Rhein-Neckar/Südwesten/Berlin, 02. Juni 2016. (red) Aktualisiert. Seit dem Wochenende beherrscht die „Causa Nachbar“ die Nachrichten- und Meinungsseiten vieler Medien. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung (FAS) hatte einen langen Text über die AfD veröffentlicht. Ein kleines „Zitat“ darin von AfD-Vize Dr. Alexander Gauland entwickelt sich zum bundesweit medialen Aufreger, zu dem sich sogar die Kanzlerin („niederträchtig“) äußert, zumindest teilte das ihr Pressesprecher mit. Die einen kreischen, dies „enttarne den Rassisten Gauland“, die anderen kreischen dagegen, es sei eine inszensierte Schmutzkampagne. Was ist richtig? Nicht das Entweder-Oder, sondern vermutlich beide Sichtweisen und sogar das, was Herr Gauland gesagt haben soll. Die deutsche Fremdenfeindlichkeit die politische Korrektheit florieren nebeneinander her und „die Leute“ tragen ihren Teil dazu bei – ob als Bürger oder Medien in verteilten Rollen.
Von Hardy Prothmann
Dieser Artikel ist eine Grundlage für einen Vortrag von Hardy Prothmann mit anschließender Podiumsdiskussion beim diesjährigen Reporterforum beim Spiegel in Hamburg, wo Hardy Prothmann mit Dirk Lübke (Chefredakteur Mannheimer Morgen) und Heinrich Löbbers (Chefredaktion Sächsische Zeitung) zum Thema diskutiert (Gesprächsleitung: Ariel Hauptmeier): „Wie über die AfD berichten?“
Dieser Text hat drei Teile – im ersten geht es um die Beschreibung von Abläufen, im zweiten um inhaltliche Bewertungen, im dritten um die Einordnung. Rheinneckarblog-Leser/innen wissen, was auf sie zukommt: Ein umfassender Text, den man sich erarbeiten muss. Deswegen sind unsere Leser/innen auch schlauer als andere, weil sie mehr wissen wollen als bloße „Zitate“. Beachten Sie für den Hintergrund bitte wie immer die Links – hier können Sie Hinweise auf andere Quellen und frühere, hochinteressante Berichte von uns nachlesen. Und lesen Sie bitte bis zum Ende – wir versprechen Ihnen eine hochinteressante Lektüre mit einem sehr kuriosen Schluss. Nein, nein, nicht gleich den Schluss lesen, genießen Sie den Weg dahin.
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Teil 1 – Der Ablauf

Alexander Gauland – was hat er gesagt, was nicht? Was hat er gemeint – was nicht?
Es gibt genug Indizien, die darauf hinweisen, dass die FAS eine Kampagne gegen Herrn Gauland und die AfD konstruieren wollte und konstruiert hat. Dazu muss man sich den Ablauf etwas detaillierter anschauen.
Unbestritten ist, dass die FAS-Redakteure Dr. Eckart Lohse und Dr. Markus Wehner den AfD-Vize Dr. Alexander Gauland zu einem „Informationsgespräch“ in Potsdam getroffen haben. Dieses dauerte rund eineinhalb Stunden. Dort soll das Zitat gefallen sein, das für große Aufregung gesorgt hatte.
Unklar war am Sonntag und Montag bis zu einem Interview beim Deutschlandfunk mit Herrn Lohse, wie genau das Zitat zustande kam und wer den Namen des Fußballnationalspielers Jerome Boateng ins Spiel gebracht hatte. Herr Lohse sagte im Deutschlandfunk:
Tatsächlich ist es so: Wir haben ihn gefragt bei dem Thema „Fremd sein in Deutschland und Integration“, wie es denn mit Herrn Boateng zum Beispiel sei, und dann hat er die Antwort gegeben, die er gegeben hat und die wir veröffentlicht haben. So banal war der ganze Ablauf.
Tatsächlich ist das nicht ganz so banal, wie Herr Lohse es darstellen will. Die FAS hat eben nicht die Antwort veröffentlicht, die Herr Gauland gegeben hat, sondern einen Kontext dazu gestellt:
Es gebe unter den AfD-Anhängern die Sorge, „dass eine uns fremde Religion sehr viel prägender ist als unsere abendländische Tradition“. Die große Zahl der Fremden sei das eigentliche Problem. Und diese große Zahl komme nun einmal aus Regionen, in denen vor allem Muslime lebten. Gauland geht sehr weit in seiner Auslegung des Fremden. Sicher werde der in Berlin geborene Fußballspieler Jerome Boateng, der einen ghanaischen Vater und eine deutsche Mutter hat, als Spieler in der deutschen Nationalmannschaft geschätzt. „Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben“, sagt Gauland.
