Rhein-Neckar/Mannheim/Stuttgart/Südwesten, 8. Juli 2016. (red/pro) Die gespaltene AfD-Fraktion erregt die Gemüter. Der gemeinsame Angriff der “Anständigen” auf die Rechtspopulisten ist allerdings eine Farce. Der Kampf der etablierten Parteien gegen die AfD, die von der AfD verächtlich “Altparteien” genannt werden, zeigt erstaunlicherweise auf, dass die AfD Recht hat. Es liegt viel im Argen mit unserem politischen System. Die Parteien haben sich den Staat zu sehr zur Beute gemacht. Manche haben Spaß dran, dass sich die AfD im Südwesten gerade selbst zerfleischt. Doch nach dem Gemetzel wird vor der großen Ernüchterung sein.
Von Hardy Prothmann
Was hier gerade passiert kann nicht als Aufstand der Anständigen bezeichnet werden. Es ist eine moralische Verpflichtung aller gewählten Abgeordneten sich in Sachen Antisemitismus klar zu positionieren,
gibt der Mannheimer Landtagsabgeordnete Wolfgang Raufelder (Grüne) per Pressemitteilung kund.
Das klingt gut. Das klingt hehr. Das klingt aufrichtig. Für Herrn Raufelder mag das zutreffen.
Gedeon hätte früher aufliegen müssen
Tatsächlich sind die kruden Aussagen des Dr. Wolfgang Gedeon, jenes Siegener AfD-Abgeordneten, über den der Streit im Landtag und innerhalb der AfD-Fraktion schwelte und schließlich explodierte, seit langem bekannt. Vielleicht waren sie Herrn Raufelder nicht bekannt. Uns waren sie bis vor kurzem auch nicht bekannt.
Wenn insbesondere SPD und Grüne jetzt die Brust der Empörung aufpumpen und der AfD vorwerfen, wieso man überhaupt einen solchen Kandidaten aufgestellt habe, dann ist das unehrlich, unredlich und geheuchelt. Warum, erläutere ich Ihnen.
Die verschwörungstheoretisch-antisemitische Weltsicht des Herrn Gedeon war lange vor dessen Wahl bekannt. Mehrere Zeitungen im Süden Baden-Württembergs hatten darüber berichtet, aber niemals skandalisiert. Der politische Kampf gegen jemanden, den vor allem Grüne und SPD als untragbaren Antisemiten bezeichnen, blieb auch von Politikern vor Ort aus. Die Frage lautet: Warum?
Wäre es nicht im Sinne der demokratischen Kontrolle richtig und notwendig gewesen, schon im Vorfeld der Wahl diesen Kandidaten “zu überführen” und zu verhindern? Hier drängt sich ein schlimmer Verdacht auf: Könnte es sein, dass “demokratische” Parteivertreter eben nicht früh gewarnt haben? Könnte es sein, dass diese aus taktischen Gründen nichts unternommen haben, um diesen Mann zu verhindern, weil man nach der Wahl über diesen “Aussätzigen” den großen Paukenschlag führen wollte? Oder aus Inkompetenz? Womöglich gar Faulheit? Was, wenn man das mal thematisieren würde?
Möglicherweise hat man überhaupt keinen Ehrgeiz gehabt, sich vor Ort mit dem politischen Gegner auseinanderzusetzen. Als Herr Gedeon dann gewählt war, erkannte man das Empörungspotenzial und hat sich flugs daran gemacht, die AfD von innen zu sprengen.
AfD gespalten, Chaos erzeugt – und weiter?
Und was hat es gebracht? Einen Haufen Chaos. Die Spaltung der AfD-Fraktion. Und weiter?
Auch die anderen Fraktionen sind in diesen Chaosstrudel hineingezogen. Die AfD hat wieder einmal die komplette Aufmerksamkeit und alle beschäftigen sich damit, statt Sacharbeit für das Land zu leisten.
Baden-Württemberg erlebt aktuell jede Menge Black-outs.
Angefangen bei der Landtagspräsidentin Muhterem Aras. Es ist vollkommen in Ordnung, dass sie für dieses Amt gewählt worden ist. Vergessen hat man aber, dass die Grünen sie erst dann protegiert haben, als es darum ging, der AfD eine “muslimische” Präsidentin vorzusetzen, mal abgesehen davon, dass sie die erste Frau in diesem Amt ist. Frau Aras freut sich wie Schneewittchen und das darf sie auch. Persönlich ist das ein toller Erfolg.
Taktisch hingegen nicht. Die Medien verkaufen sie als erste Frau und Muslima. Sie ist Tochter alevitischer Kurden und hat damit mit “türkischer Muslima” ungefähr so viel zu tun wie ein verirrter Evangele bei einer Prozession auf dem Petersplatz in Rom bei einer Papst-Audienz.
