Rhein-Neckar/Hamburg, 13. Februar 2016. (red) Beim diesjährigen Reporterforum 2016 trifft Chefredakteur Hardy Prothmann auf den Chefredakteur des Mannheimer Morgen, Dirk Lübke sowie Heinrich Löbbers, Mitglieder der Chefredaktion der Sächsischen Zeitung.
„Berichten wir zu viel über Pediga und AfD? Verschaffen wir ihnen zu viel Aufmerksamkeit? Und sind wir in unserer Berichterstattung noch unparteiisch und objektiv? Ein Erfahrungsaustausch“, ist das Thema des Workshops am 3. Juni. Das Reporterforum 2016 steht unter dem Titel: „Handwerk, Haltung, Hoffnung“.
Blog vs. Zeitung
Bei der Veranstaltung treffen der verantwortliche Redakteur des Rheinneckarblog und der Chef der Lokalzeitung Mannheimer Morgen das erste Mal „offiziell“ aufeinander. Bekanntlich können sich beide nicht sonderlich gut leiden – der Mannheimer Morgen hatte 2015 den Journalisten Hardy Prothmann verklagt, weil dessen Team in einem Artikel aufgezeigt hatte, dass zu einem kommunalpolitischen Streitthema „auffällig gehäuft Leserbriefe“ in der Zeitung veröffentlicht worden waren.
Die Zeitung klagte nicht gegen den Inhalt des Artikels, sondern gegen die Überschrift und den ersten Satz (der komplette Artikel ist hier unter neuer Überschrift zu lesen, Sie finden auch einen Link auf das, was das Gericht uns verboten hat zu äußern). In der ersten Instanz vor dem Landgericht Mannheim gewann der Zeitungsverlag die Klage, weil das Gericht der Auffassung war, der gute Ruf der Zeitung könne durch die zwei Sätze im Rheinneckarblog beschädigt werden.
Mannheimer Morgen klagt gegen Rheinneckarblog
Dagegen ist Hardy Prothmann in Berufung gegangen. Vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe soll nun geklärt werden, ob die beiden Sätze zulässig sind oder nicht:
Mein Berliner Anwalt Professor Weberling und ich gehen davon aus, dass wir gewinnen. Wenn nicht, ist die Existenz des Rheinneckarblog massiv bedroht. Im Gegensatz zu Jan Böhmermann, dessen Verfahrenskosten vom ZDF über Gebührengelder übernommen werden, müssen wir das nämlich selbst zahlen und aktuell steht uns das Geld nicht zur Verfügung. Falls wir verlieren sollten, hat der millionenschwere Großverlag des MM uns dann als Konkurrenz erfolgreich wirtschaftlich weggeklagt – das ist meiner Auffassung nach auch das Ziel der Klage – obwohl wir im Vergleich zum Mannheimer Morgen eine sehr kleine Redaktion sind, hat die große Zeitung Angst vor uns und will Meinungspluralität mit allen Mitteln bekämpfen. Übrigens ein interessantes Verständnis von Pressefreiheit, das dort im Haus gepflegt wird – wir hatten eine Gegendarstellung angeboten, daran gab es kein Interesse.
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Lesetipp: Zwei Säzte – 14.000 Euro Kostenrisiko
Auffällig gehäufte Leserbriefe XXX
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Unterschiedliche Auffassung von Journalismus
Die redaktionellen Ausrichtungen von Blog und Zeitung könnten nicht unterschiedlicher sein – auch, was die Berichterstattung zur AfD angeht. Der MM hatte vor der Landtagswahl beispielsweise ein Interview mit der AfD-Bundesvorsitzenden Dr. Frauke Petry geführt.
Aus dem 38 Minuten langen Gespräch resultierte ein sehr kurzes Interview, in dem es überwiegend um die theoretische Frage ging, ob in letzter Konsequenz Grenzschützer ihre Waffen auch gegen Flüchtlinge einsetzen können oder sollten. Das „Schießbefehl“-Interview hatte bundesweit Schlagzeilen gemacht. Insgesamt berichtete die Zeitung überwiegend einseitig negativ über die AfD und meinte, die Politiker schlürften eine „braune Suppe“, die „rechte Rülpser“ erzeuge. Das Rheinneckarblog berichtete hingegen differenzierter und brachte beispielsweise ein ausführliches Interview mit der AfD-Bundesvorsitzenden (beide Interviews führte Frau Petry am selben Tag, erst beim MM, dann beim RNB. Das RNB wusste nichts vom „Schießbefehl“-Interview).
Im Ergebnis gewann der AfD-Kandidat Rüdiger Klos den letzten SPD-Wahlkreis im Südwesten und holte sich das Direktmandat im Mannheimer Norden:
Die enormen Wahlerfolge der AfD hat die rechte Partei vor allem dieser undifferenzierten und einseitig-aggressiven Berichterstattung sowie einem undemokratischen Verhalten der etablierten Parteien zu verdanken. Damit wurde den Wählern klar gemacht, wen man zu wählen hat, wenn man mit anderen Parteien oder dem „System“ an sich unzufrieden ist. Und nein, die Flüchtlingskrise allein ist nicht für den Wahlerfolg verantwortlich.
