Rhein-Neckar, 03. Mai 2016. (red) Schauen Sie sich um – in vielen Medien wird heute zum Tag der Pressefreiheit berichtet. Worüber? Über Pressefreiheit eben, in Deutschland und anderswo auf der Welt. Deutsche Medien zeigen dabei gerne auf andere Länder und halten sich selbst für vorbildlich. Tatsache ist, dass das Niveau noch hoch ist, aber stetig sinkt und es vielerlei innere und äußere Umstände gibt, die eine ordentliche Meinungsbildung bedrohen. Das gilt auch für unser Angebot – wir sind von Anbeginn notleidend, kämpfen Monat für Monat und sind auch in dieser Hinsicht wieder vorbildlich, was die Transparenz angeht. Die Medienwelt hat größere Probleme, als Medien darüber berichten. Wirtschaftlich, politisch und inhaltlich.
Kommentar: Hardy Prothmann
Morgen erscheint in der Zeit ein Interview mit Jan Böhmermann, der ein Satiremagazin als Nischensendung auf ZDF Neo moderiert. Wer Herrn Böhmermann bislang nicht kannte, kennt ihn spätestens seit der “Ziegenficker-Affäre”.
Es geht auch im Fall Böhmermann um Meinungsfreiheit – und deren Grenzen. Gegen den Moderator ermittelt die Staatsanwaltschaft Mainz und er muss sich vermutlich einer Zivilklage des türkischen Staatspräsidenten Erdogan stellen, weil dieser sich durch ein “Schmähgedicht” verunglimpft fühlt.
Meinungsfreiheit ist weltweit bedroht…
Viele deutsche Medien haben empört reagiert. Und auch Herr Böhmermann versteht die Welt nicht mehr, wieso er eine inszenierte Beleidigung möglicherweise nicht vorbringen durfte.
Was die Medien und Herr Böhmermann nicht verstanden haben – ja, die Meinungsfreiheit ist grundgesetzlich in Artikel 5 garantiert, aber nur, solange andere Rechtsgüter nicht verletzt werden. Und Persönlichkeitsrechte leiten sich aus Artikel 1 “Die Würde des Menschen ist unantastbar” ab. Die deutsche Gerichtsbarkeit wird sich damit befassen und Herrn Böhmermann zu einer Strafe verurteilen oder frei sprechen.
Weltweit ist es um die Meinungs- Presse- und Kunstfreiheit nicht gut bestellt – inbesondere auch nicht in der Türkei. Reporter ohne Grenzen hat eine Weltkarte veröffentlicht, in der gute bis sehr bedrohliche Verhältnisse farblich kennzeichnet sind. Gute Bedingungen für Journalisten sind selten, die sehr bedrohlichen dominieren.
…auch in Deutschland wird es schlechter
Was die wenigsten Medien thematisieren: In Deutschland ist es mit der Pressefreiheit zwar ganz gut bestellt, aber aktuell ist man in der Rangfolge der Staaten von Platz 12 auf 16 abgerutscht. Insbesondere wegen Pegida und Drohungen, über Behinderungen bis zu tätlichen Angriffen auf Pressevertreter. Leider wird hier ein falsches Bild gezeichnet – denn linke Bedrohungen werden nicht ausreichend thematisiert.
Damit sind wir beim Thema “Lügenpresse”. Dieses unsägliche Wort wird immer häufiger als Pauschalurteil gegenüber den Medien verwendet. Wie andere Pauschalurteile auch ist es erstens falsch und zweitens dumm. Es gibt keine zentrale Steuerung der Medien zur Lüge. Aber es gibt sehr wohl Einflussnahmen, manchmal stärker, manchmal weniger. Diese (versuchten) Einflussnahmen gibt es “inhouse” und sie kommen von außen.
Tendenzielle Einflussnahme
Grundsätzlich sind alle Medien “Tendenzbetriebe” – egal, um welche “Tendenz” es sich handelt. Schon früher kritisierten konservative Politiker den “Rotfunk” – gemeint waren damit die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und die ARD (Arbeitsgemeinschaft der Rundfunkanstalten Deutschland).