Zunächst sprechen in dieser Passage die Redakteure, die einordnend schreiben, dass „die Auslegung des Fremden“ bei Herrn Gauland „sehr weit geht“. Dann folgt ein Satz als „indirektes Zitat“ im Konjunktiv und es liest sich in diesem Artikel so, als habe Herr Gauland das „Beispiel“ Boateng gewählt und schließe diesen in die „weite Auslegung“ mit ein. Doch dem war nicht so, wie Herr Lohse später eingestanden hat. Vollkommen offen bleibt, warum die FAS-Redakteure an dieser Stelle nicht nachgehakt haben. Mit der ganz banalen Frage: „Wie meinen Sie das, Herr Gauland?“
Herr Gauland behauptete später, er kenne Herr Boateng nicht, was wieder für Aufregung sorgte, weil das viele Medien als „unglaubwürdig“ einordneten und auch die FAS-Redakteure behaupten, Herr Gauland habe gewusst, über wen gesprochen wurde. Das werde ich im inhaltlichen Teil thematisieren.
Die Kampagne
Erstaunlich ist der Ablauf der Veröffentlichung und der Reaktionen.

Jerome Boateng. Wikipedia, Foto: Harald Bischoff /, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=27212715
Am Sonntag früh um 06:19 Uhr wird ein Text auf der Seite faz.net online gestellt, die Überschrift: „Gauland beleidigt Boateng„. Zu diesem Zeitpunkt konnte ein Frühaufsteher im Internet also schon die Interpretation „Beleidigung“ und die „scharfe Reaktion“ von Reinhard Grindel, Chef des Deutschen Fußballbunds, lesen – noch bevor die FAS im Briefkasten lag, wenn man überhaupt Abonnent ist.
Ebenso äußert sich Oliver Bierhoff, Manager der Nationalmannschaft, im Artikel zurückweisend. Kurios: Auch in der Nachbarschaft im „gediegenen Münchner Stadtteil Grünwald, hatte die FAS bereits recherchiert und „Stimmen“ eingefangen. Wann wurden diese Stimmen eingefangen? Sicherlich nicht Samstagnacht.
Noch erstaunlicher ist, dass die Huffington Post bereits am Samstagabend um 21:15 Uhr mit Bezug auf den FAS-Artikel von Sonntagfrüh berichtet, also rund neun Stunden vor der „Originalquelle“.
Wie so etwas geht? Ganz einfach: Man schickt eine „Vorabmeldung“ mit Sperrfrist – an die hat sich die „Huffpo“ offenbar nicht gehalten. Das heißt, ein Kreis von Empfängern erhält lange vor anderen die Informationen, die Lesern dann als „exklusiv“ verkauft wird.
Wer alles auf dem Verteiler stand? Wir wissen es nicht, aber mit großer Wahrscheinlichkeit Nachrichtenagenturen, viele Medien, Politiker und andere, die sich dafür interessieren könnten. Herr Gauland war vermutlich nicht im Empfängerkreis.
Wir könnten jetzt sehr viele Details ausrollen, die wir recherchiert haben, ersparen Ihnen aber das „Klein-klein“ und konzentrieren uns aufs Große: An diesem Sonntag veröffentlicht der Deutsche Fußballbund um 15 Uhr über seine Facebook-Seite ein animiertes Video: „Wir sind Vielfalt. Wir sind die Mannschaft“ endet der rund 30 Sekunden lange Clip, in dem zu dramatischer Musik die Spieler der Nationalmannschaft zu sehen sind. Die Gesichter werden fließend übereinander gelegt. Der Clip hat aktuell über 1,1 Millionen Aufrufe.
