Rhein-Neckar/Südwesten, 21. Juni 2016. (red/pro) Heute entscheidet die AfD-Fraktion im baden-Württembergischen Landtag über den Ausschluss von Dr. Wolfgang Gedeon. Dem Singener Abgeordneten werden antisemitische Äußerungen vorgeworfen. Die “Causa Gedeon” hat bundespolitische Folgen für die neue rechtspopulistische Partei – denn es geht um den Führungsanspruch des Fraktionsvorsitzenden Prof. Dr. Jörg Meuthen.
Kommentar: Hardy Prothmann
Um den Abgeordneten Gedeon aus der AfD-Fraktion auszuschließen, braucht es eine zwei-Drittel-Mehrheit. Heute Mittag findet die Abstimmung statt.
Kompromiss ausgeschlossen
Verschiedene Medien berichten, dass zwei von drei Probeabstimmungen nicht die erforderliche Anzahl von 16 der 23 Stimmen gebracht hätten. Damit wird es eng für den Fraktionsvorsitzenden Jörg Meuthen – denn der hat mit dem Ausschluss seine politische Funktion als Fraktionsvorsitzender verknüpft, weil er keine Antisemiten dulde. Setzt sich Herr Meuthen durch, festigt er seinen Führungsanspruch, gibt es keine Mehrheit, verliert die AfD ihren Fraktionsvorsitzenden und eine Spaltung der Fraktion könnte die Folge sein. Wer die Latte so hoch legt wie Herr Meuthen, will da drüber und wird sicher nicht drunter durchschleichen.
Machtkampf über den Südwesten hinaus
In den Vorgang hat sich Meuthens Kollegin Dr. Frauke Petry eingemischt – beide sind Bundesvorsitzende. Sie kritisierte, dass Herr Meuthen den Konflikt von der Sach- auf die Personenebene gehoben hätte. Medien berichten von weiteren “kritischen Stimmen”, die den “Führungsstil” des Herrn Meuthen kritisierten, denn der habe seine Ankündigung eines möglichen Rücktritts “einsam” getroffen. Die Kritiker hätten gefordert, dass unabhängige Wissenschaftler eine Expertise zum Antisemitismus des Herrn Gedeon hätten anfertigen sollen.
Das ist natürlich alles Quatsch. Tatsächlich geht es um einen Machtkampf zwischen Frau Petry und Herrn Meuthen. Frau Petry will Spitzenkandidatin zur Bundestagswahl werden und sieht eine willkommene Gelegenheit, den Co-Vorsitzenden los zu werden. Denn sollte Herr Meuthen zurücktreten, ist die nächste Frage, wie er weiter begründen will, als Bundesvorsitzender zu wirken, da er noch nicht einmal seine Fraktion im Griff hat.
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Wenden Medien unterschiedliche Maßstäbe an?
Interessant ist die Berichterstattung vieler Medien – die allermeisten schießen gegen Herrn Meuthen. Warum eigentlich? Stellen wir uns einmal vor, Herr Meuthen wäre nicht in der AfD, sondern in der SPD. Stellen wir uns weiter vor, Herr Meuthen hieße Gabriel und würde seinen SPD-Vorsitz von der Entscheidung abhängig machen, einen gewissen Herr S., der mit seinen Büchern jede Menge fremdenfeindliche Positionen in Millionenauflage verbreitet und zudem in zig Talk-Shows Auftritte hatte, aus der sozialdemokratischen Partei auszuschließen.
Sie wissen schon: Herr Gabriel hat das mit dem Ausschluss von Herrn S. “geprüft”. Dann hat man das Thema fallen lassen und die Medien schweigen seitdem dazu. Es ist klar, dass Herr Gabriel fürchtete, dass mit einem Ausschluss von Herrn S. viele eher nicht fremdenfreundliche SPD-Wähler mitgehen würden. Man könnte das einen Kniefall vor dem rechten Rand nennen.
Herr Meuthen ist aber nicht Mitglied in der SPD, sondern der AfD. Und damit ist es aus Sicht vieler “Leitmedien” offenbar ausgeschlossen, den Mann für seine entschiedene Haltung positiv zu bewerten.