Sagt Ihnen das Wort “Adenauer-Fernsehen” etwas? So nannte man in der Entstehungszeit das ZDF (Zweites deutsches Fernsehen), weil der damalige CDU-Kanzler Konrad Adenauer dessen Gründung veranlasst hatte, um dem “Rotfunk” einen “Schwarzfunk” entgegen zu setzen. Bis heute ist das ZDF deutlich konservativer als die ARD, ausgenommen der Bayerische und Mitteldeutsche Rundfunk, wo eher CSU und CDU versuchen Einfluss auszuüben.
Die taz ist links, FAZ und Zeit eher konservativ, als liberal gilt die Süddeutsche. Sie merken – alles Tendenzbetriebe.
Parteibücher regieren insbesondere in die öffentlich-rechtlichen Anstalten hinein, aber ebenso in Zeitungen, wo auch nur das erscheint, was die Herausgeber und Chefredaktionen im Blatt haben wollen und zwar so, wie sie das wollen. Entscheidend ist das “Wie”.
Auch unser Angebot ist ein Tendenzbetrieb. Als verantwortlicher Redakteur gebe ich vor, was wie zu erscheinen hat. Meine Regeln sind diese: Die Fakten müssen recherchiert sein und stimmen – die subjektive Sicht der Autoren wird zwar immer mal wieder “überprüft”, aber nur journalistisch.
Das bedeutet, kann der Autor seine Sicht der Dinge “verteidigen”, erscheint der Text auch so. Selbst, wenn ich anderer Meinung bin. Ich habe Respekt vor der Leistung der Mitarbeiter und deren subjektiver Sicht.
Entscheidend ist die handwerkliche Qualität – wen journalistisch sauber gearbeitet worden ist, verantworte ich die Veröffentlichung.
Bedrohte “Pressefreiheit” in Deutschland
In Deutschland ist die Pressefreiheit von innen und von außen bedroht.
Als “Die Anstalt” den Zeit-Herausgeber Josef Joffe als mit allen möglichen “Think-Tanks” verknüpften Journalisten präsentierten und dessen “Verbindungen” unter die Lupe nahmen, klagten er und einer weiterer Journalist gegen das ZDF und gewannen schließlich vor dem Oberlandesgericht Hamburg. (Ob das ZDF in die nächste Instanz geht konnten wir heute nicht in Erfahrung bringen, berichten aber nach, sofern dies der Fall sein sollte.)
Der frühere Bild-Chef Kai Diekmann hatte wegen einer angeblichen (satirischen) “Penisverlängerung” die taz verklagt und gewonnen. Das Satiremagazin “Titanic” wird regelmäßig verklagt und verliert auch regelmäßig viele Prozesse.
Abmahnwahn
Wir wurden seit Gründung des Heddesheimblog Ende April 2009, das Anfang 2011 im Rheinneckarblog aufgegangen ist, insgesamt 37 Mal abgemahnt. Vor Gericht haben wir ein Mal verloren, vier Mal mussten wir uns vergleichen. Den Rest haben wir gewonnen oder die Gegner haben zurückgezogen.
Klingt nach einer erfolgreichen Bilanz? Auch das muss man differenziert betrachten – einerseits ja, andererseits haben wir gut 40.000 Euro an juristischen Kosten zu begleichen gehabt. Das ist mehr Geld als wir in den ersten drei Jahren überhaupt eingenommen haben.
Verklagt wurden wir von Journalisten, Medien, Gemeinderäten, Politikern und Unternehmen.
Die bislang existenzbedrohlichste Klage ist noch nicht entschieden – die geht von der Lokalzeitung Mannheimer Morgen aus. Die Zeitung hat genau zwei Sätze mit 17 Wörtern angegriffen – der gesamte Artikel hat über 1.700 Worte und wurde nicht angegriffen. Damit Sie das in der Konsequenz verstehen: Wir können die beste Arbeit machen – ist aber irgendwo nur eine kleine Unschärfe vorhanden, sind wir angreifbar und können mit Prozessen überzogen werden, die Tausende von Euro kosten.
Denn das Unternehmen sieht sich durch die inkriminierten zwei Sätze zutiefst in seiner “Glaubwürdigkeit” beschädigt – unser kleines Angebot ist also aus Sicht der großen Traditionszeitung bereits so einflussreich, dass man dort “Angst” um wirtschaftliche Nachteile hat. Wie erbärmlich.
