Stuttgart, 07. Juli 2016. (red/ms) Chaos nach Spaltung der AfD-Fraktion: Verschiedene Medien, darunter große Namen, berichten, Prof. Dr. Jörg Meuthen habe im Landtag Baden-Württembergs die neue Fraktion „Alternative für Baden-Württemberg“ gegründet. Das ist nicht zutreffend. Richtig ist: Herr Meuthen hat die Gründung der Fraktion beantragt. Fraglich ist, ob das überhaupt möglich ist. Das muss zunächst noch juristisch geprüft werden. Die Pressestelle des Landtags bestätigt unserer Redaktion auf Rückfrage, dass die ausgetretenen Abgeordneten aktuell fraktionslos sind.
AfD-Chef Jörg Meuthen hat eine neue Fraktion mit dem Namen Alternative für Baden-Württemberg gegründet,
steht auf Spiegel Online geschrieben und zwar unter der Überschrift: „Alternative für Baden-Württemberg: Meuthen gründet neue Landtagsfraktion“. Auch Zeit online titelt: „Jörg Meuthen gründet „Alternative für Baden-Württemberg““. Die Süddeutsche Zeitung behauptet ebenfalls: „Der aus der AfD-Landtagsfraktion ausgetretene Jörg Meuthen hat eine neue Fraktion mit dem Namen „Alternative für Baden-Württemberg“ gegründet.“
In der Welt liest man: „Nach dem Austritt aus der AfD-Landtagsfraktion hat Jörg Meuthen die Fraktion „Alternative für Baden-Württemberg“ gegründet.“ Sogar der Deutschlandfunk berichtet: „Der aus der Stuttgarter Landtagsfraktion ausgetretene bisherige Vorsitzende Meuthen gründete eine neue Fraktion mit dem Namen „Alternative für Baden-Württemberg“. Anders gesagt: Es lässt sich kaum ein überregionales Medium von Relevanz finden, dass nicht behauptet, Jörg Meuthen habe eine neue Fraktion namens „Alternative für Baden-Württemberg“ gegründet.
Hat Jörg Meuthen die „Alternative für Baden-Württemberg“ gegründet?
Verwundert reibt sich der Redakteur die Augen – denn gerade erst gestern hatten die akribischen Recherchen eines Kollegen noch zu einem ganz anderen Resultat geführt. Ein Anruf bei der Pressestelle des Landtags bestätigt den grausamen Verdacht: Die zitierten Darstellungen sind allesamt nicht korrekt. Es gibt die Fraktion „Alternative für Baden-Württemberg“ gar nicht. Zumindest noch nicht.
Zutreffend ist: Jörg Meuthen hat die Gründung einer neuen Fraktion bei Landtagspräsidentin Muhterem Aras beantragt. Aber: Damit ist nicht automatisch gewährleistet, dass die Fraktion auch tatsächlich gegründet werden kann. Das muss juristisch geprüft werden – einen Präzedenzfall gibt es bislang nicht. Ein paar wenige der eingangs zitierten Medien gehen sogar auf diese Umstände ein – was sie seltsamerweise nicht daran hindert, zu behaupten, Jörg Meuthen habe die Fraktion schon gegründet.
Es kam schon vor, dass einzelne Abgeordnete ihre Fraktion verließen oder verlassen mussten – teils sogar mehrere Personen innerhalb einer Legislaturperiode. Dass aber in einem deutschen Parlament auf einen Schlag die Mehrheit einer Fraktion austritt, ist ein absolutes Novum in der Geschichte der Bundesrepublik. Nach fast neun Wochen parlamentarischer Tätigkeit im Landtag Baden-Württembergs geht die Alternative für Deutschland also einen Schritt, den noch keine Partei zuvor gegangen ist.
Eine Partei, zwei Fraktionen?
Damit steht die Landtagsverwaltung vor einer Grundsatzfrage, die bislang offenbar nicht eindeutig geklärt ist: Ist es unter Umständen möglich, dass die Abgeordneten der gleichen Partei mehr als nur eine Fraktion gründen? Unter Paragraph 17 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Landtags Baden-Württemberg ist festgelegt:
Fraktionen sind Vereinigungen von mindestens sechs Abgeordneten, die der gleichen Partei angehören.
In der Geschäftsordnung wird hingegen nirgends explizit ausgeschlossen, dass eine einzelne Partei mehr als eine Fraktion gründen kann. Wie die Pressestelle des Landtags auf Rückfrage unserer Redaktion mitteilt, werde eine juristische Prüfung erfolgen, inwiefern ein „Verbot der Fraktionsvermehrung“ greifen könnte:
Da Rechtssprechung hierzu soweit ersichtlich nicht existiert und damit verfassungsrechtliches Neuland betreten wird, hat Präsidentin Aras vorgeschlagen, dass ein externes Gutachten eingeholt wird.
Dieser Vorschlag werde von den Fraktionsvorsitzenden Andreas Schwarz (Grüne), Dr. Wolfgang Reinhart (CDU), Andreas Stoch (SPD) und Dr. Hans-Ulrich Rülke (FDP) unterstützt. Mit der „Erstellung einer gemeinsamen Expertise“ sollen „renommierte Verfassungsrechtler“ beauftragt werden, teilt Landtagspräsidentin Aras per Pressemitteilung mit:
Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit, weil dies ein sehr kompliziertes und wichtiges Thema ist.
Da der Fall einmalig sei, könne man derzeit nicht abschätzen, wie viel Zeit die Prüfung beanspruchen werde, erklärt ein Sprecher des Landtags – es sei mindestens mit ein paar Wochen zu rechnen, eine genaue Dauer lasse sich aber nicht abschätzen. Auf Rückfrage der Redaktion versichert er:
Solange die Prüfung noch nicht zu einem Ergebnis geführt hat, bleiben die 14 Personen, die aus der AfD-Fraktion ausgetreten sind, aus Sicht der Landtagsverwaltung fraktionslos und werden dementsprechend behandelt.
Demnach ist aktuell noch völlig offen, ob eine „Alternative für Baden-Württemberg“-Fraktion überhaupt gegründet werden könnte – sicher ist aber: Es gibt sie noch nicht, wie sich durch eine simple Überprüfungsrecherche mittels telefonischer Rückfrage in Minutenschnelle in Erfahrung bringen ließ. Wenn man seine Berichterstattung allerdings auf ein und dieselbe Nachrichtenagenturlage gründet und keine Zusatzrecherche erfolgt, kommt eben ein Tenor heraus, der nicht zutrifft.
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Lesetipp: Präzedenzfall in der Geschichte des Landtags
„Geld weg, Einfluss weg – der Scherbenhaufen der AfD-Spaltung“
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Bereits gestern haben wir ausführlich über die Folgen der Fraktionsspaltung berichtet. Welche Konsequenzen auf die AfD und den Landtag Baden-Württemberg zukommen, lesen Sie hier.