Schlag auf Schlag
Die interessante Frage ist: Wann wurde diese Animation hergestellt? Mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht an diesem Sonntag. Eher auch nicht am Samstag, sondern in den Tagen zuvor. Der geschätzte Aufwand für eine solche Montage liegt, rechnet man Konzept, Auswahl oder Herstellung des Grundmaterials und Bearbeitung bei gut einem halben bis einem Arbeitstag. Eine Anfrage vom Rheinneckarblog an Herrn Grindel wurde nicht beantwortet.
Auch die FAS beantwortete detaillierte Fragen unserer Redaktion nicht, sondern ließ eine Sekretärin eine email schreiben mit Links auf die erschienenen Artikel. Die Arroganz der FAZ ist erstaunlich.
Zusammengefasst ergibt sich folgendes Bild: Das Gespräch findet statt, die FAS-Redakteure „binden“ den DFB mit ein, befragen Anwohner im Umfeld des Wohnorts von Herrn Boateng, holen „Reaktionen“ bei Politikern und Sportfunktionären ein, informieren vorab Nachrichtenagenturen und Medien und dann geht es Schlag auf Schlag.
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Agenturen und Medien berichten, im Internet erscheint der Text mit den „Reaktionen“ vor dem eigentlichen Text, auf den sich diese beziehen, das Video wird veröffentlicht, verschiedene Politiker, darunter ausgerechnet der „Fremdenfreund“ Horst Seehofer werden zur „rassistischen und beleidigenden“ Äußerung des Herrn Gauland über den Herrn Boateng interviewt (Lesetipp: Bis zur letzten Patrone – Wie Sprache diskriminiert.)
Alle geben ihre eindeutigen Statements ab. Herr Boateng ist „traurig“, bleibt aber „cool“ und Herr Gauland ist nach überwiegender medialer Darstellung ein Rassist. Und der Hauptteil dieses medialen Feuerwerks läuft am Sonntag an – also dann, wenn Redaktionen üblicherweise nicht besonders gut besetzt sind.
Sollte man glauben, dass dies keine Inszenierung war?
Erst spät kommen Fragen auf, wie es denn zu dem Zitat kam? Und wie der Ablauf der Inszenierung im Wesentlichen stattgefunden hat? Valide Recherchen dazu finden nicht statt.
Es wird über „Lügenpresse“ diskutiert und immer öfter wird klar, dass die „Unabhängigkeit“ der medialen Berichterstattung mehr als zweifelhaft ist. (Lesen Sie dazu: „Justizskandal oder eher skandalöser Journalismus).
Geht es noch um Journalismus oder nur noch um Kampagnen? Ist die FAZ noch seriös oder gehört dem Clickbaiting-Portal Huffington Post die Zukunft? Diese Fragen sind ernst gemeint und von fundamentaler Bedeutung – für die deutsche Gesellschaft.
Teil 2 – Der Inhalt
Grundsätzlich bemerkenswert ist, dass immer noch nicht klar ist, was genau gesprochen worden ist. Die Redakteure behaupten, sie hätten alles notiert, Herr Gauland kann sich nicht so recht erinnern, was ihm von den meisten Medien als „Ausflucht“ und „Zurückrudern“ ausgelegt wird. Es sind ja auch Journalisten am Werk und keine Richter, für die „in dubio pro reo“ gilt.
Was wusste Gauland? Was wissen Sie?
Fest steht, dass die Redakteure den Namen Boateng ins Gespräch mit Herrn Gauland brachten. Dieser behauptet zunächst, er wusste nicht, wer Jerome Boateng ist und dann, dass der Name doch gefallen sein könnte, er aber nicht Herrn Boateng beleidigen wollte.
Die Möglichkeit, dass Herr Gauland tatsächlich als nicht am Fußball interessierter Mensch (auch das ein Skandel?) tatsächlich nichts mit der Person anzufangen weiß, geht unseres Wissens kein Medium durch eigene Recherche nach.

Wen meinte der AfD-Vize Gauland mit „Boateng“? Den Fußballnationalspieler mit deutschem Pass? Oder den schwarzen Mann? Und wen mit „die Leute“?
Vielleicht kannte Herr Gauland den Namen Boateng, hatte aber kein Wissen zu dessen Person?
