Rhein-Neckar/Stuttgart/Südwesten, 26. Juli 2016. (red/pro) Die neue Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) wurde seit ihrer Wahl vielfach zu Themen wie Integration und Türkei interviewt und zitiert. Wir wollten wissen: Darf Sie das als Landtagspräsidentin? Und unter welchen Umständen? Oder sollte man sich in diesem Amt als Leiterin des Parlaments nicht eher zurückhalten? Die Antwort ist eindeutig – das Verhalten von Frau Aras nicht.
Muhterem Aras ist eine erfolgreiche Politikerin. Sie ist mit 42,4 Prozent bei der Landtagswahl Stimmkönigin der Grünen. Sie ist als erste Frau und die erste Person mit türkischen Wurzeln als Landtagspräsidentin des 16. Landtags von Baden-Württemberg gewählt worden.
Grüne, Abgeordnete, Landtagspräsidentin (Frau, Migrantin)

Muhterem Aras ist neue Landtagspräsidentin in Baden-Württemberg. Foto: Bündnis90/Die Grünen
Dieser 16. Landtag ist von Beginn an durch heftigen Streit geprägt – durch den Wahlerfolg der AfD haben vor allem CDU und SPD Federn lassen müssen und insbesondere die Grünen haben sich mit unerbittlicher Härte gegen die rechtspopulistische und in Teilen mindestens nicht fremdenfreundliche AfD positioniert. Das erzeugt Spannungen, insbesondere, wenn man eine grüne Politikerin mit Migrationshintergrund ist, die nicht einfach zu bewältigen sind.
Insbesondere nach Ihrer Wahl zeigte sich Frau Aras sehr glücklich bis überschwänglich ob des neuen Amtes. Die Freude ist ihr gegönnt. Wir haben uns kritisch gefragt, ob man aus Frau mit Migrationshintergrund einen solchen Auftrieb veranstalten muss, wie das innerparteilich und medial betrieben wurde? Ist durch die Wahl von Frau Aras die Integration als besiegelt geglückt anzusehen? Welche Rolle spielt es, ob ein Mann oder eine Frau das Amt innehat? Sollte das nicht als selbstverständlich empfunden werden?
Selbstverständlichkeiten?
Aus unserer Sicht ist nichts Besonderes daran, dass mit Frau Aras eine Frau die Landtagspräsidentin ist. Und auch nicht, dass sie einen türkischen Migrationshintergrund hat. Nur Leute, die das nicht als selbstverständlich verinnerlicht haben, können unserer Auffassung nach darin etwas „Außergewöhnliches“ erkennen.
Was uns gar nicht gefallen hat und nicht gefällt, ist, wenn Frau Aras ihre verschiedenen Funktionen durcheinanderbringt. Sie ist grüne Politikerin. Sie ist zwar Grüne, aber ansonsten frei gewählte Abgeordnete. Und sie hat ein herausgehobenes Amt als Landtagspräsidentin, das sie zur Neutralität verpflichtet.
Wir wollten deshalb wissen, wie die Gepflogenheiten sind und wann in welcher Funktion Frau Aras sich äußert. Dazu haben wir die Pressestelle des Landtags angefragt. Vor den Fragen haben wir noch diese Feststellung übermittelt: „Es geht vollkommen in Ordnung, wenn Frau Aras sich als Bürgerin, grüne Politikerin oder MdL oder als Muslima äußert.“
Anfrage an die Pressestelle mit Antworten:
Ist es üblich, dass Landtagspräsidenten sich zu Themen äußern, die nicht ihre Funktion und ihren Zuständigkeitsbereich betreffen?
Ob und zu welchen Themen sich ein Landtagspräsident bzw. eine Landtagspräsidentin äußert, entscheidet die jeweilige Person selbst. Das Amt der Landtagspräsidentin führt nicht dazu, dass sich die Person als Abgeordnete oder als Politikerin nicht mehr äußern darf. Die Neutralitätspflicht bezieht sich nur auf ihre Amtsführung. Darüber hinaus steht es der Landtagspräsidentin bzw. dem Landtagspräsidenten wie auch allen anderen Politikerinnen und Politikern frei, sich zu allen Themen zu äußern.
Durchschnittliche Mediennutzer könnten den Eindruck haben, das gesamte Parlament äußere sich über die Vorsitzende: Sind die Meinungsäußerungen und politischen Aussagen mit dem Präsidium und/oder den Fraktionen abgestimmt?