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Lesetipp: Deswegen wurden wir vom Mannheimer Morgen verklagt
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Tatsache ist, dass das Landgericht Mannheim der Klage des Mannheimer Morgen gefolgt ist und diese erste Instanz rund 7.000 Euro kostet. Die zweite kostet nochmals so viel. Verlieren wir, müssen wir 14.000 Euro aufbringen. Ohne zusätzliche Hilfe von Ihnen als Leser werden wir das nicht schaffen und den Betrieb einstellen – gewinnen wir, trägt die andere Seite die Kosten.
Allein dieses Jahr mussten wir schon 9.000 Euro wegen weiterer Klagen aufbringen – so schnell können wir gar keine neuen Kunden gewinnen, um das auf Dauer durchzuhalten.
Damit sind wir bei einer weiteren inneren Bedrohung der Pressefreiheit, die auch mit äußeren Umständen zu tun hat. Durch die Medienkrise gehen die Umsätze von Medien zurück. Und junge Medien wie unser Angebot müssen sich enorm anstrengen, um im Markt Fuß zu fassen.
Doch ohne Geld gibt es keinen Journalismus. Sprich: Immer weniger Recherche, also immer weniger originäre journalistische Leistung, immer weniger eigene Anschauung, weil man Termine nicht besetzen kann. Wir besetzen beispielsweise anders als zu Beginn viele Gemeinderatssitzungen nicht mehr, weil wir (uns) das nicht mehr leisten können. Es geht dabei nicht nur um die Zeit, einen Mitarbeiter zu entsenden, das könnten wir vielleicht leisten – unser Anspruch war und ist, eine einordnende Berichterstattung zu leisten. Dazu gehört Vor- und Nachrecherche, Auseinandersetzung mit den Inhalten. Bevor wir “so tun als ob”, lassen wir es lieber.
Unter dem Geldproblem leiden alle Medien bis auf die öffentlich-rechtlichen, die per Zwangsabgabe finanziert werden. Doch auch hier gibt es viel “so tun als ob – Berichterstattung”.
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Wie Bürger die Medien bedrohen
Hinzu kommt eine Bedrohung durch die Medienkonsumenten. Auch wer nicht “Lügenpresse” schreit, verfährt häufig so, dass die Presse immer dann korrekt berichtet, wenn es der eigenen Meinung entspricht und “Mist” berichtet, wenn das nicht der Fall ist. Abos werden abbestellt und freiwillig wird nichts bezahlt, aber alles verlangt. Stichwort: Kostenloskultur. Und weil man sich im Internet zu allem – egal wie – informieren kann, entzieht man gewissen Medien die Aufmerksamkeit, redet sie schlecht.
Wenn Sie diese Zeilen lesen und unser Angebot regelmäßig nutzen, haben Sie das richtig verstanden. Wir kritisieren genau Sie dafür, dass Sie sich bei uns Informationen beschaffen, möglicherweise sogar ein großer Fan sind, uns ganz toll finden, uns das auch persönlich mit Schulterklopfen mitteilen, “Weiter so!”, aber kein Geld zahlen, sondern davon ausgehen, dass wir wie Pflanzen durch Osmose leben. Tun wir aber nicht – wir arbeiten hart und diese Arbeit kostet. (Unser Danke-schön an Spender und Förderer kommt unten.)
Wie Wirtschaft und Behörden die Medien bedrohen
Zu kritisieren ist aber die Wirtschaft und die Verwaltung. Alle möglichen “Informationen”, die schlicht und ergreifend Werbung sind, werden heute als “Presseinformation” verbreitet. Ein Unternehmen sponsort einen Verein und erwartet wie selbstverständlich, dass “die Presse” darüber berichtet. Die Presse hat also Arbeit, muss den Verbreitungskanal finanzieren und erhält dafür genau nichts.