Der Start dieses 16. Landtags von Baden-Württemberg ist eindeutig geprägt von der Absicht, die “AfD zu enttarnen” und in ihre Grenzen zu weisen. Doch was ist erreicht worden durch den Frontalangriff auf eine sensationell erfolgreiche Partei, die erst 2013 gegründet worden ist und mit gleich 23 Sitzen drittstärkste Kraft geworden ist?
Die AfD spaltet sich – und damit auch der Landtag
Die Spaltung. 12 gingen mit Jörg Meuthen. Acht blieben in der ursprünglichen Fraktion. Irgendwo ist neben Herrn Gedeon noch einer verloren gegangen. Der ist jetzt mal egal.
Die Landtagspräsidentin meint, eine “Fraktionsvermehrung” sei nicht möglich. Es gäbe gar ein Verbot. Hoho. Nur steht das leider nirgendwo. Und wie unsere Recherchen ergaben, gibt es ein Vorbild. 1956 gab es zwei FDP-Fraktionen im Deutschen Bundestag. Frau Aras will ein “Gutachten” einholen. Das kann sie. Sie kann auch die neue Fraktion nicht akzeptieren, dann geht es vor Gericht. Und dann?
Die Chancen, dass der Volkswirtschaftsprofessor Meuthen sind durchsetzt mit dem, was er uns gegenüber schon vor der Spaltung als Plan B bezeichnet hat, stehen nicht schlecht. Ein Gerichtsurteil würde was bewirken? Die Bestätigung, dass die Landtagspräsidentin präjustiv falsch liegt. Ist das ein Gewinn oder ein Schaden für den Landtag?
Mal angenommen, die 13 ausgetretenen Abgeordneten könnten auf absehbare Zeit keine Fraktion bilden – was ist gewonnen? Redezeit für jeden dieser Abgeordneten. Auch für Herrn Gedeon. Mindestens 14 Abgeordnete können also zu jedem Tagesordnungspunkt ans Pult treten – denn sie sind Abgeordnete in einem Parlament. Also einem Ort, wo geredet werden darf und soll.
Die Landtagspräsidentin legt die Redezeiten fest. Reicht eine Minute, müssen es zwei sein? Jeder muss reden können und das über die gesamte Legislatur. Wer hat daran Interesse, dass die parlamentarischen Debatten nicht zwischen einer überschaubaren Zahl von zunächst fünf, später vielleicht sechs Fraktionen laufen, sondern durch fünf Fraktionen und 14 Einzelabgeordnete? Wie “beherrscht” man das?
Das Problem: Die AfD fordert sogar im Niedergang die Etablierten heraus
Die ursprüngliche AfD-Fraktion hat sich nicht gegen Antisemitismus positioniert – aber erreicht, dass der “Beschuldigte” Gedeon ausgetreten ist. Also das Ziel, das Herr Meuthen nicht erreicht hat. Wie lange will man fordern, dass man sich “distanziert”, wenn doch klar ist, dass Herr Gedeon gar nicht mehr dazu gehört? Was antworten die Grünen auf Fragen nach einem Boris Palmer, dessen Positionen innerhalb der Grünen als AfD gesehen werden? Oder nach Boykott-Aufrufen gegen Israel? Was die SPD, wenn man sie nach Thilo Sarrazin fragt?
Die AfD fordert die etablierten Parteien heraus – selbst, wenn sie sich selbst zerfleischt.
Es wird deutlich, dass sich die etablierten Parteien es sich sehr wohl in der sozialen Hängematte gemacht haben. Das man ständig hin und her dealt. Hauptsache, Schäfchen im Trockenen. Und keine Ahnung von den Folgen der eigenen Vorstöße.
In der AfD sind überwiegend politische Dilettanten, die nicht wissen, wie das Geschäft läuft und wie man eine Intrige startet und sich selbst Vorteile verschafft. Anfänger halt. Was die “etablierten Parteien” noch nicht auf dem Schirm haben – die “Enttarnung” der AfD führt möglicherweise zu einer Enttarnung des eigenen Wirkens der Etablierten.
Den etablierten Parteien kann man nur einen Rat geben – krempelt die Ärmel hoch und macht Sacharbeit. Zeigt, dass ihr politische Profis seid. Kümmert Euch um Eure Wahlkreise. Seid vorbildlich. Erinnert Euch an Eure Verantwortung. Und regelt das, was ungeregelt ist. Sonst wirkt das schmutzig.
Wenn nicht, geht Ihr im Sog mit der AfD unter. Je mehr Chaos Einzug hält, umso größer wird die allgemeine Verdrossenheit und umso mehr verlieren alle.
Das gilt übrigens auch für die Medien. Berichtet anständig. Zeigt Haltung. Und das meint nicht, sich Karrieren über Parteibücher auszurechnen, sondern die Menschen gut und anständig zu informieren.
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