Rhein-Neckar/Stuttgart/Südwesten, 06. Juli 2016. (red/me) Nach dem Zerwürfnis innerhalb der AfD-Fraktion im baden-württembergischen Landtag und dem Austritt der Gruppe um Ex-Fraktionschef Prof. Dr. Jörg Meuthen ist die Landtagsverwaltung in Stuttgart zusätzlich gefordert. Nicht alle Fragen sind selbst für die Juristen leicht zu klären. Soviel steht fest – die AfD hat sich selbst um viel Geld und Einfluss gebracht.
Von Mathias Meder
Für den Heilbronner AfD-Abgeordneten Rainer Podeswa wird diese Woche vermutlich länger in Erinnerung bleiben. Zu Beginn der Woche hatte er noch allen Grund zur Annahme, an diesem Donnerstag zum Ausschussvorsitzenden des Finanzausschusses gewählt zu werden – dem wichtigsten parlamentarischen Ausschuss. Hier hat traditionsgemäß ein Mitglied der größten Oppositionsfraktion den Vorsitz. Er sollte nur noch ein paar Fragen zu bisherigen Äußerungen beantworten. Doch jetzt kommt es wohl anders. Erstens gehört er wie 13 andere nach dem Austritt nicht mehr der AfD-Fraktion an und zweitens wird durch die Austritte aus der größten Oppositionsfraktion nun die kleinste.
Zukünftig werden die SPD mit 19 und die FDP mit 12 Abgeordneten deutlich mehr Einfluss im Parlament bekommen, als ihnen bislang zustand. Und der Einfluss der Gruppe um den bisherigen Fraktionschef Prof. Dr. Jörg Meuthen wird auf die unterste Stufe fallen, die in einem Parlament möglich ist: Sie sind seit heute nur noch einfache Abgeordnete. Fraktionslos. Sie dürfen reden und mit abstimmen – noch sitzen sie in den Gremien, aber das wird sicher bald anders sein.
Gibt es nun zwei AfD-Fraktionen im Landtag?
Wird es künftig zwei AfD-Fraktionen geben? Die Pressestelle des Landtags gibt dazu diese Antwort:
Für die Verwaltung des Landtags von Baden-Württemberg ist klar, dass die verbliebenen 9 Abgeordneten die AfD-Fraktion bilden. Die neue Gruppe um Jörg Meuthen muss sich erst einmal selber darüber im Klaren sein, ob sie fraktionslose Abgeordnete bleiben oder ob sie eine neue Fraktion gründen wollen und wie diese heißen soll. Dabei ist allerdings juristisch zu prüfen, ob der Grundsatz des Verbots der Fraktionsvermehrung greift. Zwei Fraktionen mit dem Namen AfD darf es nicht geben.
Diese juristische Klärung wird vermutlich noch einige Zeit brauchen, da solch ein Durcheinander zum Glück ja nicht alltäglich ist in deutschen Parlamenten. Zwar gibt es Kommentare zum Grundgesetz und erste Gutachten aus anderen Bundesländern. Doch die aktuelle Gemengelage ist ohne Vorbild. Der Pressesprecher der SPD-Landtagfraktion, Martin Mendler, erklärte uns gegenüber auf Nachfrage:
Die vier Landtagsfraktionen werden das Präsidium bitten, ein externes Gutachten einzuholen zu der Fragestellung, ob es im Landtag zwei Fraktionen der gleichen Partei geben kann. Es gibt darüber unterschiedliche Rechtsauffassungen.
Laut ARD könnte es vorstellbar sein, dass sich eine zweite Fraktion bilden darf – interessant ist zumindest, dass niemand eindeutig weiß, dass dies nicht sein kann. Es könnte also möglich sein.
Was bedeutet der Austritt von 13 +1 Abgeordneten für die übrig gebliebene AfD-Fraktion?
Der größte Schmerz dürfte vermutlich der finanzielle sein. Denn inhaltlich ist in den ersten 55 Tagen des neuen Landtages ja noch nicht allzu viel gelaufen. Doch durch den Austritt von 14 Abgeordneten (Meuthen-Gruppe sowie Dr. Wolfgang Gedeon) werden sich die Zuschüsse der AfD-Fraktion verringern, sagt die Landtagsverwaltung:
Der monatliche Grundbetrag von 39.758 Euro bleibt unverändert. Jedoch erhält die Fraktion die pro Kopf-Pauschale von monatlich 1.696 Euro nur noch für neun anstatt für 23 Abgeordnete. Auch der Oppositionszuschlag von 293 Euro monatlich wird ebenfalls für neun anstatt für 23 Abgeordnete gewährt.
Unterm Strich bedeutet dies bei 14 ausgetretenen Fraktionsmitgliedern eine Einbuße von 27.846 Euro für die AfD-Fraktion. Und so lange die bisherige AfD-Fraktion auch zukünftig mehr als sechs Abgeordnete umfasst, bleibt ihr Fraktionsstatus erhalten und der monatliche Grundbetrag damit auch. Ob dies so bleibt, kann niemand absehen. Wie heute nachmittag zu erfahren war, soll bereits ein weiterer Abgeordneter aus der AfD-Fraktion ausgetreten sein.