Selbstgemachte Krise des Journalismus
Insgesamt, so Hardy Prothmann, befinde sich die Journalismusbranche in einer schweren, selbst verursachten Krise:
Journalisten haben zu berichten – und zwar umfassend und nicht einseitig. Man muss sich klar sein, dass dies immer subjektiv geschieht und das muss man den Medienkonsumenten transparent deutlich machen. Es ist nicht Aufgabe von Journalismus, Partei zu ergreifen und Kombattant zu werden. Noch interessanter ist, dass sich die Kollegen bundesweit wochenlang über den „theoretischen Schießbefehl“ echauffierten – aktuell wird in der Türkei an der Grenze auf Flüchtlinge geschossen oder vor kurzem in Slowenien einer Syrerin in den Rücken geschossen. Dem überwiegenden Teil der Medien ist das keine aufgeregte Schlagzeile wert – warum nicht?
Im Gegensatz zum bundesweiten Trend hat sich das Rheinneckarblog mit dem Phänomen AfD schon früh kritisch aus verschiedenen Perspektiven auseinandergesetzt. Während der überwiegende Teil der Medien bislang die AfD verteufelte, setzte nun ein „Umdenken“ ein:
Ob taz oder FAZ, Süddeutsche, Zeit oder Spiegel – langsam kapiert man, dass die Jagd auf die AfD diese nicht zum Opfer macht und nicht zur Strecke bringt, sondern stärkt. Und mit einem Mal wollen alle über die AfD und nicht mehr gegen die AfD schreiben. Damit ist das nächste journalistische Desaster vorprogrammiert. Wer nur in Skandalisierungen denkt und Journalismus als Zitatbaiting versteht, muss sich nicht wundern, wenn die Menschen sich auch gegen die Medien stellen.
Redemanuskript exklusiv für treue Leserinnen und Leser
Wie der Journalist Hardy Prothmann das begründet und was er als Impulsrede vortragen wird, können Newsletter-Abonnenten (hier kann man sich anmelden) und Förderkreis-Mitglieder (Anmeldeformular hier) exklusiv vorab lesen. Am 03. Juni wird diesen das Manuskript um 15 Uhr per email zugestellt. Selbstverständlich erhalten die treuen Leser ebenfalls exklusiv eine Zusammenfassung und sofern möglich, einen Videomitschnitt.
Klar ist: Über die AfD berichten wir wie über andere auch. Kritisch und vor allem differenziert. Höcke ist Höcke, Meuthen ist Meuthen. Die AfD im Südwesten ist nicht die AfD in Thüringen. Pauschalisierungen verzerren eine vernünftige Meinungsbildung. Oder stimmen alle innerhalb der CDU/CSU Herrn Seehofer zu, wenn der „bis zur letzten Patrone“ gegen Flüchtlinge kämpfen will? Oder sind alle linken Parteiwähler der Überzeugung, dass TTIP-Unterstützer Gabriel recht hat? Ober lieben alle Grünen den Tübinger Oberbürgermeister Palmer für seine Thesen?
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Lesetipp: Aufruf zur Gewalt gegen Journalisten
Die Antifa bedroht einen Journalisten – das ist den Medien vor Ort oder überregional keine Meldung wert. Kein demokratischer Politiker empört sich
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Es gibt keinen Großverlag oder Investor hinter dem Rheinneckarblog – nur eine junge, engagierte Redaktion, die keinen Mainstream-Journalismus macht. Bundesweit gilt das Rheinneckarblog als Vorbild – sollte der MM das Startup wegklagen können, hätte das ebenfalls bundesweit eine fatale Signalwirkung, weil jede journalistische Neugründung, die kritischen Journalismus betreibt, damit rechnen müsste, von der Konkurrenz in den Ruin geklagt zu werden.
Bislang haben wir in sechs Jahren rund 40.000 Euro für juristische Kosten durch 37 Abmahnungen ausgeben müssen: Ein Mal haben wir verloren, vier Mal mussten wir uns vergleichen, den Rest haben wir gewonnen oder die Gegner haben aufgegeben – die Kosten hatten wir trotzdem. Rund zwei Drittel der Angriffe bewerten wir als ausschließlich deshalb durchgeführt, um uns wirtschaftlichen Schaden zuzufügen.
Im Zusammenhang mit unserer kritischen Berichterstattung zu den Themen AfD, Antifa, Links- und Rechtsextremismus wurden wir von Teilen der SPD und Grünen boykottiert – beide Parteien haben im Gegensatz zur CDU, Die Linke und AfD beispielsweise im Landtagswahlkampf keine Anzeigen bei uns geschaltet. Einzelne Politiker und Funktionsträger hintertreiben geradezu bösartig unser journalistisches Angebot und diffamieren uns als rechtsradikal – weil wir uns kritisch mit ihnen auseinandersetzen. Und übrigens in den allermeisten Fällen mit unseren Analysen und Prognosen „recht“ hatten.
Handwerk, Haltung, Hoffnung
Wir beherrschen das Handwerk, wir haben eine klare Haltung und die Hoffnung, dass das Rheinneckarblog auch in Zukunft den Meinungsmarkt durch kritischen Journalismus, der sich mit keiner Seite gemein macht, bereichert. Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung. Besten Dank dafür vorab.