Mannheim, 29. April 2016. (red/pro) Ein Leser beschwert sich. Das kommt schon mal vor. Aber er beschwert sich nicht nur, er stellt auch Forderungen. Auch das kommt vor. Leserzuschriften beantworten wir eigentlich nicht-öffentlich – für die Öffentlichkeit sind ja die Kommentare da. In diesem Fall machen wir eine Ausnahme. Insbesondere, weil wir den Eindruck haben, dass der Leser nicht einfach nur ein Leser ist.
Leserzuschrift, 29. April 2016, 19:00 Uhr
Sehr geehrter Herr Prothmann,
ich verfolge nun schon geraumer Zeit Ihren Blog. Das ist das erste, was mich stört. Wieso muss das Blog heißen? Hätten Sie dafür nicht einen anderen Namen finden können? Aber damit will ich mich nicht aufhalten.
Was mich ebenfalls stört, ist Ihre Arroganz. Woher nehmen Sie die? Ihr Blog liefert viel weniger Nachrichten als die Zeitungen hier. Oder anders heraum: Die Zeitung leistet einfach viel mehr Nachrichten als Sie das tun. Würde ich nur Ihren Blog lesen, wäre ich nicht umfassend informiert. Ergo sind Sie keine Konkurrenz zum Mannheimer Morgen, den ich schon seit 25 Jahren abonniert habe. Ich bin stolz, ein Zeitungsleser zu sein.
Beispielsweise gerade heute berichtet der MM wieder mal exklusiv zum Ergebnis der Koalitionsverhandlungen. Wo ist dazu Ihr Bericht? Oder der tragische Fall dieser armen Frau, die gefangen gehalten worden ist – keine Zeile bei Ihnen. Oder zur AfD in Mecklenburg-Vorpommern – nada. Ich erfahre bei Ihnen nichts über Gottesdienste und viel zu wenig aus dem Vereinsleben.
Ich will nicht nur meckern – Ihr Blog bringt auch viele hintergründige Berichte, aber eben nicht so viele wie die Zeitung. Deshalb würde es Ihnen besser anstehen, mal etwas bescheidener zu sein.
Hochachtungsvoll
A.
Die Antwort an den Leser
Sehr geehrter Herr A.,

Hardy Prothmann. Foto: sap
besten Dank für Ihre Zuschrift. Das mit dem Blog kann ich Ihnen erklären. „Zeitung“ sind wir nicht, also fällt dieser Name aus. Wir arbeiten mit einer Blog-Software, es gibt Hunderttausende von Blogs – tatsächlich viel mehr als Zeitungen und da das eine zutreffende Gattungsbezeichnung ist, heißt das Angebot also richtigerweise Rheinneckarblog.
Sie verwechseln Arroganz mit Selbstbewusstsein und Haltung. Bevor ich das erläutere: Sie schreiben „Ihr Blog“. Es ist meins, richtig, weil ich der Inhaber bin. Der allergrößte Teil der Inhalte kommt aber nicht von mir, sondern von meiner Redaktion. Zu den Inhalten und dem Vergleich mit der Zeitung: Das Rheinneckarblog gibt es etwas länger als fünf Jahre. Wir sind mitten in der Medienkrise gestartet und hatten nicht das Glück, über Jahrzehnte als Monopolist Geld scheffeln zu können. Damit ist aller Anfang schwer und wir sind sehr stolz auf das, was wir aufgebaut haben.
Was Ihr Gefühl angeht, „umfassend“ unterrichtet zu sein, darf ich das in Zweifel ziehen. Sie erfahren das, was in der Zeitung steht. Mehr nicht. Dasselbe gilt bei uns: Lesen Sie nur das Rheinneckarblog, erfahren Sie auch nicht mehr als das, was wir veröffentlichen. Wir haben niemals den Anspruch formuliert, „umfassend“ zu berichten im Sinne von „alles erzählen, was interessant sein könnte“. Das schafft kein Medium dieser Welt, noch nicht mal Konzerne wie die ARD mit mehreren Tausend Journalisten.