Aufgepasst: Die Kritik an diesem Verhalten trifft auch “die Presse”, die dieses Verhalten nämlich gefördert hat. Wie das denn, fragen Sie zurecht? Ganz einfach: Weil man immer weniger Geld für Journalisten bezahlt und immer mehr redaktionelle Stellen abbaut, fehlt der durch diese produzierte Inhalt. “Die Zeitung muss aber voll werden”, also nimmt man “kostenloses” Material, schreibt das ein wenig um, tut so, als sei das eine journalistische Leistung und verkauft ein angeblich journalistisches Produkt, in dem kaum oder kein Journalismus drin steckt. Oder man nutzt Inhalte von Nachrichtenagenturen – wer sich aus mehreren Medien informiert, merkt, dass viele dasselbe berichten. Das merken die Leser und stellen das Abo ein – woraufhin weitere Stellen abgebaut werden. Ein Teufelskreis also.
Bedrohungen allerorten
Weltweit wird die Pressefreiheit durch marodierende Banden und Diktatoren bedroht. Aber auch durch infrastrukturell fehlende Verbreitungsmöglichkeiten. In vielen Ländern fehlen die Möglichkeiten der Verbreitung – mal ganz abgesehen von den hohen Analphabetenqoten insbesondere in Afrika.
In Deutschland bedrohen klagewütige Personen und Unternehmen sowie die zunehmend schlechter werdenden ökonomischen Bedingungen den unabhängigen Journalismus. Heraus kommt – und dieser Vorwurf ist nicht von der Hand zu weisen – “Mainstreampresse”.
Und es gibt ein weiteres Phänomen, das in breiten Teilen der Bevölkerung noch nicht angekommen ist. So sehr sich die allgemeinen Bedingungen für etablierte Medien verschlechtern, umso mehr bekommen neue Inhalteanbieter die Möglichkeit der Verbreitung. Auch das Rheinneckarblog gehört dazu – ohne Internet könnten wir kein Angebot machen, weil die Gründung eines Senders oder einer Zeitung viel zu teuer ist.
Immer mehr “klassische” Redaktionen werden zusammengelegt – zuletzt in Stuttgart, wo Stuttgarter Zeitung und Stuttgarter Nachrichten fusionierten. Sonntag aktuell wurde eingestellt – dahinter steht mit der Medien-Union (Ludwigshafen) einer der größten Medienkonzerne Deutschlands, der von Controllern “regiert” wird. Ja, Journalismus ist auch Geschäft und gerade den Konzernen geht es oft in erster Linie knallhart um Profit.
Die letzte relevante Zeitungsneugründung war die taz im Jahre 1978. Die letzte Sendergründungswelle ab Mitte der 80-er Jahre durch den Privatfunk. Seither konzentrieren sich die Märkte zunehmend. Scheinbar gibt es Vielfalt, tatsächlich nimmt diese bei den etablierten Medien rasant ab.
Aber es entstehen neue Angebote – viele aber mit zweifelhaftem Inhalt. “Russia today” gehört dazu – ein Sender, der angeblich “Putin”-getrieben ist. Einigermaßen professionell gemacht, inhaltlich aber höchst problematisch.
Oder ein Angebot wie “Beobachternews” – das Blog berichtet gegen rechte Umtriebe und für “antifaschistische” Aktionen. Rechts wird gebrandmarkt und linke Gewalt vollständig ausgeblendet. Das hat mit Journalismus nichts zu tun, das ist Agitprop. Wir haben das zuletzt nachgewiesen, als Russia today ein Video verbreitete, das angeblich “Polizeigewalt” gegen “unschuldige Demonstranten” zeigte. Tatsächlich griffen die Demonstranten die Polizei an, die dann selbstverständlich dagegen vorgegangen ist.
Tatsächlich haben auch “etablierte” Medien auf der Suche nach “Skandalisierungen”, die Polizei massiv kritisiert – als diese mit eigenen Videos die Falschmeldungen aufklärte, wurde das entweder nicht berichtet oder verschämt als kleine Meldung gebracht.
Lügenpresse, fehlende Fachkunde, mangelndes Geld, staatliche Repression
Teils gibt es die Lügenpresse, teils fehlt Medien die Fachkunde, sehr oft das Geld. Auflagen sinken, Abozahlen gehen wie die Werbeeinnahmen zurück, dafür gibt es immer mehr freie Informationen, Skandalisierungen nehmen zu. Eine kontinuierliche, inhaltlich kenntnisreiche und analytische Berichterstattung nimmt ab.