Dazu mein persönliches Statement, das Fußballfans vielleicht „entsetzt“, von dem ich aber insgesamt glaube, dass ich damit für den „überwiegenden Teil der Deutschen“ spreche:
Ich selbst wusste beispielsweise bis zur Befassung mit diesem Artikel nicht, dass Herr Boateng eine deutsche Mutter und einen Vater aus Ghana hat. Das hat mich nie interessiert. Ich wusste auch nicht, dass Herr Boateng in Deutschland geboren ist und alleine von der Mutter in Berlin aufgezogen wurde, nachdem der Vater die Familie verlassen hatte, als der Bub Boateng fünf Jahre alt war. Ich wusste auch nichts über seine Halbgeschwister und auch nichts darüber, dass er sich ausweislich von Tätowierungen zum Christentum bekennt. Ich habe auch überhaupt keine Ahnung, auf welcher Position und in welcher Funktion er bei der Nationalmannschaft spielt. Ganz ehrlich? Wenn mich jemand gefragt hätte: Wer ist Herr Boateng?, hätte ich geantwortet: Ein Fußballer. Sport ist für mich „Unterhaltung“.
Kampagnen beginnen immer mit einer Lüge

Das ist ein Screenshot aus dem FAS-Text mit dem Gauland-Zitat. Verstehen Sie den Satz mit den Klammern? Nein? Warum stehen diese Klammern da? Die FAS oder FAZ informieren nicht über die kryptische Kastration des Textes. Warum? Das lösen wir am Ende des Artikels auf. Nein, nicht gleich zum Ende gehen – genießen Sie den Text und lassen Sie sich überraschen.
Wusste Herr Gauland also den Hintergrund von Herrn Boateng? Und in welcher „Gehaltsklasse“ dieser Profisportler spielt? Wie populär oder nicht er bei Fußballfans ist? Dass er eine deutsche Mutter hat, einen deutschen Pass und bekennender Christ ist? Dass er einen Hauptschulabschluss hat? Vermutlich nicht. Die FAS-Redakteur stellen aber einen anderen Kontext her. Nicht nur das, man spitzt diesen zu. Im Vorspann des Artikels steht:
Die AfD beruft sich auf das Christentum. Doch ihre Wähler sind oft konfessionslos. Für Partei-Vizechef Gauland sorgen sie sich über die vielen Muslime aus fremden Ländern. Der AfD-Politiker wählt dafür einen deutschen Fußballspieler als Beispiel.
Der AfD-Politiker wählt also dafür einen deutschen Fußballer als Beispiel? Das ist, mit Verlaub, wie sich herausgestellt hat: Eine glatte Lüge. Herr Gauland hat niemanden ausgewählt, das waren die FAS-Redakteure.
„Gauland geht sehr weit in seiner Auslegung des Fremden“, schreiben sie gar und suggerieren eine bewusste Entscheidung durch Herrn Gauland. FAS-Redakteur Lohse sagt gegenüber dem Deutschlandfunk:
Tatsächlich ist es so: Wir haben ihn gefragt bei dem Thema „Fremd sein in Deutschland und Integration“, wie es denn mit Herrn Boateng zum Beispiel sei, und dann hat er die Antwort gegeben, die er gegeben hat und die wir veröffentlicht haben. So banal war der ganze Ablauf.

Die FAZ wählt den Spitzensportler und Millionär Jerome Boateng, Sohn einer Deutschen und es Ghanaers als Beispiel für „Fremd sein in Deutschland“? Ist das wirklich ernst gemeint oder schon Satire, fragt sich Hardy Prothmann, Chefredakteur Rheinneckarblog. Foto: sap
Das ist wiederum erstaunlich. Die FAS-Redakteure wählen also einen deutschen Spitzensportler und mutmaßlichen Millionär als Beispiel zum Thema „Fremd sein in Deutschland und Integration“?
Und das fällt in keiner Redaktion in diesem Deutschland als „fragwürdig“ auf? Kann das wirklich sein?
Begreift niemand beim durch Gebührengelder finanzierten Rundfunk diese Absurdität? Sind Qualitätsmedien nur noch Kampagnenorgane ohne eigene Kompetenz? Kann es sein, dass man in diesen „klugen Köpfen“ Herrn Boateng nach wie vor als „zu integrierenden Ausländer“ sieht und nicht als deutschen Spitzensportler? Was läuft schief in den Köpfen? Möglicherweise ein tiefsitzendes Klischeedenken?