Die Volten, die politische Kommentatoren schlagen, sind erstaunlich. Galt Frau Petry lange als “Rechtsruck” der AfD, wird sie aktuell als glaubwürdigere Kritikern stilisiert. Der gemäßigte Meuthen hingegen als Schwächling, als “Teddy-Bär”. Die Verweise auf ein “Gutachten”, das klären sollte, ob die Äußerungen von Herrn Gedeon nun antisemitisch seien oder nicht, sind verlogen.
Gedeon? Wer ist das?
Die Äußerungen und Relativierungen in den Büchern des Herrn Gedeon sind also bislang nicht volksverhetzend. Ob er ein Antisemit ist, wird auf Basis seiner bisherigen Bücher nicht genau zu klären sein, mal abgesehen davon, dass eine antisemitische Haltung allein noch nicht “strafbar” ist.
Man kann sich also nur politisch dazu verhalten – und das hat Herr Meuthen getan. Er lehnt den “Denkkosmos” des Herrn Gedeon klar und unmissverständlich ab und setzt damit ein Zeichen: Er ist rechtskonservativ, will sich aber klar von Rechtsextremisten distanzieren.
Rechtskonservativ oder rechtsextrem?
Folgt die Mehrheit der Fraktion dieser Haltung, würde das nicht nur Herrn Meuthen, sondern die AfD stärken und von rechtsextremen Vorwürfen entlasten. Gibt es eine Mehrheit gegen den Ausschluss des Herrn Gedeon, wird das Urteil über die rechtsextreme Grundhaltung der Mehrheit eindeutig sein. Und damit auch bundesweit wirken – denn bislang tänzelte die AfD an der sensiblen Linie, wird diese überschritten, wird die Partei massiv Zustimmung verlieren. Rechtskonservativ und nicht fremdenfreundlich ist etwas, womit viele Bürger etwas anfangen können – rechtsextrem und fremdenfeindlich ist dann eindeutig NPD. Und diese Splitterpartei hat es nie über ein Prozent Zustimmung geschafft.
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Es gibt keine Alternative zu Mehrheiten
Die AfD hat innerhalb kürzester Zeit seit 2013 einen Siegeszug angetreten, der enorm ist. Innerhalb von drei Jahren ist sie in die Hälfte der Länderparlamente eingezogen. In Baden-Württemberg sogar drittstärkste Kraft vor der SPD. Wie auch bei anderen jungen Parteien beschäftigt sich die AfD aber mit enormen parteiinternen Querelen, die durchaus zutreffend als “Machtkämpfe” tituliert werden.
“Macht” hat aber nicht automatisch derjenige, der sich durchsetzt, sondern nur der, der Mehrheiten bilden und führen kann.
Historische Entscheidung
Der heutige Dienstag wird für die AfD ein historisches Datum werden. Wenn die Fraktion tatsächlich keinen Ausschluss des Herrn Gedeon beschließen sollte und damit den Rückzug des Fraktionsvorsitzenden Meuthen erzwingt, wird sich irgendjemand als Sieger fühlen, der nicht überblickt, dass dieser Sieg nur mit dem größtmöglichen Schaden erreicht werden konnte.
Damit würde ein vollständig unbedeutender Abgeordneter, der in selbstverlegten Büchern krudes Zeugs von sich gibt, das niemanden wirklich interessiert, ohne Not derart aufgewertet, dass die AfD Baden-Württemberg wie auch die Bundespartei nur noch abgewertet werden könnte.
Verliert Meuthen, verliert die AfD
Mit hoher Wahrscheinlichkeit spaltet sich dann die AfD-Fraktion – beide Teile werden ebenfalls abgewertet und nicht mehr drittstärkste Kraft in Stuttgart sein. Das wird finanzielle und organisatorische Folgen haben.
Man darf gespannt sein, ob die AfD-Abgeordneten auf der “Sach- oder der Personenebene” entscheiden, wie wichtig ihnen der “Kollege” Gedeon ist.
Herr Meuthen sagte uns vergangene Woche:
Selbstverständlich stelle ich mich meiner Verantwortung und werde mein Mandat ausüben – ob als einfacher Abgeordneter oder in einer anderen Funktion. Daran gibt es keinen Zweifel.
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