Hinzu kommt, dass Informationszuträger, also “Whistleblower” wie Journalisten durch staatliche Repression eingeschüchtert werden – siehe den Fall “Luxleaks”. Auf der Anklagebank sitzen nun Quellen und Journalisten statt die Gauner.
Weiter wird auch im Fall der “bedrohten Pressefreiheit” nicht eindeutig genug differenziert. Wenn man Worte benutzt, muss man auch wissen, was man damit meint. Ist ein deutscher Journalist gleich, besser oder schlechter qualifiziert als einer aus Uganda oder Kambodscha. Oder Russland, Amerika und China? Oder England, Schweden und der Türkei?
Journalist ist keine geschützte Bezeichnung – in Deutschland kann sich jeder so nennen. Anerkannt ist man, wenn man nachweisbar publizistisch tätig wird. Egal wie. Ob viel oder wenig, inhaltlich differenziert oder banal. In vielen Entwicklungsländern ist die Ausbildung von “Journalisten” mindestens so katastrophal wie die sonstigen Zustände in diesen Ländern. Unabhängig sind die wenigsten, denn dort gibt es kaum Geld und wenn, wird dieses durch Interessen ausbezahlt.
Was ist Journalismus, was Propaganda?
Es sind also Aktivisten und manchmal sogar Agenten, die eine Lage stabilisieren oder destabilisieren sollen. Erinnern Sie sich, dass die Begründung für den Irak-Krieg eine Lüge war? Erfunden durch den amerikanischen Geheimdienst – verbreitet durch die “edle” New York Times exklusiv und danach weltweit durch andere Medien?
Ist also die Pressefreiheit bedroht, wenn abhängige Propagandaverbreiter unter Repression zu leiden haben? Oder Medien Erfüllungsgehilfen von kriegsgeilen Geheimdiensten sind?
Schwierige Frage, denn Meinungsfreiheit definiert nicht die Qualität einer Meinung – auch dumme oder zielgerichtete Meinungen sind zulässig im Wettbewerb um Meinungsbildung. Man könnte versuchen, “Lügen” zu verbieten – aber wer weiß “die Wahrheit”?
Meinungsfreiheit setzt Wettbewerb voraus
Um sich eine Meinung bilden zu können, braucht es einen Wettbewerb und je qualifizierter dieser ist, umso qualifizierter kann die Meinungsbildung erfolgen – das Gegenteil ist auch richtig. Je schlechter das Angebot, desto schlechter ist die Meinungsbildungsmöglichkeit.
Wer die miserable Situation der Medien in der Türkei genau betrachtet, wird feststellen, dass dort viele der genannten Faktoren zutreffen. Es gibt pressefeindliche Gesetze, viele großen Medienhäuser sind unter staatlicher Kontrolle oder der von regierungsnahen Besitzern. Selbstverständliche Standards wie in Deutschland gibt es nicht – es gibt “oppositionelle” Medien und beide Seiten tun dasselbe – sie berichten nicht unabhängig. Dementsprechend schlecht fällt die Situation der Pressefreiheit in der Türkei aus. Platz 151 von 180 Ländern. Wer nur Erdogan dafür verantwortlich macht – und er ist verantwortlich – erzählt nur die halbe “Wahrheit”. Auch andere sind mitverantwortlich – doch darüber berichten deutsche Medien nicht. Zu komplex.
Fatale Unschärfen
Umfangreich berichtet über die Lage der Pressefreiheit auf der Welt die Organisation “Reporter ohne Grenzen” – aber ebenfalls mit einer eklatanten Unschärfe, die allgemeinsprachlich ist: Pressefreiheit. Das Wort stammt aus einer Zeit, in der “die Presse” maßgeblich war. Heutzutage sind elektronische Medien weitaus größer und einflussreicher. Korrekt müsste man, um alle Gattungen zu meinen, also von Medienfreiheit sprechen.
Medien bedrohen selbst ihre Medienfreiheit
Neben der Kritik am Konsumentenverhalten, den Behörden, der Wirtschaft muss man besonders vor der eigenen Türe kehren und die Medien in die Kritik nehmen. Ich setze mich seit 25 Jahren für Medienfreiheit ein und haben lange über Medien berichtet – ich kenne mich als Experte sehr gut mit unserem Mediensystem aus.