Es entsteht der Eindruck, dass die FAS-Redakteure Herrn Gauland vorführen wollten, der vermutlich nichts über Herrn Boateng wusste, außer, dass dieser eine dunkle Hautfarbe hat und als Profisportler bekannt ist:
Die Leute finden ihn als Fußballspieler gut. Aber sie wollen einen Boateng nicht als Nachbarn haben,
soll Herr Gauland gesagt haben. Die Reaktionen auf diese zwei-Satz-Äußerung waren vernichtend. „Aufs Übelste beleidigt„, habe Herr Gauland explizit die Person Jerome Boateng, so der mediale Tenor. Das zeige den „Rassismus“ des Herrn Gauland.
Wer wurde beleidigt?
Die Frage ist: Stimmt das? Ist das so?
Zunächst stellt Herr Gauland fest, dass „die Leute“ Herrn Boateng „gut“ finden. Wo ist die Beleidigung? Herr Gauland stellt die positive Prominenz fest.
Geht es im zweiten Satz um eine, wie oft behauptet, gezielte Beleidigung des Herrn Boateng durch Herrn Gauland?
Was, wenn Herr Gauland gesagt hätte: „Ich will einen Boateng nicht als Nachbarn haben“, wäre das dann eine „Beleidigung“ oder nur eine grobe Unhöflichkeit gegenüber einer einzelnen, konkreten Person? Geht es um den Fußball-Profi Boateng oder um den vermeintlich „Schwarzen“? Niemand kümmert sich darum im Detail. Warum auch – es geht um eine Kampagne. Und alle machen mit, wenn es um politische Korrektheit geht.
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Die mediale Inszenierung geht weiter: Viele wollten Herrn Boateng als Nachbarn haben, schreiben die einen, die anderen, die meisten Menschen in Deutschland könnten es sich gar nicht leisten, Nachbar des Millionärs Boateng zu sein. In den sozialen Netzwerken toben die Meinungen gegeneinander.
Die FAS hatte schon vorgelegt, dass sogar „Tankstellenangestellte“ gerne in der Nachbarschaft von Herrn Boateng leben – quasi die „Arbeiterklasse“. Und die Zeitung verweist auch auf Studenten, die für eine WG in Nähe des Sportstars leben – quasi als Stellvertreter für eine „intellektuelle Elite“ im Kontrast zum Tankstellenvolk. Und alle wollen Boateng – im vermeintlichen Gegensatz zu Herrn Gauland.
Herr Boateng lasse sogar seine Autos bei der Tankstelle reparieren – was man durchaus bezweifeln darf. Keine Ahnung, welches Auto Herr Boateng fährt, aber vermutlich ist es kein älteres Allerweltsauto, das man beim KFZ-Mechaniker um die Ecke reparieren lässt.
Teil 3 – Die Einordnung
Fällt die mediale deutsche Elite auf diese Inszenierung wirklich rein? Ja. Ganz überwiegend. Und das ist das viel größere Drama.
Tatsächlich ist die Aussage des Herrn Gauland für „viele Leute“ in Deutschland zutreffend. Dann, wenn man „die Leute“ nicht mit „alle Deutschen“ und „Boateng“ nicht als Person sieht, sondern als „pars pro toto“ für dunkelhäutige Menschen.
Für alle politisch korrekt denkenden Menschen ist das ein „faux-pas“ – etwas, das nicht sein darf, selbst, wenn es so sein könnte und bei einem nicht geringen Teil der Bevölkerung eindeutig so ist.
Saturierte Umfragen-Bewerter
In den Feuilletons großer Medien sitzen sehr gut bezahlte, oft saturierte Menschen, die in ihren Theoriewolken leben und meist keine Ahnung haben, was „die Leute“ denken. Wenn man sich dort dafür interessiert, liest man „Umfragen“.
Würden diese abgehobenen Journalisten mal die behaglichen Redaktionsstuben verlassen und vor Ort gehen, wüssten Sie, dass es viele Leute gibt, die „einen Boateng=dunkelhäutiger Mensch“ ganz klar nicht in der Nachbarschaft haben wollen. So bitter man das empfinden mag – das ist so.
Ein Mensch mit dunkler Hautfarbe und exotischem Namen hat überall in Deutschland größte Schwierigkeiten, eine Wohnung in einem „soliden“ Wohngebiet anzumieten – wer was anderes glaubt, ist ein Utopist.