Äußerungen gegenüber den Medien sind eigene Meinungsbeiträge von Frau Aras zu unterschiedlichen Themen. Diese sind weder mit dem Präsidium noch den Fraktionen abgestimmt, hierzu gibt es auch keinen Anlass. Es liegt in der journalistischen Verantwortung der Medien, wenn diese erwähnen, dass Frau Aras Landtagspräsidentin ist, auch wenn sie sich nicht in amtlicher Eigenschaft äußert.
Wahrt die Präsidentin die qua Geschäftsordnung gebotene Neutralität, insbesondere, wenn Sie gegenüber Medien „persönliche, private Kommunikation“ thematisiert?
Die Landtagspräsidentin wahrt bei ihrer Amtsführung stets die Neutralität, sei es in Plenarsitzungen, bei Veranstaltungen oder in Interviews. Selbstverständlich können Medien auch über Frau Aras‘ Vita und ihr persönliches Lebensumfeld berichten. Wie genau die Medien das jeweilige Thema aufbereiten, bleibt selbstverständlich dem jeweiligen Medienorgan überlassen.
Nach der Geschäftsordnung ist nicht zu erkennen, dass es Aufgabe einer Landtagspräsidentin ist, sich zu internationalen Angelegenheiten zu äußern, die weder das Parlament noch die Verwaltung betreffen. In welchem Rahmen äußert sich Frau Landtagspräsidentin Aras dann?
Natürlich kann sich Frau Aras wie jeder andere Abgeordnete auch zu solchen Themen äußern.
Gibt es einen Verhaltenskodex, der nicht in der Geschäftsordnung steht?
Nein.
Sollte die Landtagspräsidentin aus Achtung vor dem Amt nicht genau unterscheiden, in welcher Rolle sie sich öffentlich äußert?
Die Landtagspräsidentin achtet selbstverständlich sehr darauf, ob sie sich als Landtagspräsidentin oder als Abgeordnete oder als Politikerin der Partei Grüne in der Öffentlichkeit äußert.
Klare Aussagen der Pressestelle also – aber räumen die unsere Kritik aus?
Zweifel an Trennung von Amt und Mandat
Insbesondere die letzte Antwort ziehen wir erheblich in Zweifel. Dies belegen wir anhand einer Vielzahl von Äußerungen von Frau Aras gegenüber diversen Medien und vor allem durch ihre eigene Darstellung auf ihrem Facebook-Profil.
Wie oben beschrieben: Selbstverständlich kann sich Frau Aras äußern. Zu allen Themen. Selbstverständlich kann sie nichts dafür, wenn sie von Medien in ihrer Funktion als Landtagspräsidentin dargestellt wird, obwohl sie sich als Abgeordnete äußert. Die Landtagspressestelle bemerkt übrigens absolut richtig, dass das jeweilige Medium für die Darstellung verantwortlich ist.
Aber Frau Aras entscheidet sehr wohl, wenn sie Interviews postet, die sie als Abgeordnete gibt, die aber den Eindruck erwecken, sie hätte sich als Landtagspräsidentin geäußert. Wenn sie dazu noch Schlagworte auf grüne Organisationen selbst hinzufügt – achtet sie eben nicht auf die gebotene Trennung und Neutralität. Herausreden kann sie sich nicht – denn Politiker haben häufig verschiedene Funktionen und wissen sehr wohl, welchen „Hut“ sie gerade aufhaben.
Durch die bisherige Praxis könnte der Eindruck entstehen, Frau Aras benutze das Amt, um sich als Landtagsabgeordnete und die Grünen durch das hohe Image der Landtagspräsidentin zusätzlich aufzuwerten – also ein Image-Dropping zum eigenen Vorteil.
Dieser Eindruck sollte nach unserer Auffassung absolut vermieden werden – auch, nachdem man einen zweiten stellvertretenden Landtagspräsidenten nicht gewählt hat. Denn der guten Tradition halber wäre dieses Amt an die AfD (vor der Spaltung) gegangen.
Frau Aras lehnt wie jeder vernünftige Demokrat und Mensch Antisemitismus ab. Insbesondere als Landtagspräsidentin hat sie aber auch das hohe Gut der Meinungsfreiheit zu achten – dazu gehören auch empörende Äußerungen, die man gar nicht teilt. Solange diese nicht volksverhetzend und damit strafbar sind, werden sogar extreme und absolut dumme Äußerungen durch das Grundgesetz geschützt. Eine staatliche Zensur findet nicht statt. Steht so in Artikel 5 Grundgesetz.