Klar ist: Die Boulevardisierung hat enorm zugenommen. Der Trend zum Mainstream oder “Fastfood-Journalismus” ebenso. Die Qualität ist flächendeckend gesunken und sinkt weiter – auch wenn es nach wie vor sehr viele sehr gute Angebote bei allen Mediengattungen gibt. Der Standard ist noch hoch, aber nicht mehr lange.
Und die Lagerbildung schreitet voran – das Debattenmagazin “Cicero” ist beispielsweise angetreten, Meinungsvielfalt auf hohem Niveau zu pflegen. Aktuell wurde ein Text des Autors Michael Kraske nicht veröffentlicht – warum auch immer. Wir haben den Text angekauft und veröffentlicht, weil wir ihn lesenswert und inhaltlich interessant finden. Der Text polarisiert – vor allem die SPD, deren Mitglied Thilo Sarrazin von Kraske als Vordenker der AfD bezeichnet wird.
Freiheit? Unbedingt! Verantwortung? Äh, was war nochmal die Frage?
Damit bin ich bei der Verantwortung. Viel entscheidender ob man einen türkischen Staatspräsidenten als “Ziegenficker” möglicherweise schmähen kann, ist die Frage, ob man das tun will und was das Ziel ist? Handelt man verantwortlich? Überblickt man die Folgen? Welche Entwicklung löst man aus?
Aktuell ist der Landwirtschaftsminister Alexander Bonde (Grüne) zurückgetreten, weil eine angebliche Geliebte über Facebook ziemlich viel ziemlich intime Dinge veröffentlicht hat, die sofort von, das muss ich betonen, “Qualitätsmedien” verbreitet wurden.
Die Dame hatte kein Recht, die Privatsphäre dieses Mannes derart in die Öffentlichkeit zu zerren. Die Medien haben zwar das Recht, über den Vorgang zu berichten. Aber haben sie auch die Pflicht dazu? Niemals – privat ist privat, solange es keine öffentliche Relevanz hat.
Sie haben es trotzdem getan – geradezu notgeil. Und die Folge? Ein von vielen Seiten anerkannter, fleißiger Minister nimmt seinen Hut, weil er den Druck nicht aushält. Was hat man also erreicht? War es das wert? Feiert man sich für die “Untenrum-Berichterstattung” als vierte Gewalt? Stellt sich jemand die Frage, ob man eher “Vergewaltiger” der grundgesetzlichen “Freiheiten” ist? (Ich verspreche Ihnen, dass mich für diesen Satz wieder viele “Kollegen” hassen werden.)
Der Minister hat den Verzicht auf ein mögliches neues Ministeramt erklärt und seine Karriere ist zunächst massiv beschädigt, aber auch seine Frau und seine drei Kinder. Wie verantwortlich haben sich die berichtenden Medien verhalten? Absolut oder eher gar nicht?
Journalismus sollte für Inhalte stehen und nicht für Ziegenficker-Spucker
Das gilt auch für Herrn Böhmermann, der übrigens kein Journalist in meinem Sinne ist. Als Journalisten verstehe ich Menschen, die Informationen zur Unterrichtung der Öffentlichkeit recherchieren und aufbereiten. Das kann auch auf satirische Weise als “Spielart” vieler journalistischer Darstellungsformen erfolgen und wir haben beispielsweise dafür “Helle Sema” als Spezialisten. Eine ausschließlich satirische Sendung erfüllt in meinen Augen nicht den Anspruch an Journalismus – das sieht auch das ZDF so. “Neo Magazin Royale”, die Böhmermann-Sendung, ist bei der Unterhaltung angesiedelt und nicht bei Information.
Ich befinde die Frage, ob das “Schmähgedicht” von Herrn Böhmermann nun durch die Meinungsfreiheit gedeckt ist oder nicht, als relevant. Aber ich vermisse die Frage nach dem Stil und der Verantwortlichkeit.
Leider gibt es auch in dieser Causa zu viel Mainstream, die der Logik folgt: Erdogan verhält sich pressefeindlich, also kann die Presse ihn auch fertig machen. Hier zeigt sich in meinen Augen eine zutiefst besorgniserregende verkümmerte Haltung bei vielen Journalisten, die grundsätzliche Prinzipien der grundgesetzlichen Verfasstheit nicht verstanden haben.