Vor Ort wollen „viele Leute“ keine „Afrikaner“
Wir erleben das im Lokaljournalismus ständig und massiv, seit die Flüchtlingszahlen angestiegen sind. Es gab genau keine Bürgerinformationsveranstaltung zur Flüchtlingsunterbringung, in der nicht unwesentliche Teile der Anwesenden „einen Boateng“ als Synonym für „Menschen aus Afrika“ oder noch genauer „junge Männer aus Afrika“ eben nicht „als Nachbar“ wollten und wollen. Es geht dabei nicht um den Fußball-Leistungsträger Jerome Boateng, sondern ganz „banal“ um den schwarzen Mann aus Afrika. (Was Herr Boateng übrigens nie war!)
Die Aussage von Herrn Gauland, skandalisiert bis zum Exzess, ist zutreffend für einen nicht geringen Teil der „deutschen Befindlichkeiten“. Ist das der Skandal? Das auszusprechen, was Herr Gauland als gegeben sieht? Ignoriert man wirklich die Legion der vielen Artikel über all die Ablehnung und den Hass im Internet? Blendet man das tatsächlich aus? Nur um einen vermeintlichen Skandal zu inszenieren? Wie weit gehen hier Wunsch und Realität auseinander?
Was man Herrn Gauland, aber auch anderen, vorwerfen darf
Zutreffend ist auch, dass man vermissen darf und muss, was Herr Gauland eben nicht gesagt hat. Er war frei zu sagen: „Dass die Leute dunkelhäutige Menschen nicht als Nachbarn wollen – oder andere „Fremde“ – ist ein großes Problem, um das wir als AfD uns kümmern werden, damit man Vorbehalte abbaut und ein gutes Miteinander ermöglicht.“ Hat er aber nicht gesagt.
Um echte Inhalte geht es aber bei der Berichterstattung um die AfD eigentlich von Anfang an nicht. Die Geschichte der AfD ist eine Geschichte der Skandalisierung.
Und es gibt angeblich kompetente „Medienredaktionen“, die die Story noch eins weiterdrehen – nicht die FAS hat die Kampagne „inszeniert“, nein, es war, überraschende Wendung, Herr Gauland selbst:
Gauland benutzt die Medien und er kennt sie. Er war über ein Jahrzehnt Herausgeber der Märkischen Zeitung, damals eine Tochter der FAZ. Frank Überall, der Vorsitzende des Deutschen Journalistenverbandes, empfindet Gaulands Empörung deshalb als scheinheilig. Dahinter stecke politisches Kalkül: „Hier ist ein Profi am Werk“, so Überall, „der Journalisten zu Hilfswilligen seiner extremen Ansichten degradieren will.“
FAS-Redakteure als „Hilfswillige extremer Ansichten“? Meint der Wissenschaftler und DJV-Vorsitzende das wirklich? Das berichtet allen Ernstes das gebührenfinanzierte Magazin Zapp vom Norddeutschen Rundfunk (NDR).
Im sonst von uns sehr geschätzten Deutschlandfunk wird das Narrativ erzählt, die Medien müssten nicht über „jedes Stöckchen“ springen, dass die AfD hinhält. Zur Erinnerung: Wer hat nochmal Boateng ins Gespräch gebracht?
Die intellektuell teils komplette Unfähigkeit von Journalisten zur Textexegese und ordentlichen, unabhängingen und vorbehaltslosen Recherche ist erschütternd und der eigentliche Skandal, der aber von diesen Journalisten erstens selbst nicht erkannt wird und schon gar nicht thematisiert, wenn man ihn in einer nüchternen Stunde erkennen sollte.

AfD-Bundesvorsitzende Frauke Petry am Tag, als sie vom MM zum Schießbefehl befragt wurde. Der „Skandal“ hat der AfD möglicherweise geschadet, möglicherweise nicht. Wenige Wochen später hat die neue Partei 15,1 Prozent bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg erreicht. Im Interview mit dem RNB sagte Frau Petry: „Wir können uns nur schwer einer zugewiesenen Radikalisierung erwehren.„
Das war auch bei der „Schießbefehl“-Debatte so. Der Ablauf ähnlich. Redakteure des Mannheimer Morgens führten ebenfalls ein langes Gespräch und stellten gezielt eine Frage, deren Antwort provozieren sollte und landeten einen Treffer. Als die Bundesvorsitzende Dr. Frauke Petry bestätigte, dass im Notfall an der Grenze auch die Waffe eingesetzt werden müsse, war der Aufschrei enorm.