Am 4. Juni veröffentlicht Frau Aras dieses Foto und kommentiert es. Sie vermischt hier den Hinweis auf einen Pressebericht mit teils parteipolitischen Schlagwörtern und einem Foto, dass sie mit ihrem Amt in Verbindung bringt. Achtet Frau Aras hier auf die gebotene „neutrale“ Trennung zwischen dem Amt und dem Mandat? Herr Gedeon (AfD) wird vorgeworfen, in früher erschienenen Büchern antisemitische Äußerunge getroffen zu haben. Im Landtag war das nicht der Fall. Quelle: Facebook-Profil Mutherem Aras MdL

Pressespiegel nach der Wahl auf der Homepage der grünen Abgeordneten Aras. Aus unserer Sicht geht das so in Ordnung. Das war ein öffentlicher Vorgang. Das kann sie thematisieren. Interessant – die taz betont die Muslima, der Deutschen Welle sagt Frau Aras, sie definiere sich nicht über die Religion. Das ist Presse- und Meinungsfreiheit. Keine Einwände also – außer: Wir vermissen unseren Artikel – der einzige übrigens, der vollständig diskriminierungsfrei zur Sache berichtet hat: „Hurra – erstmals eine Muslima als Landtagspräsidentin! Was ist die Nachricht?“ Screenshot: Homepage der Abgeordneten Aras

Die grüne Politikerin Aras äußert sich als Landtagsabgeordnete Aras mit ihrer eigenen Meinung. Absolut korrekt – keine Einwände. Facebook-Post

Die Landtagsabgeordnete Aras postet einen Medienbericht – geht in Ordnung. Im Text wird aber wieder ihr Amt genannt. Sie darf „klare Kante“ zeigen – aber sie sollte das Amt von ihrer Meinung trennen. Facebook-Post

Service für die Besucher des Profils – Frau Aras weist auf die Möglichkeit hin, sich die Landtagsdebatten im Netz anzuschauen. Keine Einwände, sondern sogar Lob: So ist das völlig in Ordnung und ein Post, der vielleicht Leser motiviert, sich mal eine politische Debatte anzuschauen. Facebook-Post

Hm. Nicht ganz klar zu entscheiden. In diesem Fall liegt der Vorgang eindeutig im Aufgabenbereich der Landtagspräsidentin Aras. Insofern keine Einwände. Aber ein Geschmäckle bleibt, weil sie gleich am Anfang ihr Amt mit ihrer parteipolitischen Zugehörigkeit zitiert wird. Hier entsteht der Einruck Grüne vs. AfD. Das ist mit der Neutralität des Amts nicht vereinbar. Facebook-Post

Wieder nicht korrekt. Frau Aras kann sich als türkischstämmige Deutsche äußern, als grüne Politikerin, als Landtagsabgeordnete – aber wiederum steht hier prominent ihr Amt, das sie zur Neutralität verpflichtet. Und der Putsch fällt nicht in den Geschäftsbereich ihres Amts. Ok, mag man einwenden – das hat ja der SWR getextet. Stimmt. Aber: Nachdem das ständig vorkommt, könnte Frau Aras auch klar machen: „Sie können mich gerne als Landtagsabgeordnete interviewen und dies auch so benennen. Bitte verzichten Sie aber auf den Zusatz „Landtagspräsidentin“, denn ich äußere mich nicht als Landtagspräsidentin, sondern als…“ Facebook-Post

Auch im Film wird Frau Aras zu Putsch in der Türkei als „Landtagspräsidentin“ bezeichnet – das ist sie. Aber nicht in dieser Sprecherrolle. Auch hier könnte Frau Aras wieder sagen: „Das war der SWR.“ Stimmt – aber da das ständig vorkommt, sollte man dem SWR vielleicht mal erklären, wann der Sender die Landtagspräsidentin zu Landtagsthemen befragt und wann die türkischstämmige Landtagsabgeordnete. Außerdem lässt sie sich in ihrem Büro filmen und dort, wie sie auf dem Handy mit Verwandten in der Türkei chattet – gehört das zum Amt? Facebook-Post
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