Und handwerklich zeigt sich ein Desaster – viele stellen keine Fragen mehr, sondern recherchieren von der Antwort her. Sie wissen also schon vorher, was sie berichten und alles, was die Story kaputt machen könnte, wird ausgeblendet. So werden Inhalte zu Spucke. Hauptsache, irgendwas hingerotzt.
Medienfreiheit steht nicht über anderen Gesetzen
Die Medienfreiheit (Pressefreiheit) steht nicht über anderen Gesetzen. Gesetze definieren Ansprüche, geben Freiheiten, verpflichten aber auch. Wer ständig die Grenzen austestet, erfährt womöglich eine repressive Beschränkung.
So durch das “Caroline-Urteil”. Die Prinzessin von Hannover hatte bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte geklagt, um ihr Privatleben vor Paparazzis zu schützen und hatte damit Erfolg. Ich persönlich verstehe die Dame voll und ganz und halte das Urteil für richtig.
Doch die Folgen sind dramatisch. Während es früher “Praxis” war, dass man ganz allgemein Fotos von “Personen der relativen oder absoluten Zeitgeschichte” veröffentlichen konnte, ist nun die Einzelfall-Entscheidung maßgeblich.
Beispiel: War es früher möglich, einen Prominenten auf einem Straßenfest abzulichten, könnte dieser heute gegen diese Veröffentlichung vorgehen, wenn er als Privatperson und nicht “als Prominenter” vor Ort war. Früher musste sich “Prominenz” das gefallen lassen, seit dem Caroline-Urteil ist das vorbei. Warum? Weil es die Boulevard-Medien über Jahre bis zum Exzess herausgefordert haben, dass sich jemand gegen “Bikini-Fotos”, “Ist das Hüftspeck”, “Schon wieder schwanger?” und anderen Müll erfolgreich gewehrt hat.
Wer Paparazzis und Böhmermännern freien Lauf lässt, schafft sich selbst ab
Medienfreiheit (Pressefreiheit) schafft sich so gesehen selbst ab, wenn aus der Hecke heraus mit High-Tech-Tele-Objektiven Menschen zu Opfern gemacht werden.
Der Fall Böhmermann ist meines Erachtens vergleichbar. Da kommt so ein schnöseliger Satire-Clown daher und nimmt sich raus, einen Staatspräsidenten auf das Übelste zu beleidigen. Das hält der Schnösel für “genial”, weil er das irgendwie “eingerahmt” hat und wird morgen so dreist sein, sich mit einem Künstler und Menschenrechtsaktivisten des Kalibers Ai Weiwei zu vergleichen.
Diese dumme Hybris wird nach meiner Einschätzung zu Recht bestraft werden. Entscheiden werden die Gerichte. Wenn es eine Strafe gibt, zahlt das ZDF die Kosten (bis zum Bundesverfassungsgericht, so der ZDF-Intendant Thomas Bellut). Das wird locker ein sechsstelliger Betrag – bezahlt durch Gelder der Haushaltsabgabe. Mit absoluter Härte bis zur Beugehaft durch den “Beitragsservice” beigetrieben.
Zickenficker-Affäre wird dramatische Folgen haben – so oder so
Wenn es eine Strafe gibt, wird die Folge sein, dass alle anderen Satiriker ihre Freiheiten eingeschränkt bekommen – denn gibt es ein Urteil, wird die Angst groß sein, selbst verklagt zu werden.
Sollte Herr Böhmermann nicht bestraft werden, ist der “Majestätsbeleidigung” Tür und Tor geöffnet und es wird nicht dabei bleiben.
Herr Böhmermann ist kein Held. Er ist auch nicht genial, sondern ein sich selbst verherrlichender Egomane. Er hat ein Dilemma erzeugt, das nur der Selbstdarstellung dient und am Ende bleibt die Wahl zwischen Pest oder Cholera. Gestützt und finanziert durch das ZDF. Auch das ist eine innere Bedrohung der Medienfreiheit.
Sein angekündigter Angriff auf Kanzlerin Dr. Angela Merkel dient auch nicht der “Meinungsfreiheit”, sondern wird dazu beitragen, dass die Staatsverdrossenheit wächst.