Auch damals wurde ein Gespräch zwischen Journalisten und einer Politikerin der AfD geführt. Auch damals wurde eine Vorabmeldung an die Agenturen gegeben. Auch damals versuchte man einen „Spin“ zu erzeugen. (Lesen Sie dazu: Im Rausch der Schlagzeile) Auch damals war es Wochenende.
Theoretische Debatten über Schießbefehle vs. konkrete Tote
Der Unterschied: Der Mannheimer Morgen hatte sich die Zitate „freigeben“ lassen. Der weitere Unterschied: Die Debatte war zu diesem Zeitpunkt „theoretisch“.
Heute wissen wir, dass der „Schießbefehl“ nicht theoretisch ist, sondern in Slowenien Grenzer auf Flüchtlinge geschossen haben und eine Frau dabei verletzt worden ist. In Griechenland wurde zwar nicht scharf geschossen, dafür aber mit Gaspatronen und Gummigeschossen. Und zwar auf echte Menschen. Im mediengehypten Lager Idomeni.
Der Schießbefehl wurde also immer konkreter, bleibt aber theoretisch, weil kaum noch Flüchtlinge an den deutschen Grenzen ankommen. Dafür ertrinken aktuell Hunderte im Mittelmeer. Also viel mehr, als man vermutlich erschießen kann. Die große Empörungswelle bleibt bislang aus.
Gemeinsam ist an diesen Beispielen der extremen, kampagnenartigen Zuspitzung von MM und FAS und anderen Medien, dass es nicht um Analyse geht, sondern um eine Inszenierung. Darum, einen Hype zu erzeugen, „wahrgenommen“ zu werden.
Bislang kennen wir keinen Artikel einer „Medienredaktion“, die die grundlegenden Fragen des „Wer? Wann? Was? Wo? Warum?“ professionell betrachtet hätte.
Die meisten Medien verlieren – die AfD gewinnt
Bedenklich ist die Grundhaltung dieser Medien – sie halten die „Audience“, also „die Leute“, für Idioten, denen man eine Inszenierung bieten kann, der diese Deppen dann schon folgen werden. Das funktionierte früher, aber seit langer Zeit immer weniger. Denn sogar „Deppen“ haben Zugang zum Internet und können anders als früher sehr schnell sehr viele Informationen zusammensuchen.
Tatsache ist, dass diese Medien seit Jahren kontinuierlich Auflage und Reichweite im Stammgeschäft verlieren. Tatsache ist auch, dass die AfD bei den vergangenen drei Landtagswahlen in diesem Jahr äußerst erfolgreich war. (Lesen Sie einen Text aus dem Jahr 2014: Wer hat Angst vor der AfD?) Tatsache ist, dass das über Jahrzehnte eingeübte Spiel zwischen Medien und Politik nicht mehr „wie gewohnt und weitgehend reibungslos“ funktioniert – und das erzeugt Panik. Bei der „etablierten“ Politik und auch bei der „Systempresse“.
Die Frage, ob diese Skandalisierungen die AfD gestärkt und ihr genutzt haben oder ob es ohne diese Aufmerksamkeit entweder weniger Erfolg oder möglicherweise sogar noch einen größeren Erfolg für die erst drei Jahre alte Partei gegeben hätte, ist offen. Alles geht mittlerweile zu schnell. Die Wissenschaft kommt nicht mehr hinterher.
Unsere Position dazu ist, dass wir uns an das halten, was wir beobachten und recherchieren können. Wissenschaftliche Untersuchungen aus den vergangenen Jahren zeigen eine strukturelle Fremdenfeindlichkeit bei 20-30 Prozent der Deutschen – quer durch alle Schichten. Darüber berichten wir. Wir berichten über die Forschung, wir berichten über das, was wir erleben. Möglicherweise ist die Forschung aber vollständig abgehängt und diese Prozentzahlen sind bereits viel höher.
Reale Verhältnisse und verschobene Wahrnehmungen
In Mannheim hat die SPD das letzte, verbliebene Direktmandat in Baden-Württemberg nicht an die Grünen verloren, schon gar nicht an die CDU, sondern an die AfD. Trotz oder wegen einer massiven Kampagne der örtlichen Lokalzeitung gegen die AfD.

