr. Rainer Balzer (Bruchsal) war zunächst in der ursprünglichen Fraktion verblieben, wechselte aber einen Tag später zur Meuthen-Gruppe.
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