Die größte Bedrohung für unabhängigen Journalismus in Deutschland ist die eigene, innere Verderbtheit
Die allergrößte Bedrohung der Medienfreiheit in Deutschland ist neben den strukturellen und ökonomischen Konstellationen die zunehmende Verderbtheit einer grassierenden Verantwortungslosigkeit.
In den “klassischen” Medien werden Sie diese Einschätzung nicht finden – denn das hieße ja, dass man sich dort ehrlich und selbstkritisch reflektieren will. Dass das nicht der Fall ist, hat aktuell Dr. Kai Gniffke, der Leiter von ARD-aktuell gezeigt. Kritik ist nicht erwünscht – man hat alles richtig gemacht.
Die Medien kritisieren selbst gerne “Gott und die Welt” – blicken sie auf sich selbst, gucken sie in ein tiefes, schwarzes Loch.
Klar ist, dass ohne einen funktionierenden Journalismus, der frei und unabhängig arbeiten kann, es keine freie Gesellschaft geben kann. Und ja, liebe Leserin, lieber Leser – diesen Satz richte ich genau an Sie, wenn Sie unsere Arbeit nur konsumieren, aber nicht bezahlen. Sie können frei entscheiden, ob Sie unsere Arbeit mit einer Spende über Paypal mitfinanzieren wollen oder als Mitglied im Förderkreis.
Sollten Sie schon Spender oder Förderkreismitglied sein, dann haben Sie meinen allerherzlichsten Dank – stellvertretend für meine Mitarbeiter, von denen viele jung sind und denen ich helfe, gute Journalisten zu werden.
Ohne Geld gibt es keinen Journalismus – basta!
Journalismus braucht neben Freiheit auch Geld, um sich finanzieren zu können. Die Summe aller Spenden und Förderbeiträge 2016 finanziert unser Angebot aktuell ungefähr für sechs Wochen.
Unsere wichtigste Einnahmequelle sind unsere Werbekunden. Aktuell haben wir bis Jahresende eine Unterdeckung von mindestens 31.000 Euro. Das sind monatlich 3.375 Euro, die wir zum aktuellen Stand zusätzlich einnehmen müssen, um über die Runden zu kommen.
Anders als ein Klinikum Mannheim erhalten wir keine Ausfallbürgschaft über 65 Millionen Euro. Wir begrüßen die Entscheidung des Mannheimer Gemeinderats sehr, weil wir der Überzeugung sind, dass die medizinische Versorgung über ein professionelles Klinikum für die Bevölkerung gewährleistet sein sollte und der Betrieb sich wirtschaftlich erholen wird – auch wenn Korrekturen notwendig sein werden.
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Wir würden es begrüßen, wenn die Öffentlichkeit und Entscheidungsträger (von denen uns auch viele für unsere Berichterstattung loben) ebenso davon überzeugt wären, dass man Medienvielfalt ebenso dringend benötigt wie eine medizinische Versorgung oder intakte Straßen, deren Beleuchtung, Kindergärten, Schulen und Straßenfeste.
Wir wollen keine Bürgschaft der Stadt, aber wir bitten dringend um Ihre Unterstützung – freiwillig und aus der Überzeugung heraus, dass Sie unsere publizistische Arbeit im Wettbewerb zur Meinungsbildung haben wollen.
Sollten wir nicht überzeugen können und TTT – Tiere, Titten, Tote wichtiger sein und “Blaulicht”-Themen sowie “Sex-Skandale” die Grundversorgung der Bevölkerung mit “Nachrichteninhalten” sichern, dann braucht es kein Rheinneckarblog. Sie als Nutzer unseres Angebots entscheiden mit, was aus unserem Angebot wird.
Wir haben wöchentlich bis zu 42.000 Leser – würde jeder monatlich nur einen Euro (haste mal nen Euro) zahlen, wären wir nicht nur alle Probleme los, sondern würden richtig durchstarten.
Wenn wir es einstellen, ist das Projekt tot. Wiederbelebungsmaßnahmen wird es keine geben. Schauen Sie sich um, welche Informationsmöglichkeiten Sie noch haben und entscheiden Sie. Auch Sie sind verantwortlich.
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