Non travincere – nicht „übergewinnen“, zitierte der frisch gewählte AfD-Landtagsabgeordnete Rüdiger Klos ein italienisches Sprichwort im Gespräch mit uns. Deutsch heißt das: Den Ball flach halten. Dafür, dass Herr Klos einen „Migrationshintergrund“ hat, interessiert sich niemand. Denn der Vater ist „nur Italiener“. Die Tatsache, dass die Italiener in Mannheim sehr enge „Parallelgesellschaften“ pflegen, interessiert auch niemanden, denn Pizza ist allgemein akzeptiert. Rüdiger Klos sagt von sich: „Ich habe das Mandat auf der Straße gewonnen.„
Übrigens an einen Kandidaten, der gewisse Ähnlichkeiten zu Herrn Boateng aufweist. Der Wahlkreis-Gewinner Rüdiger Klos hat eine deutsche Mutter und einen nicht-deutschen Vater. Es gibt aber auch viele „Gegensätze“. Herr Klos hat keine dunkle Hautfarbe, der Vater ist Italiener. Herr Klos hat keinen Hauptschulabschluss, sondern Abitur. Er spricht fließend italienisch und hat BWL studiert (ohne Abschluss).
Im Wahlkreis Mannheim-Nord gab es bis zur Landtagswahl das größte Flüchtlingslager Baden-Württembergs mit zeitweise rund 10.000 Menschen in der früheren US-Kaserne „Benjamin Franklin Village“.
Die AfD gewinnt – auch mit Migrationshintergrund
Rüdiger Klos gibt der örtlichen Lokalzeitung keine Interviews mehr, bis diese sich entschuldigt, die AfD als „braune Soße“ bezeichnet zu haben. Das hat Herrn Klos als Kind einer deutschen Mutter und eines italienischen Vaters und mit eigenen „Integrationserfahrungen“ als Kind zweier Kulturen persönlich zutiefst empört. Absurd: Die Farbe „braun“ verbindet die Teil-Migrantenkinder Klos und Boateng. Der eine wird als „Nazi“ diffamiert, der andere als „Neger“.
Was die abgehobenen Redakteure nicht verstehen, weil sie vollständig entkoppelt von Lebenswirklichkeiten sind: Herr Klos ist nicht national oder international prominent. Die Lokalzeitung bezeichnet ihn wie auch lokale Politiker von SPD und Grünen als „Phantom“ – den Wahlkreis Mannheim-Nord hat er trotz oder wegen der Kampagne gegen die AfD gewonnen. SPD und Grüne wollen die AfD bekämpfen – wie bitte bekämpft man ein „Phantom“?
Herr Klos ist unseres Wissens nach kein Millionär. Niemand fragt ihn nach Stellungnahmen, aber er ist Abgeordneter und hat im Landtag von Baden-Württemberg eine Stimme. Das unterscheidet ihn eklatant von Herrn Boateng. Ebenso, dass niemand Herrn Klos als „Gesicht“ für Integration in Deutschland auswählen würde. Warum eigentlich nicht? Nur, weil er nicht dunkelhäutig ist?
Aktualisiert, 05:45 Uhr. Übrigens: Ganz aktuell. Die FAZ oder auch FAS hat im Zusammenhang mit einem falschen Zitat im Text zu Herrn Gauland aktuell eine Unterlassungserklärung abgeben müssen – ausgerechnet gegenüber dem Ganz-weit-Rechtsaußen Björn Höcke – man darf gespannt sein, ob „die Medien“ mit gleicher Verve und Intensität darüber berichten werden. Ganz ehrlich? Da glauben wir nicht so wirklich dran. Sie können das bei „Übermedien“ nachlesen. Dort wird auch erklärt, wie es zu der ulkigen Klammersetzung im Text über Gauland gekommen ist. Und nach unserer Einschätzung ist das kein GaU, sondern eigentlich ein GajU – ein „größtanzunehmender journalistischer Unfall“. Wie bei einem echten GaU eigentlich vollkommen „ausgeschlossen“, wegen Sicherheitskontrollen und so. Ein Bisschen Spaß muss sein. Wir spendieren Medienredaktionen gerne die Überschrift: Die FAS im GaU-Land. 😉
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