Da die Fraktionsgelder zu Beginn eines Monats an die Fraktionen ausbezahlt werden, werden die finanziellen Auswirkungen jedoch erst ab August spürbar werden. Allerdings können die nötigen Einsparungen bei der AfD-Fraktion vermutlich auch rasch erreicht werden. Bereits heute vormittag haben fünf Fraktionsmitarbeiter in einem Schreiben um Beurlaubung gebeten und sich auch schon mit Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) ausgetauscht, da das derzeitige Angestelltenverhältnis bei der AfD-Fraktion für sie zahlreiche Unsicherheiten birgt. Die bisherigen Mitarbeiter gehen davon aus, dass von den bislang rund zehn Fraktionsmitarbeitern nur noch wenige weiterarbeiten wollen.
Politischer Einfluss der AfD-Abgeordneten im Landtag wird schrumpfen
Politisch wird das Schrumpfen der AfD-Fraktion ebenso den Einflusses im Parlament verringern. Doch ohne aktives Handeln der anderen Landtagsfraktionen bliebe zunächst alles beim Alten, denn die Rechtsstellung der in die Ausschüsse gewählten Abgeordneten bleibt zunächst unverändert:
Die Zusammensetzung der Gremien bleibt in der jetzigen Form erhalten, bis der Landtag etwas anderes entscheidet. Die Gremien sind damit auch weiterhin beschlussfähig.
Das würde jedoch bedeuten, dass im Ausschuss für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Carola Wolle den stellvertretenden Ausschussvorsitz behalten würde, obwohl sie nun nur noch einfache Abgeordnete ist und nicht mehr der AfD-Fraktion angehört. Im Ausschuss für Verkehr hat Bernd Kögel den stellvertretenden Ausschussvorsitz inne, obwohl seine AfD-Fraktion kleiner geworden ist als zum Zeitpunkt seiner Wahl. Und im Präsidium des Landtages säße Prof. Dr. Jörg Meuthen als einer von drei AfD-Vertretern, wobei die beiden anderen Präsidiumsmitglieder der AfD-Fraktion angehören und er nun nicht mehr.
Wann genau und wie die Veränderungen vom Landtag nachvollzogen werden, steht noch nicht fest. Doch es ist davon auszugehen, dass sie ziemlich schnell kommen werden – wenn die Sache mit der neuen Fraktion geklärt ist. Sollte diese möglich sein, würden sich die Kräfteverhältnisse wieder verschieben, dann wäre die neue Fraktion vor der FDP und möglicherweise gleichauf oder vor der SPD, wenn entgegen der Aussage von Herrn Dr. Meuthen doch noch Mitglieder der alten Fraktion in die neue dürften. Und wenn dies der Fall wäre, ist die alte Fraktion dann keine mehr, wenn sie unter sechs Personen stark ist. Aber ist das vorstellbar nach der Distanzierung durch Herrn Dr. Meuthen? Ja – wenn er von der Distanzierung abrückt. Aber wäre dann nicht der Zustand irgendwie fast wie vorher?
Was bedeutet der Austritt aus der AfD-Fraktion für Meuthen, Gedeon und die anderen?
Alle sind nun gleich gestellt – als einfache Abgeordnete. Es sind zunächst alle 14 Abgeordnete fraktionslos und haben somit keine besonderen Rechte mehr im Landtag. Ob sie sich zu einer neuen Fraktion überhaupt zusammenschließen können, wird zu klären sein. Zwar hat heute Herr Meuthen die Gründung der Fraktion “Alternative für Baden-Württemberg” verkündet – ob es diese aber jemals geben wird, ist offen und eher unwahrscheinlich, dass die Landtagsverwaltung diese zulässt. Am stärksten von allen wird Professor Meuthen die Auswirkungen im Geldbeutel spüren:
Statt bislang 17.136 Euro als Fraktionsvorsitzender erhält er nur noch 7.616 Euro als einfacher Abgeordneter.
Dazu kommt, dass der Zugang zu Fraktionsmitarbeitern der AfD-Fraktion verwehrt bleiben wird. Für die anderen Abgeordneten ändert sich finanziell nichts.
Wer darf wie lange reden und wo sitzen?
Wie lange zukünftig die Abgeordneten mit AfD-Parteibuch im Landtag reden dürfen, muss nun geklärt werden. Solche Fragen des Debattenablaufs bespricht man für gewöhnlich im Präsidium. Und dort wird keiner den anderen mehr Redezeit als nötig zubilligen wollen. Die doppelte Redezeit für eine politische Partei ist nicht vorstellbar.
Geklärt werden muss auch die neue Sitzordnung der Abgeordneten. Vermutlich müssen die Hausmeister nun einige der Bänke, die erst vor wenigen Wochen neu eingebaut wurden, nun schon wieder auseinanderlegen. Denn auch optisch werden die neuen Verhältnisse im Parlament abgebildet werden müssen. Nachdem Herr Dr. Gedeon bei seinem “Ruhen der Fraktionszugehörigkeit” bereits in die letzte Reihe wechseln musste, bleibt unvorstellbar, dass Herr Dr. Meuthen und die anderen ihren Sitzplatz beibehalten werden können. Doch wohin mit Ihnen? Es könnte eng werden in der letzten Reihe.
Beitragsbild: Landtag Baden-Württemberg.