Wir glauben zudem, dass viele der Inhalte, die klassische Medien liefern, vollständig überholt sind. Beispielsweise die Terminseite mit Gottesdiensten. Ebenso viele Nachrichten aus dem Vereinswesen – auch das ist immer nur eine Auswahl, nie „alles“. Die meisten Vereine unterhalten eine Homepage und wenn man sich nur für die Vereinsnachrichten interessiert, kann man diese dort nachlesen. Und wenn Sie das tun, stellen Sie fest, dass viele der Inhalte in der Zeitung als „zugeschickte“ Meldung (Kürzel zg) in der Zeitung erscheinen. Sie lesen dort also nicht das Original, sondern eine Kopie
Zu Ihren Beispielen: Das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen ist ebenfalls kein Bericht der Zeitung, sondern der Nachrichenagentur dpa (Deutsche Presse-Agentur). Dies ist ein externer Dienstleister, der an viele Zeitungen liefert. Sie finden diese Nachricht beispielsweise auch hier und hier, wie wir auf die Schnelle gegoogelt haben. Was die Frau angeht: Welche Relevanz hat dieser tragische Fall für unser Berichtsgebiet? Hier bringen Medien Meldungen, die nur dem Voyeurismus dienen. Welchen Nutzen ziehen Sie aus dieser Information für hier vor Ort? Genau keine? Dasselbe gilt wohl für den Bericht zur AfD in Mecklenburg-Vorpommern.
Wir sind jeden Tag bescheiden und üben den „Mut zur Lücke“ – wie alle Medien. Bei uns arbeiten in der Kernredaktion fünf ständige Kräfte und sechs freie Mitarbeiter – nicht ein paar Dutzend Redakteure und noch mehr freie Mitarbeiter. Wären wir zehn Mal mehr Leute, würden wir vermutlich sogar die meisten Zeitungen rein mengenmäßig überholen. Aber das ist gar nicht unser Ziel. Wir setzen Akzente und bauen Stück für Stück unsere eigenen Themen und Nachrichten aus. Insbesondere unsere Reportagen und Analysen sind das, was uns besonders und anders macht als „Mainstream-Medien“.
Was uns auch von vielen Medien unterscheidet, ist, dass wir respektvoll mit Menschen umgehen – siehe den aktuellen Fall einer Liebesaffäre zwischen einem Minister und einer jüngeren Frau. Wir haben dazu nur kommentiert, wie beschämend andere Medien sich verhalten. Wir wussten auch davon, haben aber entschieden, dass die Story nicht öffentlich relevant ist, sondern Privatsache. Umgekehrt nehmen wir uns häufig Personen zur Brust – aber begründet und immer am öffentlichen Interesse ausgerichtet. Das nennen wir Haltung. Und richtig: Die sprechen wir vielen ab, was wir auch belegen können.
Vielen Dank für Ihr Lob. Nach Durchsicht gehören Sie weder zum Förderkreis, noch haben Sie jemals eine Spende an uns gezahlt. Gleichzeitig verlangen Sie aber mehr Leistung. Gehen Sie morgens auch in die Bäckerei und fordern ohne Bezahlung den Einkaufskorb voll zu machen? Wohl kaum. Als Zeitungsabonnent geben Sie seit 25 Jahren viel Geld aus. Wenn Sie sich dort „vollumfänglich“ informiert fühlen, dann lesen Sie doch weiter Zeitung.
Da Sie nichts dazu beitragen, damit ich meine Leute ordentlich bezahlen kann und weitere einstelle, um unser Angebot zu erweitern, sehen Sie es mir nach, dass ich Ihre Kritik zur Kenntnis nehme, mich aber mehr um die Leser kümmere, die uns gewogen sind und ihren Anteil dazu beitragen, dass wir unsere unabhängige Berichterstattung leisten können.
Ich wünsche ein schönes Wochenende
Mit freundlichen Grüßen
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